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Zwei weitere ehemalige BewohnerInnen des 1. Stocks haben ausgesagt, daß sie auf dem Flur zwar Rauch, aber kein Feuer bemerkt haben. Damit könnte die Theorie der Staatsanwaltschaft endgültig ad acta gelegt werden. Doch wozu gibt es die „Experten” vom Landeskriminalamt in Kiel. Der Sachverständige für elektrotechnische Brandursachen (eigentlich nur dafür zuständig, einen technischen Defekt als Brandursache auszuschließen) erklärte, daß er den 1. Stock für den Brandausbruchsort halte. Dies will er aus einer Kurzschlußstelle im 1. Stock geschlossen haben. Hier - und nicht im Vorbau - sei die Steigleitung durchgeschmort. Zwar kann er nicht genau rekonstruieren, wie die Leitung verlegt war - ob in einem Kabelkanal oder nicht - doch sein kurzer Schluß lautet: der Brandherd war der 1. Stock.

Kurze Schlüsse beim LKA

37.Prozeßtag: Montag, 10.02.97

Einziger Zeuge war der heute 14jährige Ray, der mit seiner Mutter im 1. Stock des Brandhauses gewohnt hatte. Er schlief mit zwei weiteren Hausbewohnern in einem Zimmer - einer davon war Sylvio Ammoussou, der unter mysteriösen Umständen im Vorbau des Hauses ums Leben gekommen ist.

Eben dieser Sylvio, so erzählte Ray, habe ihn in der Brandnacht geweckt. Er sei schnell aufgestanden und auf den Flur hinausgegangen. Dort sei „nur ein wenig Rauch” gewesen, so daß er Sylvio deutlich sehen konnte, wie er den Flur durch die Tür zum Treppenhaus verließ. Ray ging hinterher, allerdings nur drei oder vier Stufen die Treppe hinunter. Dann kehrte er um, weil ihm einfiel, daß er seine Mutter wecken müsse.

Kein Feuer im Flur, aber im Vorbau

Zuvor bemerkte er allerdings ein „kleines Feuer” im Vorbau des Hauses. Dessen genaue Lage im Vorbau konnte nicht mehr ausreichend geklärt werden. Er ging also zurück in den Flur und sah, daß seine Mutter aus ihrer Zimmertür schaute. Beruhigt, daß sie wach war, ging er nun - warum genau blieb unklar - in den Raum, wo man sich die Zähne putzte. Als er wieder hinaus wollte, schlug ihm schon viel mehr Rauch entgegen, so daß ihm nur noch der Fluchtweg durch das Fenster blieb. Er sprang hinaus und verletzte sich leicht am Rücken, so daß er drei Tage im Krankenhaus behandelt werden mußte.

Festzuhalten ist nach seiner Aussage, daß keine Flammen im Flur waren, er dagegen ein (nach seiner Schilderung allerdings nur kleines) Feuer im Vorbau gesehen hat. Eine weitere Ohrfeige für den Staatsanwalt, der den Ort der Brandlegung genau in jenen Flur verlegen will, um einen Hausbewohner für den Brand verantwortlich zu machen.

Rays Aussage muß aber auch Anlaß sein, den medizinischen Untersuchungsbericht über den Tod von Sylvio noch einmal in Frage zu stellen. Die Gerichtsmediziner hatten an der stark verkohlten Leiche keine Spuren von Rauchgaseinatmung gefunden, dafür aber einen dünnen Draht, der locker um ihn herumgewunden war. Hieraus konnte der Schluß gezogen werden, daß Sylvio bereits tot war, bevor das Feuer begann. Nun hat aber Ray (wie zuvor auch schon Gustave S.) bekundet, Sylvio lebend im verrauchten Flur gesehen zu haben.

Die Notwendigkeit weiterer Untersuchung zum Tod von Sylvio wird damit noch deutlicher - Untersuchungen, die von der Staatsanwaltschaft bis heute versäumt worden sind.

Staatsanwalt will Kinderstreiche aufklären

Groteske Züge erhält das Verfahren, wenn Staatsanwalt Böckenhauer immer wieder auf die Zettel an der Bürotür zu sprechen kommt, die Monate vor dem Brand einmal abgerissen und angekokelt worden sein sollen. Hierfür wurde Ray von den Diakonie-Mitarbeitern verantwortlich gemacht, was er allerdings abstreitet. Was angebliche oder tatsächliche Kinderstreiche jedoch mit der Brandanklage gegen Safwan zu tun haben sollen, bleibt wohl das Geheimnis des Anklägers. Oder will er uns Ray als Alternativ-Täter anbieten, wenn er mit seiner jetzigen Theorie nicht weiterkommt? Kinder, die Zettel ankokeln, verüben auch Brandanschläge - eigentlich logisch.

Bedenklich, was über die Behandlung von Ray durch die Polizei zu Tage kam. Vernehmungen des damals 13jährigen fanden ohne Information geschweige denn Anwesenheit der Erziehungsberechtigen berechtigen statt. Ray berichtete, er sei gedrängt worden zu sagen, es wäre Safwan gewesen. Daß Ray dann zu einer weiteren Vernehmung mit einer Rechtsanwältin und einem Vertrauensdolmetscher erschien, wollte ihm die Staatsanwaltschaft dann noch übel anrechnen.

Der Prozeßtag endete mit einer Erklärung von Rechtsanwältin Ehrhardt, die wir auf S. 3 dokumentieren.


Erklärung von Nebenklagevertreterin Ehrhardt vom 10.02.97 (Wortlaut)

"Das sind sexistische Denkmuster"

In der Strafsache Eid

- hier: Nebenklage Kate Davidson -

gebe ich zur Vernehmung von Frau Kate Davidson folgende Erklärung gem. § 257 StPO ab:

Frau Davidson wurde insgesamt viermal von Polizeibeamten befragt, zweimal davon förmlich als Zeugin: Der ersten förmlichen Zeugenvernehmung war am 19.1.1996 eine informatorische Befragung durch Kriminalbeamte auf englisch ohne Dolmetscher vorangegangen. In dem hierüber niedergelegten Vermerk (Bl. 131, Bd. III) heißt es, Frau Davidson habe Feuer vor der Tür gesehen. Dies hat die Zeugin in der Hauptverhandlung am 5.2.1997 nicht bestätigt, sondern angegeben, sie habe lediglich Rauch gesehen und dies auch so gesagt, von Feuer habe sie nicht gesprochen, auch nicht von Flammen.

Jedoch enthält dieser Vermerk zu dem Feuer vor der Tür der Zeugin nichts Genaueres.

In der nachfolgenden Zeugenvernehmung am 22.1.1996 hätte die Möglichkeit zur Nachfrage bestanden.

Die Zeugin wurde auch ausführlich befragt - aber nicht nach Einzelheiten über das Feuer vor ihrer Tür. Was mit „Feuer“ gemeint sein soll, außer daß Qualm zur Türe hereinkam, wie sie es in dieser Vernehmung bekundete, welche Farbe das Feuer hatte, ob es helle, gelbe oder rote Flammen waren, kleine oder große - all das wurde nicht gefragt.

Schließlich hat die Polizei auch schon ihre Arbeitshypothese: Safwan Eid soll den Brand im ersten Stock gelegt haben. Da paßt ein „Feuer vor der Tür“ im ersten Stock, und da bleibt es auch unhinterfragt:

Immerhin fiel den Vernehmungsbeamten Joecks und Scholz, die auch die erste förmliche Vernehmung durchgeführt hatten, nach einem Abgleich mit der Aussage des Herrn Gustave Soussou ein Widerspruch auf. Er will nämlich, so wie er es hier in der Hauptverhandlung ebenfalls ausgesagt hat, durch den Flur in das Zimmer der Frau Davidson gelaufen sein, als sie schon dabei war, aus dem Fenster zu klettern - also zu einem späteren Zeitpunkt als die Zeugin Feuer vor der Tür gesehen haben soll, denn das soll bereits gewesen sein, bevor sie aus dem Fenster sprang; Flammen, so der Zeuge Soussou, waren auf dem Flur nicht zu sehen. Die Beamten fertigen also einen Vermerk (v.24.1.1996, Blatt 147-149, Bd. III) , dessen Verlesung nach § 249 StPO beantragt wird, und befinden, daß Frau Davidson deswegen nochmals befragt werden sollte.

Frau Davidson wurde auch nochmals befragt, am 29.1.1996, aber Fragen zu einem Feuer im Flur wurden nicht gestellt. Vielmehr war hauptsächliches Begehren der Vernehmungsbeamten, etwas über das Verhältnis der Frau Davidson zu Herrn Emanuel Uwaila herauszufinden, und nicht nur dies, auch noch andere Verhältnisse, zu „anderen schwarzen Männern’’, (Zitat Blatt 152, Band III), die vielleicht bei ihr übernachtet haben oder auch nicht. Frau Davidson fühlte sich in die Ecke der Prostitution gedrängt und blieb dabei, Emanuel Uwaila nicht zu kennen.

Frau Davidson hatte angegeben, Herrn Uwaila nur flüchtig zu kennen, sie habe ihn am Vortag kennengelernt. Sie schien zu schwindeln und widersprach anderen Aussagen, aus denen sich ergab, daß Emanuel Uwaila auch schon vor der Brandnacht im Hause zu Besuch gewesen war.

Den Polizeibeamten war bereits bekannt, daß er nach seinen eigenen Angaben Asyl beantragen wollte, sich jedoch nirgendwo gemeldet hatte und eine falsche Hamburger Adresse angegeben hatte (s. Vermerk vom 22.1.1996, Blatt 512, Band III, dessen Verlesung ebenfalls beantragt wird).

Auf den Gedanken, daß Frau Davidsons Angaben etwas damit zu tun haben könnten, daß Emanuel Uwaila als illegaler Flüchtling lebte, kam anscheinend keiner - und es wäre eigentlich naheliegend gewesen, wenn man sich ein kleines bißchen Gedanken über das Leben von Flüchtlingen macht - zumindest wurde Frau Davidson keine dahingehende Frage gestellt. Auch eine Belehrung im Hinblick auf § 55 StPO wegen einer möglichen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt erfolgte nicht.

Der kriminalistische Spürsinn - oder die Phantasie, wie mann’s nimmt - richtete sich nicht mehr auf das eigentliche aufklärungsbedürftige Thema, das Feuer vor der Zimmertür, sondern auf das Intimleben der Zeugin und auf ein mögliches Motiv. Hatten vielleicht zwei Männer wegen ihr Streit? War vielleicht einer eifersüchtig?

Das sind sexistische Denkmuster. Wenn angeblich ein Mann oder Männer eine Straftat „wegen einer Frau“ begeht, hat es keinen Sinn, das Motiv im Leben der Frau aufspüren zu wollen. Damit drückt sich nämlich aus, daß es im Leben der Frau tatsächlich einen Grund oder Anlaß geben muß, wenn ein Mann ihn für sein Tun als Grund oder Anlaß heranzieht. Wenn aber einer aus Eifersucht handelt, dann nicht, weil die Frau untreu ist oder ihn zurückweist, sondern weil er das nicht erträgt, oder weil er eifersüchtig ist, obwohl sie gar nicht untreu ist - das Motiv liegt beim Täter und nicht im Leben der Frau.

Wie stark diese Projektionen waren, läßt sich ablesen an diversen Vernehmungen anderer HausbewohnerInnen, die nach dem Männerbesuch von Frau Davidson befragt wurden. Wie stark sie noch sind, hat nicht nur die Befragung von Frau Davidson gezeigt, sondern auch die von Frau Marie Agonglovi und Stephane Okuagbe sowie die des Roman Schick gezeigt; letzterer wurde noch, wie er am 3.2.1997 hier in der Hauptverhandlung bekundet hat, in jener obskuren Nachvernehmung im Dezember 1996 danach befragt, ob Frau Davidson gewerbsmäßig der Prostitution nachgehe.

Die Konzentration auf das Sexualleben von Frau Davidson und die Ignoranz gegenüber der Lebensrealität von Flüchtlingen führten dazu, daß die konkrete Vernehmungssituation verfahren war. Frau Davidson wurden heikle Fragen gestellt, wie sie es ausdrückte, solche, die bei Beachtung von § 68a StPO nicht gestellt hätten werden dürfen, die Zeugin war wütend und machte dicht.

Frau Davidson hat in der Hauptverhandlung am 5.2.1997 glaubhaft bekundet, daß sie mit Herrn Uwaila befreundet war, jedoch Angst hatte, dies zuzugeben, da sie wußte, daß er illegalen Aufenthalts war.

Wenn sie in der Hauptverhandlung und nicht schon damals korrigierte, ist ihr das unter den aufgezeigten Bedingungen nicht anzulasten, und ihre Glaubwürdigkeit kann deswegen nicht zweifelhaft sein.

Ehrhardt
Rechtsanwältin


38.Prozeßtag: Mittwoch 12.02.97

Mit Sylvere A.bestätigte ein weiterer ehemaliger Bewohner des 1. Stocks, daß es dort nicht gebrannt hatte. Auch er hatte kurz in den Flur geschaut, der der Anklage zufolge der Entstehungsort des Brandes sein soll, dort aber nur Rauch gesehen. Sylvere rettete sich durch einen Sprung aus dem Fenster, wobei er sich einen komplizierten Beinbruch zuzog, dessen Folgen bis heute andauern.

Wie bei den übrigen HausbewohnerInnen, die für die Staatsanwaltschaft unliebsame Angaben machten, versuchten die Ankläger auch Sylvere zu verunsichern und schließlich für unglaubwürdig zu erklären. Ein Versuch, der auch in diesem Fall mißlang.

Erklärung der Verteidigung zur Spuren„sicherung”

Es folgte eine Erklärung der Verteidigung zur Spurensicherung im Vorbau und im 1. Stock. Darin hieß es, die Tätigkeit der Kriminalbeamten im Vorbau sei von „vorwerfbarem Unterlassen geprägt.” Es gab keine Fotodokumentation, bevor Veränderungen vorgenommen wurden, zudem wurde die zusammengeschmolzene Drahtglasfüllung der Eingangstür nicht gesichert, obwohl diese doch Rückschlüsse auf die Temperaturen des Brandes im Vorbau zuließe.Ebenso weggeworfen wurde ein Leichtmetallklumpen, der ein Briefkasten ebensogut aber eine Zündvorrichtung hätte sein können. Die gesicherten Glasscherben können heute nicht mehr eindeutig den verschiedenen Fenstern zugeordnet werden usw.

Weiter heißt es: „Man könnte das Unterlassen von Spurensuche und Spurensicherung im Vorbau mit dem maßvollen Vorwurf der Schlamigkeit sein Bewenden haben lassen, trüge es nicht durchaus systematische Züge, die an Gestalt gewinnen, wenn hinzugenommen wird, wie sich die Spurensicherung im 1. OG betätigt hat.” Hier ist vor allem das Fehlen der Spanplatten-Teile vom angeblichen Brandausbruchsort und eine ebenso weggeworfenene Bodenplatte auffällig, „die angeblich die bekannte Toilettenpapierrolle vor dem Verbrennen geschützt haben soll.” Die Verteidigung resümierte: „Fest steht nach der Aussage von Herrn Obenaus zweierlei:

- Das Innere des Vorbaus ist mit Mißachtung behandelt worden, weil es eine anderslautende ermittlungstaktische Vorgabe gab. Nur so läßt sich das beschriebene Unterlassen erklären.

- Heute möchte für den Flur des 1. OG von der Spurensicherung niemand mehr so recht zuständig gewesen sein, zuviel fehlt, zuviel ist entsorgt und wie sich die Aussage von Leonhardt auf die Wahrnehmung ausgewirkt hat, möchte im Nachhinein auch niemand so recht thematisieren.”

In einer kurzen Replik schob Böckenhauer die Verantwortung für die mangelhafte Spurensicherung allein auf die Polizei. Daher weise er die Angriffe auf die Staatsanwaltschaft zurück.

Das Fenster im Vorbau - zu oder auf?

Als zweiter Zeuge (genauer: Sachverständiger) dieses Prozeßtages sagte ein Herr Witthöft vom Landeskrimalamt aus, dort Experte für „Werkzeug- und Formspuren”. Es geht vor allem um zwei Fenster: das Bürofenster, an dem sich Einbruchsspuren fanden und das kleine linksseitige Fenster am Vorbau, daß nach zahlreichen Zeugenaussagen leicht zu öffnen war und einer der möglichen Zugangswege für Täter von außen war.

Zum Bürofenster erklärte der Sachverständige, dieses Fenster sei erstens eingeschlagen gewesen und zweitens weise es Hebelspuren auf, man habe also versucht, es mit einem Werkzeug zu öffnen. Wie selbstverständlich ging er davon aus, diese Spuren seien in der Brandnacht von der Feuerwehr verursacht worden. Dabei gab es bei den Befragungen der Feuerwehrleute niemanden, der sich an eine Öffnung des Bürofensters erinnern konnte.

Ob die Hebelspuren von einem Feuerwehrbeil, einem Kuhfuß oder einem anderen Werkzeug stammen, konnte Herr Witthöft nicht klären. Dazu müsse er das Fenster ausbauen und mit nach Kiel nehmen. Zwar ist der Brand unzweifelhaft nicht im Büro gelegt worden, doch immerhin gab es dort einen Schlüsselkasten, der den Zugang zu anderen Teilen des Hauses ermöglicht hätte.

Das kleine Fenster im Vorbau, das nach etlichen Aussagen leicht aufsprang, ist von dem Sachverständigen Monate nach dem Brand untersucht worden. Der Fensteröffner (Olive) fehlte. Das Fenster konnte von außen geöffnet werden, wenn es ca. 4-5 mm angehoben wurde. Dazu brauchte es etwas Kraft, er hatte einen Kuhfuß dazu benutzt, meinte aber, man hätte sich genauso auf einen Vorsprung vor dem Fenster stellen und das Fenster dann mit der Hand anheben können.

Für einen Zugang von außen komme das Fenster aber aus einem anderen Grund nicht in Betracht: Nach dem Spurenbild sei es während des Brandes geschlossen gewesen. Es sei aber nicht möglich gewesen, das Fenster von außen wieder zu verschließen. Dazu hätte das nach innen öffnende Fenster erneut angehoben werden müssen. Dies sei von außen nicht möglich, ohne sich die Finger einzuklemmen.

Daß es mit den Expertenkenntnisse des Herrn Witthöft nicht ganz so weit her sein kann, zeigte sich bei einer Nachfrage der Verteidigung zu der zusammengeschmolzenen Drahtglasfüllung. Er führte aus, daß Glas, wenn es aufrecht stehe, eher bricht als schmilzt. Deswegen könne er sich vorstellen, daß die Scheibe zuerst herausgefallen sei und dann liegend zum Klumpen geworden sei. Wie aber in liegender Stellung ein Klumpen aus dem Glas werden soll und ob die Aussage, daß Glas bei Brand bricht, auch für Drahtglas gilt, muß doch bezweifelt werden.

Der Prozeßtag wurde abgeschlossen mit einem Antrag der Verteidigung, die Vernehmung von Kriminalbeamten und Dolmetschern, die bei den ersten polizeilichen Vernehmungen von Kate D. anwesend waren, abzulehnen. Zur Fähigkeit der Zeugin, der Vernehmung zu folgen (die im Krankenhaus am Schmerzmitteltropf hing) könnten die Zeugen keine sachverständige Auskunft geben. Der Inhalt der Vernehmung könne dagegen als wahr unterstellt werden. Denn das, was die Staatsanwaltschaft daraus als belastend für Safwan interpretiert, sei aus dem Zusammenhang gerissen. Wenn man den gesamten Inhaltzur Kenntnis nehme, ergebe sich ein ganz anderes Bild.


39.Prozeßtag: Montag 17.02.97

Die Befragung des Sachverständigen Witthöft wurde zunächst fortgesetzt. Dabei wurde u.a. die Frage erörtert, ob die Drahtglasscheibe in der Eingangstür mit einem Beil einzuschlagen gewesen wäre. Dies bejahte der Zeuge, meinte aber, dazu brauche es mehrere Schläge und dies würde einen beträchtlichen Lärm entwickeln.

Die Nachfrage von Brandgutachter Achilles, ob das kleine Fenster nicht auch durch einen Explosionsdruck wieder hätte zufliegen können, verneinte Witthöft. Das Fenster hätte schließlich angehoben werden müssen, dies sei so nicht zu erklären. Keine ganz überzeugende Antwort, da der mögliche Ort einer Verpuffung natürlich unter dem Fenster auf dem Fußboden des Vorbaus ist.

Als nächster Sachverständiger kam jetzt Herr Kohnke, gleichfalls vom LKA Kiel an die Reihe. Er war gemeinsam mit dem Brandexperten des LKA, Dr. Herdejürgen, am 19. Januar erstmals zum Brandhaus gefahren. Seine Aufgabe war es, nach einer möglichen elektrotechnischen Brandursache zu suchen.

Dazu habe man ihm aus dem Vorbau zahlreiche Kabelreste vorgelegt, die er jedoch als Klingel- bzw. Telefonleitungen identifiziert habe, von denen ein Brand nicht ausgehen könne.

Er interpretierte die Brandzerstörungen im Vorbau - ebenso wie im zweiten Stock, den er über eine Leiter erreichte, als „Folgeschaden”. Den eigentlichen Brandherd machte im 1. OG aus, genau an jener Stelle, an der die verschwundene Bodenplatte lag. Dort suchte er nun nach Kabeln oder Geräten, fand aber nichts, was auf eine technische Brandursache hindeutete.

Von sich aus kam er nun auf eine Betonplatte zu sprechen, die er auf dem Brandschutt unter der angeblichen Durchbrandstelle liegen gesehen hatte. (Diese Platte hat angeblich die darüber liegende Toilettenpapierrolle vor dem Verbrennen bewahrt und ist später weggeworfen worden.)

Die Kurzschluß-Theorie

Nun gab Kohnke seine Theorie zum Besten, warum der Brand nur im 1. Stock, nicht aber im Vorbau ausgebrochen sein könnte. Das Elektrokabel, das vom Hausanschluß im Keller zur Sicherungsverteilung im 1. Stock führte, sei nicht im Vorbau, durch den es hindurchführt, sondern erst eine Etage höher zuerst durchgeschmort. Dies habe er an einer Kurzschlußstelle erkannt.

Eine fragwürdige Schlußfolgerung, für die eigentlich auch ein Brandexperte zuständig wäre, die aber gleichwohl ausreichte, um in den Medien erneut das Bild zu erwecken, der 1. Stock als Brandherd sei nunmehr bewiesen. Gegen Mittag wurde der Prozeß wegen Erkrankung eines Kammermitglieds abgebrochen.


40.Prozeßtag: Mittwoch 19.02.97

Die Vernehmung von Herrn Kohnke wurde fortgesetzt. Dabei trat immer deutlicher zu Tage, wie die „Experten” des LKA vorgegangen sind. Kohnke hat nicht etwa die gesamte Elektroanlage untersucht, sondern sich - gemeinsam mit Dr. Herjürgen - im Schnelldurchlauf einen Brandherd ausgesucht und nur hier genauere Untersuchungen angestellt.

Über weite Strecken hatte das, was der Sachverständige so medienwirksam erzählt hatte, nichts mit seinem Fachgebiet zu tun und damit nicht mehr Stellenwert als eine Hobby-Theorie.

So konnte er z.B. nicht genau sagen, ob das fragliche Elektrokabel im 1. Stock genauso in einem Kabelkanal verlegt war wie im Vorbau, also dem Brand genauso ausgesetzt war wie dort. Zudem bestreitet niemand, das sich das Brandgeschehen im Vorbau auf die linke Seite konzentrierte. Das Kabel verläuft aber an der relativ gut erhaltenen rechten Seite der Rückwand. Seine gewagten Schlußfolgerungen hatten ganz offensichtlich den Zweck, die Version des LKA insgesamt zu stützen, obwohl dies kaum die Aufgabe eines vereidigten Sachverständigen sein kann.

Dies zeigt sich noch deutlicher an der Betonplatte, auf die der Sachverständige erstmals in der Hauptverhandlung zu sprechen kam. In seinem schriftlichen Untersuchungsbericht war sie noch nicht erwähnt worden.

Merkwürdige Besprechung über die Betonplatte

Auf die Frage, wie er dies erkläre, sagte Kohnke, die Platte sei „in der Diskussion” gewesen. Durch intensives Nachfragen der Verteidigung kam stückchenweise ein weiterer Mosaikstein des unglaublichen Ermittlungsskandals zum Vorschein.

Auf einer Besprechung bei der Sonderkommission in Lübeck am 26.4. war die Platte thematisiert worden. Angeblich sei es darum gegangen, abzuklären, wer die von der Verteidigung eingereichten Fragen beantworten solle. Nur: von der Platte war in diesen Fragen überhaupt nicht die Rede.

Anwesend war neben Mitgliedern der Sonderkommission und LKA-Beamten auch Staatsanwalt Böckenhauer. Bis die Betonplatte, zunächst als Eternitplatte bezeichnet, Eingang in die Akten fand, sollten von da an noch vier Monate vergehen. Es drängt sich der Verdacht auf, daß händeringend nach einer Erklärung für die unverbrannte Toilettenpapierrolle gesucht wurde. Eine - zu diesem Zeitpunkt bereits vernichtete - Platte eignete sich da vortrefflich.

Der Eindruck, das hier etwas nicht stimmt, wurde durch die stockenden und zögerlichen Antworten des Sachverständigen (der hier zum Zeugen wurde und hinterher auch beide Eidesformeln sprechen mußte) noch unterstrichen. Korrekte Aufzeichnungen über das Treffen - wen wundert’s? - existieren nicht.

Es ist im übrigen völlig fraglich, aus welchem Material die Platte, die schon in den Akten die Metamorphose von Eternit zu Estrichbeton hinter sich hat, nun wirklich bestand. Eventuell war es auch nur eine gegossene Ausgleichsmasse, um hierauf fliesen zu können. Ebenso unklar bleibt der Zeitpunkt, zu dem die Platte heruntergefallen ist. War dies noch während der Brand angeblich genau unterhalb gewütet hat, müßte das Klopapier gleichfalls verbrannt sein.

Bliebe anzufügen, daß die Liste der verschwundenen Beweismittel noch um einen Film zu erweitern ist, auf den Kohnke Aufnahmen vom angeblichen Brandherd gemacht hatte. Diesen habe er irgendwo draußen verloren. Danach gesucht habe er - als er das Verschwinden bemerkte - allerdings auch nicht.

Die Zeugenvernehmungen werden noch etwa zwei Wochen fortgesetzt, dann haben die Brandgutachter das Wort.


Prozeßinfo Nr. 16, 21.02. 1997

Lübecker Bündnis gegen Rassismus
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