nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:26:16 1998
 

[Lübeck - Hauptseite | Prozeßinfos - Index | Presse | Was gibt's Neues | Inhalt | Feedback ]


In diesem Prozeßinfo berichten wir über das Brandgutachten, das Prof. Dr. Ernst Achilles als erster Sachverständiger zu Brandausbruch und -entwicklung im Verfahren vorgestellt hat.
Anders als für das Gericht, das den juristischen Gepflogenheiten Rechnung tragen muß, ist für uns die Frage nach dem Brandausbruchsort - unabhängig von den Gutachten - schon in einem Punkt entschieden: das Feuer kann nicht im Flur des 1. OG gelegt worden sein. Die These der Ankläger ist widerlegt durch die Aussagen der HausbewohnerInnen, die sich nach Brandausbruch auf dem Flur befanden, und dort zwar Rauch, aber keinerlei Flammen gesehen haben. Wer, wie die Staatsanwaltschaft, den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen anzweifelt, muß sich die Frage nach seinem Motiv gefallen lassen. Wir meinen, dieses Vorgehen würde von Staatsanwaltschaft und breiten Teilen der Medien nicht stattfinden, wenn die ZeugInnen und der Angeklagte Deutsche wären.

Das Achilles-Gutachten

43. bis 45. Prozeßtag: 10.,12. und 18. März 97

Der 10.3. war der erste von insgesamt drei Verhandlungstagen, an denen Prof. Achilles als Sachverständiger zu Brandausbruch und Brandentwicklung angehört wurde. Ebenfalls ausführlich gehört wurde Dr. Könnecke, der Entwickler des Computersimulationsprogrammes Cobra 3-D, der von Prof. Achilles mit der Erstellung einiger Simulationen beauftragt wurde.

Wir werden hier die Verhandlung weitestgehend thematisch statt chronologisch wiedergeben. Dabei müssen wir auf die Wiedergabe von grundsätzlichen Erklärungen über verschiedene Brandarten, Untersuchungsmethoden, Brandverhalten von Baustoffen meist verzichten. Wir bemühen uns aber, die oft komplizierten Sachverhalte so verständlich wie möglich zu formulieren und zu beschreiben.

Als Grundlagen des Gutachtens wurden von Prof. Achilles Untersuchungen an der Brandruine, die Feststellungen der Kripo, ZeugInnenaussagen, Fotos, Videos, ein Einsatzbericht der Feuerwehr und die Computersimulation zu Rate gezogen. Um den Brandausbruchsort festzustellen, verwendete der Sachverständige das Eliminationsverfahren, nach dem nacheinander alle Möglichkeiten überprüft und die wahrscheinlichste herausgearbeitet wird.

Zur Konstruktion des hölzernen Vorbaus: Der Holzboden ist auf Metallpfeilern aufgeständert, so daß sich ein Hohlraum ergibt, die Wände ca. 40 cm dick, gleichfalls mit Hohlräumen, die mit Mineral- oder Glaswolle gefüllt waren. Besonders wichtig war dem Sachverständigen, daß Luft durch den Keller ungehindert in den Vorbau strömen konnte.

Das Haus wurde 1920 erbaut, überall fanden sich Holzkonstruktionen, die letzte Brandverhütungsschau der Feuerwehr 1993 soll keine wesentlichen Mängel festgestellt haben. Prof. Achilles sieht aber zumindest bezüglich der Brandsicherheit des niedrigen Kellers, der mit Sperrgut praktisch zugestellt war, erhebliche Mängel.

Teilweise waren die Hauswände verputzt, teilweise mit Holz verkleidet. An stark brandbelasteten Stellen war die Konstruktion auch nicht mehr richtig feststellbar. So ergab sich die Frage, ob auch Styropor verwendet wurde, das sehr feuergefährlich ist und durch brennende Tropfen Sekundärbrände auslösen kann. Zum PVC-Boden erklärte Prof. Achilles, daß PVC generell nicht besonders brandgefährlich ist und auch über keine hohe Wärmeleitfähigkeit verfügt.

Er stellte fest, daß ein Eindringen auf das Grundstück und in das Haus leicht möglich war: das kleine Fenster des Vorbaus - so oft Thema der ZeugInnenvernehmungen - konnte nach seinen Untersuchungen allein durch leichten Druck geöffnet werden. Der Hub von 4mm, den die Kriminaltechnik festgestellt haben will, war laut Achilles nicht nötig.

Feuer vom Vorbau durchs Treppenhaus Grafik-Brandhaus

Der Kern seines Gutachtens widerspricht der Brandtheorie der Staatsanwaltschaft in den wesentlichen Punkten: so sieht Prof. Achilles die stärksten Brandzerstörungen nicht im 1. OG, sondern an der zur Treppe gelegenen Außenwand des Vorbaus. Er verwies auf Durchbrennungen in den Setzstufen der Treppe und besonders auf drei Stellen unterhalb des ehemaligen Briefkastens. An allen drei Stellen ist der Fußboden vollständig durchgebrannt. Hier macht Prof. Achilles die Ausbruchsstelle fest. Die größte Durchbrandstelle erweckt den Anschein, als wäre durch die Kriminaltechnik ein Stück des Bodens herausgesägt. Ein entsprechendes Asservat findet sich aber nicht.

Sein Gutachten stellt - zusammengefaßt aus den drei Anhörungstagen - folgenden Brandverlauf dar: Nach der Brandlegung an besagter Stelle fing der vordere Teil des Vorbaus Feuer, das in kurzer Zeit eine hohe Wärmefreisetzungsrate (Freisetzung der Energie pro Minute) produzierte. Das Feuer hatte durch Durchbrüche zum Keller ungehinderte Sauerstoffzufuhr. Ungeklärt bleibt, ob Brandbeschleuniger benutzt, und dadurch die Wärmefreisetzungsrate noch erhöht wurde. Prof. Achilles hielt es für nicht machbar, diesen noch nachzuweisen. Dies hätte durch gründliche Ermittlungen der Kriminaltechnik oder des LKA im Vorbau evtl. geschehen können, gleichwohl ist auch vorstellbar, daß Brandbeschleuniger vollständig verbrannt ist, bzw. durch die Löscharbeiten der Nachweis unmöglich gemacht wurde.

Die heißen Brandgase zogen unter der Decke des Vorbaus ins Treppenhaus und breiteten sich nach oben aus. Der hintere Teil des Vorbaus war weniger stark brandbelastet, eine Stahltür verhinderte das Ausbreiten des Feuers in das Büro. Diese Tür war zwar keine offiziell zugelassene Feuerschutztür, entsprach aber der T-30-Norm, war also stark genug, um mindestens 30 Minuten lang dem Feuer standzuhalten.

Die Brandspuren im Treppenhaus zum 1. OG lassen den Schluß zu, daß sich hier die Flammen kanalisierten und focussierten - der sog. Kamineffekt. Eine hohe Hitzeentwicklung ließen relativ schnell die Durchzündung („flash over”) des 1. OG zu, zu der eine Temperatur ab 600º C notwendig ist. Der natürliche Ausbreitungsweg des Feuers - zuerst von unten nach oben - setzt auch das 2. OG in Brand. Daß der Flur des 2.OG nicht so stark wie der des 1.OG zerstört wurde, erklärte Dr. Könnecke mit der Häufung von brennbarem Material am Dach: als dieses durchbrannte wurden die Brandgase nach oben ins Freie abgelenkt.

Auf ca. 3.20 Uhr schätzt Achilles den Zeitpunkt der Brandlegung, da um 3.30 der Vorbau in voller Ausdehnung brannte. Ca. 10 Minuten waren erforderlich, damit das geschehen konnte.

Anhand von Fotos und Videoaufnahmen wurde Prozeßbeteiligten und ZuschauerInnen die unterschiedlichen Brandbelastungen zwischen EG und 1. OG veranschaulicht. Zum Vorbau bemerkte der Sachverständige noch, daß an den massiven Holzpfeilern ein Abbrand von bis zu 4cm festzustellen ist, was Rückschlüsse auf Dauer und Intensität des Feuers schließen läßt. Dort müssen (bei einer Abbrandgeschwindigkeit des Holzes von 0,56 bis 0,9 mm pro Minute )die Pfeiler mindestens 20 Minuten lang dem Feuer ausgesetzt worden sein. Am 19.03. ergänzte er noch, daß ein Foto belege, daß der Briefkasten bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt nicht mehr vorhanden - weggebrannt oder weggestemmt - war.

Einen Brandausbruch im Flur des 1. OG nach dem Gutachten des LKA schloß der Sachverständige praktisch aus: zum einen können Brandlegungsmittel nicht zur Treppe laufen, da eindeutig ein Anstieg zu messen ist. Besonders widerspricht aber das Spurenbild dieser Theorie: denn Tapetenreste, nur schwach verbranntes Holz, eine fast unversehrte Klopapierrolle und sanitäre Anlagen hätten ein sich dort ausbreitendes starkes Feuer nicht überstanden.

Die Durchbrennung zum 2. OG könnte auch bei den Aufräumarbeiten der Abbruchfirma durch herabgestürzte Teile entstanden oder vergrößert worden sein.

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Wilcken erklärte Dr. Könnecke, daß er sich nicht vorstellen kann, wie eine Person in dem nur knapp 80cm breiten Flur an z.B. brennendem Benzin hätte vorbeigelangen können.

Es stellte sich zudem die Frage, wie denn das Feuer in den Vorbau hätte eindringen können, denn die Aussage eines Feuerwehrmannes beweist, daß die Treppe zum 2.OG noch intakt war und zum 1.OG noch frei war, also keine brennenden Teile in den bereits brennenden Vorbau gestürzt sind. Eine Flammenausbreitung von oben nach unten hätte auch eines starken Soges zum Vorbau bedurft. Dieser war aber nicht vorhanden.

Und auch die Ermittlungstätigkeit der Kripo kommentiert Prof. Achilles: Behälter und die Reste der Klingelanlage fanden sich im Dreck, sie wurden nicht asserviert. Achilles kritisierte nicht nur, daß im EG noch „erheblicher Ermittlungsbedarf” sei, auch das Verhalten der Kripo, die im Unterschied zur Schutzpolizei seine Untersuchungen abgeblockt haben, war für ihn unverständlich. Zusätzlich rekonstruierte er die Standorte der Feuerwehrlöschfahrzeuge auf einer Skizze. Dabei verwies er darauf, daß erfahrungsgemäß der erste Wasserschlauch an der stärksten Brandstelle postiert wird. Jedenfalls war tatsächlich das erste C-Rohr um ca. 3.48 Uhr am Vorbau in Stellung gebracht worden. Laut Einsatzbericht der Feuerwehr war der Vorbau bereits gelöscht, bevor das Feuer im 2. OG durchzündete.

Die Computersimulation

Noch vor dem Prozeß hatte die Staatsanwaltschaft vollmundig verkündet, daß ihre Computersimulation das Gutachten des LKA bestätigen würde. Das BKA hatte mit dem Programm Cobra 3-D den Brandverlauf unter Annahme eines Brandherdes im 1. Stock simuliert.

Der Entwickler dieses Programmes, Dr. phys. Rainer Könnecke, erklärte die Funktionsweise des Programms: Die räumlichen Gegebenheiten werden vereinfacht eingegeben, eine Brandquelle und die Möglichkeiten von Luftströmen (Fenster, Türen) vorgegeben. Cobra 3-D ist dann in der Lage, das Strömungsverhalten der heißen Brandgase zu analysieren, die Wärmefreisetzungsrate zu ermitteln und somit die wahrscheinliche Brandentwicklung aufzuzeigen.

Ursprünglich entwickelt wurde das Programm für den vorbeugenden Brandschutz, insbesondere bei Ölplattformen.

Und Dr. Könneckes Assistent Schneider mußte einräumen, daß das Modell nur „in dem Maß zutreffend berechnen kann, wie auch die Eingaben zutreffend sind”. Also kann das Programm nur beweisen, daß eine aufgestellte Theorie den physikalischen Gesetzen entspricht, nicht aber beweisen, daß eine Theorie auch dem tatsächlichen Verlauf entspricht, also wahr ist. Folglich entsprach die Verlautbarung der Staatsanwaltschaft vom Sommer nur deren im gesamten Verfahren demonstrierten geringen Wahrheitsliebe!

Prof. Achilles hatte in Absprache mit dem Gericht Dr. Könnecke den Auftrag erteilt, mehrere Simulationen durchzurechnen. Zum einen wurde die Simulation des BKA überprüft. Dabei kam heraus, daß ein Polstereffekt durch eine kalte Luftschicht, die laut BKA bei einem Brandausbruch im Vorbau heiße Gase davon abhalten sollten in das 1. OG zu gelangen, nicht vorhanden ist. Zudem veröffentlichte das BKA nur die ersten 10 Minuten ihrer Simulation, Dr. Könnecke ließ das Programm bei gleichen Eingaben noch weitere 5 Minuten berechnen. Das Ergebnis widerlegte die Schlußfolgerungen des BKA.

Weiterhin fertigte Dr. Könnecke mehrere Simulationen betreffend eines Ausbruches im Vorbau, die die Thesen von Prof. Achilles stützen.

Wilcken mit kompetenten Fragen

Der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken begann die Befragung des Sachverständigen: dabei fiel auf, daß Wilcken sich wohl sehr genau mit dem Spurenbild und anderen Indizien beschäftigt hatte. Seine fragen waren zielgerichtet und kompetent. Dabei bemühte er sich, der Wahrscheinlichkeit verschiedener Szenarien auf die Spur zu kommen. Und er behandelte Prof. Achilles als Sachverständigen, nicht als Feind, wie das später die Staatsanwälte taten.

Dabei trat auch zu Tage, daß Achilles nicht alle Rätsel lösen konnte: so gab es keine eindeutige Erklärung, warum nicht der gesamte Vorbau in Schutt und Asche gelegt wurde. Aber auch für die Durchbrennungen im Boden (sowohl die tatsächlichen im EG, als auch die angebliche Durchbrennung auf der entsorgten Spanplatte aus dem 1.OG) fand sich nicht nur die Option von ausgeschüttetem Brandbeschleuniger, sondern auch herabgefallene brennende Gegenstände könnten dieses Spurenbild ergeben. Und Wilckens Fragen ergaben, daß nur eine kurzzeitige Öffnung der Tür zur Wohnung Kate Davidsons ein schnelleres und stärkeres Aufheizen des Treppenhauses ergeben hätte.

„Kritischer Diskurs”?

Staatsanwalt Dr. Böckenhauer kündigte seine Fragen an den Sachverständigen Achilles als „kritischen Diskurs” an. Er vollzog dann aber den Versuch des „Madigmachens”, wollte Prof. Achilles die Kompetenz und Unabhängigkeit absprechen. So mußte Prof. Achilles erst einmal diverse Fragen nach seinem beruflichen Status und seinen Erfahrungen über sich ergehen lassen. Man merkte dem Sachverständigen, der sich beinahe wie ein Angeklagter vorkommen mußte, an, daß er ausgesprochen ärgerlich wurde. Das war zwar mehr als verständlich, aber darunter litt auch seine Souveränität. Dennoch erzielte er einige Lacher auf seiner Seite, beispielsweise, als Böckenhauer ihn fragte, ob er sich an den Professor wenden könne, wenn er bei einem Hausbau Informationen über Brandschutztüren etc. bräuchte. Achilles Antwort: „Das kommt darauf an, wieviel Sie ausgeben können, Herr Staatsanwalt!”

Das Bohren des Staatsanwaltes bescherte dem Befragten dann auch die Möglichkeit, ausgiebig seine Kompetenz darstellen zu können (siehe Kasten „Zur Person”). Es geriet zum Bumerang für den Staatsanwalt.

Einige Fragen demonstrierten nur, mit welch kleinlichen Nachfragen Böckenhauer arbeiten muß: warum Achilles sein Gutachten mit „Brandschutztechnisches Gutachten” und nicht, wie das LKA, „Untersuchungsbericht” betitelt habe - auf dieses Niveau sank der Staatsanwalt herab...

Auf Prof. Achilles Bemerkung, daß er der Staatsanwaltschaft die Zusammenarbeit angeboten habe, dieses Angebot aber ausgeschlagen wurde, reagierten weder Böckenhauer, noch Bieler. Genausowenig lassen sie sich auf die Kritik des Sachverständigen ein, daß die Ermittler Asservate im Brandhaus herumliegen lassen, andere Asservate „verschwinden”, Skizzen des Hauses schlicht falsch sind (z.B. war der Vorbau gar nicht eingezeichnet), Wandstärken nicht gemessen und Durchbrennungen nicht einmal registriert werden.

Dann direkte, feindliche Angriffe des Staatsanwaltes: „Manchmal glaubt man, daß Sie gar kein Sachverständiger sind”. Richter Wilcken greift ein: „Daß kann ich Ihnen schwarz auf weiß zeigen, daß er das ist, Herr Böckenhauer!” und Verteidigerin Barbara Klawitter setzt noch drauf: „Manchmal glaubt man auch, daß Sie nicht Staatsanwalt sind, daß Sie hier am falschen Platz sitzen!”

Richter Wilcken ist sichtlich bemüht, die Kontrolle zu behalten, weist den Staatsanwalt im scharfen, beinahe wütendem Ton zurecht, er möge den Sachverständigen gefälligst ausreden lassen, rügt die Vernehmungsmethode.

Böckenhauer und die menschliche Anatomie

Komisch dann auch die Verzweifelung des Anklägers auf der erneuten Suche nach Belastendem gegen Safwan Eid: als Prof. Achilles bestätigt, daß bei Verpuffungen von Brandlegungsmittel die Brandstifter verletzt werden können, fragt Böckenhauer „An welchen Körperteilen?” - „Das kommt darauf an, welches Körperteil der Verpuffung zugewandt ist, man kann ja auch ein Streichholz nach hinten über die Schulter werfen” - „Können auch die Ohren versengt werden?” (Safwan hatte Verbrennungen an beiden Ohren, allerdings nur dort) - „Es ist logisch begründbar, daß dann auch Nase und Stirn verbrannt werden!”

Böckenhauer und die Physik

Schließlich möchte der Staatsanwalt eine Bestätigung seiner Brandtheorie: ob denn das Weiterlaufen des Gas-Luft-Gemisches, das sich beim Ausgießen von Benzin über dem Boden bildet, vom Gefälle abhänge...

„Selbstverständlich, es ist doch schwerer als Luft!” - erteilt der Sachverständige dem Staatsanwalt Nachhilfe in Physik.

Staatsanwalt Bieler, eifrig und peinlich, bemüht sich, es seinem Kollegen gleichzutun: am 45. Verhandlungstag, dem 19. März, wiederholte er etliche Fragen, die der Sachverständige schon beantwortet hat. Dies rügt, erneut im scharfen Ton, Richter Wilcken denn auch, fragt einmal sogar, was denn die Fragen mit dem Brand oder der Täterschaft des Angeklagten zu tun haben.

Wie kaputt die Anklage ist, belegte dann auch die Frage, ob es denn nicht möglich sei, daß Täter von innen (also HausbewohnerInnen - Hauptsache, es waren keine Deutschen!) das Feuer im Vorbau gelegt haben könnten...!

Worauf Prof. Achilles konterte, daß die Täterermittlung nicht seine Aufgabe sei.

Relevante brandtechnische Fragen konnte der Staatsanwalt nicht mehr lösen.

Interessanter waren die Aspekte, die Prof. Oehmichen, Gerichtsmedinziner, Sachverständiger und beauftragt, den Tod Sylvio Amoussous zu klären, durch Fragen an Dr. Könnecke in das Verfahren einbrachte: für ihn war relevant, ob das Feuer im Vorbau einen Sauerstoffmangel produzieren könne, an dem ein Mensch erstickt. Und Dr. Könnicke bestätigte, daß ein Sauerstoffgehalt von unter 20 % bestanden haben könnte, dies hänge von Öffnungszustand der Fenster ab, und weiter, daß jemand, der vom 1.OG ins Erdgeschoß ging, anfangs nicht unbedingt Flammen gesehen haben muß.

Rechtsanwalt Haage bewies einmal mehr, daß er sich als Gehilfe der Staatsanwaltschaft sieht: er suchte krampfhaft (aber nicht sonderlich klug) nach Widersprüchen im Gutachten, meinte gar Widersprüche zwischen dem Achilles-Gutachten und der Computersimulation von Dr. Könnecke ausmachen zu können.

Als Fazit der Sachverständigenanhörung ergibt sich, daß sich die LKA-Beamten und die BKA-Beamtin Dr. Löffler warm anziehen müssen: das LKA muß erklären, wie es zu dazu kommen konnte, daß entscheidende Spuren im Vorbau nicht untersucht wurden, andere Spuren verschwanden, schließlich auch darlegen müssen, warum Benzin bei ihnen bergauf fließt und Klopapierrollen feuerfest sind.

Frau Dr. Löffler schließlich tritt mit ihrer Simulation gegen den Entwickler des Programms an.

Die Staatsanwälte haben alles versucht, Prof. Achilles vorzuführen. Ob sein Eingehen auf ihre Provokationen richtig war oder nicht - es gelang den Anklägern nicht, seine Theorie zu unterminieren. Schließlich fußt sie auch auf den Aussagen der meisten (und entscheidenden) ZeugInnen, während die Staatsanwälte nur den unglaubwürdigen Jens Leonhardt für ihre Theorie vorweisen können.

Abhörprotokolle als Beweismittel beantragt

Wenige Tage nach Safwans Verhaftung war den Ermittlern die dünne Indizienlage gegen ihn wohl klar, denn sie griffen zu einem - gelinde gesagt - umstrittenen Mittel: seine Zelle wurde abgehört, seine Gebete, aber auch die Gespräche mit seiner Familie auf Band aufgezeichnet. Die Bänder wurden von zwei Übersetzern ins deutsche protokolliert. Diese kamen zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen, der eine, für kurdisches Arabisch zugelassen, will belastende Indizien erkennen. Der andere, der Safwans Dialekt spricht, konnte nichts belastendes entdecken.

Die Kammer hatte bereits im Vorfeld darauf verzichtet, die Abhörprotokolle in das Verfahren einzubeziehen, da deren rechtliche Gültigkeit umstritten ist.

Am 19.03. beantragten die Staatsanwälte nun doch die Zulassung. Sie verwiesen auf Passagen „ihres“ Übersetzers und begründeten sowohl umständlich wie ausführlich, warum die Protokolle zulässig seien.

Auf die Entscheidung der Kammer darf man gespannt sein. Zur Zeit macht das Gericht nicht den Eindruck, als sähe es noch irgendeinen Sinn im Verfahren. Der erneute Beweisantrag verzögert den Urteilsspruch, kann aber am fälligen Freispruch nicht rütteln. Die Maßnahme der Staatsanwälte dient wohl eher dazu, das Gesicht der Ankläger zu wahren.


Zur Person:Prof. Achilles

Prof. Ernst Achilles

Prof. Achilles ist bereits kurz nach Safwans Verhaftung von dessen damaligen Anwalt Wolter und seiner Anwältin Gabriele Heinecke mit Untersuchungen am Brandort beauftragt worden.

Seine berufliche und akademische Karriere ist eindrucksvoll: u.a. war der Architekt Oberbranddirektor von Frankfurt, leitete die dortige Berufsfeuerwehr bis zu seiner Pensionierung 1989, war Oberbranddirektor des Bundeslandes Hessen, ist seit 1972 mit Lehrtätigkeiten für vorbeugenden Brandschutz an zahlreichen Hochschulen betraut, gehört mehreren entsprechenden Fachkommissionen an, darunter auch der Prüfkommission für Brandsachverständige.

Seit über 10 Jahren ist er selber als Sachverständiger gerichtlich bestellt, sein erstes Auftreten als gerichtlicher Sachverständiger, sowohl für Brandschutz, als auch für Brandursachenforschung liegt aber bereits 20 bis 25 Jahre zurück. Insgesamt befaßte er sich mit über 100 Fällen als Sachverständiger.

Die Staatsanwälte, sowie die Nebenklagevertreter Dr. Clausen (für die Familie El Omari) und Haage (damals noch für Joao Bunga, der mit diesem Antrag nicht einverstanden war und seinem Anwalt das Vertrauen kündigte) stellten am 30. September bzw. am 7. Oktober 1996 Befangenheitsanträge gegten Prof. Achilles (siehe Prozessinfos Nr. 3 + 4). Sie zweifelten seine Kompetenz an (!) und behaupteten, er habe sich zu früh auf eine Theorie festgelegt (was ebenfalls ziemlich bezeichnend ist, da dieser Vorwurf wesentlich besser auf das Vorgehen der Ermittler zu beziehen ist). Am 14. Oktober lehnte die Kammer die Befangenheitsanträge ab. In der Begründung folgte die Kammer im wesentlichen der Argumentation der Verteidigung (siehe Prozessinfo Nr. 5) und der übrigen NebenklagevertreterInnen. Die Kammer bestätigte dabei auch ausdrücklich das Recht der Ver teidigung, sich des Sachverstandes von Experten zu bedienen, ohne daß deswegen auf Befangenheit geschlossen werden dürfe.


Prozeßinfo Nr. 18, 20.03.1997

Lübecker Bündnis gegen Rassismus
Willy-Brandt-Allee 9
23554 Lübeck
Tel. 0451 - 70 20 748