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Am 2.11.1999 wurde Safwan Eid durch das Landgericht Kiel vom Vorwurf freigesprochen, am 18.1.96 den Brand in der Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße, bei dem zehn Menschen starben, gelegt zu haben. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
Damit findet ein Strafverfahren seinen Abschluß, das wie kaum ein zweites in der Geschichte der BRD für eine offensive Täter/Opfer Verkehrung von Seiten der Ermittlungsbehörden steht. Statt gegen die von Anfang an bekannten deutschen Tatverdächtigen zu ermitteln, versuchten die Lübecker Ermittler ein Opfer des rassistischen Brandanschlags zum Täter zu machen. Kripo und Staatsanwaltschaft hatten die Ermittlungen gegen die Rechten aus Grevesmühlen unterlassen, Spuren und Beweismittel unterdrückt und sich stattdessen bemüht, einen vermeintlichen Streit unter den HausbewohnerInnen zum Tatmotiv zu stilisieren. Deutsche Eliten und die Mehrheit der Bevölkerung waren erleichtert, dass durch die Präsentation eines ausländischen Tatverdächtigen der unmittelbar nach der Tat erhobene Rassismusvorwurf gegenüber Deutschlands zurückgewiesen werden konnte. Bis heute besteht kein Interesse der Ermittler, die wahren Täter vor Gericht zu bringen.
Durch das Verfahren in Kiel und das abschließende Urteil ist allerdings, fast vier Jahre nach der Tat, das Anklagekonstrukt der Staatsanwaltschaft endgültig zusammengebrochen. Anders noch als im ersten Urteil des Landgerichts Lübeck war es diesmal ein Freispruch erster Klasse. Das Kieler Landgericht zerpflückte in seiner Urteilsbegründung die vermeintlichen Verdachtsmomente gegenüber Eid akribisch Punkt für Punkt. Nichts blieb nach sorgfältiger Überprüfung von den angeblich belastenden Aussagen auf den Tonbandaufnahmen von Gesprächen, die während der Untersuchungshaft Eids von den Lübecker Ermittlern aufgezeichnet worden waren. Im Gegenteil: Das Kieler Landgericht erkannte sogar deutlich entlastende Inhalte der Gespräche. Für den Dolmetscher der Lübecker Ermittler erwiesen sich bereits die vorausgegangenen Vernehmungen als eine komplette Blamage. Tatsächlich war nicht ein einziger Satz gefallen, den der Dolmetscher gehört haben wollte und der Eid hätte belasten können. Der Satz, den die Ermittler jahrelang kolportiert und auf den sie ihre Anklage gestützt hatten "Ich weiß, was ich in dem Gebäude gemacht habe,..." war auf den Tonbändern überhaupt nicht enthalten, der Satz "wenn ich gestehen würde" verwandelte sich bei Überprüfung durch einen weiteren Sprachsachverständigen in die Äußerung "Wenn ich gestorben wäre".
Das Landgericht konnte auch keinen Anhaltspunkt für ein Tatmotiv Eids entdecken. Die Verdächtigungen gegen Eid, er habe sich nach dem Brand auffällig verhalten und angebliche Spuren beseitigen wollen, erwiesen sich endgültig als vollkommen haltlos. Wollte mensch denn überhaupt die Mutmaßung ernst nehmen, dass jemand sich verdächtig mache, der duscht, wenn er, soeben einem Brand entkommen, vollkommen verrußt und verschwitzt ist, so kehrte sich selbst dieser perfide Vorwurf der Lübecker Ermittler in sein Gegenteil. Denn es stellte sich heraus, dass eine Krankenschwester Safwan Eid zum Duschen geschickt hatte, weil sie den Schmutz nicht in den Betten haben wollte.
Einzig die Aussage des Rettungssanitäter Leonhardt, Eid habe in der Brandnacht zu ihm die Worte "Wir warn's" gesagt, blieb unwiderlegt. Für das Landgericht stellte diese Aussage für sich genommen kein Geständnis dar. So kam es auf den Wahrheitsgehalt der Angaben Leonhardts nicht mehr an. Damit ersparte das Gericht Leonhardt, der sich in der Verhandlung an nichts mehr genau erinnern konnte, eine vollständige Demontage, die aufgrund der vielen Widersprüche in seinen früheren Vernehmungen unweigerlich erfolgt wäre. Offengelassen hat das Landgericht Kiel ferner, wie der Brand entstanden ist und sich entwickelt hat, weil auch dies für die Frage einer angeblichen Täterschaft Eids keine Rolle gespielt hätte. (weitere Einzelheiten zum Urteil könnt ihr dem Dezember-Heft des "Gegenwind" entnehmen.)
Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die Lübecker Ermittler, deren vermeintliches Belastungsmaterial sich endgültig in Luft aufgelöst hat. Safwan Eids Unschuld steht jetzt, für alle Rechtsstaatsgläubigen, auch amtlich fest. Dennoch kann es sich der Staatssekretär Jöhnck aus dem Kieler Jusitzministerium immer noch erlauben zu erklären: "Nach unserer Bewertung besteht kein Anlaß zu irgendwelcher Kritik". Statt sich bei Eid zu entschuldigen, behauptete Jöhnck im Innen- und Rechtsausschuß des Kieler Landtags kurz nach der Urteilsverkündung sogar, die Anklageerhebung gegen Eid sei ebenso richtig gewesen wie die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die vier Grevesmühlener.
Pressereaktionen
In den Medien fand das Kieler Urteil ein unterschiedliches Echo. Als glasklaren Freispruch begriffen nur einige - wie FR und Berliner Zeitung - die Urteilsbegründung. Selbst diese aber halten eine Aufklärung des Brandanschlags für wenig wahrscheinlich. Ansonsten trat vielfach schlichtes Unverständnis über den Gehalt der richterlichen Ausführungen zu Tage. Ein intellektueller Tiefflug gelang dem Kommentator des Berliner Tagesspiegel, der unter der Überschrift "Das Urteil ist ein Sieg der politischen Besorgnis über die juristische Sorgfalt" seine Ignoranz gegenüber jeglichen Tatsachen dokumentierte. Auch die Junge Welt schien wenig begriffen zu haben, meinte sie doch, Eid sei auch durch das neue Urteil nicht entlastet. Originalität bewies immerhin die FAZ, die anriet, den Gerichtsbezirk Lübeck künftig weiträumig zu umfahren. Den Gipfel der Heuchelei erreichte mal wieder die taz, die nach dem Urteil schon immer gewusst haben will, dass Safwan Eid mit der Tat nichts zu tun gehabt habe. Kommentatorin Haarhofs Frage: "Wer hatte Interesse daran, dass der Tod von zehn Menschen mit der Intensität eines Bagatelldelikts verfolgt wurde?" könnte ihr die eigene Redaktion sicher ohne weites beantworten. Diese war es schließlich, die während des ersten Prozesses eine perfide Hetzkampagne gegen Eid, die anderen Überlebenden und deren UnterstützerInnen führte.
Auch vielen der UnterstützerInnen, die während des ersten Prozesses noch aktiv waren, scheint die Bedeutung des zweiten Freispruchs nicht klar zu sei. Für den Ausgang des zweiten Verfahrens interessierten sich jedenfalls nur wenige. Ganze zehn Leute dürften es vielleicht gewesen sein, die zur Urteilsverkündung kamen. Und auch sonst war die Resonanz während des Prozesses mehr als mager. Mit Ausnahme einer Kundgebung zum Prozessauftakt mit ca. 80 TeilnehmerInnen gab es keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Die meisten UnterstützerInnen-Gruppen aus linken und antirassistischen Spektren haben sich zurückgezogen, somit blieben publizistische und sonstige Initiativen weitgehend aus. Damit wird leichtfertig die Chance vertan, einen juristischen Erfolg, den der Freispruch im Ergebnis darstellt, als solchen wahrzunehmen und politisch umzusetzen. Immerhin hat das Kieler Landgericht in Teilen genau das bestätigt, was die meisten UnterstützerInnen immer schon gesagt haben: Für die Anklage gegen Eid hat es nie eine Tatsachengrundlage gegeben. Dies müsste eigentlich der Startschuss für eine erneute Kampagne zur Aufklärung des Brandanschlages und für Ermittlungen gegen die Ermittler sein. Doch davon ist weit und breit nichts zu sehen.
Die in Hamburg durchgeführte Veranstaltungsreihe "Der Lübecker Brandanschlag und die deutschen Verhältnisse" bot eine der wenigen Gelegenheiten, sich über den aktuellen Prozess gegen Safwan Eid zu informieren und die gesellschaftlichen Bedingungen zu diskutieren, unter denen er stattgefunden hat. Dieses Angebot der veranstaltenden Gruppen - enlightenment factory, GWA St. Pauli Süd e.V., Flüchtlingsrat Hamburg und FrauenLesbenPlenum - ist auch durchaus angenommen worden, die TeilnehmerInnenzahlen lagen zwischen 30 und 70 pro Veranstaltung. Bemerkenswert war nicht nur die relativ konstante BesucherInnenzahl, sondern auch der Umstand, dass fast alle Veranstaltungen in eine Diskussion der jeweiligen Beiträge mündeten. Nur bedingt gelungen ist der Versuch, zwischen unterschiedlichen politischen Spektren einen Austausch zu initiieren. So war etwa die Veranstaltung "Abschiebe- und Vertreibungspolitik in Hamburg" hauptsächlich von der Hamburger AntiRa-Szene besucht, während sich für das Thema "Neonazis: Täter aus der Mitte der Gesellschaft" fast auschließlich das Antifa-Spektrum interessierte.
Rassismusbegriff
Es stellte sich in den Diskussion als schwierig heraus, zwischen den verschiedenen Themen strukturelle Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. So gelang es auf der Veranstaltung "Hattingen, Lübeck, Guben - Stationen des deutschen Rassismus" nicht, über den Erklärungsansatz des "institutionellen Rassismus" in eine Diskussion der Gemeinsamkeiten aller drei Fälle zu kommen. Es zeigte sich sogar teilweise eine Abwehrhaltung, die Ermittlungen in den genannten Fällen überhaupt als rassistisch zu charakterisieren. Dies deutet auf ein verengtes Verständnis von Rassismus hin, indem dieser entweder als bloßes individuelles Vorurteil oder als Verteidigung von Privilegien angesehen wird.
Dass es in der Linken Konsens darüber gibt, gerade die deutsche Gesellschaft als schon im Keim rassistisch konstituiert anzusehen, erschien den VeranstalterInnen wohl als zu selbstverständliche Annahme. Behörden und andere Institutionen handeln vor allem deshalb rassistisch, weil dies die ihnen zugewiesene Aufgabe ist, nicht weil Einzelne über die Stränge schlagen. BGS, Ausländerbehörden und Polizei schützen Deutschland tagtäglich vor unerwünschter Einwanderung, sorgen für rechtliche Diskriminierung und Ausgrenzung von Nichtdeutschen. Nicht zuletzt die Diskussion um die Staatsbürgerschaft hat gezeigt, wie vehement selbst die völkische Interpretation der Staatsangehörigkeit in dieser Gesellschaft verteidigt wird. In diesem Kontext muss aber auch der Umgang von Ermittlungsbehörden und Gerichten mit rassistischen Anschlägen gesehen werden.
In der Veranstaltung "Institutioneller Rassismus in der Hamburger Polizei" gelang es am intensivsten, die Zusammenhänge zwischen Exzessen einzelner Beamter und polizeilichen Gesamtkonzepten zu verdeutlichen, sowie Rassimus mit allgemeinen Vorstellungen von "Sozialhygiene" und Drogen-Prohibition zu verknüpfen. Schließlich hatten sich die VeranstalterInnen auch von der Veranstaltung "Rassismus in Großbritanniens Polizei" eine Anregung der Diskussion deutscher Verhältnisse erhofft. Leider war gerade diese Veranstaltung mit etwa 30 TeilnehmerInnen am schwächsten besucht. Durch das Referat des englischen Soziologen Les Back und die anschließende Diskussion ist der Ansatz deutlich geworden, dass sich in England die Polizei zwar ähnlich wie in Deutschland verhält, dort aber anders als hier eine breite und kontroverse gesellschaftliche Debatte um "Institutionellen Rassismus" begonnen hat (siehe hierzu auch Artikel im selben Heft). Wer in Deutschland diesen Begriff offensiv verwendet, läuft derzeit eher Gefahr, selber kriminalisiert zu werden.
In England gelang es einer vom Innenministerum eingesetzten Untersuchungskommission im Fall Stephen Lawrence, 6 Jahre nach dessen Ermordung, die Umstände aufzuklären, die dazu führten, dass dessen Mörder bis heute nicht verurteilt werden konnten. Dass die Nicht-Aufklärung dieses rassistischen Mordes nicht nur auf individuelles Versagen, sondern auf "Institutionellen Rassimus" in der Londoner Polizei zurückgeführt wurde, ist ein bemerkenswerter Durchbruch. Der Macpherson-Bericht hat gerade deshalb das Königreich erschüttert. Ob derartige Entwicklungen in Deutschland vorstellbar wären, ist fraglich. Das englische Beispiel zeigt jedenfalls, dass es sich lohnt, einen langen Atem zu haben.
enlightenment factory
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