STERN-Gespräch mit Dr.
Michael Böckenhauer, 40, Leiter der Ermittlungen
zur Aufklärung des Brandanschlags in Lübeck
Fast sieben Monate nach dem Feuer in dem
Asylbewerberheim hat das Gericht den jungen
Libanesen, den die Staatsanwaltschaft für den
Hauptverdächtigen hält, auf freien Fuß gesetzt
STERN: Herr Böckenhauer warum sind
Sie Staatsanwalt geworden?
BÖCKENHAUER: Ich war zunächst Rechtsanwalt
und Strafverteidiger. Das ist der, der im
Spielfilm immer unschuldige Mandanten vor Strafe
bewahrt. Nach meinen Erfahrungen ist das aber die
Ausnahme. Ich habe dann festgestellt, daß ich
als Staatsanwalt - der ja nicht nur Betastendes,
sondern auch Entlastendes zu ermitteln hat - mehr
für die Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit
tun kann und das für mich befriedigender ist.
STERN: Ist der Brandanschlag in der
Hafenstraße Ihr schwerster Fall?
BÖCKENHAUER: Mit Abstand ja.
STERN: Sie haben mehr als fünf Monate
ermittelt und dann den jungen Libanesen Safwan
Eid angeklagt. Nun hat das Gericht ihn aber aus
der U-Haft entlassen, weil kein »dringender
Tatverdacht« besteht. Eine juristische Pleite?
BÖCKENHAUER: Nein. Den Haftbefehl seinerzeit
hat ja nicht die Staatsanwaltschaft erlassen,
sondern ein Richter. Ein anderer hat den
Sachverhalt jetzt anders bewertet. Das ist
völlig normal. Dieselbe Kammer, die den
»dringenden Tatverdacht« verneint, hat aber den
»hinreichenden Tatverdacht« bejaht und das
Hauptverfahren eröffnet. Das bedeutet, daß sie
bei einer vorläufigen Beurteilung des Falles mit
einer Verurteilung des Angeklagten rechnet.
STERN: Ihre Ermittlungen sind wiederholt
»schlampig« genannt worden.
BÖCKENHAUER: Ein absolut ungerechtfertigter
Vorwurf. Alle Fragen, die in Zusammenhang mit dem
Brandanschlag gestellt wurden sind geprüft,
allen Hinweisen ist nachgegangen worden. Auch
mein eigener Anspruch ist bei diesem Fall
besonders hoch.
STERN: Dennoch hat die Anwältin des
Angeklagten gesagt, was sie in den Akten finde
sei »mit den durchschnittlichen Fähigkeiten
eines Juristen nicht mehr vereinbar«.
BÖCKENHAUER: Ich bin zwar der Ansicht daß
Strafverteidigung radikal sein und auch das
Ungehörte zu Gehör bringen muß, aber auf die
Sache bezogen. Hier liegt eine persönliche
Diffamierung vor.
STERN: Tatsache ist doch aber, daß es auch am
Ende Ihrer Ermittlungen eine stattliche Reihe von
Ungereimtheiten gibt. Das Motiv des
Brandanschlags ist unklar, Ursache und Ablauf des
Brandes sind strittig, und das Geständnis, das
Ihr Kronzeuge in der Brandnacht von dem Libanesen
gehört haben will paßt nicht zu Ihrer
Brandversion. Keine besonders überzeugende Basis
für eine Anklage.
BÖCKENHAUER: Ungereimtheilen sind bei
schwierigen Kriminalfällen nicht ungewöhnlich.
Denken Sie an Fälle wie Monika Weimar.
STERN: Hoffentlich stehen Sie nicht eines
Tages ebenso da wie deren damalige Ankläger.
BÖCKEHHAUER: Richtig. Aber wir müssen uns am
Ende unserer Ermittlungen entscheiden, ob das
Verfahren eingestellt oder Anklage erhoben werden
muß. Im Fall Hafenstraße war die Antwort
eindeutig.
STERN: Warum haben Sie vor Anklage-Erhebung
nicht weiter ermittelt? Es stehen ja auch noch
zusätzliche Brandgutachten aus, die vielleicht
für mehr Klarheit sorgen werden.
BÖCKENHAUER: Es wäre nicht vertretbar, einen
Beschuldigten in Untersuchungshaft zu halten, nur
weil den Ermittlern noch ergänzende Gutachten
fehlen.
STERN: Zu dem, was noch fehlt, gehört auch
letzte Klarheit über das Alter des Angeklagten.
Erst war sein Geburtsdatum der 1.1.75. Aufeinem
von seiner Verteidigerin nachgereichten Dokument
war es dann plötzlich der 10.11.75. Damit war
aus dem bisher Erwachsenen ein Fall für die
Jugendkammer geworden, ein Heranwachsender.
Bleibt er das?
BÖCKENHAUER: Zu diesem Punkt sind die
Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Aber ich
darf Ihnen verraten, daß es neue Erkenntnisse
gibt, auch aus dem Libanon, die uns in der
Hauptverhandlung mit Sicherheit beschäftigen
werden.
STERN: Halten Sie das nachgereichte Dokument
für gefälscht?
BÖCKENHAUER: Ich möchte darüber nicht
spekulieren.
STERN: Ihre Ermittlungen sind nicht nur
»schlampig«, sondern von der
Unterstützer-Szene des Libanesen auch
»vorsätzlich rassistisch« genannt worden.
BÖCKENHAUER: Absurd. Aber solche Vorwürfe
sind Ausdruck eines bestimmten Weltbildes, dem
mit rationalen Argumenten nicht entgegengetreten
werden kann.
STERN: Trifft Sie der Vorwurf?
BÖCKENHAUER: Natürlich. Wissen Sie, ich habe
ungefähr dreieinhalb Jahre lang
Jugendkriminalität bearbeitet schwerpunktmäßig
gewaltbereite Jugendliche, also Skinheads und so
weiter. Danach war und ist mein Schwerpunkt der
Bereich der ausländerfeindlichen Straftaten,
inklusive Volksverhetzung. Das sind natürlich
oft Beschuldigte, die aus der Nazi-Szene kommen
und deren Schriften ich lesen muß. Ich habe das
immer als Körperverletzung empfunden.
STERN: In der »Süddeutschen Zeitung« stand,
daß Sie »in Gerichtskreisen eher als links
gelten«. Sind Sie's?
BÖCKENHAUER: Für jemanden aus der autonomen
Szene bin ich wahrscheinlich rechts. Für
jemanden, der den Mainstream in der SPD vertritt,
bin ich ziemlich sicher links.
STERN: Dennoch haben Sie sich den Vorwurf
zugezogen, auf dem rechten Auge blind zu sein,
weil Sie die ursprünglich des Brandanschlags
verdächtigten drei jungen Männer aus
Grevesmühlen unbehelligt gelassen haben, obwohl
einer von ihnen sogar mal einen Anschlag in
Lübeck angekündigt hatte und bei allen dreien
frische Brandspuren festgestellt wurden, deren
Herkunft nie geklärt wurde.
BÖCKENHAUER: Weil sie darüber Angaben
gemacht haben, die wir ihnen nicht geglaubt
haben, die wir aber auch nicht widerlegen
konnten.
STERN: Warum nicht? Die Geschichten, die sie
erzählt haben - einer will sich beim Hantieren
an seinem Ofen verbrannt haben, einer beim Umgang
mit Benzin und der dritte beim Versuch, einen
Hund anzuzünden -, sind doch schon in sich
vollkommen unplausibel.
BÖCKENHAUER: Widerlegen würde bedeuten, daß
wir ihnen nachweisen können, die Unwahrheit
gesagt zu haben weil die Wahrheit ganz anders
aussieht. Das können wir nicht. Und wir können
ja nicht einfach sagen, weil sie diese
Versengungen haben, haben sie das Haus
angesteckt.
STERN: Sind Sie nach wie vor der Überzeugung,
daß die drei ein wasserdichtes Alibi haben?
BÖCKENHAUER: Ja, sie haben für die in Frage
kommende Tatzeit ein Alibi " ".
STERN: "..obwohl der Zeitpunkt der
Brandlegung gar nicht genau festgestellt werden
konnte?
BÖCKENHAUER: Selbst wenn sie kein Alibi
hätten, wären sie dadurch ja noch nicht
überführt.
STERN: Aber verdächtig!
BÖCKENHAUER: Natürlich waren sie
verdächtig, und diesen Verdachtsmomenten sind
wir nachgegangen. Aber irgendwann sind die
Ermittlungsmöglichkeiten erschöpft. Wenn man
dann nicht mehr in der Hand hat als das Gefühl,
daß da irgend etwas nicht stimmt, dann reicht
das eben nicht. Man muß ihnen ja konkret
nachweisen, daß sie irgendeine Tat begangen
haben.
STERN: Wenn man das Gefühl hat, »daß da
irgendwas nicht stimmt«, dann wird normalerweise
ein Kriminalbeamter losgeschickt, um den Fall zu
untersuchen.
BÖCKENHAUER: Exakt das haben wir getan.
STERN: Bis zur jüngsten Vergangenheit?
BÖCKENHAUER: Natürlich.
STERN: Die Verteidigerin des Angeklagten hat
gesagt, in der Brandnacht seien wahrscheinlich
mehrere Wartburgs, wie ihn die drei gefahren
haben, in Lübeck unterwegs gewesen. Zeugen
hätten verschiedene Autos gesehen und die drei
deswegen gar kein Alibi.
BÖCKENHAUER: Eine interessante Variante, die
ich leider nur aus der Zeitung kenne. Ich habe
die Anwältin gebeten ihre diesbezüglichen
Überlegungen uns zur Kenntnis zu bringen. Das
hat sie nicht getan. Mit der reinen Spekulation
aber kann ich nichts anfangen. Alte Zeugen haben
das gleiche Auto beschrieben, einen beigefarbenen
Wartburg mit einer auffälligen gelben Schrift an
der Hinterfront. Und nicht nur der Wagen wird
beschrieben, sondern auch die Insassen, und zwar
übereinstimmend.
STERN: Die Verteidigerin erwartet Entlastung
für ihren Mandanten auch durch ein noch
ausstehendes Brandgutachten von Professor Ernst
Achilles. der es offenbar nicht für zwingend
hält, daß der Brand im ersten
Geschoßausgebrochen ist: nach seiner
Einschätzung hätte der Brand auch im
Erdgeschoß, dasheißt von außen gezündet
werden können. Was, wenn er recht hat?
BÖCKENHAUER: Warten wir doch erst einmal ah,
wie sein Gutachten aussieht. Und wenn es so ist,
wie Sie sagen, dann gibt es eine
Auseinandersetzung zwischen zwei
Sachverständigen. Das ist bei Kapitalverbrechen
nicht unüblich, und der Ort dafür, sie
auszutragen, ist die Hauptverhandlung.
STERN: Zu Gutachterauseinandersetzungen wird
es vor Gericht vermutlich auch wegen der im
Gefängnis abgehörten Gespräche zwischen dem
Angeklagten und seinen Verwandten kommen: in
ihnen sind Äußerungen gefallen, die den
Angeklagten belasten sollen. Aber die technische
Qualität des Lauschangriffs war schlecht, und
der arabische Wortlaut ist offenbar mehrdeutig.
BÖCKENHAUER: Geklappt hat die Abhörmaßnahme
nur beim ersten Mal nicht, und auch dieses Band
haben wir beim Bundeskriminalamt nachbessern
können. Aber natürlich wird es um diese
Mitschnitte zu rechtlichen und gutachterlichen
Auseinandersetzungen kommen.
STERN: Kontroversen gibt es neuerdings auch
über die Glaubwürdigkeit Ihres
Hauptbelastungszeugen. des Rettungssanitäters,
der in der Brandnacht ein Geständnis des
Libanesen gehört haben will. Stehen Sie noch zu
Ihrem Zeugen?
BÖCKENHAUER: Ja. Wir haben die
Glaubwürdigkeit des Zeugen in diesem Fall ganz
besonders intensiv hinterfragt - so intensiv,
daß es schon stark in die Entimsphäre
eingreift. Wir haben keinerlei Anhaltspunkte
dafür gefunden, daß er unglaubwürdig sei.
STERN: Es gibt neue Hinweise. Er soll,
zumindest indirekt, Verbindungen zu
rechtsradikalen Kreisen haben.
BÖCKENHAUER: Auch dem sind wir
selbstverständlich nachgegangen. Und wir haben
keine Hinweise, geschweige denn Nachweise
gefunden. Auch für einen Freund dieses Zeugen,
von dem solche rechtsradikalen Kontakte behauptet
werden, haben sie sich bisher nicht nachweisen
lassen.
STERN: Er soll Nazi-Propagandaschriften in
seinem Sanitäter-Spind gehabt haben.
BÖCKENHAUER: Das behauptet ein Hinweisgeber.
Es ist ein Vorgang, der schon zehn Jahre
zurückliegt. Wir haben ihn bislang nicht
verifizieren können.
STERN: Laut »Spiegel« dieser Woche gibt es
aber auch neue Indizien für Verbindungen
zwischen Ihrem Kronzeugen und der rechten Szene:
Einer der Verdächtigen aus Grevesmühlen ein
Neonazi, habe eine Liste mit etwa zehn Namen
gehabt, unter denen auch Ihr Kronzeuge und dessen
Freund sind.
BÖCKENHAUER: Wir sind diesen Hinweisen noch
am Wochenende nachgegangen, haben die genannte
Zeugin und die Liste überprüft. Die angegebenen
Namen stehen nicht drauf.
STERN: Wie lautet Ihre Prognose für die Dauer
des Prozesses und für seinen Ausgang?
BÖCKENHAUER: Ich gehe natürlich von der
Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des
Angeklagten aus. Aber vieles wird von der
Meinungsbildung des Gerichts abhängen: Welchem
Gutachter folgt es, welchen Dolmetscher hält es
für überzeugend. welchen Zeugen glaubt es -
offene Fragen. Ziemlich sicher ist daß der
Prozeß sehr lange dauern wird.
STERN: Ein Jahr?
BÖCKENHAUER: Das kann ich mir gut vorstellen.
STERN: Werden Sie danach immer noch das
Gefühl haben, einen befriedigenden Beruf
auszuüben?
BÖCKENHAUER: Ich denke schon.
Mit Michael Böckenhauer sprachen die
STERN-Redakteure Uli Hauser und Peter Sandmeyer.
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