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Nachrichten aus Deutschland und der Welt vom 19. Januar 1996
Lübeck Beim Brand eines von Ausländern bewohnten Hauses in der Lübecker Altstadt sind nach bisherigen Angaben zehn Menschen, darunter vier Kinder, ums Leben gekommen. Ob es sich dabei um ein fremdenfeindliches Verbrechen handelt, ist bisher nicht klar. Die meisten der bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Opfer konnten bis gestern nicht identifiziert werden.
Fassungslosigkeit und Entsetzen vor dem ausgebrannten Haus. Fotos: Thomas Neubauer (4)
Schreckliche Szenen spielten sich gestern morgen in der Lübecker Hafenstraße ab. Das mehrstöckige Haus stand in hellen Flammen. Dem Angolaner Joao Bunga Diaucemuca, der dem Inferno mit knapper Not entkommen ist, steht noch das blanke Entsetzen in den dunklen Augen. "Alles brannte , wir kamen nicht raus", sagt er wenige Stunden später gegenüber unserer Redaktion. Er rannte,so berichtet er uns, nachdem das Feuer ihn und die anderen Bewohner des Ausländerwohnheimes aus dem Schlaf gerissen hatte, ins Erdgeschoß. Das Flammenmeer ließ dort längst kein Durchkommen mehr zu. Diaucemuca hastete zurück in die Wohnung im zweiten Obergeschoß. "Mein Frau war mit dem kleinen Kind aus dem Fenster gesprungen". Daraufhin nahm er seine zwei anderen kleinen Mädchen mit auf das Dach. Immer wieder hätten sich Menschen aus Angst vor den Flammen in die Tiefe gestürzt, so der Afrikaner. Eine Frau sprang mit ihrem Kind auf dem Arm aus dem Inferno. Die Frau überlebte den Sturz nicht. Das Kind wurde schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Vater mit seinen beiden Töchtern ist dann über eine Drehleiter der Feuerwehr gerettet worden.
über 100 Feuerwehrleute, sieben Notärzte und zahlreiche freiwillige Helfer kämpften um das Leben der Ausländer. Auch einige andere Heimbewohner konnten sich über die Drehleiter der Feuerwehr in Sicherheit bringen. Eine zweite Drehleiter stürzte um.
Zehn Menschenleben forderte das furchtbare Drama. Vier der Opfer waren Kinder. Die grausige Bilanz ist nur eine vorläufige, denn bis Redaktionsschluß waren die Bergungstrupps noch nicht bis in das völlig zerstörte Dachgeschoß vorgedrungen. Dort wohnte eine Mutter mit mehreren Kindern, über deren Schicksal bislang noch nichts bekannt ist. Und ob alle der 15 Schwerverletzten überleben, die bis dahin aus den Flammen geborgen werden konnten, ist ebenfalls ungewiß . Viele von ihnen befinden sich immer noch in akuter Lebensgefahr. 22 der Opfer kamen mit leichten Verletzungen davon.
"Bei den meisten Toten ist die Identifizierung wegen der Verbrennungen äußerst kompliziert", sagte Polizeidirektor Winfred Tabarelli von der Kripo Lübeck auf der Pressekonferenz am Nachmittag.
Bis zu diesem Zeitpunkt wußten die Behörden noch nicht, wie viele Menschen sich tatsächlich in dem brennenden Haus aufgehalten hatten. 47 Bewohner waren im Ausländerheim polizeilich gemeldet. Die meisten kamen aus Afrika, daneben lebten in dem Heim Libanesen, Syrer und Polen.
Um 3.42 Uhr war der Alarm bei Polizei und Feuerwehr eingegangen. Eine Streife des Bundesgrenzschutzes und Bewohner des Hauses hatten zeitgleich das Feuer gemeldet.
Viele Fragen zu den Ereignissen waren gestern abend noch offen. "Wir ermitteln in alle Richtungen", erklärte Kripo-Chef Tabarelli, "von einer fremdenfeindlichen Aktion - über vorsätzliche Brandstiftung im Haus selbst - bis zur fahrlässigen Brandstiftung". Eine Sonderkommission mit 50 Beamten wurde gebildet.
Vermutungen, daß es sich um einen ausländerfeindlichen Anschlag gehandelt habe, konnten bisher weder ausgeräumt noch bestätigt werden.
Drei junge Männer, zwei aus Grevesmühlen und einer aus einem Dorf in der Nähe der mecklenburgischen Kreisstadt, nahm die Polizei am Vormittag fest. "Wir vernehmen sie als Beschuldigte, nicht als Zeugen", stellte auf der Pressekonferenz der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Heribert Ostendorf fest. Doch bisher gäbe es lediglich einen Anfangsverdacht. Dieser begründet sich darauf, daß die jungen Männer, zwei sind im Alter zwischen 18 und 21 Jahren und einer ist noch minderjährig, kurz vor 4.00 Uhr in nur hundert Metern Entfernung zum Brand von der Polizei beim Einsteigen in ihr Auto kontrolliert wurden. "Der eine ist dem Aussehen nach ein Skinhead ", so Tabarelli. Die Beamten hatten sich von den drei Männern am Morgen die Personalien notiert und sie wieder laufen lassen. Sie wurden erst mehrere Stunden später in ihren Heimatorten festgenommen.
"Als Rechtsextremisten sind uns diese drei Personen bisher nicht bekannt", sagte ein Staatsschützer im Schweriner Landeskriminalamt (LKA) auf Anfrage unserer Redaktion. Dennoch seien sie der örtlichen Polizei durch eine Reihe anderer Straftaten wie Autodiebstahl längst ein Begriff, hieß es dazu.
Für die Möglichkeit eines Anschlag spricht außerdem die angebliche Beobachtung eines Tunesiers aus dem Nachbarhaus in der Hafenstraße. Er will einen maskierten Mann gesehen haben, der einen Brandsatz in das Ausländerheim geworfen hat. Danach habe der Afrikaner einen lauten Knall gehört und das Feuer gesehen. Die Lübecker Kripo bestätigte allerdings diese Version des Tathergangs am Nachmittag nicht.
Auch die Aussage, wonach an drei Stellen des Hauses gleichzeitig das Feuer ausgebrochen sei, ist nach Auffassung der Lübecker Polizei nur Spekulation. "So weit sind die Ermittlungen zur Brandursache noch nicht", meinte Kripo-Chef Tabarelli. Wegen Einsturzgefahr im zerstörten Haus verzögerten sich die Untersuchungen.
Sollte sich der Brand tatsächlich als ein verbrecherischer
Anschlag von Rechtsextremisten erweisen, werden die Ermittlungen
an die für Terrorismus zuständige Bundesanwaltschaft
übergeben.
Thomas Volgmann
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