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Kieler Nachrichten 10.06.97

Plädoyers der Nebenkläger im Lübecker Brandprozeß:

Der Ruf nach Gerechtigkeit

Lübeck - Im Lübecker Brandprozeß hatten gestern die Vertreter der Nebenklage das Wort. Anders als die Staatsanwaltschaft, die am 56. Verhandlungstag für den Angeklagten Safwan Eid Freispruch mangels hinreichender Beweise beantragt hatte, forderte der Anwalt der Nebenkläger-Familie El Omari eine Verurteilung wegen Beihilfe zu besonders schwerer Brandstiftung.

Einer weitere Anwältin, deren Mandanten dem Angeklagten frühzeitig ihre Solidarität bekundet hatten, plädierte hingegen auf Freispruch. Zwei weitere Anwälte der insgesamt 16 Nebenkläger stellten keine eigenen Anträge, vertraten jedoch völlig konträre Auffassungen: Während der eine den Angeklagten freigesprochen sehen will, vermutet der andere den oder die Brandstifter in den Reihen der früheren Hausbewohner.

Für die Familie El Omari, die bei dem Brand in der Hafenstraße einen Sohn verloren und sich seit Prozeßbeginn mehrfach mit Safwan Eids Angehörigen öffentlich gestritten hat, erklärte deren Anwalt Wolfgang Clausen: "Die Nebenkläger rufen nicht nach Rache, aber nach ausgleichender Gerechtigkeit." Als belastend für den Angeklagten wertete er, daß dieser nach eigenen Angaben in der Brandnacht andere Hausbewohner mit den Worten: "Das ist nur ein kleines Feuer", zu beruhigen versucht hatte.

Dieser Äußerung sowie den Angaben des Hauptbelastungszeugen Jens L., dem Eid Tat und Motiv gestanden haben soll, könne man entnehmen, daß es "offenbar einen gemeinsamen Tatplan" gegeben habe. Die entscheidende Frage einer Tatbeteiligung ließ der Anwalt in seinem Schlußwort offen. Er mutmaßte, Eid habe dem Täter die Brandstiftung "möglicherweise erleichtert".

Anwalt Ulrich Haage, der drei weitere Mitglieder der Familie El Omari vertritt, verzichtete auf einen Strafantrag. Er kritisierte jedoch, daß das Gericht die Ergebnisse einer Lauschaktion, bei denen Gespräche des Angeklagten mit Angehörigen in der Untersuchungshaft abgehört worden waren, als Beweismittel nicht zugelassen hatte. Ungebührlich scharf ging Haage mit den früheren Hausbewohnern ins Gericht, die den Angeklagten öffentlich für unschuldig erklärt hatten: "Unter uns muß einer oder mehrere gesessen haben, der weiß, wie es gelaufen ist und uns die Hucke vollgelogen hat."

Vom Gegenteil überzeugt zeigte sich Anwalt Mathias Wagner, dessen Schlußwort überwiegend zu einer politischen Erklärung geriet. Auf eine detaillierte Beweiswürdigung verzichtete er, warf der Staatsanwaltschaft jedoch ein "skandalöses Fehlverhalten" vor. Deren Plädoyer habe "den Freispruch für die an diesem Verfahren leidende deutsche Volksseele begründet". Erwiesen sei lediglich, "daß Brandstifter in Lübeck nicht viel zu befürchten haben." Die wahren Täter vermutet er - ebenso wie die Verteidigung - unter den vier ursprünglich Tatverdächtigen aus Grevesmühlen.

CHRISTIANE KRÜMPELMANN


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