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Nachrichten aus Deutschland und der Welt vom 22. Januar 1996
Sich nach den jüngsten Ermittlungsergebnissen der Lübecker Brandkatastrophe zurückzulehnen und zum Alltag überzugehen, wäre fatal. Das Problem ist nicht dadurch gelöst, daß es diesmal nicht Rechtsextreme waren. Die 3000 Lübecker, die am Sonnabend gegen Fremdenhaß und für eine bessere Unterbringung von Asylbewerbern demonstrierten, hatten allen Grund dazu. Ja, sie waren sogar ein wenig in der Pflicht. In ihrer Stadt starben zehn Menschen, die gekommen waren, um Schutz zu suchen. Dadurch, daß ein Ausländer das Feuer legte, wird die Sache nicht automatisch zu einer, die die Fremden unter sich regeln sollten. Nein, sie zieht zumindest einmal mehr die Frage nach der inneren Sichrheit in Deutschland nach sich - und insbesondere die Frage, mit welchen Unterkünften jedwede Menschen in Not in Deutschland vorlieb nehmen müssen: Asylbewerber genauso wie Obdachlose. In Massenherbergen, die Streß und Streit provozieren, lebt man Wand an Wand mit der Gefahr.
Dennoch ist gegen den jetzigen Verdächtigen mit ebensolcher Gesetzesstrenge vorzugehen wie bei einem ausländerfeinlichen Anschlag. Eine solche Tat läßt sich nicht erklären, weder mit Streß noch mit südländischer Hitzigkeit. Und was die Sache politisch macht: Der Täter schadete dem deutschen Ansehen im Ausland. Was im Gedächtnis bleibt, werden allein die Flammen von Lübeck sein. Bundespräsident Herzog sagte nach der Brandnacht: "Sollte es sich um einen (ausländerfeindlichen - d. Red.) Anschlag handeln, dann geht mir die Geduld allmählich zu Ende." Was wäre jetzt der Umkehrschluß? Fest steht, Deutschland ist nicht nur als ausländerfeindlich in Verruf, sondern zählt auch zu den Ländern mit der größten Ausländerkriminalität. Darüber sollte man in Bonn mal nachdenken, wenn man jetzt Schlüsse zieht.
Stefan Koslik
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