[Lübeck - Hauptseite | Prozeßinfos - Index | Presse | Was gibt's Neues | Inhalt | Feedback ]
Zwei volle Prozeßtage wurde Katuta-Kibolo, ehemaliger Bewohner des Brandhauses in der Hafenstr. 52, vom Gericht vernommen. Er widersprach an den entscheidenden Punkten der Darstellungen der Staatsanwaltschaft und der Familie El Omari. Das Fenster im hölzernen Vorbau konnte von außen einfach geöffnet werden, dort stellte er auch zuerst hohe Flammen fest und es gab keinen Streit zwischen arabischen und afrikanischen HausbewohnerInnen. Dann kritisierte er auch offen das Umgehen der Ermittlungsbehörden mit den Überlebenden des Anschlags. Wir wurden nicht wie Opfer, sondern wie Täter behandelt, sagte er. Für die Staatsanwaltschaft Anlaß, stundenlang nach Widersprüchen in seinen Aussagen zu bohren und auch nicht vor indirekten Drohungen mit seinem unsicheren Aufenthaltsstatus zurückzuschrecken. Heraus kam dabei jedoch - nichts.
Wie bei allen ehemaligen HausbewohnerInnen begann die Zeugenbefragung durch den Richter mit der Aufforderung, das Verhältnis im Haus zu schildern.
très excellent
Ausgezeichnet übersetzte der Dolmetscher die französische Aussage von Katata-Kibolo, der mit Frau und Kind im Erdgeschoß des Flüchtlingsheims gewohnt hatte.
Zur Familie des Angeklagten habe er schon ein gutes Verhältnis, seit sie gemeinsam in einer Asylunterkunft in Kücknitz gewohnt hätten. Die Eids seien eine sehr nette und sehr kultivierte Familie. Im Sommer habe er des öfteren mit Marwan Eid, Sawfans Vater, im Garten Kaffee getrunken.
Die Sache mit der Waschmaschine
Die Geschichte eines Konfliktes im Haus, an dem der Zeuge selbst beteiligt war, schilderte er dann ausführlich und so bewegt, das viele ZuhörerInnen das Schmunzeln nicht unterdrücken konnten. William, der im 1. Stock gewohnt hatte, habe die Angewohnheit gehabt, bis spät in die Nacht hinein Wäsche zu waschen, so einmal auch um 1 Uhr nachts, als Katuta und seine Familie schlafen wollten. Ihre Wohnung lag genau neben dem Raum, in dem die Waschmaschinen standen. Also stellte er William zur Rede, der wollte aber zunächst nichts einsehen. Es entstand ein Gerangel um den Netzstecker der Waschmaschine - Stecker rein, Stecker raus. Schließlich habe er ein Küchenmesser geholt - Kunstpause, gespannte Aufmerksamkeit im Zuschauerraum. Um das Kabel durchzuschneiden, klärte Katuta auf. Am nächsten Tag habe er sich mit William vertragen und die Sache sei vergessen gewesen.
Nicht zuletzt an solchen Geschichten wird die Absurdität des Verfahrens deutlich. Konflikte, wie es sie in jedem Mehrfamilienhaus gibt, werden lang und breit thematisiert. Daß der Angeklagte damit gar nichts zu tun hat, wird kaum bemerkt. Siehtste, sie haben sich doch gestritten - die Ausländer, das ist der Eindruck, den die Staatsanwälte vermitteln wollen. Aber mit Rassismus hat dies natürlich nichts zu tun ...
Der Mann aus Zaire ist jedoch niemand, der diese Manöver der Staatsanwaltschaft einfach über sich ergehen lassen würde. Ausdrücklich stellt er klar: Wir haben nicht verstanden, daß in der Presse aufgebauscht wurde, daß es einen Streit zwischen den Schwarzen und den Arabern gegeben haben soll. Das stimmt nicht.
Hitze und Brandgeräusche im Erdgeschoß
Wach wurde Katuta-Kibolo in der Brandnacht von Hilfeschreien. Sie seien von oben, aus den Stockwerken über ihm gekommen. Er habe daraufhin seine Frau und seine Tochter geweckt. Die Tochter habe dann die Tür der Wohnung nur ein wenig geöffnet. Dabei habe er deutlich die Hitze gespürt und knisternde Geräusche von brennendem Holz gehört. Außerdem sei Rauch in die Wohnung eingedrungen. Schnell habe er dann seine Tochter von der Tür weggezogen und diese wieder geschlossen. Als Fluchtweg blieb nur das Fenster, durch das sich die Familie rettete.
Durch diese Schilderung wird die These von einem Brandausbruch im hölzernen Vorbau des Erdgeschosses gestützt. Ebenso dadurch, daß Katuta berichtete, kurz nach seinem Sprung aus dem Fenster den Vorbau von außen in hellen Flammen gesehen zu haben. Diese Flammen seien bis zum ersten Stock hinaufgeschlagen, Polizei und Feuerwehr seien noch nicht am Ort gewesen.
Widersprüchliche Zeiten
Die Zeit bis zum Eintreffen von Hilfe muß ihm unendlich lange vorgekommen sein. Jedenfalls gab der Zeuge an, es habe von seinem Sprung aus dem Fenster noch 15 Minuten gedauert, bis die Polizei eintraf und weitere 20 Minuten, bis auch die Feuerwehr vor Ort war. Auch wenn wir berücksichtigen, daß sich Katuta auf der Rückseite des Gebäudes aufgehalten hat und alle Rettungskräfte von vorn anfuhren, so ist nach den bisherigen Aussagen doch eindeutig, daß Polizei und Feuerwehr kurz nacheinander eintrafen.
Letzter Kontakt zu den Kindern von Makodila
Vom Hof aus hatte der Zeuge als letzter noch Rufkontakt zu den Kindern der Familie Makodila, die im 2. Stock gewohnt hatten. Die Mutter, die ebenso wie alle Kinder dem Brand zum Opfer fiel, hat er jedoch nicht mehr gesehen. Er rief der ältesten Tochter zu, sie solle das Fenster öffnen. Es klemmt,habe diese jedoch geantwortet. Darufhin habe er sie aufgefordert, zu einem anderen Zimmer ihrer Wohnung zu gehen und dort zu versuchen, aus dem Fenster zu entkommen - danach habe er sie jedoch nicht mehr gehört.
Zu diesem Zeitpunkt seien aus den Fenster dieser Hausseite noch keine Flammen geschlagen, während der Vorbau schon in hellen Flammen stand.
Als endlich Polizei und Feuerwehr eintrafen habe er sie mehrfach auf die im 2. Stock eingeschlossenen Kinder hingewiesen, die Polizisten hätten jedoch nichts machen können, als die Feuerwehr kam, sei es zu spät gewesen.
eine kriminelle Tat, die von außen verübt worden ist
Schon in der richterlichen Befragung wurde Katuta auf die Gemeinsame Erklärung der Überlebenden angesprochen, die vor einigen Wochen auf einer Pressekonferenzam Rande des Prozesses vorgestellt worden war. Ziel dieser Fragen war offensichtlich, eine etwaige Zeugenbeinflussung herauszufinden. Katuta antwortete jedoch souverän, daß er zwar nicht an der Formulierung dieser Erklärung mitgewirkt hätte - das hätten Leute aus Hamburg getan - aber die Initiative und die Ideen von ihnen selbst gekommen seien.
Befragt, was er für den Hintergrund des Brandes halte, sagte er: Nach meiner Überzeugung war es eine kriminelle Tat, die von außen verübt worden ist.
Das Fenster ließ sich nicht schließen
Die Aussagen des Zeugen bestätigten auch, daß der Zugang für Täter von außen leicht möglich war. Ebenso wie bereits die Zeugen Aida und besonders George Alias am 11.11. (siehe Prozessinfo Nr. 8) erklärte er, daß das linke seitliche Fenster im hölzernen Vorbau nicht fest zu verschließen war, da es keinen Haken hatte. Man habe es nur in den Rahmen klemmen können.
Fliegt aber z.B. ein Fußball gegen die Scheibe (was mehrfach vorgekommen sei), so springe das Fenster einfach auf. Ebenso lasse es sich bereits durch Fingerdruck öffnen. (Die Mitglieder der Familie El Omari hatten hingegen bestritten, daß das Fenster defekt war.)
Auch das Abschließen der Tür sei eher lax gehandhabt worden. Zwar sei es richtig, daß Herr El Omari allabendlich abgeschlossen habe. Da aber meist andere Hausbewohner später nach Hause gekommen seien, hätten diese nicht unbedingt wieder abgeschlossen. Er selbst sei jedenfalls mehrfach spät nachts aus der Disco nach Hause gekommen und habe dabei die Haustür unverschlossen gefunden.
teerartige Flüssigkeit und angebrannte Zettel
Wie schon die anderen HausbewohnerInnen zuvor, wurde auch Katuta nach einem Vorfall mit einer ausgegossenen Flüssigkeit einige Monate vor dem Brand befragt. Er erinnere, dies sei Teer mit Benzin gewesen und sei im gesamten Eingangsbereich ausgeschüttet worden. Damals sei von den Mitarbeitern der Diakonie, die die Flüchtlingsunterkunft betreueten, auch die Polizei informiert worden. Er vermutete, daß schon damals das Haus angesteckt werden sollte.
Ebenso bedenklich wie merkwürdig ist das ständige Herumreiten der Staatsanwaltschaft auf Zetteln, die an der Tür des Diakonie-Büros angebracht waren und die zum Teil angekokelt worden seien. Eigentlich alle befragten HausbewohnerInnen - so jetzt auch Katuta - haben hierzu gesagt, dies seien Kinder gewesen. Die Zettel seien auch mal abgerissen oder bekritzelt worden - Kinderstreiche eben.
Ob uns die Staatsanwaltschaft nach dem offenkundig haltlosen Versuch, Safwan zum Täter zu stempeln, den Brandanschlag vom 18. Januar als Kinderstreich verkaufen will? Das Insistieren auf derart nebensächlichen Geschichten läßt jedenfalls das Schlimmste vermuten.
Böckenhauer sucht Widersprüche
Ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Lethargie machte sich Staatsanwalt Böckenhauer nun stundenlang auf die Suche nach Widersprüchen in den Aussagen dieses Zeugen, die ihm so ganz offensichtlich gar nicht ins Konzept paßten.
Fündig wurde er dabei jedoch nicht. Eine Formulierung im Polizeiprotokoll konnte z.B. so verstanden werden, daß Katuta den Brandgeruchbereits beim Aufwachen wahrgenommen habe, jetzt sagte er jedoch erst beim Öffnen des Fensters, als er den Rauch auch gesehen habe, da habe er ihn auch gerochen. Von ähnlicher Qualität waren auch die anderen Punkte, die die Staatsanwaltschaft so lange beschäftigten. Die zeitweilig unverständliche und kaum zu übersetzende Fragestellung wurde durch den Vorsitzenden gerügt: Wie sind zwar die Stadt von Thomas Mann, aber bitte etwas kürzer.
Immer wieder kommt die Staatsanwaltschaft auf Bilal, den ältesten Bruder Safwans zu sprechen, der kurz nach dem Brand aus dem Libanon angereist war. Nach den schlampig übersetzten Abhörprotokollen von gesprächen Bilals mit Safwan im Gefängnis, wird ihm immer wieder unterstellt, er habe HausbewohnerInnen eingeschüchert und zu bestimmten Aussagen gedrängt. Nachweisen ließ sich hiervon nichts. Auch Walid El Omari, der bestätigte mit Bilal gesprochen zu haben, berichtete nichts, was Einschüchterung hätte interpretiert werden können.
Katuta kannte Bilal nicht einmal und verwies bei Fragen nach dem ältesten Bruder immer wieder auf Mohammed, den Zweitältesten.
Kriminalpolizei, komm
Offenbar persönlich angegriffen fühlte sich Böckenhauer durch Passagen aus der gemeinsamen Erklärung der Überlebenden. Er fragte daher nach Katutas eigenen Vernehmungen und ob er nicht versucht habe, andere Zeugen gegen die Polizei aufzubringen.
Was Katuta daraufhin berichtete, warf tatsächlich ein bedenkliches Licht auf die Tätigkeit der Polizei. Sie seinen sehr unhöflich und barsch behandelt worden, nicht wie Opfer des Brandes, sondern wie Täter. In der Kaserne, wo sie zeitweise untergebracht gewesen seien, sei die Polizei unangemeldet erschienen. Dann habe es nur geheißen: Kriminalpolizei, komm!Nicht einmal Zeit zum Umziehen oder zum Zähneputzen sei vor Vernehmungen gegeben worden.
In der Tat habe er, Katuta, zweimal protestiert, als nämlich der minderjährige Ray ohne Beisein seiner Mutter vernommen werden sollte. Zusammenfassend sagte er: Das erinnert mich etwas an unsere afrikanische Polizei.
Öffentlichkeit oder nicht ?
Die Zeugenvernehmung wurde jetzt abgebrochen, da die Zeit schon weit fortgeschritten war. Es folgte noch ein Antrag von Verteidigerin Klawitter zur Ortsbesichtigung, die für den 4. Dezember vorgesehen ist.
Der Richter hatte nämlich angekündigt, daß die Öffentlichkeit von der Ortsbesichtigung ausgeschlossen werden müsse, er aber erwäge ca. 4 PressevertreterInnen zuzulassen. Rechtsanwältin Klawitter machte nun in einer längeren Erklärung, die nach unserer laienhaften Beurteilung nicht ohne rechtswissenschaftliche Qualität zu sein schien, Bedenken geltend. Der Ortstermin sei der Inaugenscheinnahme eines Beweismittels gleichzusetzten, die bei kleineren Asservaten als Häusern ja auch am Richtertisch ohne Öffentlichkeit stattfinde. Insbesondere habe sie aber Bedenken wegen der Auswahlkriterien der PressevertreterInnen.
Zur Überraschung aller widersprach jetzt Verteidigerin Heinecke ihrer Kollegin: Nach ihrer Überzeugung sei die Öffentlichkeit für dieses Verfahren so entscheidend, daß sie auch zum Ortstermin zugelassen werden müsse. Wir können gespannt sein, was das Gericht daraus macht ...
An diesem Mittwoch wurde die Befragung von Katuta-Kibolo fortgesetzt, der damit der bislang am längsten vernommene Zeuge ist. Viel Neues trat dabei nicht zu Tage.
Penetrant und fast bedrohend wurde Staatsanwalt Bieler, als er den Zeugen nach seinem Aufenthaltsstatus fragte. Denn obwohl Katuta und seine Frau in Zaire verfolgt und auch gefoltert worden waren (so daß seine Frau davon eine dauernde Hörschädigung davon getragen hat), sind sie nicht als politische Flüchtlinge anerkannt worden. Die Klage gegen die Ablehnung läuft noch. Bieler wollte nun wissen, ob der Zeuge glaube, das Verfahren um den Brand hätte etwas mit dem Ausgang seines Asylverfahrens zu tun. Worauf er jedoch nur die passende Antwort erhielt, daß er sich als Staatsanwalt im deutschen Recht ja besser auskennen müsse als der Zeuge.
Verwirrung entstand noch einmal um das defekte Fenster im Vorbau. Plötzlich sagte Katuta, er glaube ,das Fenster öffne nach außen. Dann erinnerte er sich jedoch wieder an den Fußball, der manchmal durch das Fenster in den Vorbau hineingefallen sei und korrigierte sich erneut: Das Fenster öffnet nach innen.
Die Strafprozeßordnung - ein Affentanz
Rechtsanwalt Haage, zweiter Anwalt der Familie El Omari, nahm es bei seiner Vernehmung des Zeugen mit den Vorschriften der STPO nicht so genau. Anstatt aus polizeilichen Vernehmungen korrekt vorzuhalten Sie sollen gesagt haben .... Haben Sie das auch so gesagt?, unterstellte er die Angaben der Kripo einfach als wahr: Sie haben gesagt, daß ... Als Rechtsanwältin Klawitter auf diese Unkorrektheit hinwies, wurde Staatsanwalt Böckenhauer plötzlich aufgeregt: Auf diesem Affentanz bestehen doch nur Sie.
Schon ein interessantes Rechtsverständnis, das der verantwortliche Staatsanwalt in diesem Verfahren, das an Unkorrektheiten der Ermittler wirklich reich ist, hier zum Besten gab. Er wurde auch sogleich darauf hingewiesen, daß der Zeuge kurz zuvor angegeben hatte, bei einer Zeugenbefragung in Anwesenheit von Böckenhauer nicht vorschriftsmäßig über seine Rechte als Zeuge belehrt worden zu sein.
Woher kam der erste Anruf ?
Es folgte ein Beweisantrag der Verteidigung, das Tonband der Einsatzleitstelle der Polizei Lübeck hinzuziehen und dem Zeugen vorzuspielen. Daraus würde hervorgehen, daß der erste Anruf nicht etwa um 3:41:49 von Safwans Bruder Ahmet aus einer Telefonzelle gekommen sei. Dem sei schließlich gesagt worden: Wir sind bereits informiert, sondern von einer gebrochen Deutsch sprechenden Frauenstimme um 3:41:10 - höchstwahrscheinlich Frau Makodila mit dem vorhandenen Handy.
Dies würde wiederum zeigen, daß der Brand in der Wohnung Makodila bereits weit fortgeschritten war, als von den El Omaris noch keine offenen Flammen bemerkt wurden. (Einige von ihnen waren erst gegen 3 Uhr 50 in den Sprungretter gesprungen) Diese Feststellung würde ein weiteres Mal der Darstellung der Staatsanwaltschaft von der Durchbrandstelle über dem angeblichen Tatort im 1. Stock widersprechen und einen anderen Ablauf der Brandausbreitung nahelegen.
Ehrenerklärung für El Omari
Nun gab Rechtsanwalt Clausen für die vom ihm vertretene Assia El Omari eine Erklärung ab. Im Gegensatz zur Darstellung der Verteidigung sei sie voll glaubwürdig. Man müsse berücksichtigen, daß die polizeilichen Vernehmungen, zu denen sich Widersprüche ergeben hatten, ohne amtlichen Dolemetscher abgelaufen seinen und sie zudem als unbestrittener Mittelpunkt der Familie höchstes Ansehen genieße. Auch ihre heftigen Schmerzäußerungen in der Brandnacht hätten ihre Wahrnehmungsfähigkeit keineswegs getrübt. Sie habe den Schmerz damit im Gegenteil verarbeitet und habe daher exakte Beobachtungen machen können.
Fast als Anwort auf diese Erklärung folgte ein Beweisantrag der Verteidigung, insgesamt zehn weitere Zeugen zu hören, die Ablauf und Übersetzung der polizeilichen Aussagen von Assia El Omari bezeugen könnten. Auffällig sei sehr wohl die Tendenz zur Annäherung an die Darstellung der Staatsanwaltschaft.
Wer regelmäßig den Prozeß besucht und am folgenden Tag Berichte über die Verhandlung in der Presse liest, wird sich fragen: welchen Prozeß haben die (allermeisten) Journalisten eigentlich besucht? Und mit welcher Absicht?
Jedenfalls können z.B. Enno Quittel (Lübecker Nachrichten) oder auch Jan Feddersen (taz) nicht beim Lübecker Prozeß gewesen sein, mit der Absicht, unvoreingenommen den tatsächlichen Verlauf der Verhandlung zu berichten.
taz auf Die Welt-Niveau
Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, daß Quittel, Feddersen und Co. Zeilengeld von der Staatsanwaltschaft bekommen. Die (ehemals) linke taz muß sich gar fragen lassen, warum Schreiberlinge bei ihr angestellt sind, deren Artikel viel besser in das Springer-Kampfblatt Die Welt gehören. Feddersen brachte einen fast einseitigen Artikel über den Prozeß in der taz vom 22. November unter. Statt zu resümieren, daß die Staatsanwaltschaft nicht den Schatten eines Beweises gegen Safwan aufbringen konnte, statt die Spurenvernichtung der Kripobeamten zu erwähnen, statt die Widersprüche des Sanitäters Leonhardt aufzulisten - greift sich Jan Feddersen die Aussagen der Familie El Omari, vermischt diese mit eigenen phantasiereichen Interpretationen (natürlich nur zum Nachteil des Angeklagten), zeichnet gehässig ein negatives Bild von der Verteidigung, unterschlägt alle offensichtlichen Widersprüche der Aussagen - nur um zu beweisen, daß die taz jetzt dazugehört, zum Kreis der Medien, die auch rassistische Vorurteile bedienen können. Daß er dabei auch Grundregeln selbst bürgerlicher Justiz ignoriert (die Schuld muß dem Angeklagten nachgewiesen werden, nicht er muß seine Unschuld beweisen), fällt kaum noch auf: Die Anklage konnte bislang nicht erschüttert werden, lesen wir, statt: Die Anklage konnte bislang nicht begründet werden
...habe ihm der Vater des Angeklagten, Mahwan Eid, dringend ans Herz gelegt, 2.30 Uhr für die Tatzeit zu halten, macht Feddersen aus der Aussage Walid El Omaris, daß Marwan Eid im Krankenhaus Walid erzählte, daß er eine Explosion gehört habe. Die Interpretation, der Vater (Marwan Eid) ... hat offenbar versucht, Zeugen auf eine Linie zu bringen läßt sich aus den tatsächlich gefallen Worten der El Omaris nicht ableiten. Und woher nimmt Feddersen die Erkenntnis, das Feuer sei um ca. 3.30 Uhr ausgebrochen? Bewiesen ist nur, daß es zu diesem Zeitpunkt bereits gebrannt hat. Eine für Feddersen offensichtlich nicht relevante Differenz...
Die Zwischenüberschrift des genannten Artikels Wir sollten sagen, es brannte ab 2.30 Uhr ist ganz einfach erfunden, keiner der ZeugInnen äußerte je diesen Satz.
Wer den Prozeß beobachtet hat, konnte sehen, daß Assia El Omari psychisch sehr angespannt war, und dies nicht nur eine Behauptung der Verteidigung war. Die Widersprüche zwischen den Aussagen der El Omaris in der Hauptverhandlung und denen der polizeilichen Vernehmung ergeben sich aus den gehörten und verlesenen Wortlauten - nicht einmal die Staatsanwaltschaft protestierte dagegen. Feddersen dagegen stellt dies ebenfalls als Behauptung der Verteidigung dar.
Eine wahrheitsverzerrende Seite über die Aussage der El Omaris. Keine Silbe über die Aussagen der Familie Alias (Fenster im Vorbau war leicht zu öffnen). Die Aussagen Kibolo Katutas wurden in der taz nur mit Agenturmeldung abgehandelt - wäre ja auch nur zu peinlich für die Thesen des Herrn Feddersen...
Safwan, Ghasswan, egal - Hauptsache Streit
Mit der Wahrheit nimmt es auch die Lübecker Nachrichten nicht so genau, wenn es darum geht, Safwan zu diskreditieren. Eine Auseinandersetzung zwischen Rabia El Omari und Ghasswan Eid verwechselt (?) die LN, aus Ghasswan wird Safwan. Unterschlagen wird, daß Safwan und Rabia laut Saloa El Omari gut befreundet waren. Aus der Aussage, das Verhältnis im Haus war normal machen die LN belastende Aussagen. Gar zu gierig wird nach Streit gesucht, wird er nicht gefunden, hilft man eben nach, Böckenhauer hat es vorgemacht!
Statt zu titeln, wie entlastend für Safwan die Aussagen Kiblo Katutas waren, sucht die LN - den Staatsanwälten nachäffend - Widersprüche in seinen Aussagen.
Wer wissen will, was wirklich in den Verhandlungen passierte, sollte besser auf andere Publikationen zurückgreifen.
Werbung für eine kriminelle Vereinigung wirft Böckenhauers Flensburger Kollege Sowa dem presserechtlich Verantwortlichen der Lübecker Antifaschistien Zeitung vor, die ebenso wie das Prozess-Info vom Lübecker Bündnis gegen Rassismus herausgegeben wird. Eine entsprechende Anklageschrift wurde jetzt zugestellt.
Lächerlicher Anlaß für den gewaltigen Vorwurf: In der Ausgabe 2/96 war ein Artikel abgedruckt, in dem einer der Beschuldigten im radikal-Verfahren seine Zeit in der Untersuchungshaft schilderte.
Die Zeitschrift radikal ist in der Lesart der Flensburger Staatsanwaltschaft eine kriminelle Vereinigung, deren Ziel die Begehung von Straftaten, nämlich die Werbung für sog. terroristische Vereinigungen ist.
Gegen diesen Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit mit dem Ziel der Unterdrückung schon der Diskussion über Formen des Widerstand hat sich das Bündnis stets eindeutig ausgesprochen und wird dies auch in Zukunft tun.Den Beschuldigten im radikal-Verfahren gehört daher unsere volle Solidarität. Hierzu gehört auch, daß wir ihnen die Möglichkeit der Veröffentlichung in unseren Publikationen geben.
Nutzen und Qualität der radikal sind bei uns durchaus umstritten, deswegen war unsere Absicht keineswegs, für dieses Blatt zu werben - Eine bessere Publicity als durch die Repressionswelle der Bundesanwaltschaft gegen angebliche MacherInnen der radikal bereits ausgelöst, ist wohl auch kaum noch zu erzielen.
In höchstem Maße bedenklich stimmen muß allerdings, daß offensichtlich auch schon derjenige oder diejenige, die die Pressefreiheit auch am Beispiel der radikal verteidigt und gegen den absurden Versuchauftritt, eine Zeitschrift zur kriminellen Vereinigung zu erklären, selbst mit Strafverfolgung rechnen muß. Vielleicht steht ja demnächst auch die Werbung für das Bündnis und seine Publikationen unter Strafe.
Sicher ist, daß wir uns durch diesen neuerlichen Versuch der Einschüchterung nicht mundtot machen lassen werden. Die Haltlosigkeit der Vorwürfe dürfte schon die Eröffnung eines Hauptverfahrens kaum zulassen. Doch seit dem Verfahren und Prozeß, dem dieses Info eingentlich gilt, sind wir ja einiges an abenteuerlichen Rechtskonstruktionen gewöhnt.
Wir werden weiter über den Fortgang des Verfahrens informieren.
Prozeßinfo Nr. 10, 29.11. 1996
Lübecker Bündnis gegen Rassismus
Willy-Brandt-Allee 9
23554 Lübeck
Tel. 0451 - 70 20 748