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Fri Sep  4 00:27:48 1998
 

 

Haben Sie schlampig ermittelt, Herr Staatsanwalt?

STERN-Gespräch mit Dr. Michael Böckenhauer, 40, Leiter der Ermittlungen zur Aufklärung des Brandanschlags in Lübeck Fast sieben Monate nach dem Feuer in dem Asylbewerberheim hat das Gericht den jungen Libanesen, den die Staatsanwaltschaft für den Hauptverdächtigen hält, auf freien Fuß gesetzt

STERN: Herr Böckenhauer warum sind Sie Staatsanwalt geworden?

BÖCKENHAUER: Ich war zunächst Rechtsanwalt und Strafverteidiger. Das ist der, der im Spielfilm immer unschuldige Mandanten vor Strafe bewahrt. Nach meinen Erfahrungen ist das aber die Ausnahme. Ich habe dann festgestellt, daß ich als Staatsanwalt - der ja nicht nur Betastendes, sondern auch Entlastendes zu ermitteln hat - mehr für die Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit tun kann und das für mich befriedigender ist.

STERN: Ist der Brandanschlag in der Hafenstraße Ihr schwerster Fall?

BÖCKENHAUER: Mit Abstand ja.

STERN: Sie haben mehr als fünf Monate ermittelt und dann den jungen Libanesen Safwan Eid angeklagt. Nun hat das Gericht ihn aber aus der U-Haft entlassen, weil kein »dringender Tatverdacht« besteht. Eine juristische Pleite?

BÖCKENHAUER: Nein. Den Haftbefehl seinerzeit hat ja nicht die Staatsanwaltschaft erlassen, sondern ein Richter. Ein anderer hat den Sachverhalt jetzt anders bewertet. Das ist völlig normal. Dieselbe Kammer, die den »dringenden Tatverdacht« verneint, hat aber den »hinreichenden Tatverdacht« bejaht und das Hauptverfahren eröffnet. Das bedeutet, daß sie bei einer vorläufigen Beurteilung des Falles mit einer Verurteilung des Angeklagten rechnet.

STERN: Ihre Ermittlungen sind wiederholt »schlampig« genannt worden.

BÖCKENHAUER: Ein absolut ungerechtfertigter Vorwurf. Alle Fragen, die in Zusammenhang mit dem Brandanschlag gestellt wurden sind geprüft, allen Hinweisen ist nachgegangen worden. Auch mein eigener Anspruch ist bei diesem Fall besonders hoch.

STERN: Dennoch hat die Anwältin des Angeklagten gesagt, was sie in den Akten finde sei »mit den durchschnittlichen Fähigkeiten eines Juristen nicht mehr vereinbar«.

BÖCKENHAUER: Ich bin zwar der Ansicht daß Strafverteidigung radikal sein und auch das Ungehörte zu Gehör bringen muß, aber auf die Sache bezogen. Hier liegt eine persönliche Diffamierung vor.

STERN: Tatsache ist doch aber, daß es auch am Ende Ihrer Ermittlungen eine stattliche Reihe von Ungereimtheiten gibt. Das Motiv des Brandanschlags ist unklar, Ursache und Ablauf des Brandes sind strittig, und das Geständnis, das Ihr Kronzeuge in der Brandnacht von dem Libanesen gehört haben will paßt nicht zu Ihrer Brandversion. Keine besonders überzeugende Basis für eine Anklage.

BÖCKENHAUER: Ungereimtheilen sind bei schwierigen Kriminalfällen nicht ungewöhnlich. Denken Sie an Fälle wie Monika Weimar.

STERN: Hoffentlich stehen Sie nicht eines Tages ebenso da wie deren damalige Ankläger.

BÖCKEHHAUER: Richtig. Aber wir müssen uns am Ende unserer Ermittlungen entscheiden, ob das Verfahren eingestellt oder Anklage erhoben werden muß. Im Fall Hafenstraße war die Antwort eindeutig.

STERN: Warum haben Sie vor Anklage-Erhebung nicht weiter ermittelt? Es stehen ja auch noch zusätzliche Brandgutachten aus, die vielleicht für mehr Klarheit sorgen werden.

BÖCKENHAUER: Es wäre nicht vertretbar, einen Beschuldigten in Untersuchungshaft zu halten, nur weil den Ermittlern noch ergänzende Gutachten fehlen.

STERN: Zu dem, was noch fehlt, gehört auch letzte Klarheit über das Alter des Angeklagten. Erst war sein Geburtsdatum der 1.1.75. Aufeinem von seiner Verteidigerin nachgereichten Dokument war es dann plötzlich der 10.11.75. Damit war aus dem bisher Erwachsenen ein Fall für die Jugendkammer geworden, ein Heranwachsender. Bleibt er das?

BÖCKENHAUER: Zu diesem Punkt sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Aber ich darf Ihnen verraten, daß es neue Erkenntnisse gibt, auch aus dem Libanon, die uns in der Hauptverhandlung mit Sicherheit beschäftigen werden.

STERN: Halten Sie das nachgereichte Dokument für gefälscht?

BÖCKENHAUER: Ich möchte darüber nicht spekulieren.

STERN: Ihre Ermittlungen sind nicht nur »schlampig«, sondern von der Unterstützer-Szene des Libanesen auch »vorsätzlich rassistisch« genannt worden.

BÖCKENHAUER: Absurd. Aber solche Vorwürfe sind Ausdruck eines bestimmten Weltbildes, dem mit rationalen Argumenten nicht entgegengetreten werden kann.

STERN: Trifft Sie der Vorwurf?

BÖCKENHAUER: Natürlich. Wissen Sie, ich habe ungefähr dreieinhalb Jahre lang Jugendkriminalität bearbeitet schwerpunktmäßig gewaltbereite Jugendliche, also Skinheads und so weiter. Danach war und ist mein Schwerpunkt der Bereich der ausländerfeindlichen Straftaten, inklusive Volksverhetzung. Das sind natürlich oft Beschuldigte, die aus der Nazi-Szene kommen und deren Schriften ich lesen muß. Ich habe das immer als Körperverletzung empfunden.

STERN: In der »Süddeutschen Zeitung« stand, daß Sie »in Gerichtskreisen eher als links gelten«. Sind Sie's?

BÖCKENHAUER: Für jemanden aus der autonomen Szene bin ich wahrscheinlich rechts. Für jemanden, der den Mainstream in der SPD vertritt, bin ich ziemlich sicher links.

STERN: Dennoch haben Sie sich den Vorwurf zugezogen, auf dem rechten Auge blind zu sein, weil Sie die ursprünglich des Brandanschlags verdächtigten drei jungen Männer aus Grevesmühlen unbehelligt gelassen haben, obwohl einer von ihnen sogar mal einen Anschlag in Lübeck angekündigt hatte und bei allen dreien frische Brandspuren festgestellt wurden, deren Herkunft nie geklärt wurde.

BÖCKENHAUER: Weil sie darüber Angaben gemacht haben, die wir ihnen nicht geglaubt haben, die wir aber auch nicht widerlegen konnten.

STERN: Warum nicht? Die Geschichten, die sie erzählt haben - einer will sich beim Hantieren an seinem Ofen verbrannt haben, einer beim Umgang mit Benzin und der dritte beim Versuch, einen Hund anzuzünden -, sind doch schon in sich vollkommen unplausibel.

BÖCKENHAUER: Widerlegen würde bedeuten, daß wir ihnen nachweisen können, die Unwahrheit gesagt zu haben weil die Wahrheit ganz anders aussieht. Das können wir nicht. Und wir können ja nicht einfach sagen, weil sie diese Versengungen haben, haben sie das Haus angesteckt.

STERN: Sind Sie nach wie vor der Überzeugung, daß die drei ein wasserdichtes Alibi haben?

BÖCKENHAUER: Ja, sie haben für die in Frage kommende Tatzeit ein Alibi " ".

STERN: "..obwohl der Zeitpunkt der Brandlegung gar nicht genau festgestellt werden konnte?

BÖCKENHAUER: Selbst wenn sie kein Alibi hätten, wären sie dadurch ja noch nicht überführt.

STERN: Aber verdächtig!

BÖCKENHAUER: Natürlich waren sie verdächtig, und diesen Verdachtsmomenten sind wir nachgegangen. Aber irgendwann sind die Ermittlungsmöglichkeiten erschöpft. Wenn man dann nicht mehr in der Hand hat als das Gefühl, daß da irgend etwas nicht stimmt, dann reicht das eben nicht. Man muß ihnen ja konkret nachweisen, daß sie irgendeine Tat begangen haben.

STERN: Wenn man das Gefühl hat, »daß da irgendwas nicht stimmt«, dann wird normalerweise ein Kriminalbeamter losgeschickt, um den Fall zu untersuchen.

BÖCKENHAUER: Exakt das haben wir getan.

STERN: Bis zur jüngsten Vergangenheit?

BÖCKENHAUER: Natürlich.

STERN: Die Verteidigerin des Angeklagten hat gesagt, in der Brandnacht seien wahrscheinlich mehrere Wartburgs, wie ihn die drei gefahren haben, in Lübeck unterwegs gewesen. Zeugen hätten verschiedene Autos gesehen und die drei deswegen gar kein Alibi.

BÖCKENHAUER: Eine interessante Variante, die ich leider nur aus der Zeitung kenne. Ich habe die Anwältin gebeten ihre diesbezüglichen Überlegungen uns zur Kenntnis zu bringen. Das hat sie nicht getan. Mit der reinen Spekulation aber kann ich nichts anfangen. Alte Zeugen haben das gleiche Auto beschrieben, einen beigefarbenen Wartburg mit einer auffälligen gelben Schrift an der Hinterfront. Und nicht nur der Wagen wird beschrieben, sondern auch die Insassen, und zwar übereinstimmend.

STERN: Die Verteidigerin erwartet Entlastung für ihren Mandanten auch durch ein noch ausstehendes Brandgutachten von Professor Ernst Achilles. der es offenbar nicht für zwingend hält, daß der Brand im ersten Geschoßausgebrochen ist: nach seiner Einschätzung hätte der Brand auch im Erdgeschoß, dasheißt von außen gezündet werden können. Was, wenn er recht hat?

BÖCKENHAUER: Warten wir doch erst einmal ah, wie sein Gutachten aussieht. Und wenn es so ist, wie Sie sagen, dann gibt es eine Auseinandersetzung zwischen zwei Sachverständigen. Das ist bei Kapitalverbrechen nicht unüblich, und der Ort dafür, sie auszutragen, ist die Hauptverhandlung.

STERN: Zu Gutachterauseinandersetzungen wird es vor Gericht vermutlich auch wegen der im Gefängnis abgehörten Gespräche zwischen dem Angeklagten und seinen Verwandten kommen: in ihnen sind Äußerungen gefallen, die den Angeklagten belasten sollen. Aber die technische Qualität des Lauschangriffs war schlecht, und der arabische Wortlaut ist offenbar mehrdeutig.

BÖCKENHAUER: Geklappt hat die Abhörmaßnahme nur beim ersten Mal nicht, und auch dieses Band haben wir beim Bundeskriminalamt nachbessern können. Aber natürlich wird es um diese Mitschnitte zu rechtlichen und gutachterlichen Auseinandersetzungen kommen.

STERN: Kontroversen gibt es neuerdings auch über die Glaubwürdigkeit Ihres Hauptbelastungszeugen. des Rettungssanitäters, der in der Brandnacht ein Geständnis des Libanesen gehört haben will. Stehen Sie noch zu Ihrem Zeugen?

BÖCKENHAUER: Ja. Wir haben die Glaubwürdigkeit des Zeugen in diesem Fall ganz besonders intensiv hinterfragt - so intensiv, daß es schon stark in die Entimsphäre eingreift. Wir haben keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, daß er unglaubwürdig sei.

STERN: Es gibt neue Hinweise. Er soll, zumindest indirekt, Verbindungen zu rechtsradikalen Kreisen haben.

BÖCKENHAUER: Auch dem sind wir selbstverständlich nachgegangen. Und wir haben keine Hinweise, geschweige denn Nachweise gefunden. Auch für einen Freund dieses Zeugen, von dem solche rechtsradikalen Kontakte behauptet werden, haben sie sich bisher nicht nachweisen lassen.

STERN: Er soll Nazi-Propagandaschriften in seinem Sanitäter-Spind gehabt haben.

BÖCKENHAUER: Das behauptet ein Hinweisgeber. Es ist ein Vorgang, der schon zehn Jahre zurückliegt. Wir haben ihn bislang nicht verifizieren können.

STERN: Laut »Spiegel« dieser Woche gibt es aber auch neue Indizien für Verbindungen zwischen Ihrem Kronzeugen und der rechten Szene: Einer der Verdächtigen aus Grevesmühlen ein Neonazi, habe eine Liste mit etwa zehn Namen gehabt, unter denen auch Ihr Kronzeuge und dessen Freund sind.

BÖCKENHAUER: Wir sind diesen Hinweisen noch am Wochenende nachgegangen, haben die genannte Zeugin und die Liste überprüft. Die angegebenen Namen stehen nicht drauf.

STERN: Wie lautet Ihre Prognose für die Dauer des Prozesses und für seinen Ausgang?

BÖCKENHAUER: Ich gehe natürlich von der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeklagten aus. Aber vieles wird von der Meinungsbildung des Gerichts abhängen: Welchem Gutachter folgt es, welchen Dolmetscher hält es für überzeugend. welchen Zeugen glaubt es - offene Fragen. Ziemlich sicher ist daß der Prozeß sehr lange dauern wird.

STERN: Ein Jahr?

BÖCKENHAUER: Das kann ich mir gut vorstellen.

STERN: Werden Sie danach immer noch das Gefühl haben, einen befriedigenden Beruf auszuüben?

BÖCKENHAUER: Ich denke schon.

Mit Michael Böckenhauer sprachen die STERN-Redakteure Uli Hauser und Peter Sandmeyer.


Quelle: STERN
Datum: 11-07-1996
Ausgabe: 29
Seite: 28
Autor: *Uli Hauser*
*Peter Sandmeyer*

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