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Während mit dem Polizistenmord durch einen Faschisten vom Weißen Arischen Widerstand" und dem neuerlichen Anschlag auf Bischof Kohlwage sich immer wieder zeigt, wie unvermindert und unkontrolliert rechtsextreme Gewalt anhält, suchen die Staatsanwälte Böckenhauer und Bieler weiter nach Indizien gegen die Flüchtlinge aus dem abgebrannten Heim in der Hafenstraße.
Und während im tatsächlichen Prozeß die Anklage "endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben wird" entwickeln die meisten Medien einen parallelen Phantasieprozeß, in dem die Staatsanwaltschaft Punkte sammelt".
Wieviele Leute sind wohl überrascht, wenn Safwan endlich freigesprochen ist?

"... streut multifaktoriellen Verdacht..."

41. Prozeßtag, Montag, der 24. Februar

Es war mal wieder einer der Prozeßtage, die ganz anders abliefen, als in den Medien (dpa-Meldungen, Lübecker Nachrichten) dargestellt: bundesweit überstürzten sich die Zeitungen mit der Meldung, eine Zeugin habe die Anklage entscheidend gestützt. Es handelte sich dabei um Ruth G., die ein Haus neben dem ehemaligen Flüchtlingsheim wohnt. Die Aussage der 64jährigen wirkte von Anfang an skurril. Befragt auf ihre Wahrnehmungen zum Brandverlauf bezeugte sie ganz eifrig vehement, daß Flammen an den zur Konstinstraße gelegenen vier Fenstern des 1. OG nach oben wegschlugen". Genauso bestimmt sagte sie aus, der Vorbau habe zuletzt gebrannt, die Feuerwehr hätte dort auch erst später gelöscht, weil es eben gedauert habe, bis es dort brannte.

Flammen schlagen aus geschlossenen Fenstern?!

Diese Passagen wurden in der Presse ausgeschlachtet, der Zusammenhang (wohlweislich?) ausgespart. Denn die Zeugin führte weiter aus, daß die Fenster -aus denen die Flammen ja nach oben wegschlugen"- noch geschlossen gewesen sein sollten (!). Im Übrigen beobachtete sie das Feuer erst nach Eintreffen der Feuerwehr, durch deren Lärm sie wach wurde. Etliche Aussagen von ZeugInnen, die bereits vorher Wahrnehmungen machten, als auch Beobachtungen von Feuerwehrleuten widersprechen der Zeugin in den entscheidenden Punkten kraß. Als Frau G. dann noch bemerkte, daß die Fenster aus Thermophen gewesen wären, ja recht stabil" und erst durch die Löscharbeiten geplatzt seien, haben offensichtlich alle Verfahrensbeteiligten ein wirkliches Interesse an der Aussage verloren. Safwans Verteidigerin Gabriele Heinicke beließ es bei einer Frage: ob die Zeugin denn die Presse in dieser Sache verfolgt habe - was Frau G. bejahte. Und auch die zweite Verteidigerin, Barbara Klawitter, ließ sich nur die Frage bestätigen, daß Frau G. in der Brandnacht sehr aufgeregt gewesen war.

Die Fragwürdigkeit von Erinnerungen der ZeugInnen thematisierte der Vorsitzende Rolf Wilcken auch im Anschluß an die Vernehmung, als er Vorschläge zum weiteren Verfahren des Prozesses machte. Denn die Frage nach Brandentstehung und -verlauf läßt sich juristisch nicht durch einen Vergleich beantworten, wieviele ZeugInnen wann wo Feuer gesehen haben. So werden im März die Sachverständigen zur Brandentstehung gehört (als erstes Prof. Achilles am 10.3.), die die ZeugInnenaussagen berücksichtigen müssen. Falls das LKA weiterhin behaupten wird, das Feuer sei im Flur des 1. OG ausgebrochen, sollten sich die Herren eine gute Erklärung einfallen lassen, warum keine/r von den Flüchtlingen bei ihrer Flucht durch den 1. Stock dort Feuer gesehen haben (Vorschlag: vielleicht ein neues Brandlegungsmittel, das unsichtbare Flammen produziert?). Nach den Brandsachverständigen soll noch ein Notarzt vernommen werden. Kommen weder von Verteidigung, noch von der Staatsanwaltschaft weitere Anträge zur Beweiserhebung, wird diese abgeschlossen.

Staatsanwälte mißachten Gericht

Die Verteidigung befand das Procedere für vernünftig, stellte aber vorsorglich, weil auf entsprechende Vernunft der Staatsanwälte kein Verlaß ist, zwei Anträge: Zum einen seien die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft (also die Polizei) anzuweisen, ) prozeßbegleitende Ermittlungen" in der Sache endlich einzustellen. Denn diese Ermittlungen stellen eine massive Mißachtung der Tätigkeit des Gerichts", das ja schließlich zur Wahrheitsfindung tagt, dar. Weiterhin stellten die Verteidigerinnen fest, daß die Staatsanwälte offensichtlich meinen, das Gericht ermittle in die falsche Richtung", folglich wird willkürlich von der Staatsanwaltschaft weiter ermittelt. Als Beispiel wurde aufgeführt, daß weitere ZeugInnen aus der Berufsbildungsschule am Jerusalemsberg gesucht werden (die bisher vernommenen Schüler haben bestätigt, daß der Vorbau bereits in einer sehr frühen Phase lichterloh brannte). In entsprechenden Schreiben wird Safwan als dringend tatverdächtig" beschrieben - obwohl das Gericht gerade dieser Behauptung schon im Juli widersprach.

Der zweite Antrag beinhaltete, daß Beweismittel, die noch bei der Kripo herumliegen, sichergestellt, sogar beschlagnahmt werden sollen.

Ein leidiges Thema brachte Nebenklagevertreter Dr. Clausen (für die Familie El Omari) erneut auf: er behauptete, Khalid El Omari sei von Safwans Bruder Mohammed am Morgen des Verhandlungstages massiv bedroht worden. Ein Polizist sei Zeuge des Vorfalls, es werde Strafanzeige erstattet. Gabriele Heinicke ging im Verlaufe des Tages darauf ein, ergänzte mit den Beobachtungen einer Referendarin, daß Khalid Mohammed durch Spucken provoziert habe, es daraufhin zu einem auf arabisch geführten Wortwechsel kam, der genannte Beamte 100m weiter stand und wohl kaum als Zeuge in Frage kommt. Sie betonte, daß die Sache nicht überbewertet werden sollte.

Eine weitere Erklärung der Verteidigung bezog sich auf die Vernehmung eines Sachverständigen, des LKA-Beamten Kohnke vom 39. und 40. Verhandlungstag (siehe Prozessinfo 16). Kohnke ist Sachverständiger für Elektrotechnik, in seiner Vernehmung hat er aber auch über die Brandentstehung und über Baustoffe spekuliert und so -laut Verteidigung- seinen Kompetenzbereich weit überschritten.

Unbekanntes Auto

Der zweite Zeuge, der farbige Joao K. fuhr auf seinem Weg zur Arbeit gegen 3.15 Uhr am Flüchtlingsheim vorbei. Er bemerkte weder Flammen noch Rauch, allerdings das Scheinwerferlicht eines Autos in der Konstinstr. Um wessen Auto es sich hierbei handelt ist bis zum heutigen Tag unklar.

Als Sachverständiger sagte danach der LKA-Beamte Rainer Kreutz zu den Untersuchungen zweier Türschlösser und der Briefkastenklappe aus.

Das Haustürschloß wies keine Spuren von Gewaltanwendung auf, der Riegel war umgeschlossen und arretiert. Die Falle (die Vorrichtung im Türrahmen in die der Riegel einschnappt) fehlte allerdings völlig. Als Erklärung bot Kreutz an, daß diese Fallen oft aus einer Alulegierung bestünden, also vollständig wegschmelzen können.

Mit diesem Gutachten ist allerdings immer noch nicht geklärt, in welchem Öffnungszustand sich die Tür befand. Denn der Riegel kann ja auch bei geöffneter Tür umgeschlossen worden sein.

Die Untersuchung des Wohnungstürschlosses der Familie Eid ergab, daß die Tür nicht abgeschlossen gewesen war.

Die Briefkastenklappe

Abschließend gab Kreutz, der einen ausgesprochen eifrigen, ja servilen Eindruck machte, noch Auskunft zur Briefkastenklappe, die außerhalb des Hauses liegend gefunden worden ist. Die Verteidigung sieht die Möglichkeit, daß durch den Briefkastenschlitz eine brennbare Flüssigkeit in den Vorbau gekippt worden sein könnte. Denn direkt hinter dem Schlitz finden sich auf dem Fußboden starke Brandzehrungen. Kreutz mußte eingestehen, daß er zum ersten Mal einen Briefkasten als Untersuchungsobjekt zu bearbeiten hatte, folglich keine Erfahrungswerte vorlägen.

Für die Loslösung der Klappe vom Kasten bot er als Erklärung an, daß die Klappenhalterung evtl. aus einem schnell und vollständig schmelzendem Material gewesen sein könnte - exakte Fakten konnte er nicht vorweisen. Ein Abziehen der Klappe durch Täter von außen konnte er jedenfalls nicht ausschließen. An der Klappe fanden sich auch nicht die geringsten Spuren des Materials der Halterung. Plausibler wäre die Theorie der vollständigen Schmelzung, wenn wenigstens Reste der Halterung an der Klappe erhalten geblieben wären.


42. Prozeßtag, Mittwoch, der 26. Februar

Jürgen D., der als Hausmeister im Heim gearbeitet hat, setzte heute seine Aussagen fort. Bei ihm setzte die Staatsanwaltschaft fort, wenigstens die Möglichkeit von Konflikten im Haus und dunkle Verdachtsmomente gegen die Flüchtlinge ganz allgemein zu konstruieren. Dies steigerte sich noch im Verlauf des Tages. Ob es Polarisierungen zwischen Arabern und Afrikanern gegeben habe, ob es nicht gerade bei der Familie Eid Barrieren gegenüber den Diakoniemitarbeitern vorhanden gewesen seien, ob der Zeuge Erkenntnisse über die Familienverhältnisse Gustave Sossous habe, fragte Staatsanwalt Böckenhauer. Doch die Antworten des Hausmeisters konnten den Ankläger kaum zufriedenstellen: Die Probleme wegen der Raumvergabe und der Aufgaben im Haus haben sich mit der Zeit gegeben, Absprachen mit Vater Marwan Eid seien immer eingehalten worden, dem Zeugen waren geäußerte Zweifel, ob Gustave nicht doch der Vater von Ray sei so nicht bekannt". Doch Wahrheitsfindung war offensichtlich mal wieder gar nicht das Ziel der Staatsanwälte, sondern vielmehr durch die Fragen zu erreichen, daß ein bißchen Dreck schon hängenbleibt".

Die Fenster des Vorbaus seien nicht zu öffnen gewesen, da die Hebel durch Blenden ersetzt worden seien, führte der Zeuge noch aus, was den Darstellungen der meisten Flüchtlinge und den Untersuchungen eines Kripobeamten widerspricht.

Die weiteren Fragen der Staatsanwälte, später auch der Verteidigerinnen und NebenklagevertreterInnen, bezogen sich auf die Beschaffenheit verschiedener Stellen des Fußbodens und der Wände im Heim. Es mutete schon kurios an (und nicht gerade besonders feuersicher), daß z.B. im Flur des 1. OG drei Schichten von PVC-beschichteten Holzplatten lagen. Die gesamten Details werden sicherlich für die Sachverständigen von Interesse sein.

Nach dieser Vernehmung gab die Staatsanwaltschaft eine Erklärung ab: die am vorherigen Verhandlungstag beantragte Beschlagnahme von Beweismitteln bei der Kripo sei unnötig, da ein Hinweis an die Beamten genügen würde. Und dann wurde es frech: die prozeßbegleitenden Ermittlungen betreffend der Berufsbildungsschule dienten dazu, den Angeklagten zu entlasten, daran müsse die Verteidigung ein Interesse haben, wolle sie nicht ihrem Mandanten schaden!

Der zweite Zeuge, Gerhard J., war von Oktober 94 bis zum Brand Betreuer im Heim. In der richterlichen Befragung mußte er nur Auskunft zum baulichen Zustand des Hauses geben. Wie auch der Hausmeister gab J. an, daß die Öffnungsgriffe der EG-Fenster entfernt worden seien, er aber nie nachgeprüft habe, ob (wie von der Kripo zugegeben) durch ein Anheben das Fenster zu öffnen gewesen sei. Der NDR machte aus diesen Aussagen, daß der Beweis für die Unmöglichkeit des Eindringens in das Heim erbracht worden sei...!

"Multifaktorieller Verdacht"

Als Dr. Böckenhauer den Zeugen befragte, ging es mit dem Streuen eines multifaktoriellen Verdachts" (wie es später die Verteidigung formulierte) weiter: keine konkrete Fragen, die mit dem Vorwurf gegen Safwan zusammenhängen, sondern eine Inquisition, ob irgendein/e BewohnerIn sich ordnungswidrig oder nur unnormal verhalten habe. Wer denn wie lange unangemeldet im Haus gewesen sei, Fragen nach dem aus Angst vor Abschiebung untergetauchten Emanuel U. (Dr. Böckenhauer auf der Jagd nach illegalen Einwanderern"...) und den Verhältnissen in den afrikanischen Familien (Dr. Böckenhauer sucht nach falschen Angaben in den Asylbegründungen). Der Zeuge schildert die Sachlage aus der Sicht des Sozialarbeiters, stellt dar, wie schwer das Leben für Flüchtlinge ist, die jahrelang im Heim leben mußten, immer unter dem Damoklesschwert der Abschiebung. Aber die Flüchtlinge hätten sich zusammengerauft. Die Konflikte", die Böckenhauer so krampfhaft sucht, sind für den Betreuer normal, Kinderstreiche, Lärm durch die Kinder, das Übliche. Aber Gewalt hat es nie gegeben, stellt der Zeuge fest.

Flüchtlingsfreund Böckenhauer?

Böckenhauer sucht weiter nach Motiven, der gewünschte Auszug der Familie Eid soll herhalten: der Betreuer schildert, wie schwer es für die Flüchtlinge war, eine eigene Wohnung zu bekommen, und schließlich wollten alle Familien aus dem Haus raus.. Als die Behörden schließlich den Auszug der Eids ablehnten, waren die natürlich verärgert. Was Böckenhauer unterläßt, nämlich konkret nach dem Angeklagten zu fragen, spricht der Zeuge von sich aus an: Safwan war einer der ersten, die immer zur Annäherung an die Betreuer bereit waren.

Dann wird der Staatsanwalt richtig peinlich: er, der in seinen Vernehmungen fast alle Flüchtlinge als unglaubwürdig und verdächtig hinstellt, der die Lebensumstände völlig ignoriert, bemerkt Ich bin auch für die dezentrale Unterbringung". Die Heuchelei provoziert Gelächter im Saal.

Verteidigerin Klawitter ist sichtlich empört über die Methoden des Staatsanwaltes. Sie stellt konkrete Fragen an den Zeugen, in einem äußerst scharfen Tonfall. Sie wissen warum Sie hier sind?" - Ja." - In einem Strafprozeß. Nicht in einer sozialarbeiterischen Debatte! Ich frage Sie, hat es mit Safwan Eid irgendein Problem gegeben? - Nein." - Hatten Sie Streit mit Safwan Eid?" - Nein." - Hatte Safwan Eid Streit mit einem der Hausbewohner?" - Nein." - Hat Safwan Eid irgendetwas ausgegossen, beschädigt, angekokelt?" - Nein."

Herr J. beschwerte sich dann über den angreifenden Ton der Rechtsanwältin, die klarstellte, daß damit eigentlich die Staatsanwaltschaft gemeint war, nicht der Zeuge.

Zu den meisten Fragen auf die baulichen Gegebenheiten im Heim konnte der Betreuer keine genauen Angaben machen.

Am Ende des Verhandlungstages gaben Safwans Rechtsanwältinnen noch eine Erklärung ab: Dr. Böckenhauer und Herr Bieler haben scheinbar Sinn und Zweck der Beweisaufnahme aus den Augen verloren. Doch tatsächlich sind die Vernehmungen bewußt unkonkret gehalten, da die Staatsanwälte annehmen oder wissen, daß bei konkreten Fragen auch konkrete, Safwan entlastende Antworten kommen. Folglich ist das Motiv der Staatsanwälte klar: sie streuen einen multifaktoriellen Verdacht (Kinderstreiche, falsche Angaben zu den Familienverhältnissen, Kontakt zu Personen, die sich illegal" in der BRD aufhalten, häufige Männerbesuche" etc.), wo Beweise fehlen.

Die Staatsanwälte mißachten ein Grundprinzip der Strafprozeßordnung: daß die Anklage bewiesen werden muß, nicht der Angeklagte seine Unschuld beweisen muß.


Wie weiter nach dem Prozeß?

Einschätzungen und Ausblick
Als am 20.1.1996 der Haftbefehl gegen Safwan erlassen wurde, war das der Versuch, dem bisher folgenschwersten Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim die politische Brisanz zu nehmen. Die herrschende Politik hatte sich viel Mühe gegeben, die Gefahr faschistischer Gewalt herunterzuspielen.

Zehn von deutschen Nazis ermordete Menschen, paßten nicht ins Bild, paßten nicht zum Ansehen Deutschlands. Zudem war eine Beleuchtung der menschenunwürdigen Zustände, in denen Flüchtlinge in der BRD leben müssen, mehr als unerwünscht. Die Forderung nach dezentraler Unterbringung schallte von Lübeck bis nach Bonn. Der Humanist Michael Bouteiller stand gegen den Rassisten Manfred Kanther. Zwei Tage lang. Dann belog Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz die Öffentlichkeit, als er bekanntgab, daß Safwan Eid "den Ort des Brandausbruches (...) genau bezeichnet hat".

An der Konstruktion, ein Opfer zum Täter zu machen, haben viele mitgewirkt: Die Ermittlungsbehörden ignorierten alle Fakten gegen die Neonazis aus Grevesmühlen, Dr. Böckenhauer stellte die Ermittlungen gegen sie am 8. Mai ein. Am 51. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus befreite er die Faschisten von staatlicher Neugier. Alle danach doch noch erfolgten die Faschisten betreffenden Ermittlungen hatten nur ein Ziel: sie von den begründeten und schwerwiegenden Verdachtsmomenten zu entlasten, die Safwans Verteidigung und (wenige) Medien sammelten.

Es braucht wohl kaum noch erwähnt zu werden, daß gegen Safwan nur Belastendes gesucht wurde - als sich dieses nicht fand, wurde es erfunden: z.B. beruhte der 1. Haftbefehl auf Behauptungen, von denen das Gegenteil der Staatsanwaltschaft bekannt war: daß Gustave kein Familienvater ist, daß er keinen Streit mit Safwan gehabt hat.

Staatsanwälte und Medien basteln weiter

Diese üblen Methoden praktiziert die Staatsanwaltschaft bis zum heutigen Tag - weil sie sonst nichts haben.

Safwans Verteidigerin Gabriele Heinicke hat recht, wenn sie sagt, daß die Anklage endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Das wissen die Staatsanwälte selber, das weiß der Richter, die anderen Prozeßbeteiligten, die -in immer geringerer Zahl erscheinenden- ZuschauerInnen. Das wissen auch Böckenhauers Vorgesetzte bis rauf zum Justizministerium.

Wer jedoch seine Informationen aus den bürgerlichen Medien bezieht, erfährt, daß es eng für den Angeklagten wird", daß die Staatsanwaltschaft Punkte sammelt", daß ein Anschlag von außen ausgeschlossen werden kann" usw., usf. Wieder sehr eifrig basteln die Medien am brandstiftenden Flüchtling. Ohne diese Komplizen wäre die Staatsanwaltschaft schon längst gescheitert. Schultz, Böckenhauer, Bieler erfinden die Anklage, LN, FAZ, dpa, NDR und die taz (wenn Jan Feddersen berichtet) erfinden ein Prozeßgeschehen. Deren gutgläubige LeserInnen werden wohl sehr erstaunt sein, wenn Safwan dann freigesprochen wird. Auch ohne jedes Vetrauen in die Justiz allgemein - Richter Rolf Wilcken wird sicherlich nicht nach den Medieninterpretationen urteilen, sondern nach den Fakten.

Von daher - kein Zweifel am Freispruch. Aber danach?

Die Medien werden suggerieren es konnte dem Angeklagten halt nicht bewiesen werden", die liberaleren werden einen Freispruch vielleicht noch als Sieg des Rechtsstaates bei schwieriger Beweislage" feiern. Der Dreck bleibt hängen, den Staatsanwälte und Medien auf Safwan, seine Familie und die anderen Flüchtlinge geworfen haben. Die Situation könnte natürlich noch einmal kippen: wenn es gelänge, die wirklichen Täter zu verurteilen. Doch die Staatsanwälte werden nach dem Prozeß gegen Safwan versuchen, den Kriminalfall Hafenstraße" abzuschließen.

Aller Wahrscheinlichkeit wird es eines sehr starken Druckes bedürfen, damit die Ermittlungen gegen die vier tatverdächtigen Nazis aus Grevesmühlen aufgenommen werden, bzw. sie vor Gericht landen.

Auch juristische Schritte gegen Böckenhauer und Co.

Also geht unsere Arbeit nach der Urteilsverkündigung weiter: weiter über das aufklären, was passiert, weiter dafür kämpfen, daß der Brandanschlag Konsequenzen für die Brandstifter und die Vertuscher hat. Einige Linke , besonders aus dem antinationalen" Spektrum, werden uns dies zum Vorwurf machen- statt einfach nur die beschissenen Zustände zu benennen, geben wir nicht auf, sie verändern zu wollen. Und ein Schritt dazu ist eben die Revidierung der Täter-Opfer-Umkehr. Dazu werden wir (bestimmt nicht allein) auch juristische Schritte gegen die Staatsanwälte einleiten.

Immer noch muß das Bleiberecht für die Überlebenden erkämpft werden - diese Aufgabe bleibt für uns bestehen. Die bisherigen Duldungen sind gekoppelt an den Zeugenstatus im Prozeß. Die zum Jahrestag gestartete Kampagne für das Bleiberecht hat zwar Teilerfolge erzielen können (breites Bündnis an Erstunterstützergruppen, Medienberichterstattung, vielleicht auch Einfluß auf die Resolution im Landtag), aber die Unterstützung aus der Bevölkerung war eher mager.

Konkret können wir auch eine weitere Publikation ankündigen: wenn wir das Prozessinfo nach dem Urteil ein letztes Mal herausgeben, werden wir bereits an einer ausführlichen Broschüre schreiben. Die immer noch zu kurz gekommene politische Bewertung der Ereignisse wird hier sicherlich nachgeholt.


Faschistischer Terror geht weiter

Anschlag auf Bischof Kohlwage

In der Nacht zum 27. Februar haben bislang unbekannte Faschisten einen Brandanschlag auf das Grundstück des Lübecker Bischofs Karl Ludwig Kohlwage verübt. Dabei entstand Sachschaden an einer angezündeten Gartenlaube. Zudem wurden spiegelverkehrte Hakenkreuze an die Fenster des Wohnhauses der Kohlwages geschmiert.
Bereits zum Jahrestag des Hafenstraßenanschlags hatte es Hakenkreuzschmierereien -ebenfalls spiegelverkehrt- an Kohlwages Haus gegeben, verbunden mit einem Drohanruf.
Der Bischof erklärte, dieser Anschlag zielt auf meine Person als Symbolfigur, gemeint ist aber die Ausländerarbeit insgesamt".
Einen Tag später hat die Polizei drei Personen festgenommen, wenig später allerdings wegen eines angeblich vorhandenen Alibis wieder freigelassen.


Anstaltsverbot gegen Gisela Wiese verhängt

Die Vizepräsidentin der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, die 72jährige Gisela Wiese, darf die Betreuung von Untersuchungshäftlingen nicht fortsetzen. Jahrzehntelang hat Frau Wiese Gefangene in Hamburg betreut. Nun wird ihr vorgeworfen, sie habe die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) unterstützt. Die Verdachtsbegründung ist so abenteuerlich wie lachhaft: Frau Wiese hatte im Oktober eine Gruppe Frauen in U-Haft besucht und ihnen Kekse mitgebracht. In der Kekstüte wollen Vollzugsbeamte später drei Briefe mit Presseerklärungen einer kurdischen Gefangenen gefunden haben. Gisela Wiese wird unterstellt, sie habe diese Post aus dem Gefängnis schmuggeln wollen. Deshalb ist sie mit einem Anstaltsverbot der U-Haftanstalt Holstenglacis belegt worden.

Aus Protest gegen diese Behandlung hat Frau Wiese auch ihre Besuche in anderen Hamburger Knästen eingestellt.

Protestschreiben gehen an: Senator Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Drehbahn 36, 20354 Hamburg


Prozeßinfo Nr. 17, 28.2. 1997

Lübecker Bündnis gegen Rassismus
Willy-Brandt-Allee 9
23554 Lübeck
Tel. 0451 - 70 20 748