nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:21:25 1998
 

Kieler Nachrichten 05.06.97

Staatsanwälte: Freispruch für Safwan Eid - Angriff auf die Verteidigung

Rückzug der Anklage

Lübeck - Im Gericht ist es zuweilen wie auf dem Fußballplatz. Die Mannschaft, die aussichtslos zurückliegt, versucht das Spiel mit Anstand über die Zeit zu bringen. Im Lübecker Brandprozeß agierte die Staatsanwaltschaft gestern nach ähnlichem Muster. In der Gewißheit, daß die Kammer den wegen schwerer Brandstiftung angeklagten Libanesen Safwan Eid nicht verurteilen wird, plädierten sie auf Freispruch aus Mangel an Beweisen.

Ganz ohne Gegenwehr gaben sich Michael Böckenhauer und Axel Bieler jedoch nicht geschlagen. Gleich zu Beginn des 56. Verhandlungstages griff Böckenhauer die Verteidigung scharf an. Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter sei es nicht darum gegangen, den Strafanspruch des Staates gegen Safwan Eid zu verhindern, sondern darum, den Staat selbst auf die Anklagebank zu zerren. Es sei jedoch fraglich, ob die Politisierung des Verfahrens und das Stricken an Verschwörungstheorien dem Angeklagten genutzt hätten.

Gleiches gelte für die Strategie der Verteidigung, die Staatsanwaltschaft als "Inkarnation des Bösen" darzustellen. "Doch damit kann ich leben", sagte Böckenhauer. Womit der Rechtsstaat aber nicht leben könne, sei der Umgang der Verteidigung mit bestimmten Zeugen. So habe sich der Hauptbelastungszeuge, der Rettungsanitäter Jens L., als Nazi und Lügner diffamieren lassen müssen. Die Befragung von Feuerwehrleuten und Polizeibeamten nannte der Staatsanwalt "inquisitorisch".

Gelitten habe auch die Familie El Omari, die aus der Phalanx der übrigen Hausbewohner ausgeschert war und sich dem "Zeugenschutzprogramm" der linken Unterstützerszene verweigert hatte. Die El Omaris seien "pathologisiert" worden, nur weil sie nicht von Eids Unschuld überzeugt seien.

Im weiteren Verlauf ihres Plädoyers beschäftigten sich die Staatsanwälte mit den Aussagen von mehr als 100 Zeugen und Sachverständigen. Dabei ging es ihnen vor allem um den Nachweis, inwieweit der Ort des Brandausbruchs und die Entwicklung des Feuers im Einklang mit der Aussage des Rettungssanitäters steht. Dieser hatte, nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft absolut glaubwürdig, von einer Begegnung mit Safwan Eid unmittelbar nach dem Brand berichtet. Dabei soll Eid gesagt haben: "Wir warn's." Sie hätten Streit mit einem Hausbewohner gehabt, hätten Benzin oder etwas ähnliches gegen die Tür gegossen und das sei dann brennend die Treppe in den Vorbau hinabgelaufen.

Daß es so gewesen sein kann, daran haben die Brandgutachter vom Bundes- und Landeskriminalamt sowie die überwiegende Zahl der Zeugen und Hausbewohner nach Ansicht der Ankläger keinen Zweifel gelassen. Ob es aber zwingend so gewesen sein muß, oder ob L. sich nicht vielleicht doch verhört hat, das habe nicht endgültig geklärt werden können.

Im Vorbau des Hauses jedenfalls, wo die Verteidigung einen Anschlag vermutet, ist das Feuer nach Ansicht der Anklage mit Sicherheit nicht ausgebrochen. Für die Staatsanwaltschaft ist das ein ganz wichtiger Punkt. Denn wenn ein Anschlag von außen ausgeschlossen ist, dann gehört auch der von der Verteidigung immer wieder erhobene Vorwurf der einseitigen Ermittlungen zu Lasten Safwan Eids endgültig in die Mottenkiste.

Auch der Nachweis eines Streits unter Hausbewohnern, den die Staatsanwaltschaft als Motiv angenommen hat, habe nicht im notwendigen Maße erhärtet werden können. Dieses könnte sich, so die Ankläger, jedoch aus Abhörprotokollen eines Gesprächs zwischen dem Angeklagten und einem seiner Brüder in der Lübecker Justizvollzugsanstalt ergeben. Die Tonbänder zu verwerten, hatte das Gericht sich jedoch "geweigert", wie Böckenhauer es formulierte. "Dies mag bedauerlich sein, läßt sich jedoch in dieser Instanz nicht ändern." Ein versteckter Hinweis auf eine mögliche Revision.

Letztlich nicht klärbar sei auch die Art der möglichen Tatbeteiligung Safwan Eids. Zugunsten des Angeklagten könne nicht ausgeschlossen werden, daß er nur Gehilfe war oder gar nur gehört hat, was andere über die Tat erzählt haben.

Kritisch setzte sich Böckenhauer auch mit dem Gericht auseinander. Aus einer Zeitung zitierte er den Satz: "Weiß der Himmel, was den Richter dazu bewogen hat, der von der Verteidigung ins Leben gerufenen unabhängigen Kommission Plätze in der ersten Reihe des Gerichtssaals freizuhalten, nur um als nicht rassistisch zu gelten." Auch sei es ein Fehler gewesen, den Brandschutzexperten Ernst Achilles zu dem Verfahren zuzulassen.

Während Verteidigerin Heinecke von einer Niederlage der Staatsanwaltschaft sprach, suchte Böckenhauer Schutz hinter dem Gesetz. Das Gericht habe die Anklage zugelassen, "wir mußten sie vertreten". Im Moment gebe es keine Anhaltspunkte, in andere Richtungen zu ermitteln. KAI-UWE DREWS

[Lübeck - Hauptseite | Presse | Was gibt's Neues | Inhalt | Feedback ]