LÜBECK
1: Der 21jährige Sahwan Eid hat möglicherweise
aus Eifersucht Feuer im Asylbewerberheim gelegt.
Bei dem Brand kamen zehn Menschen um, 35 wurden
schwer verletzt
DEUTSCHLAND Es sah nach einem gemütlichen
Abend aus. Safwan, Mohammed und Gasswan saßen in
ihrem kleinen Zimmer im Dachgeschoß des
Asylantenhauses in der Lübecker Hafenstraße 52.
Die drei libanesischen Brüder hatten Besuch von
einem Freund, tranken Tee, spielten Karten. Gegen
21.20 Uhr schalteten sie den Fernseher ein, der
über Satellit allein fünf arabische Programme
empfangen konnte. Der »Egyptian Satellite
Channel« aus Kairo brachte »Verlorene Liebe«
ein Eifersuchtsdrama. Am Ende gab es Tote.
Nachdem der Film vorbei war, sei der Freund
gegangen, seine Brüder hätten sich schlafen
gelegt, er selbst habe noch das RTL-Nachtjournal
geguckt, sagte Mohammed Eid, 23, dem STERN.
Die Sonderkommission der Lübecker Polizei
hält dies für eine »Schutzbehauptung«. Ihr
Verdacht: Nach dem blutigen Fernseh-Drama am
Mittwoch vergangener Woche habe der sonst so
ruhige 2ljährige Safwan im ersten Stock Feuer
gelegt - aus enttäuschter Liebe, aus Ärger
über eine Mitbewohnerin dic anderen Männern den
Vorzug gab, weshalb er ihr einen »Denkzettel«
verpassen wollte. Was Safwan dabei » mit
Sicherheit nicht beabsichtigt hat«, so ein
leitender Ermittler: Das Feuer breitete sich
rasend schnell aus. Von den insgesamt 48
Bewohnern kamen zehn in den Flammen oder bei
Sprüngen aus dem Fenster um 35 wurden verletzt.
Nach der Festnahme von drei jungen Männer aus
Grevesmühlen, von denen einer angeblich wie ein
Skinhead aussah stand Lübeck weltweit am
Pranger: »Nazi-Attacke in Deutschland« lautete
etwa die Schlagzeile im liberalen englischen
»Guardian«.
Auch in Deutschland gab es reichlich
vorschnelle Reaktionen: So rief Lübecks
Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) zum
»zivilen Ungehorsam« gegen die »verheerende
Bonner Asylpolitik« auf die »Isolation« der
Ausländer sei die »Wurzel des Übels«. Und als
Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der
Juden in Deutschland, auf einem Vortrag in der
Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik
vor »Vorverurteilungen« warnte, wurde er
ausgebuht und unter Beifall als »Anwalt der
Mörder« beschimpft. Zu dieser Zeit waren die
Verdächtigen aus Mecklenburg-Vorpommern, die
vermutlich zum Autoknacken ins 60 Kilometer
entfernte Lübeck gekommen waren, längst wieder
frei. Und die 50-köpfige Lübecker »Soko I/96«
verfolgte die neue heiße Spur: Ein
Rettungssanitäter der Feuerwehr berichtete,
Safwan habe ihm in der Brandnacht gestanden:
»Wir waren es.« Ferner habe er präzise
beschrieben, wo und wie das Feuer entstanden war.
Das reichte am Samstag für einen Haftbefehl
gegen den 2ljährigen wegen Mordes und besonders
schwerer Brandstiftung, auch wenn er selbst
leugnet und nahezu alle Verwandten und Freunde
sagen, Safwan sei zu so einer Tat nicht fähig.
Die neunköpfige Familie Eid aus Tripoli im
Norden des Libanon hat 1990 ihre Heimat
verlassen. Zuerst kam Vater Marwan, 45, von Beruf
Raumausstatter. Er hatte auch schon in anderen
arabischen Ländern sein Glück versucht. Im
Herbst folgten seine Frau und sieben Kinder. Die
Schiffspassage nach Zypern, der Flug nach
Rumänien, -> die Einschleusung über die
deutsch-tschechische Grenze kosteten die Familie
ein Vermögen. Dann die Enttäuschung: Ihre
Asylanträge wurden abgelehnt. Begründung in
solchen Fällen: »Der Wunsch des Antragstellers
in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor dem
Bürgerkrieg zu finden, ist menschlich
verständlich, hat aber asylrechtlich keine
Bedeutung.« Mehrmals erhielt Familie Eid
Ausreiseverfügungen, doch die libanesische
Botschaft verweigerte allen neue Pässe.
Die Eltern und vierjüngere Geschwister lebten im
ersten Stock des Flüchtlingshauses in der
Hafenstraße also aufjener Etage, wo der Brand
ausbrach. Das Zimmer von Safwan, Mohammed und
Gasswan im Dachgeschoß war neun Quadratmeter
groß, es gab nur zwei Betten; abends wurde eine
Matratze dazugelegt. » Wenn mein Bruder Mürder
ist, töte ich ihn«, sagt Gasswan. Aber er
glaubt nicht, daß Safwan es war. Der jobbte drei
Jahre lang im türkischen Embiß »Bodrum«,
kochte dann arabisch bei Landsleuten in dem
Bistro »La Palma II« in der Straße
Engelsgrube. Das Lokal brannte im September 1995
aus. Eine Hausbewohnerin starb 20 wurden schwer
verletzt. Anfangs wurde ein Brandanschlag von
Rechtsradikalen vermutet inzwischen sitzen die
beiden libanesischen Gastwirte und ein Helfer in
Untersuchungshaft. Sie werden verdächtigt, in
der Küche Benzin angezündet zu haben, um die
Versicherungssumme zu kassieren. Safwan soll
darunter gelitten haben, daß er nun arbeitslos
war. Alle paar Tage saß er im »Kevser«-Grill
in der Wahmstraße, aß Döner Kebab für sechs
Mark. Im Gemüseladen nebenan kaufte er mit
seiner Familie jeden Freitag Obst und Gemüse,
ging dann mit seinem Vater in die Moschee.
Safwan gilt als gläubiger Moslem er raucht nicht
und trinkt keinen Alkohol. Sein Bruder Mohammed
erzählt, einmal im Monat seien sie in die Disco
gegangen.
Freundinnen habe Safwan nicht gehabt. Safwan hat
kein Feuer gelegt«, schreit George, 16, aus
Syrien. Er lebte mit seiner Mutter und zwei
Geschwistern im Dachgeschoß neben den
Eid-Brüdern. » Ich war mit Safwan aufdem Dach.
Er ist als letzter runter. Die Polizei suchtein
Opfer, um die Öffentüchkeit zu beruhigen. Man
will uns nur noch mehr quälen damit wir von
alleine abhauen.« Assia El-Omari Mutter der
zweiten libanesischen Familie im Haus: »Wir
waren alle wie Geschwister.« Natürlich gab es
mal Spannungen. wenn mindestens 48 Flüchtlinge
aus fünf Ländern auf engstem Raum
zusammenleben. Einmal wurde ein Afrikaner von
Libanesen verprügelt. Safwans Vater, der zwei
Jahre lang mit Mohammed und Gasswan als Maurer
arbeitete und früh aus dem Haus mußte,
beschwerte sich häufig über Kinderlärm. Aber
tödliche Feindschaft? Nein, er spricht von einem
Anschlag: »Ich habe in der Nacht gehört, wie
das eiserne Gartentor aufgegangen ist. Dann
hörte ich Fensterklirren und eine Explosion.«
Drei Stunden nach der Brandkatastrophe sagte
Safwan vor laufenden Kameras: »lch gehe nicht
aus diesem Krankenhaus raus, bis ich mein Recht
kriege, und wenn ich mein Recht nicht kriege,
zeige ich euch, was ich mache, und ich zeige
euch, was ein Terrorist ist.«
ULI HAUSER
Mitarbeit: Thorsten Geil, Andreas Schmidt.
Lesen Sie auf der nächste Seite: »Jetzt habe
ich weniger als nichts«
|