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Fri Sep  4 00:18:42 1998
 

Plädoyer der Verteidigung 18.6.1997 - Teil II

Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren!

Die Verteidigung beantragt nicht nur Freispruch, sie beantragt, unseren Mandanten Safwan Eid zu entschädigen, und zwar für die von ihm erlittene vorläufige Festnahme vom 19.1.1996 bis 20.1.1996 und für die von ihm erlittene Untersuchungshaft vom 20.1.1996 bis 2.7.1996.

Glauben Sie bitte nicht, es ginge unserem Mandanten um Geld. Entschädigung nach dem StrEG verschafft keine Reichtümer. Die Entschädigung ist vielmehr neben dem Freispruch die einzige juristische Möglichkeit, Safwan Eid volle Rehabilitation zukommen zu lassen. Darauf hat er Anspruch.

Eine positive Entschädigungsentscheidung ist das unzureichende, aber notwendige Mittel, dem Verdacht, der noch bis in die Schlußvorträge hinein gegen unseren Mandanten geschürt wurde, entgegenzutreten. Das Urteil in diesem Prozeß verlangt Eindeutigkeit, Es verlangt klare tatsächliche Feststellungen, aus denen sich die Unschuld Safwan Eids ergibt. Es verlangt darüber hinaus eine klare Entscheidung, daß der Verdacht, für den Brand verantwortlich zu sein, von Anfang an nicht hätte erhoben werden dürfen.

Die Entschädigung stellt für jedermann und auch für die Öffentlichkeit klar, daß Safwan Eid zu Unrecht verfolgt wurde. Dies ist, angesichts der Übermacht der Medien, die zum Teil bis heute noch Verdacht verbreiten, dringend erforderlich. Die Entschädigungsentscheidung weist gleichzeitig den Verursacher aus und legt rechtswidrige staatliche Ermittlungshandlungen offen.

Ehe im einzelnen der Entschädigungsanspruch begründet wird, seien drei Vorbemerkungen gestattet:

Es ist ein Wort zu verlieren zur Methode, derer die StA sich in ihrem Schlußvortrag, bezogen auf die wegen Bestehens eines Beweisverwertungsverbots nicht eingeführten illegalen Abhörprotokolle, bedient hat. Die Staatsanwaltschaft hat behauptet, die 100c-Protokolle könnten ergeben, daß Uwaila als "Familienvater" und Tatopfer in Betracht käme. Sie hat weiter behauptet, die 100c-Protokolle könnten einen Streit zwischen Safwan Eid und Uwaila ergeben. Schließlich hat sie behauptet, die 1 100c- Protokolle könnten ergeben, daß Safwan Eid ein Geständnis abgelegt habe,

Das Gericht hat hinsichtlich des illegalen Lauschangriffs auf unseren Mandanten und einzelne Mitglieder seiner Familie zurecht ein Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen die Grundrechte aus Art. 13 und Art. 6 GG angenommen. Die Staatsanwaltschaft hat während der Beweisaufnahme, obwohl es ihr möglich gewesen wäre, keine Gegenvorstellungen gegen diesen Beschluß der Kammer erhoben. Sie hat also darauf verzichtet, trotz des Beschlusses der Kammer den Versuch zu machen, das

Gericht von einer anderen Rechtsauffassung zu überzeugen, Warum hat die StA auf Gegenvorstellungen verzichtet? Hatte sie keine Argumente oder wollte sie sich nur die Möglichkeit offen lassen, im Schlußvortrag gegenüber der Öffentlichkeit (nicht gegenüber dem Gericht) den falschen Eindruck zu vermitteln, mit den 100c-Protokollen könne ein Streit von Safwan Eid mit irgendeinem Hausbewohner oder irgendein Familienvater als Tatopfer oder ein Geständnis bewiesen werden? Ersteres ist so wahrscheinlich wie letzteres.

Auch in ihrem Schlußvortrag hat sich die Staatsanwaltschaft mit keinem Wort mit der rechtlichen Begründung der Kammer die zur Annahme eines Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbotes geführt hat, auseinandergesetzt. Erneut hat sie darauf verzichtet, den Versuch zu machen, die Kammer von einer anderen Rechtsauffassung zu überzeugen. Weder hat sie im Schlußvortrag Gegenvorstellungen erhoben noch hat sie Wiedereintritt in die Beweisaufnahme oder vergleichbares beantragt, um die 100c-Protokolle doch noch zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen. Statt dessen hat sie darüber schwadroniert, was bewiesen werden könnte, wenn die illegalen Abhörprotokolle eingeführt worden wären. Warum?

In der Kommentierung zu § 258 StPO findet sich die schlichte, in ihrer Schlichtheit aber besonders plausible Bemerkung: "Die Schlußvorträge dürfen sich nicht über Verwertungsverbote hinwegsetzen" (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Auflage, § 258 Rdziff. 13/14).

Die Respektierung von Beschuldigtenrechten, dies hat nicht nur der Lauschangriff gezeigt, ist die Sache der StA nicht. Dennoch hätte von ihr erwartet werden können, daß man einen Blick in die Kommentierung zur StPO wirft, ehe der Schlußvortrag konzipiert. Dr. Böckenhauer hätte wissen können, daß Beweisverwertungsverbote im Schlußvortrag nicht dadurch unterlaufen werden dürfen, daß vermeintliche Inhalte der nicht verwertbaren Beweismittel vorgetragen werden.

Was also hat ihn bewogen, so zu agieren?

Juristische Unkenntnis ist eine mögliche, aber unzureichende Erklärung. Fehlende Argumente gegen die Rechtsauffassung der Kammer könnten eine zweite, der Wirklichkeit näher kommende Erklärung geben. Eine dritte Erklärung ist das, was sich seit dem 19.1.1996 durch dieses Verfahren zieht: Schöpfung eines Verdachts, wo es an Tatsachen fehlt und Aufrechterhaltung eines Verdachts durch Verbreitung von Gerüchten, wo die Beweismittel fehlen.

So, wie Dr. Böckenhauer noch am 28.5.1997 Aktenteile, aus denen sich nichts ergibt, mit vagen Andeutungen und lauen, im Ergebnis einer Rufschädigung Safwan Eids dienenden Erklärungen dem Gericht übergeben hat, hat er im Schlußvortrag, bezogen auf die Abhörprotokolle, Gerüchte verbreitet, von denen jeder, der die Akten kennt, weiß, daß sie falsch sind. Wäre es ihm tatsächlich darum gegangen, die Einführung der Abhörprotokolle in die Beweisaufnahme juristisch durchzusetzen, hätte er anders agiert. Die Vermutung liegt nahe, daß er auf eine Fortführung der juristischen Auseinandersetzung um die Einführung der Abhörprotokolle verzichtet hat, weil er weiß, daß diese weder ein Geständnis unseres Mandanten noch Streit als Motiv noch einen Familienvater als Tatopfer beweisen. Das Ausstreuen eines Verdachts, das Verbreiten von Gerüchten ist angesichts der Tatsache, daß die illegalen Abhörprotokolle nicht den Beweis liefern, die StA behauptet, augenscheinlich das probatere Mittel. Auf der Strecke bleibt unser Mandant, Safwan Eid, mit dem ihm von der StA angedichteten Ruf er könne es doch gewesen sein, auch wenn er freigesprochen wird.

Um solchen Verdachtsschöpfungen ein- für allemal den Boden zu entziehen, ist eine Entschädigung notwendig.

2) Der NK-Vertreter RA Haage hat es als Interessenvertreter einer Hausbewohnerin für richtig gehalten, im ersten Schritt mit der These, der Brand könne nur von innen gelegt worden sein, alle Hausbewohner (doch wohl einschließlich seiner Mandantin) unter Tatverdacht zu stellen, um dann im zweiten Schritt nach dem - wie er es nannte Eliminationsprinzip seine Mandantin, deren Familie und noch einige andere Hausbewohner als doch nicht (mehr) Verdächtige wieder auszusortieren. Dieser Vorgang des Aussortierens war partiell bedrückend, so, als er die in den Flammen umgekommene Familie Makodila halbherzig ("ich glaube") von der Verantwortung für den Brand freisprach, so auch, als er. in seinen Erörterungen in der 3. Etage angelangt, Frau Alias und ihre minderjährigen Kinder nur im Wege des Bemühens seiner persönlichen Überzeugung als Täter ausscheiden konnte, gleichwohl aber seine wenig glücklichen Ausführungen damit endete, daß "die Gebrüder Eid und evtl. Fam. Alias übrigblieben." Auch um solchen abwegigen Erwägungen die Grundlage zu entziehen, ist eine Entschädigung vonnöten.

Der Schlußvortrag von RA Haage, die schon peinlich anmutende grob falsche Würdigung der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, die von ihm praktizierte Umkehr der Beweislast, das unbekümmerte Agieren gegen die Interessen der eigenen Mandanten, dies alles läßt die Frage aufkommen: Welchem Herrn hat RA Haage in diesem Strafprozeß eigentlich gedient? Ich will die Frage nicht beantworten - jeder mag sich selbst seine Gedanken machen -. Ich will aber daran erinnern, daß RA Haage in seinem Schlußvortrag auch als Verteidiger, nicht unseres Angeklagten hier, argumentiert hat, als er feststellte, die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die Jugendlichen aus GVM den Brandanschlag nicht begangen hätten. Diese Feststellung war falsch, denn über deren Schuld oder Unschuld müßte doch wohl in einem Strafprozeß mit ihnen als Angeklagten befunden werden.

3) Dr. Clausen hat die rechtlichen Interessen der Fam. El Omari vertreten und in dieser Eigenschaft Verurteilung unseres Mandanten beantragt. Gleichzeitig hat er die rechtlichen Interessen von Herrn Makodila vertreten und in dieser Eigenschaft dem Gericht. von dem auch Herr Makodila wissen wird, daß es einen Freispruch verkünden wird, das Vertrauen ausgesprochen, Ein anwaltlicher Spagat eigener Art und Güte. Eine Interessenkollision in der gemeinsamen Vertretung dieser, dem Verfahren gegen Safwan Eid so unterschiedlich gegenüberstehenden Hausbewohner hat er nicht gesehen. Es fällt aber sehr wohl schwer sich vorzustellen, daß die Ausführungen zur vermeintlichen Täterschaft unseres Mandanten auch im Namen von Herrn Makodila erfolgt sein sollen, konnte doch jeder aufmerksame Prozeßbeobachter hin und wieder, wenn Herr Makodila im Prozeß anwesend war, eine herzliche Begrüßung zwischen ihm und Safwan Eid wahrnehmen.

Herr Dr. Clausen hat jetzt wieder als NK-Vertreter der Fam. El Omari handelnd Verurteilung wegen Beihilfe durch unterstützende Anwesenheit beantragt. Fam. El Omari hat ihr Interesse an einem bestimmten Ausgang dieses Verfahrens von Beginn der Hauptverhandlung an mit der ständig wiederkehrenden Erklärung unter Beweis gestellt, sie sei nicht von vornherein von der Unschuld des Angeklagten überzeugt. In dem Bemühen, diese Interessen zu vertreten, hat Dr. Clausen als rettenden Anker, um einen Antrag auf Freispruch vermeiden zu können, die psychische Beihilfe entdeckt. Psychische Beihilfe, so hat er uns wissen lassen, ist auch gegeben, wenn jemand bei der Tat unterstützend anwesend ist. Ich würde diese sensationelle strafrechtliche Erkenntnis gern um den Hinweis ergänzen, daß psychische Beihilfe auch vorliegen kann, wenn jemand unterstützend abwesend ist. Allerdings hat Dr. Clausen im Eifer, eine juristische Möglichkeit zu finden, auf Verurteilung plädieren zu können, leider vergessen, daß auch unterstützende Anwesenheit bewiesen werden muß. Beweismittel, die seine kühne These von der unterstützenden Anwesenheit belegen könnten, hat Dr. Clausen nicht anführen können Ähnlich wie sein Kollege RA Haage hat er an die Stelle einer Beweiswürdigung Spekulationen gesetzt und die Frage nach dem Schuldnachweis mit Zweifeln an der Unschuld beantwortet. So einfach ist es in den Augen von RA Dr. Clausen, den bei dieser Strafkammer allerdings untauglichen Versuch zu machen, dem Gericht anzusinnen, einen Menschen ohne stichhaltige Beweise seiner Schuld für einen der entsetzlichsten Brandanschläge mitverantwortlich zu machen.

Auch ihm und Fam. El Omari ist durch eine gerichtlich festzustellende Entschädigung vor Augen zu führen, daß das Entsetzen über den Brandanschlag und die Opfer nicht dazu verführen darf, den Haß auf einen Unschuldigen umzulenken, nur weil die Täter nicht greifbar sind. Fam. El Omari, so hat uns Herr Dr. Clausen vermittelt, ruft nicht nach Rache, aber nach ausgleichender Gerechtigkeit. Ausgleichende Gerechtigkeit, Frau El Omari, setzt, soll sie mittels des Strafprozesses herbeigeführt werden, Schuld und den Nachweis von Schuld voraus. Unschuldig ist, wem keine Schuld nachgewiesen werden kann. Wenn Sie die Verurteilung von Safwan Eid wünschen, wünschen Sie die Verurteilung eines Unschuldigen. Mit Gerechtigkeit hat so etwas nichts zu tun, mit Rache schon eher. Ich wünschte, Sie würden, verständliche Trauer und Verzweiflung berücksichtigt, aus diesem Strafprozeß lernen, daß Ihre Zweifel an der Unschuld nicht das Synonym für Schuld sind. Begraben Sie Ihren Haß gegen Safwan Eid. Er ist für den Tod von Rabia nicht verantwortlich.

Kommen wir nun zur Entschädigung. In der Regel erwidert die Verteidigung im Plädoyer auf einen Antrag der StA. Hieran fehlt es. Die Staatsanwaltschaft hat zwar Freispruch beantragt, sich jedoch jeglicher Ausführungen zur Haftentschädigung enthalten und insoweit auch keinen Antrag gestellt.

Ein Blick in die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Nr. 139 Abs.3) zeigt, daß ein solches Unterlassen den staatsanwaltschaftlichen Pflichten widerspricht, heißt es doch in Nr. 139 Abs.3 RiStBV:

"Kann eine Entschädigung nach den §§ 1,2 StrEG in Betracht kommen, so wirkt der Staatsanwalt darauf hin, daß das Gericht gem., § 8 des Gesetzes über die Entschädigung entscheidet. Der Staatsanwalt nimmt unter Berücksichtigung der §§ 3 bis 6 dieses Gesetzes und des § 254 BGB dazu Stellung, ob und in welchem Umfang eine Verpflichtung zur Entschädigung besteht, und vermerkt dies in den Handakten".

Was hat die StA veranlaßt, keine Ausführungen zur Entschädigung zu machen und auch keinen Antrag zu stellen? Weiß sie, daß eine Entschädigung nicht zu umgehen ist? Will sie gegenüber der Öffentlichkeit ihr Gesicht wahren? Sie will, dies hat ihr Schlußvortrag gezeigt, eine vollständige und keine Fragen offen lassende Rehabilitation unseres Mandanten auf jeden Fall vermeiden. Sie will sich weiterhin die Möglichkeit offen lassen, mit Gerüchten im Trüben zu fischen. Geben Sie einem solchen Unterfangen mit Ihrer Schlußentscheidung keinen Raum.

Die Staatsanwaltschaft ist 1 Jahr und 5 Monate nach Inhaftierung des Mandanten zu der Erkenntnis gelangt, daß aufgrund der Aussage Leonhardts, die ebenfalls 1 Jahr und 5 Monate bekannt ist, auch die Möglichkeit besteht, Safwan Eid habe zeitnahe zum Brandanschlag von diesem nur gehört, d.h. er sei gerade nicht Täter, nicht Mittäter und nicht Gehilfe.

Eine späte Erkenntnis. Das "Wir warns", wäre es denn gefallen, wovon die Verteidigung nicht ausgeht, konnte und mußte am 19.1.1996 genauso interpretiert werden wie am 4.6.1997, dem Tag des Schlußvortrags von Dr. Böckenhauer. D.h., hätte Dr. Böckenhauer Ausführungen zur Entschädigung gemacht, so hätte er seine eigenen Handlungen, seinen Antrag auf Haftbefehl, seine Anträge auf Fortdauer der Untersuchungshaft und seinen Antrag auf Verwerfung der Haftbeschwerde kommentieren müssen. Er hätte sagen müssen, der Satz "wir warns", von dessen Bewiesensein Dr. Böckenhauer ja überzeugt ist konnte damals wie heute keinen zwingenden Schluß auf Täterschaft, Mittäterschaft oder Beihilfe zulassen. Er hätte bekennen müssen. daß die Aussage von Leonhardt, ob nun glaubwürdig oder nicht, zu keinem Zeitpunkt einen dringenden Tatverdacht gegen Safwan Eid begründet hat, er hätte einräumen müssen. daß mit Safwan Eid jemand strafrechtlich verfolgt wurde, der nicht hätte verfolgt werden dürfen. Er hätte seine Handlungen als in dieser Sache verantwortlicher Staatsanwalt rechtfertigen müssen. Ein, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, angesichts der gegebenen Sachlage aussichtsloses Unterfangen.

Gem.§ 2 Abs.1, Abs.2 Zift, 2 StrEG ist zu entschädigen, wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer vorläufigen Festnahme einen Schaden erlitten hat, soweit er freigesprochen ist.

Das erkennende Gericht hat in seiner Zwischenbilanz eine vorläufige Beweiswürdigung in Umkehrung des Grundsatzes "in dubio pro reo" vorgenommen und ist gleichwohl zu dem Ergebnis gelangt, daß nach vorläufiger Würdigung nichts festzustellen ist, was unseren Mandanten im Sinne der Anklage belasten könnte, so daß es einer weiteren Beweisaufnahme zur Entlastung des Angeklagten aus Sicht des Gerichts nicht bedürfe, Der Verfahrensverlauf hat gezeigt, daß dieser Prozeß nur mit einem Freispruch enden kann, es ist daher mehr als selbstverständlich, den vom Gericht erst noch zu verkündenden Freispruch den nachfolgenden, etwas juristischen Erörterungen zur Entschädigung zugrundezulegen.

Gem. § 8 StrEG entscheidet das Gericht über die Verpflichtung zur Entschädigung in dem Urteil oder dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Dies ist die Regel. Nur dann, wenn eine Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich ist, entscheidet das Gericht gem. § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß. Gründe, nicht gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG mit dem Urteil über die Entschädigungspflicht zu entscheiden, sind nicht erkennbar. Weder bedarf die Entscheidung über die Entschädigungspflicht einer weiteren Beweiserhebung noch erfordert die Prüfung der Voraussetzungen des Ausschlusses oder der Versagung der Entschädigung die Erhebung weiterer, zur Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung zwingender Beweise.

Die Frage, ob eine Pflicht zur Entschädigung besteht, ist ex ante zu prüfen, d.h. "abzustellen ist darauf, wie sich der Sachverhalt in dem Zeitpunkt darstellte, in dem die Strafverfolgungsmaßnahme angeordnet oder aufrechterhalten wurde. Es sind dabei alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Umstände zu würdigen und in Beziehung zu setzen zu dem verhalten des Beschuldigten und zum jeweiligen Tatvorwurf" (BVerfG, Beschluß vom 12.9.1995. NJW 1996, 1049 ff, 1050).

Tatsächliche Grundlage für diese Prüfung sind die Urteilsfeststellungen. Daraus folgt: Für die hier rechtlich problematische Frage, ob die einem Verwertungsverbot unterliegenden Abhörprotokolle aus der rechtswidrig angeordneten 100c-Maßnahme zur Prüfung der Entschädigungspflicht heranzuziehen sind oder nicht, gelten zuallererst die von Ihnen zu treffenden tatsächlichen Feststellungen. Da die Abhörprotokolle zu Recht nicht in die Beweisaufnahme eingeführt worden sind, wird deren Inhalt nicht Bestandteil der zu treffenden tatsächlichen Feststellungen sein können. Die Prüfung der Entschädigungspflicht hat daher ohne Berücksichtigung des Inhalts der rechtswidrig erlangten Abhörprotokolle zu erfolgen.

Die Staatsanwaltschaft könnte, so sie überhaupt argumentieren will, dem entgegenhalten, das erkennende Gericht dürfe, ebenso wie ein Beschwerdesenat, den Akteninhalt und die Prozeßgeschichte zusätzlich heranziehen, um die Entschädigungspflicht zu prüfen. Einer solchen Erwiderung wäre sicher zuzustimmen, allerdings nur mit der Maßgabe, daß der Akteninhalt nur insoweit heranzuziehen ist, als sich aus ihm zweifelsfreie Tatsachen, die für die Beurteilung der Entschädigung von Bedeutung sind, ergeben. Dies ist jedoch, wie sich aus dem Akteninhalt und den in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen der Verteidigung zum Inhalt der Abhörprotokollen ergibt (Anlagen 1) und 2) zum Protokoll vom 24.3.1997), bei diesen gerade nicht der Fall.

Ohne sich hier, wie die Staatsanwaltschaft es getan hat, im Schlußplädoyer über das Beweisverwertungsverbot hinwegsetzen zu wollen, ist anhand der von der Verteidigung am 24.3.1997 gestellten Anträge festzuhalten, daß der von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren herangezogene Dolmetscher ein höchst parteilicher, den Interessen der Verfolgungsbehörden verpflichteter Dolmetscher ist, dessen Übersetzungs- und Kommentierungskünste das Anbringen eines Ablehnungsgesuchs erzwungen haben. Weiter ist aufgrund der Anträge der Verteidigung festzuhalten, daß ein zusätzlicher Dolmetscher herangezogen worden war und beim BKA wegen der dort vorhandenen feinsten Spracherkennungsmethoden ein Gutachten eingeholt worden war. Weder der zusätzliche Dolmetscher noch das BKA haben an der Stelle ein menschlich gesprochenes Wort hören können, wo der befangene Helfershelfer der Staatsanwaltschaft solche gehört haben will. Im Antrag auf Anordnung des Lauschangriffs hatte die StA die Vorgabe gemacht, ein wie auch immer geartetes Geständnis sei durch den Lauschangriff mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Es überrascht daher nicht, daß der eilfertige Helfer der Ermittlungsbehörden Worte hörte, wo nichts gesprochen wurde. Daß er diese nicht gesprochenen Worte dann flugs als Geständnis interpretierte, ist fast schon folgerichtig. Daß die StA allerdings im Schlußvortrag behauptet hat, mit den 100c-Protokollen ließe sich ein Geständnis beweisen, ist nicht hinzunehmen.

Dr. Böckenhauer, Sie spielen falsch und Sie wissen es auch.

Zusammengefaßt:

Die Abhörprotokolle und deren Inhalt sind für die Entscheidung über die Entschädigung nicht zu berücksichtigen. Abgesehen davon. daß der Inhalt der Abhörprotokolle, von einem unbefangenen, nicht der Sicht der Ermittlungsbehörden verpflichteten Dolmetscher übersetzt, weder ein Geständnis noch sonstige, von Safwan Eid herrührende, ihn belastende Äußerungen ergibt, verbietet sich der Gebrauch eines rechtswidrig erlangten Beweismittels, das in der Hauptverhandlung nicht verwertet wurde. im Entschädigungsverfahren, würde doch sonst der Grundrechtsschutz, den ein Beweisverwertungsverbot gerade bezweckt, leerlaufen. Ist ein Beweismittel rechtswidrig erlangt, bleibt es rechtswidrig, gleichgültig, in welcher Form es eingeführt werden könnte. Hätte beispielsweise ein Beschuldigter unter Anwendung der Folter ein Geständnis abgelegt, dürfte dieses Geständnis wegen Verstoßes gegen § 136 a StPO nicht verwertet werden. Die Meinung, das Geständnis könne dann allerdings im Entschädigungsverfahren zu lasten des Betroffenen berücksichtigt werden, erscheint abwegig, dies um so mehr, als "in Zweifelsfällen für eine Entschädigung zu entscheiden ist" (OLG Düsseldorf, Beschluß vom 6.5.1987, StV 1988,446).

Zu prüfen und zu verneinen sind die Ausschluß- und Versagungstatbestände, Es liegen weder die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Ausschluß der Entschädigung gern. §5 Abs.2 StrEG noch die Voraussetzungen für eine Versagung der Entschädigung gem. E6 Abs.1 Ziff. oder Ziff. 22. Alternative StrEG vor.

Drei Fragen sind zu beantworten:

1) Kann die Entschädigung versagt werden, weil die StA der Auffassung ist, unser Mandant könne nur deshalb nicht verurteilt werden, weil die Kammer ein Verwertungsverbot hinsichtlich der 100c-Protokoile angenommen habe (Analogeanwendung des § 6 1 Ziffer 2, 2. Alternative StrEG)?

2) Hat Safwan Eid die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch veranlaßt, daß er sich als Beschuldigter selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat.

3) Hat Safwan Eid die Strafverfolgungsmaßnahmen durch irgendeine Handlung vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht?

Beginnen wir mit der 1. Frage: Ist Entschädigung zu versagen, weil die StA meint. Safwan Eid könne nur deshalb nicht verurteilt werden, weil (Analogie zum Verfahrenshindernis) ein Verwertungsverbot besteht. Dr. Böckenhauer hat - der Aktenlage zuwider - suggeriert, Safwan Eid könnte im Sinne der Anklage verurteilt werden, wenn die Abhörprotokolle eingeführt würden. Diese Suggestion, der er vielleicht schon selbst erlegen ist, könnte ihn dazu führen, die Auffassung zu vertreten, ein Verwertungsverbot sei einem Verfahrenshindernis gleichzusetzen mit der Folge, daß in analoger Anwendung des §6 Abs.1 Ziff. 22. Alt. eine Entschädigung zu versagen sei.

Eine solche Argumentation greift jedoch nicht. Es fehlt schon an der gerichtlichen Schuldfeststellung. Das Gericht wird freisprechen. Einem Beschwerdesenat, den die StA vielleicht anrufen möchte, ist es verwehrt, die Hauptentscheidung, d.h. den Freispruch, nachzuprüfen und im Entschädigungsverfahren faktisch durch einen Schuldspruch zu ersetzen. Hinzu kommt, daß Beweisverwertungsverbot und Verfahrenshindernis ihrem Charakter nach nicht gleichzusetzen sind. "Das Wesen eines Verfahrenshindernisses besteht darin, daß eine Bedingung für den Erlaß eines Sachurteils fehlt" (OLG Karlsruhe, Beschluß vom 16.1.81, NSTZ 81, 228). Demgegenüber erlaubt das Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes sehr wohl eine Sachentscheidung, es verbietet nur, bestimmte Tatsachen zum Gegenstand der Beweiswürdigung und des Urteils zu machen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Einl. Rdziff, 55).

Die analoge Anwendung des § 6 Abs. 1 Ziff. 2, 2. Alt. StreG kommt daher nicht in Betracht. In einem anderen Zusammenhang, aber sehr wohl passend zum Agieren der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren, hat Schätzler, Kommentator des StrEG, eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 15.11.88, mit der eine Entschädigung für überschießende Strafverfolgungsmaßnahmen versagt wurde, mit folgenden Worten kommentiert:

"Verdacht sei geblieben, mehr oder Schlimmeres als abgeurteilt getan zu haben? Eine flagrante Rechtsverletzung! Wir haben vor zwei Jahrzehnten den Freispruch zweiter Klasse abgeschafft, kostenrechtlich und dann auch entschädigungsrechtlich. Gegen den Freigesprochenen darf die Justiz nicht nachkarten (...)" (Schätzler, NSTZ 89.234).

Dem ist nichts hinzuzufügen, als die Feststellung, daß das Verwertungsverbot 100 c eine Versagung der Entschädigung nicht zuläßt.

Die 2. Frage ist. ob Safwan Eid die Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn dadurch verursacht hat. daß er als Beschuldigter sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat.

Safwan Eid ist am 18.1 1996 als Zeuge und ab 19.1.1996 als Beschuldigter vernommen worden. Zuletzt ist er in der Hauptverhandlung am 18.9.1996 als Angeklagter vernommen worden. Bis zum Erlaß des Haftbefehls am 20.1.1996 ist er am 19.1.1996 polizeilich, am 20.1.1996 zweimal polizeilich und am 20.1.1996 richterlich vernommen worden.

Nach Erlaß des ersten Haftbefehls ist er bis zum Erlaß des zweiten Haftbefehls am 20.3.1997 weitere dreimal polizeilich und einmal richterlich vernommen worden. Darüber hinaus sind mit ihm in der JVA mindestens 4 sog. Vernehmungsgespräche geführt worden, Zwischen Erlaß des zweiten Haftbefehls vom 20.3.1996 und der Beschwerdeentscheidung der I. großen Strafkammer vom 26.4.1996 ist er ein weiteres Mal am 17.4.1996 polizeilich vernommen worden. In all diesen Vernehmungen hat er durchgehend seine Unschuld beteuert. Immer wieder hat er den Hergang der Brandnacht geschildert, wann er zu Bett gegangen ist, wie er durch Feuermelder und Rufe der Fam. Alias aufgeweckt wurde, wie er dem ins Zimmer strömenden heißen Rauch entkommen ist, wie er aufs Dach geflohen ist, wie er den Kindern Alias geholfen hat. Er hat sich zu seinem Zusammentreffen mit Leonhardt geäußert, hat berichtet, was er in der Brandnacht von Äußerungen seines Vaters verstanden hat, hat erklärt, daß er mit anderen darüber gesprochen hat, hat in Abrede genommen, mit irgendeinem Hausbewohner Streit gehabt zu haben, und dies alles ohne Dolmetscher, in der sicher falschen Selbsteinschätzung, genug Deutsch zu verstehen und zu sprechen, um sich der ungeheuerlichen Beschuldigung des zehnfachen Mordes zu erwehren.

Festzuhalten ist danach, daß Safwan Eid in seinen zahlreichen Beschuldigtenvernehmungen alles getan hat, um die Ermittlungsbehörden von seiner Unschuld zu überzeugen, Daß er damit keine Chance hatte, weil man ihn als Hausbewohner und nicht Andere, z.B. deutsche rechtsgerichtete Jugendliche, als Täter wollte, ist ihm nicht anzulasten. Weder hat er sich falsch beschuldigt noch sonst in wesentlichen Punkten falsche Angaben gemacht. In den Haftbefehlen vom 20.1. und 20,3.1996 und in der Beschwerdeentscheidung vom 26.4.1996 taucht dementsprechend unter den Beweismitteln die Einlassung des Beschuldigten Safwan Eid nicht bzw. nur insofern auf, als mitgeteilt wird, er bestreite eine Tatbeteiligung.

Die ursprünglich unzutreffenden Angaben zu seinem Alter waren für Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ohne Bedeutung, bezogen sich zudem nicht auf das ihm vorgeworfene Tatgeschehen und können ihm schließlich nach seiner unwiderleglichen Einlassung nicht als vorwerfbar verursacht angelastet werden, weil er - entsprechend seiner Kultur - dem exakten Geburtsdatum keine Bedeutung zugemessen, sich vielmehr mit den offenkundig nicht zutreffenden Angaben in seinem Ausweispapier (wer wird schon am 1.1, geboren) zufrieden gegeben hat.

Safwan Eid hat in seinen Einlassungen auch keine wesentlichen entlastenden Umstände verschwiegen. Er hat von sich aus berichtet, wie er bekleidet gewesen sei und hat damit den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit gegeben, seine Kleidung auf verdächtige Spuren hin zu untersuchen. Die StA hat in ihrem Schlußvortrag, im krassen Widerspruch zur Aktenlage, die falsche Behauptung aufgestellt, Safwan Eid habe sich des Kaftans entledigt. und zwar dadurch, daß er ihn in einen weit vom Krankenhaus entfernt befindlichen Müllcontainer befördert habe.

In der Beweisaufnahme sind Zeugen nur zu der Frage gehört worden, daß der Kaftan im Preßcontainer des Krankenhauses sichergestellt wurde. Wie es zu dieser Sicherstellung kam, wissen alle Verfahrensbeteiligten aus der Akte - ich verweise auf Band III, Bl. 179 - sehr genau. Ohne das ausgeübte Zeugnisverweigerungsrecht umgehen zu müssen, weise ich unter Hinzuziehung des insoweit zweifelsfreien Akteninhalts darauf hin, daß ein Vermerk des Kriminalbeamten Kruse vom 21.1.1996 existiert, in dem berichtet wird, er habe sich zu anderen Zwecken im Priwallkrankenhaus aufgehalten, als er von einem Bruder Safwan Eids angesprochen und darauf hingewiesen worden sei, daß man im Krankenhaus neue Kleidung erhalten habe, daß die getragene Kleidung stark nach Rauch gerochen habe und deshalb von ihm, dem Bruder, in Plastiktüten verpackt, in den Müllcontainer am Eingang des Krankenhauses verbracht worden seien. Kruse hat dann weiter vermerkt, seine Nachforschungen hätten ergeben, daß der Inhalt des Müllcontainers von Angestellten des Krankenhauses in den Preßcontainer vebracht worden sei. Offenkundig hatte der Bruder von Safwan Eid den Beamten auf die Kleidung angesprochen, um dazu beizutragen, die Unschuld nachzuweisen,

Dr. Böckenhauer, hieß es in dem von Ihnen zu Beginn der Hauptverhandlung veröffentlichen taz-lnterview nicht, Sie hätten Ihren Beruf gewechselt, weil Sie nicht die Unwahrheit sagen könnten?

Safwan Eid hatte nach dem Brandanschlag, den Andere begangen haben, nichts an sich, dessen er sich hätte entledigen müssen. Der Kaftan und die daran offenkundig fehlenden Brandstifterspuren sind vielmehr ein weiterer Baustein zum Nachweis der Unschuld unseres Mandanten. So und nicht anders ist der Komplex, "Kaftan" zu bewerten. Ihre Methode, mittels nachweislich falscher Behauptungen weiter Verdacht zu schüren, desavouiert sich von selbst.

Zurück zum Bemühen von Safwan Eid, seine Unschuld nachzuweisen.
Nicht nur, daß er keine wesentlichen entlastenden Umstände verschwiegen hat. Er hat sich zudem für alle Ermittlungshandlungen, auch solche, die offenkundig rechtswidrig waren wie die Erörterung der Niederschriften der Abhörprotokolle, zur Verfügung gestellt. In dem verzweifelten Bemühen, seine Unschuld zu beweisen, wo es ohnehin Beweise für eine Schuld nicht gab, hätte er sich vermutlich, er war seinerzeit anwaltlich nicht fachgerecht beraten, auch auf einen Lügendetektor eingelassen, wäre ihm ein solcher angesonnen worden. Safwan Eid, dieser damals jugendliche Heranwachsende, der in seinem Leben gelernt hat, sich in drei Sprachen zu verständigen, ohne auch nur eine systematisch erlernt zu haben, der weder im Libanon noch in der Bundesrepublik zuhause ist, dessen Aufenthaltsstatus ungeklärt war und ungeklärt ist, der bar jeder Kenntnis von Beschuldigtenrechten war, dieser junge Mann hat alles getan, was von ihm verlangt wurde. Nur dem Ansinnen, ein falsches Geständnis abzulegen, hat er sich verweigert, kontinuierlich und standfest, seiner Unschuld und seines guten Gewissens sicher. Er hat sich auch rechtsmedizinisch untersuchen lassen und damit einen wesentlichen. ihn entlastenden Umstand (Feststellung typischer Brandopfer- und gerade nicht Brandstifterspuren) mit zutage gefördert. Daß die Staatsanwaltschaft all seine Bemühungen, seine Unschuld nachzuweisen, ignoriert hat, ist nicht Safwan Eid, sondern den Ermittlungsbehörden anzulasten.

Sie, sehr geehrte Laienrichter, werden über den gestellten Entschädigungsanspruch entscheiden müssen. Sie können aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpfen, Sie werden die Einlassung unseres Mandanten, auch wenn sie schon lange zurück liegt, noch in Erinnerung haben. Wenn Sie ergänzend, soweit es um den Entschädigungsanspruch geht und kein Verwertungsverbot besteht, die Vernehmungsprotokolle hinzuziehen, wird Ihnen vor Augen geführt werden, wie glaubwürdig dieser junge Mann sich verteidigt hat, wie verzweifelt er versucht hat, die Vernehmungsbeamten von seiner Unschuld zu überzeugen. wie resigniert er war, als er feststellen mußte, daß man ihm - trotz all seiner Bemühungen - nicht glaubt und wie felsenfest sicher er war, daß sich irgendwann seine Unschuld erweisen würde.

Dies alles hat er in einer Vernehmung in dem Satz zusammengefaßt: ich werde noch verrückt.

Bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung, daß es mit der Feststellung der Entschädigungspflicht nicht um die mehr symbolischen DM 20,- geht, die pro Tag Untersuchungshaft beanspruchen kann, wem zu Unrecht die Freiheit entzogen wurde. Für unseren Mandanten geht es um volle Rehabilitierung, geht es darum, daß allseits klargestellt wird: Safwan Eid hat den Brandanschlag am 18.1.1996 nicht begangen.

Rufen Sie sich vor Ihrer Entscheidung das Video über die Brandnacht ins Gedächtnis zurück. Berücksichtigen Sie, wie Safwan Eid in der Hauptverhandlung vor Zeugen geschildert wird, als Freund der Kinder Makodila, als großer Bruder von Rabia El Omari und George Alias, als ausgleichender Faktor, wenn es Komplikationen gab, als der junge Mann aus dem 3. Stock, der sich gern mit Autos beschäftigte und der am 18.1.1996 zwischen drei Uhr und 4 Uhr auf dem Dachsims des Hauses Hafenstr. 52 - wie alle anderen auch - unglaubliche Angst ausgestanden hat. Die StA hat in der Beweisaufnahme gemeint, aus dieser Angst den Vorwurf der Feigheit ableiten zu können: ich will sie nicht sehen, die Herren Staatsanwälte, in schwindelnder Höhe auf einem knapp 10 cm breiten Dachsims mit drei Stockwerken und einem Flammeninferno unter sich. Stellen Sie sich diesen Jungen vor und fragen Sie sich, ob auch nur der Verdacht, er könne ein Haus mit sich, seiner Familie, seinen Freunden und Nachbarn angezündet haben, um sich an einer Person X zu rächen, mit der er keinen Streit hatte, weil er mit niemanden Streit hatte, begründet sein kann. Denken Sie einfach nach.

Unter dem Gesichtspunkt der Entschädigungspflicht bleibt festzuhalten, daß Versagungsgründe iSd § 6 StrEG weder auf der Grundlage des Akteninhalts noch aus den Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung, die in die gerichtlichen Tatsachenfeststellungen münden werden, festzustellen sind.

Zur 3. Und letzten Frage: Ist eine Entschädigung ausgeschlossen, weil und soweit Safwan Eid die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben könnte?

"Die Vorschrift des § 5 II StrEG beruht auf dem Rechtsgedanken des § 254 BGB" (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, A 5 StrEG, § 5 Rdziff. 7), zu prüfen ist also, ob der Beschuldigte die gegen ihn gerichtete Strafverfolgungsmaßnahme verursacht oder mit verursacht hat. Da das Gesetz den Kreis der Verhaltensweisen nicht beschränkt, "kommt es nicht darauf an, ob die für die Strafverfolgungsmaßnahme ursächliche Handlung des Beschuldigten der Tat vorausging, in ihr selbst liegt oder aber der Tat erst nachfolgt" (OLG Stuttgart. Beschluß vom 13.7.1981, NSTZ 81,484). Wird eine die Strafverfolgungsmaßnahme verursachende oder mit verursachende Handlung des Beschuldigten festgestellt. ist weiter zu prüfen. ob die kausalitätsbegründende Handlung des Beschuldigten ihm vorwerfbar, d.h. vorsätzlich oder grob fahrlässig, zuzurechnen ist. Aus der juristischen Sprache in Umgangssprache übersetzt, heißt das:

Es muß geprüft werden, ob Safwan Eid durch irgendeine eigene Handlung, die auch vor oder nach dem Brandanschlag, den er nicht begangen hat geschehen sein kann, vorwerfbar eine Ursache dafür gesetzt hat, daß er am 19.1.1996 von den Beamten Dörling, Dzatkowski, u.a., unter dem falschen Vorwand, es gebe noch Nachfragen wegen des Brandes (II, 27) aus seiner vorläufigen Unterkunft zum Behördenhaus verbracht und dort vorläufig festgenommen wurde, daß der Ermittlungsrichter am AG Lübeck, am 20.1.1996 (11,122) Haftbefehl gegen ihn erlassen hat, daß der Ermittlungsrichter am AG Lübeck, am 20.3.1996 den Haftbefehl vom 20.1.1996 aufgehoben und durch den neuen Haftbefehl vom 20.3.1996 ersetzt hat (VI, 137,138), daß der Ermittlungsrichter am 10.4.1996 durch Beschluß der eingelegten Haftbeschwerde nicht abgeholfen hat (VI, 185) und die I. große Strafkammer des LG Lübeck durch Beschluß vom 26.4.1996 die Haftbeschwerde verworfen hat (VII, 181).

Als eine solche Handlung im Sinne des Ausschlußtatbestand kommt nur die angebliche Äußerung unseres Mandanten gegenüber Leonhardt in Betracht. Diese, von Leonhardt behauptete Äußerung hat es nach der sicheren Überzeugung der Verteidigung nicht gegeben. Die vom Gericht zutreffenden tatsächlichen Feststellungen können daher eine Handlung im Sinne des § 5 lt. nicht beinhalten. Damit ist § 5 II StreG praktisch erledigt.

Gestatten Sie mir gleichwohl, den Ausschlußtatbestand des § 5 Abs.2 StrEG etwas genauer zu untersuchen, weil argumentiert werden könnte, schließlich auf die Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden bei Erlaß des Haftbefehls abzustellen und zu diesem Zeitpunkt habe Leonhardts Aussage existiert.

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen zunächst aus dem Schlußvortrag von RA Haage in Erinnerung zu rufen, daß seiner Ansicht nach jeder Richter hier beim Amtsgericht Lübeck auf Grundlage der Aussage Leonhardt verurteilen würde, ohne nachzudenken. An diesem Punkt kann die Verteidigung RA Haage die Zustimmung nicht ganz versagen. So könnte es wohl tatsächlich im Frühjahr 1996 gewesen sein, als die Lübecker Ermittlungsrichter und drei Richter des Landgerichts Untersuchungshaft gegen Safwan Eid anordneten bzw. Fortdauer der Untersuchungshaft verfügten.

Nachgedacht hat erst die II. Große Strafkammer, bevor sie durch Beschluß vom 2.7.1996 den Haftbefehl gegen Safwan Eid aufhoben.

Um beurteilen zu können, ob Safwan Eid an der gegen ihn angeordneten und vollzogenen Untersuchungshaft in irgendeiner Weise mit schuldig ist, ist - ich sagte es eingangs - darauf abzustellen, "wie sich der Sachverhalt den Strafverfolgungsbehörden zu der Zeit darstellte, als die Maßnahmen (gemeint ist die U-Haft) angeordnet und aufrechterhalten wurden" (OLG Düsseldorf, Beschluß vom 29,5.1991, NJW 1992,326). Allerdings ist ein Verhalten des Beschuldigten dann nicht oder dann nicht mehr ursächlich, wenn die Strafverfolgungsmaßnahme allein oder überwiegend aufgrund "eines groben Bearbeitungsfehlers der Strafverfolgungsbehörden angeordnet, vollzogen und aufrechterhalten worden ist, insbesondere bei abwegiger oder schlechthin unvertretbarer Beweiswürdigung oder rechtsfehlerhafter Verfahrensweise, die bei sorgfältiger Prüfung ohne weiteres erkennbar war" (Kleinknecht/Meyer-Goßner. StPO, StrEG, § 5 Rd:Ziff. 7; OLG Hamm, MDR 75,167; OLG Hamm, MDR 84,253).

Um einen unanfechtbarer, über jeden Zweifel erhabenen Prüfungsmaßstab zur Verfügung zu haben, sei ergänzend das Bundesverfassungsgericht zitiert, das in einem Beschluß vom 12.9.1995 (NJW 1996,1049) ausgeführt hat:

"In der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ist geklärt, daß bei gerichtlichen Entscheidungen ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 1 GG nicht schon dann vorliegt, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Hinzukommen muß vielmehr, daß diese bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich deshalb der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhen (...).Ist eine Entscheidung derart unverständlich, daß sie sachlich schlechthin unhaltbar ist, ist sie objektiv willkürlich. Ohne daß es auf subjektive Umstände und ein Verschulden des Gerichts ankäme, stellte eine derartige Entscheidung einen Verstoß gegen das aus Art. 3 1 GG abzuleitende Verbot dar, offensichtlich unsachliche Erwägungen zur Grundlage einer staatlichen Entscheidung zu machen".

Betrachten wir anhand dieser Kriterien zum einen. wie die Haftbefehle und Haftfortdauerbeschlüsse begründet waren, betrachten wir zum anderen, wie sich der Sachverhalt nach Aktenlage zum maßgeblichen Zeitpunkt darstellte, als die Strafverfolgungsmaßnahmen beschlossen bzw. ihre Fortdauer angeordnet wurden.

Erster maßgeblicher Zeitpunkt ist die vorläufige Festnahme am 19.1.1996, 21 bis 22 Uhr.

Bekannt war, daß am 18.1.1996 gegen 3.42 die ersten Notrufe, einer unter namentlicher Nennung des Bruders von Safwan Eid (Ahmed Eid) eingegangen waren (Band 1, Bl. 2). Bekannt war weiter. daß Metterhausen gegenüber dem brennenden Haus, auf der Freifläche zwischen Schuppen 15 und 16, einen Wartburg und drei Personen, die sich als Maik Müller, Rene Burmeister und Heiko Patynowski ausgaben. angetroffen hatte (1,2), Ob das Zusammentreffen zwischen Metterhausen und den drei Jugendlichen beim Eintreffen von Metterhausen (so die Aktenlage) oder später (so Metterhausen in der Hauptverhandlung) geschah, ist für die hier zu beurteilenden Fragen ohne Bedeutung.

Der schon am Brandhaus festgestellte Wartburg GVM - 2 130 war seit dem 18.1.1996, vormittags, sichergestellt (1, 14) und stand für eine kriminaltechnische Untersuchung zur Verfügung. Es hätte ohne weiteres festgestellt werden können, ob sich in diesem PKW Kanister mit Inhalt, ggfs. welchem, befanden, es hätte festgestellt werden können. ob sonstige, auf die Beteiligung an dem Brandanschlag hinweisende Beweismittel im Wartburg vorhanden waren.

Burmeister, Wotenow und Patynowski waren am 18.1.1996 zwischen 7 und 8Uhr morgens vorläufig festgenommen worden (1.14) und machten zu ihren Aufenthaltsorten und Handlungen während der Brandnacht widersprüchliche Angaben (1, 24; 1,36; 1) 42:1, 49; 1, 69; 1,79). Die Beamten Döring, Dzatkowski, hätten vor der vorläufigen Festnahme unseres Mandanten in den Niederschriften der Vernehmungen von Burmeister, Wotenow und Patynowski außerdem lesen können:

Burmeister am 18.1.1996, zwischen 11 und 15.30 Uhr (I, 23 ff, 24):"Ich bin völlig neutral und habe nichts gegen Juden, Neger, Ausländer oder auch Wessis.

Burmeister am 18.1.1996, ab 21,1 0 Uhr (I, 36 ff, 38):" Heiko hat gesagt, daß er das Scheiße findet, daß man so was macht (...) Heiko sagte, wegen der Rechten, das die sowas machen und deutsches Gut versauen"

Heiko Patynowski am 18+1,1996 ab 21.15 (1,49 ff, 57): " Man merkt doch deutlich, daß der Wotenow eine echt rechte Einstellung hat. So ist es am gestrigen Tage auch gewesen. als wir ihn von seiner Wohnung abholten. Er hat in der Eingangstür bei unserem Erscheinen die Hacken zusammengeknallt und den Hitler-Gruß ausgeführt.( ...) Der Wotenow bestand darauf, daß wir Musik der Band "Böhse Onkelz" hören sollten Von Maik Wotenow liest man am 18.1.1996 ab 11.50 (I, 69 ff, 76) auf die Frage, warum er gegenüber Metterhausen falsche Personalien angegeben habe:

"Das mache ich immer so"
(Da nimmt sich die falsche Angabe des Geburtstages durch Safwan Eid recht harmlos aus)

und am 18.1.1996 ab 21.46 (1,79): "daß ich in meiner ersten Vernehmung teilweise bewußt die Unwahrheit gesagt habe und Teile bewußt verschwiegen habe" (Vergleichbare Äußerungen finden sich in den Beschuldigtenvernehmungen Safwan Eids nicht)

schließlich angesprochen auf Verbrennungen an den Augenbrauen erzählte:

"Am Sonntag, den 14.1.1996, habe ich - zusammen mit Wuschel - bei uns auf dem Hof versucht, einen Hund aus unserer Nachbarschaft zu ärgern. (...) Als ich längere Zeit den Sprühknopf gedruckt hielt, zündete ich mit dem Feuerzeug den Sprühstrahl an, wobei es zu einer größeren Stichflamme kam. Hierbei verbrannte ich mir die Augenbrauen und auch Teile meines Kopfhaares, was ich aber zwischenzeitlich wieder herausgekämmt habe, Zu diesem Vorgang müßte Wuschel hier eine Aussage machen können".

(Können Sie sich vorstellen, wie die StA reagiert hätte, wenn Safwan Eid vergleichbares zu seinen Ohrverletzungen erklärt hätte?)

Dirk Techentin, genannt Wuschel, festgenommen am 18.1.1996, 22.20 Uhr (1, 1 00 1) wird zwar vernommen (1, 102 ff). In der Niederschrift seiner Vernehmung findet sich aber keine Frage dazu, ob er gemeinsam mit Wotenow versucht habe, einen Hund zu verbrennen. Nachzulesen war aber am 18.1. bzw. 19.1.1996, daß "einige aus der Gruppe dann auch mal Ausländer verprügelt" (1, 104) haben oder "auch in Rostock dabei" (1,104) waren, daß er selbst "bis ende 1993 als Rechter in Grevesmühlen unterwegs" (1, 104) war, daß er "schon bei der Festnahme in Grevesmühlen" (1, 104) gewußt habe, "daß es um den Brandanschlag in Lübeck geht" (1,104), daß Wotenow "rechts nicht radikal, nur rechts" (1, 105) ist, daß er, Wotenow, "geäußert hat, Ausländer raus" (1,105), daß "der Kleine" (1, 109), damit meine er Maik, ihm "in der Nacht etwas von diesem Feuer erzählt hatte" (1, 109), daß er, Techentin. "plötzlich das Gefühl" hatte, "daß die drei das angesteckt haben könnten" (1, 109)

Die Ermittlungsbehörden hatten noch in den späten Abendstunden des 18.1.1996 eine rechtsmedizinische Untersuchung der vier Grevesmühlener Tatverdächtigen veranlaßt, deren Ergebnis allen Kriminalbeamten, die mit dem Brandanschlag Hafenstraße befaßt waren, bekannt war oder hätte bekannt sein müssen: Frische Versengungen bei dreien von ihnen an vorderen Kopfhaaren, Augenbrauen und Wimpern, typische Brandstifterspuren.

Heute wissen wir, daß diese Spuren, gesichert von Frau. Dr. Gerling, sich in den Räumen der Kriminalpolizei verflüchtigten.

Die Kriminalbeamten, die am 19.1 £1996 Safwan Eid unter dem Vorwurf, den Brandanschlag in der Hafenstraße 52 begangen zu haben, vorläufig festnahmen, hätten in der Akte eine Aussage von Marcel Rux vom 18.1.1996,19.45  Uhr, lesen können, in der es heißt (1, 97 ff, 98):

"So vor ungefähr 14 Tagen habe ich den Maik Wotenow in Laage getroffen. Wir haben uns unterhalten. Bei dem Gespräch hat der Maik mir gegenüber geäußert, daß er in Lübeck was anstecken will oder was angesteckt hat. Das weiß ich nicht mehr so genau. Ich habe ihm das nicht geglaubt Ich werde hier von den mich vernehmenden Beamten nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich hier die Wahrheit sagen muß. Es stimmt wirklich, daß der Maik Wotenow mir vor ungefähr 14 Tagen gegenüber geäußert hat, daß er in Lübeck was angesteckt hat oder anstecken will.''

(Wie bewerten Sie diese Angaben im Vergleich zu denen von Leonhardt?)

und (1, 99):
"Maik Wotenow hatte auch immer erzählt, daß Adolf Hitler sein Urgroßvater sei. Weiterhin hatte er sich selbst den Spitznamen "Klein Adolf" gegeben und wollte auch so genannt werden und wurde von einigen Leuten auch so genannt', schließlich daß Maik Wotenow damals "in seinem Zimmer eine Reichskriegsflagge (...) und mehrere Bücher von der 55" hatte und "auf seiner Jacke einen Aufnäher mit Deutschland und darunter per Hand geschrieben "Sieg Heil" (1.99)

Zurückkehrend zum Brandgeschehen, hätten die Kriminalbeamten lesen können, daß in der Niederschrift einer Vernehmung von Kerstin Bibow vom 15.1.1996 zu finden ist (1, 90ff, 93):

"Maik erzählte mir, daß er mit einem Typen, wahrscheinlich ist damit aber der Burmeister gemeint, durch die Stadt gelaufen war. Sie waren dann an das Feuer gekommen. Sie haben dann noch gesehen, daß dort bei dem Feuer unten auf dem Boden jemand gelegen hat, der noch brannte".

War es zuviel verlangt, den Beamten abzuverlangen, darüber nachzudenken, wer überhaupt nur brennend auf dem Boden gelegen haben kann? War es Safwan Eid vorzuwerfen, daß er, anders als die tatsächlich Tatverdächtigen, keine typischen Brandstifterspuren aufgewiesen hätte, wenn er noch am 19.1.1996 rechtsmedizinisch untersucht worden wäre und keine aufwies, als er am 20.1.1996 rechtsmedizinisch untersucht wurde?

Hat Safwan Eid irgendwelche Ursachen dafür gesetzt, daß die Kriminalbeamten den Wartburg nicht kriminaltechnisch untersucht haben? Safwan Eid hat die Kriminalpolizei nicht angestiftet, die Haarproben mit den damals frischen Versengungen in Verlust geraten zu lassen.

Ist es das Verschulden von Safwan Eid, daß die Kleidung der Grevesmühlener zwar am 18.1.1996 sichergestellt, aber nicht kriminaltechnisch untersucht wurde? Oder fürchtete man etwa Spuren von Brandlegungsmitteln?

Können Kriminalbeamte, auf der Suche nach den Tätern eines verabscheuungswürdigen Brandanschlags zum Nachteil von 50 Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, nicht kombinieren, daß rechtsradikale und ausländerfeindliche Gesinnung ein Motiv sein könnte? Sind Mölln, Solingen, Rostock und andere deutsche Orte. wo Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit leben und Angst haben müssen, nicht in das Bewußtsein der Herren Dörling, Dzatkowski u.a. gedrungen?

Nein, was nicht sein darf, das nicht sein kann. Es ist nicht überraschend, daß sich nach Aktenlage und in der HV niemand gefunden hat, der für die Entlassung der GVMler verantwortlich sein möchte.

Die Staatsanwaltschaft wird einwenden, die Grevesmühlener hatten ein Alibi gehabt denn am 18.1.1996, 13.32 Uhr, sei bei der Kripo ein Fax eingegangen, in dem der Polizeibeamte Borkowsky aus Neustadt mitgeteilt habe, gegen 3.30 Uhr am 18.1.1996 habe er bei seiner Streifenfahrt einen Wartburg mit drei jüngeren männlichen Personen an der Shell-Tankstelle gesehen, wo nach eigenen Angaben auch die Grevesmühlener sich aufgehalten haben wollen. Nachdem er um 3.40 über Funk den Auftrag, zur Hafenstraße zu fahren, erhalten habe, habe er auf der Anfahrt zur Hafenstraße vor der Hubbrücke den Wartburg überholt. wobei er nun das GVM-Kennzeichen habe ablesen können (1.1 1 4, 115). Beschreiben könne er die jungen Männer nicht, wiedererkennen würde er sie auch nicht (1, 15).

Der Polizeibeamte Borkowsky äußerte sich vorsichtig. Am Nachmittag, so hätte man am 19.1.1996 in seinem Fax lesen können, habe er im Fernsehen erfahren, daß 3 junge Männer aus Grevesmühlen in unmittelbarer Nähe des Brandortes festgestellt worden seien. Hierbei "könnte es sich um die Personen in dem Wartburg handeln" (1.115).

Eine weitere Vernehmung von Borkowsky erfolgte nicht. Er wurde weder gebeten, die Personen zu beschreiben noch wurde er gebeten, den Wartburg zu beschreiben, Eine Wahlgegenüberstellung erfolgte nicht. eine Vorlage von Lichtbildern des PKW ebenso wenig. Die Kopie einer Kassenrollendurchschrift, nach der um 3.195 Liter Mix und eine Literflasche Cola an der Shelltankstelle gekauft wurden (1,116,117) und die Bekundungen des Tankstellenangestellten, daß tatsächlich in der Nacht ein Wartburg mit GVM-Kennzeichen, besetzt mit drei Personen, von denen er eine Beschreibung gab, auf dem Tankstellengelände gewesen seien (1,121 ff 123), reichten aus, um mögliches Motiv, festgestellte typische Brandstifterspuren, Anwesenheit am Tatort, mehr oder weniger deutliche Anschlagsdrohungen und mehr als verräterische Wahrnehmungen am Tatort (den auf dem Boden liegenden brennenden Körper) beiseite zu wischen. Selbstverständlich wurde darauf verzichtet, dem Tankstellenangestellten die Grevesmühlener gegenüberzustellen oder ihm den sichergestellten Wartburg zu zeigen.

Aber stellen Sie sich einmal vor, Safwan Eid hätte am 18.1.1996 um 3.19 an der fraglichen Shell-Tankstelle 5 Liter Mix gekauft. Es erfordert nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, was geschehen wäre.

Zugegeben, die Grevesmühlener hatten bis zu ihrer Entlassung aus dem Polizeigewahrsam jedenfalls gegenüber den Ermittlungsbehörden kein Geständnis abgelegt, aber ein Geständnis hatte Safwan Eid am 19.1.1996 in seinen Beschuldigtenvernehmungen und in der Folgezeit auch nicht abgelegt, konnte er auch nicht. es sei denn, er hätte ein falsches Geständnis gemacht. Was führte dazu, daß die mit den typischen Brandstifterspuren und einem nachgewiesenen Einkauf von Mix an der Tankstelle vor Entdeckung des Brandes freigelassen, während unser Mandant mit den typischen Brandopferspuren, die als solche hätten erkannt werden können, wenn es gewollt gewesen wäre, vorläufig festgenommen wurde?

Leonhardt, der Rettungssanitäter, der selbstlose Helfer, der, der geweint hat, weil er nicht helfen konnte, der es als Horror empfindet, hilfloser Helfer zu sein (Stern, 16/97, 5. 122 ff, 124), hat geholfen. Am 19.1.1996 ab 17 Uhr (11,12 ff) hat er Herrn Dörling bekannt gegeben, er habe mit Safwan Eid nach dem Brand, wo, will ich jetzt dahinstehen lassen. gesprochen. Safwan habe ihm gesagt. "Wir warns." "Er sagte mir, daß sie Streit mit einem Familienvater hatte. Er sagte: "Wir wollten uns dafür rächen, und dann haben wir ihm Benzin an die Tür gekippt. angezündet und dann ist das brennend die Treppe runtergelaufen und mit einem Mal stand die Treppe in Flammen" (11,15).

Sicher, eine solche Aussage gab Veranlassung, nachzufragen, Safwan Eid nach seiner Zeugenvernehmung vom 18.1.1996 erneut zu vernehmen, auch als Beschuldigten. Die von Kleinigkeiten abgesehen widerspruchsfreien Aussagen Safwan Eids sind bekannt.

Fest stand, daß viele Menschen von der Feuerwehr vom Dach gerettet wurden. es wäre ohne weiteres möglich gewesen, die Feuerwehr zu befragen, ob auch Safwan Eid vom flach gerettet wurde, wie er es geschildert hat. Die Akte weist nicht daraufhin, daß versucht worden wäre, noch in der Nacht hierüber Klarheit zu schaffen. Und was ist mit dem Alibi? Schon in seiner Zeugenvernehmung am 18.1.1996 hatte Safwan Eid erklärt, er sei durch den Feuermelder und die Familie Alias geweckt worden (11,9). Wäre es nicht möglich gewesen, noch am 19.1.1996 Frau Alias zu befragen, ob sie an die Wand zum Zimmer der Brüder Eid geklopft habe, ob sie von dort Reaktionen gehört habe, ob Safwan Eid und seine Brüder geholfen hätten, sie und ihre Kinder auf das Dach zu bekommen. Nein, solche Bemühungen, die Angaben Safwan Eids auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, ehe man ihn vorläufig festnimmt, sucht man in der Akte vergeblich.

Die Aussage Leonhardts gab sicher auch Veranlassung, Safwan Eid rechtsmedizinisch untersuchen zu lassen. Aus Gründen, die nach Aktenlage nicht nachvollziehbar sind, allerdings die Vermutung nahelegen, daß bei Verbringen von Safwan Eid von seiner Unterkunft zum Behördenhaus am 19.1.1996 seine Festnahme schon beschlossene Sache war, gleichgültig, wie er sich verteidigen würde, wurde seine rechtsmedizinische Untersuchung erst am 20.1,1996 veranlaßt. Selbstverständlich hätte sie schon am 19.1.1996 veranlaßt und einen wesentlichen Beitrag zum Nachweis seiner Unschuld erbringen können. Aber Unschuld eines Hausbewohners schien am 19.1.1996 und in der Folgezeit nicht gefragt.

Ich will zugrunde legen, daß die Kriminalbeamten am 19.1.1996, die Schilderung Leonhardts für sich betrachtet, nicht auf den ersten Blick Anhaltspunkte dafür sehen mußten, daß Leonhardt ihnen eine erfundene Geschichte erzählt habe. Es wäre aber ihre Pflicht gewesen, die Richtigkeit, aber auch die Plausibilität seiner Behauptungen zu überprüfen, insbesondere die anderen bis dahin vorliegenden Erkenntnisse hinzuziehen und mit Leonhardts Aussage abzugleichen sowie die Einlassung des Beschuldigten zu überprüfen, ehe Safwan Eid die Freiheit entzogen wurde.

Hätte nicht in Betracht gezogen werden müssen, daß jemand. der gerade dem Inferno der Flammen entkommen ist, jemand, der schlechtes Deutsch spricht, jemand, der seine Worte mangels Kenntnis der Sprache und wegen der außergewöhnlichen Situation keineswegs wohl gesetzt formuliert, sich möglicherweise in der Grammatik verhaspelt hat?

Hätte nicht berücksichtigt werden müssen, daß Leonhardt sich verhört haben kann, daß Mißverständnisse wegen der besonderen Situation nicht auszuschließen sind ? Lag es fern, daß Leonhardt - immerhin hatte er sich nicht sofort bei den anwesenden Polizisten gemeldet - sich wichtig machen wollte oder eigene oder fremde Interessen verfolgte?

Gesetzt den Fall, das erkennende Gericht wurde entsprechend dem Begehren der StA was die Verteidigung nicht erwartet, feststellen, das Gespräch zwischen Leonhardt und unserem Mandanten habe sich so abgespielt, wie Leonhardt es geschildert habe, könnte dann angenommen werden, Safwan Eid habe seine vorläufige Festnahme durch die Äußerungen gegenüber dem Rettungssanitäter vorsätzlich oder grob fahrlässig selbst verursacht oder mit verursacht?

Keineswegs.
Denn der gebotene Abgleich der Schilderung Leonhardts mit den sonstigen, schon vorliegenden Erkenntnissen ergab, daß der Brand so, wie Leonhardt es geschildert hatte, nicht entstanden sein konnte, Schon am 19.1.1996 war bekannt, daß Dr. Herdejürgen und die Spurensicherung dort, wo sie den Brandherd vermuteten, keine Spuren von Benzin hatten finden können. Bekannt war auch, daß die Treppe vom vermuteten Brandherd im 1. Stock zum Erdgeschoß aus Stein war und nicht brennen konnte. Bekannt war schließlich, daß am vermuteten Brandausbruchsort keine Tür war. Alle diese Erkenntnisse widersprachen dem, was Leonhardt als vermeintlich gehörte Schilderung unseres Mandanten berichtet hatte.

Auch das behauptete Motiv - Streit zwischen Safwan Eid und einem Familienvater war nach Aktenlage am 19.1.1996 - wie später auch - weit und breit nicht zu erkennen. Ohne das ordnungsgemäße Zustandekommen jeder einzelnen Befragungsniederschrift behaupten zu wollen, hätte man jedenfalls als Angabe Marie Agonglovis vom 19.1.1996(111,14 ff 15,16) lesen können, daß sie keinen Streit mit irgend jemand im Haus hatte und ihr auch sonst nichts von Streit unter den Hausbewohnern bekannt war, Man hatte als Ergebnis einer Befragung von Frau Alias vom 19.1.1996 (III, 38 f) lesen können, alle Hausbewohner hätten sich gut verstanden, es habe keine Auseinandersetzungen gegeben, man sei eine Familie gewesen.

Aus einem Vermerk über eine Befragung von Frau Davidson am 19.1.1996 (111,131 f) hätte sich derselbe Befund ergeben: keine Streitigkeiten, gut befreundet, ebenso in der Vernehmung von Herrn Katuta am 18.1.1996 (III, 329 ff. 335), letztendlich auch in der Vernehmung von Gustave Sossou vom 19.1.1996(III, 435 ), der bekundet hat, wenn es überhaupt Streitigkeiten unter den Leuten gegeben habe, so seien es nur Streitigkeiten unter Kindern gewesen.

Zweifel am ordnungsgemäßen Zustandekommen dieser Angaben und damit auch an der inhaltlichen Richtigkeit hätte man durch Hinzuziehung eines sprachkundigen und vereidigten Dolmetschers, ggfs. auch durch staatsanwaltschaftliche oder richterliche Vernehmungen beseitigen können,

Danach steht fest:
Es lag bereits am 19.1.1996 klar auf der Hand, daß der Brand nicht so entstanden sein konnte, wie dies Leonhardts Aussage nahelegen sollte. Die Sachbehandlung des Verfahrens gegen Safwan Eid erweckt bis hierhin den Eindruck, als sei der Kriminalpolizei der Abgleich einer Zeugenaussagen mit anderen vorliegenden Erkenntnissen fremd gewesen, als sei für sie fernliegend, vermeintliche Angaben zum Tatgeschehen vom Hörensagen mit den Gegebenheiten am Geschehensort abzugleichen, als sei ihr völlig unbekannt, daß Einlassungen von jemand, der zum Beschuldigten auserkoren wurde, auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden könnten und als habe sie objektiv feststehende entlastende Spuren völlig ausgeblendet. Dieser Eindruck könnte entstehen, wüßte man nicht, daß in demselben Ermittlungsverfahren gegenüber den Grevesmühlenern exakt umgekehrt verfahren wurde. Hier hatte man sich um Überprüfung der Richtigkeit der wechselnden Einlassungen bemüht, hier hatte man statt der objektiv entlastenden die objektiv belastende Spuren ausgeblendet, hier hatte man ein Beweismittel mit anderen Beweismitteln abgeglichen und über Lücken in der Beweisführung war man großzügig hinweggegangen.

Sollte es für eine solche Sachbehandlung sachgemäße Gründe gegeben haben? Ich kann keine erkennen wohl aber ein Bündel von sachfremden Gesichtspunkten, die eine Erklärung für das beschriebene procedere liefern könnten.

Ehe ich zu mutmaßen beginne, will ich zusammenfassen: Die vorläufige Festnahme unseres Mandanten am 19.1.1996 war nicht durch ihn selbst verursacht, Insbesondere seine angebliche, von ihm immer in Abrede genommene Äußerung gegenüber Leonhardt konnte die vorläufige Festnahme nicht rechtfertigen, weil bereits zu diesem Zeitpunkt die weiteren vorliegenden Beweismittel die inhaltliche Richtigkeit dieser Schilderung widerlegten. Hinzu kam, daß es andere Tatverdächtige gab, die anders als unser Mandant ein Motiv hatten, typische Brandstifterspuren. vom Hörensagen berichtete, auf eine mögliche Täterschaft hindeutende Äußerungen und ein mehr als löchriges Alibi.

Die vorläufige Festnahme war daher weder gerechtfertigt noch von Safwan Eid verursacht oder mit verursacht.

Nicht anders, nur leider erheblich gravierender im Sinne einer objektiv festzustellenden Willkürentscheidung verhält es sich mit dem Haftbefehl vom 20.1.1996, für den Dr. Böckenhauer die Vorlage geliefert hat.

An dieser Stelle muß noch einmal an den Schlußvortrag der StA erinnert werden und an ihre Erkenntnis, daß aus dem Satz "wir warn's" eine Täterschaft nicht zwingend gefolgert werden kann. War dies denn am 20.1.1996 anders? Konnte man aus demselben Satz auf eine große Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung als Täter, Mittäter oder Gehilfe schließen? Natürlich nicht.

Seziert man den Haftbefehl vom 20.1.1996 genauer, begreift man die große Not der Strafverfolgungsbehörden, als sie sich anschickten, mit der Aussage Leonhardts einen 10fachen Mordvorwurf gegen unseren Mandanten zu gestalten. Man begreift das Ausmaß dieser - wie es das BVerfG formuliert hat - "sachlich schlechthin unhaltbar(en). damit subjektiv willkürlich"(en) Entscheidung.

Tatzeit:
Als Tatzeit ist 3.30 Uhr angegeben. Als Beweismittel sind die Aussagen von Leonhardt und Meyer sowie "kriminaltechnische Untersuchungen" (II, 122) angegeben. Weder Leonhardt noch Meyer haben sich dazu geäußert. Insbesondere hat Leonhardt nicht angegeben, Safwan Eid habe erklärt, um 3.30 Uhr einen Brand gelegt zu haben. Die Kriminaltechnik hatte sich mitnichten dazu geäußert, daß der Brand um 3.30 Uhr gelegt worden sein müsse. Dies hat sie bis heute nicht getan. Fest stand nur die erste Notrufmeldung über die Entdeckung des Brandes, Wann der Brand gelegt wurde, ist bis heute unklar die Tatzeit wurde also erfunden, Warum? Um das löchrige Alibi der Grevesmühlener abzusichern? Das wäre sicher eine mehr als sachfremde Erwägung. Hat Safwan Eid diese erfundene Tatzeit vorwerfbar verursacht? Wohl kaum. Ist die Erfindung einer Tatzeit ein grober Bearbeitungsfehler ist Entscheidungen des OLG Hamm vom 26.9.83 (MDR 84,253) und vom 17.10.74 (MDR 75,167)? Ich habe keiner Zweifel. Hätte der Ermittlungsrichter, wenn er sich nur die Mühe gemacht hätte, nachzudenken und sich auch noch der Qual unterzogen hätte, die Akte zu lesen, die Erfindung als Erfindung erkennen müssen? Ohne weiteres.

Tatort:
Als Tatort ist die Wohnungstür des Gustave Sossou im ersten Stock des Hauses Hafenstraße 52 im Haftbefehl angegeben Dr. Herdejürgen hatte gegenüber Herrn Woboschil am 20,1.1996 mitgeteilt, an welchem Ort, den er später als Brandausbruchsort bezeichnete, er die stärksten Brandzehrungen wahrgenommen hat, nämlich im rechten Wohnungsflur des 1. OG, vor einer zum Küchenbereich führenden Trennwand. Eine Wohnungstür von Gustave Sossou befindet sich dort nicht, er bewohnte das letzte (in Rtg Fa. Brüggen gelegene) Zimmer, seine Wohnungstür befand sich gegenüber dem Küchenbereich, also an einem Ort, wo Dr. Herdejürgen mitnichten die stärksten Brandzehrungen wahrgenommen hatte.

Es sei eingeräumt, daß Dr. Böckenhauer und Ri a AG Böcher am 20.1 £1996 vielleicht keinen exakten Lageplan oder überhaupt keinen Lageplan vorliegen hatten. Entband sie dies von der Verpflichtung. mindestens durch Beweismittel abgesicherte Tatsachenbehauptungen in den Haftbefehl bzw. Haftbefehlsantrag aufzunehmen oder war es ihnen erlaubt, statt dessen unabgesicherte Behauptungen aufzustellen und zu suggerieren, sie könnten durch die Aussage L. u. KT nachgewiesen werden, auszuschmücken und zu ergänzen? Das BVerfG hat ausgeführt, daß "der für die Anordnung von Untersuchungshaft erforderliche dringende Tatverdacht" "nach allgemeiner Auffassung nur" vorliegt, "wenn aufgrund bestimmter Tatsachen eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat" (BVerfG, NiW 1996, 1050).

Grob fehlerhafte Sachbearbeitung? Zweifelsfrei.

Tatopfer:
Tatopfer ist nach Haftbefehlsantrag und Haftbefehl "Gustave Sossou, der Familienvater der dort wohnenden Familie". Wie und Warum Dr. Böckenhauer auf Gustave Sossou gekommen ist, erschließt sich aus der Akte nicht. Am vermeintlichen Tatort kann es. wie dargelegt, nicht gelegen haben.

Die im Haftbefehl angegebenen Beweismittel Leonhardt, die Kriminaltechnik und Nadine Meyer haben von Gustave Sossou mit keinem Wort gesprochen. Gustave Sossou als vermeintliches Tatopfer ist irgendjemandes Phantasie entsprungen. Und dies, obwohl Gustave Sossou am 18.1.1996 befragt (111,429) und am 19.1.1996(111,435) vernommen worden war und man nachlesen konnte daß im Haus Hafenstr. 52 keine Familie von ihm lebte. er auch nicht Vater einer dort lebenden Familie war. Der Befund ist: eine abwegige und schlechthin unvertretbare Würdigung der bis dahin vorliegenden Beweise, die bei sorgfältiger Prüfung ohne weiteres zu erkennen gewesen wäre, und zwar für alle Beteiligten.

Tatmittel:
Als Tatmittel ist Benzin angegeben. Davon hat Leonhardt gesprochen, allerdings hat die Kriminaltechnik Spuren von Benzin am vermeintlichen Brandausbruchsort nicht feststellen können, Bewertung: Mindestens mangelhafte Beweiswürdigung.

Tatfolge:
"Das Benzin ist brennend die Treppe hinunter und setzte sodann diese in Brand" (identisches Zitat aus Haftbefehlsantrag und Haftbefehl). Dies ist Wiedergabe der Aussage Leonhardts, allerdings in Form einer vorwerfbar unkritischen Übernahme, denn naturwissenschaftlich war ein solcher Geschehensablauf unmöglich und bei den örtlichen Gegebenheiten nicht denkbar. Eine Ortsbesichtigung oder ein Anruf bei 5V Herdejürgen hätten Abhilfe geschaffen. Wenn Abhilfe gewollt gewesen wäre. Befund: grob fehlerhafte Beweiswürdigung.

Tatmotiv:
"Der Beschuldigte, der Streit mit Gustave Sossou hatte," "goß sodann, um sich zu rächen" heißt es zum Motiv, erkennbar als partielle Wiedergabe der Aussage Leonhardts, allerdings mit gewissen Ergänzungen - Daß es zwischen Safwan Eid und Gustave Sossou entgegen Leonhardts Angaben keinen Streit gab, wußte man aber, Gustave Sossou hatte sich am 19,1.1996 zur Frage von Streit im Haus geäußert- Grob fehlerhafte Beweiswürdigung ist so etwas und sachlich schlechthin unhaltbar.

Ergebnis dieses Teils ist: Der Erlaß des Haftbefehls vom 20.1.1996 mit dem dargestellten Inhalt war rechtswidrig, unvertretbar und objektiv willkürlich.

Hätten es keine Erfindungen wie die oben beschriebenen gegeben, hätte man sich an Tatsachen gehalten, hätte man Beweise unvoreingenommen gewürdigt, anstatt ein Beweismittel zu berücksichtigen und alle anderen auszublenden, hätte man nicht spekuliert, sondern das vorhandene Aktenmaterial geprüft, wäre der Haftbefehl nicht erlassen worden.

Nicht anders verhält es sich mit dem Haftbefehl vom 20.3.1996, der wiederum nur auf Leonhardt, Nadine Meyer und die kriminaltechnischen Ermittlungsergebnisse als Beweismittel gestützt ist.

Daß es mit dem Haftbefehl vom 20.1,1996 gewisse Schwierigkeiten gegeben haben muß oder Bedenken aufgekommen waren, mag daraus entnommen werden, daß der Haftbefehl vom 20.1.1996 aufgehoben und durch den vom 20.3.1996 ersetzt wurde. Vergleicht man beide, ergibt sich:

Die Tatzeit wurde von 3.30 Uhr in "Ca 3.30 Uhr oder geraume Zeit zuvor" abgeändert. Der Tatort wurde von Wohnungstür des Gustave Sossou in "im Bereich des rechten Flures" modifiziert. Das Tatopfer war nicht mehr Gustav Sossou, sondern "einer der Hausbewohner" Das Tatmotiv blieb unverändert, das Tatmittel wurde von Benzin in "Benzin oder ein artverwandtes Brandlegungsmittel" abgeändert. Die Tatfolge (Benzin lief brennend die Treppe hinunter und setzte diese in Brand) entfiel, stattdessen wurde - ein- und erstmalig wirklichkeitsgetreu - festgehalten, daß der Brand sich auf das ganze Haus ausbreitete, das gegen 3.43  Uhr in Flammen stand.

Ändern diese Korrekturen die Bewertung? Nein, sie beweisen vielmehr die objektiv gegebene Willkür der Haftanordnung gegen den Mandanten Sie beweisen, daß unabgesicherte oder offenkundig falsche Tatsachenbehauptungen durch Beliebigkeit ersetzt wurden Sie beweisen, daß von einer großen Wahrscheinlichkeit, daß Safwan Eid Täter oder Teilnehmer einer Straftat gewesen sei, nicht im entferntesten gesprochen werden konnte und kann.

Sie beweisen, daß mit Leonhardt und seinem "wir warns" zu keinem Zeitpunkt der Vorwurf des Mordes oder der besonders schweren Brandstiftung erhoben werden konnte und durfte.

Wie wir im Schlußvortrag der StA hören mußten, wird noch immer nach demselben Muster gearbeitet: Ein Familienvater kehrte am 4.6.1997 als neues mögliches Tatopfer wieder, nur daß es jetzt nach der Hauptverhandlung nicht mehr Gustave Sossou, sondern der wegen unbekannten Aufenthaltes unerreichbare Emanuel Uwaila sein soll. Dr. Böckenhauer weiß: Weil Uwaila unbekannten Aufenthalts und nicht erreichbar ist, kann er nicht in öffentlicher Hauptverhandlung bekunden, was ohnehin jeder weiß: Er ist kein Familienvater, er hatte auch keinen Streit mit unserem Mandanten. Der Verdacht, das ist das Ziel, der Verdacht gegen Safwan Eid soll bleiben.

Die gerichtlichen Feststellungen und die Entschädigungsentscheidung geben die Möglichkeit, dem unwürdigen Treiben zulasten unseres Mandanten, der flagranten Rechtsverletzung des Nachkartens ein Ende zu setzen.

Lassen Sie mich mit einem kurzen Blick in die weiteren gerichtlichen Entscheidungen zur Haftfortdauer zum Ende der Begründung unseres Antrags auf Feststellung der Entschädigungspflicht kommen.

Im Beschluß des Ermittlungsrichters vom 10.4.1996 findet sich neben dem bereits widerlegten Satz, es bestünde kein Anlaß, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen Leonhardt zu zweifeln, und neben einem Hinweis auf eine angebliche Äußerung Bilal Eids aus den Abhörprotokollen, die nicht berücksichtigt werden darf aber auch damals Safwan Eid schlechterdings nicht zugerechnet werden konnte, die denkwürdige Bemerkung, nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen stehe fest, daß der Brand im ersten Stock ausgebrochen sei, so, wie es der Beschuldigte selbst dem Zeugen Leonhardt gegenüber erklärt habe (Band VI, 186). Man reibt sich die Augen, wundert sich und fragt sich, welche Akte dieser Richter gelesen haben mag. Die Akte dieses Verfahrens kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Es war meine Verteidigerkollegin, die diesen verblüffenden, nur durch höchste Voreingenommenheit zu erklärenden Lapsus - wie viele andere grobe Falschbehauptungen auch - bereits im Ermittlungsverfahren angegriffen und bloßgelegt hat. Daß der Ermittlungsrichter in seinem Nichtabhilfebeschluß zur Frage, wo es zuerst gebrannt hat, die die Zeugenaussagen hat unter den Tisch fallen lassen, die zuerst Feuer im Vorbau gesehen haben, versteht sich dann fast schon von selbst. Daß die vielen Rätsel, die der Spurensicherungsbericht aufgibt, nicht einmal zur Kenntnis genommen wurden, daß die zwischenzeitlich vorliegende Lichtbildmappe die Brandschäden im Vorbau ausblendet, daß die Spurensicherung die gesicherten Spuren nach Belieben asservierte oder entsorgte, was erkennbar gewesen wäre, wenn sich jemand der Mühe unterzogen hätte, Spurensicherungsbericht und vorhandene Asservate in Augenschein zu nehmen, rundet das Bild nur ab. Ebenfalls verstand sich bei einer derartigen Sachbehandlung von selbst, daß weitere Erkenntnisquellen (Tonband Notruf Makodila oder Zeugen aus der Berufsbildenden Schule) und andere Tatverdächtige keines Blickes und keiner Erörterung für wert befunden wurden.

Die erste große Strafkammer befand dann am 26.4.1996 in knappen Worten die Gründe des Haftbefehls (sie sagt nicht, welchen sie meint) für zutreffend und die des Beschlusses vom 10.4.1996 ebenso.

Ein Lehrstück, diese Prozeßgeschichte gegen Safwan Eid, ein Lehrstück, wie mit der Freiheit von Menschen nicht umgegangen werden darf, um so mehr dann, wenn sie gerade einem feigen Brandanschlag entgangen waren, Ein Lehrstück auch darüber, was passiert, wenn Menschen urteilen, ohne nachzudenken.

Die erkennende Strafkammer hat diesem Lehrstück mit Beschluß vom 2.7.1996 ein Ende gesetzt und damit wie auch mit ihren Entscheidungen im Rahmen der stattgefundenen Beweisaufnahme und der Verhandlungsführung durch den Vorsitzenden ein faires Verfahren für unseren Mandanten gewährleistet. Die Verteidigung bemerkt dies mit Respekt und Achtung. Sie hat für diese Bemerkung um so mehr Anlaß. als die 3. Gewalt in dieser Hauptverhandlung wie kaum in einer anderen der Scheinkontrolle einer 4. Gewalt unterlag, die streckenweise unter dem Deckmantel der Berichterstattung zu schlimmer Stimmungsmache griff, unseren Mandanten rücksichtslos an den Pranger stellte und sich zu guter Letzt anheischig machte, mit breit gestreuten Interviews von Leonhardt die vorläufige gerichtliche Beweiswürdigung zu untergraben und durch die eigene zu ersetzen.

Lassen Sie mich damit enden, daß zu einem fairen Verfahren auch die volle Rehabilitierung eines erkennbar Unschuldigen gehört. Unser Mandant hat Anspruch auf ein weiteres Leben ohne Verdacht.


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