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Nachrichten aus Deutschland und der Welt vom 16. September 1996
Lübeck (dpa) Zehn Tote, 38 Verletzte, großes Leid für die betroffenen Familien - das Ausmaß der Brandkatastrophe in der Lübecker Flüchtlingsunterkunft hat weltweit für Erschütterung gesorgt. Wie es in der Nacht zum 18. Januar 1996 zur Katastrophe kam, liegt noch weitgehend im dunkeln. Für den Brand muß sich ab heute der Libanese Safwan Eid vor Gericht verantworten.
Während des heute beginnenden Prozesses vor der Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts werden die Richter noch viele offene Fragen klären müssen. Eid, dessen Familie in dem Brandhaus am Hafen wohnte, werden besonders schwere Brandstiftung und fahrlässige Körperverletzung zur Last gelegt. Den ursprünglichen Mordvorwurf hatten die Staatsanwälte wieder fallengelassen. Der Libanese, der am 20. Januar verhaftet und am 2. Juli wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, hat bislang seine Unschuld beteuert.
Dem steht die Aussage eines Sanitäters entgegen, dem der Angeklagte in der Brandnacht gestanden haben soll: "Wir waren's." Daneben soll Eid ihm weitere Einzelheiten zum Tathergang preisgegeben haben. Auch Gespräche, die der Libanese in der Haftanstalt mit Verwandten geführt hatte und die mit richterlicher Genehmigung abgehört wurden, sollen den Tatverdacht gegen ihn erhärtet haben.
Die Staatsanwaltschaft, die Eid als mutmaßlichen Brandstifter angeklagt hat, sieht sich seit Monaten dem Vorwurf ausgesetzt, sie sei Hinweisen auf mögliche andere Täter nicht energisch genug nachgegangen. Eids Verteidigerin, die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke, und eine neunköpfige "Internationale Unabhängige Kommission" warfen der Anklagebehörde einseitige Ermittlungen vor.
Die Staatsanwälte sind nach Ansicht der Kritiker nicht gründlich genug dem Tatverdacht gegen vier Männer aus Mecklenburg-Vorpommern nachgegangen, die kurz nach dem Brand als Tatverdächtige festgenommen worden waren. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, daß die Männer aus dem Raum Grevesmühlen sich zum Zeitpunkt des Brandausbruchs an einer einige Kilometer entfernten Tankstelle aufhielten und damit ein Alibi hatten.
Trotzdem blieben Zweifel an der Unschuld des Quartetts. Bei drei Männern wurden bei der Festnahme versengte Haare und Augenbrauen festgestellt, die laut einem Gutachten nicht älter als 24 Stunden waren. Plausible Erklärungen konnten die vier dafür nicht geben. Nach eigener Aussage hatten die Männer sich die Versengungen beim Hantieren mit einem Ofen, beim Abfüllen von Benzin und bei dem Versuch, einen Hund anzuzünden, zugezogen.
Eine Schwachstelle in der Anklage sehen Kritiker der Staatsanwaltschaft in der Frage des möglichen Tatmotivs von Eid. Die Jugendstrafkammer hatte den Haftbefehl gegen den Libanesen im Juli aufgehoben, weil die Ankläger dem Libanesen nach Ansicht des Gerichts kein hinreichend plausibles Motiv nachweisen konnten. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Streit unter den Hausbewohnern als Auslöser für die Tat aus, kann diesen aber offenbar nicht belegen.
über ein weiteres Motiv wurde in Zeitungsberichten spekuliert. Demnach hatte Eids Familie angeblich Streit mit der Sozialbehörde, die einen Umzug in eine größere Wohnung verweigert habe. Mit der Brandstiftung und der damit verbundenen Zerstörung der alten Wohnung habe der Libanese den Umzug in eine größere Unterkunft erzwingen wollen, hieß es. Klären muß das Gericht auch das genaue Alter des Angeklagten. Eid hatte sein Geburtsdatum zunächst mit 1.1.1975 angegeben. Seine Anwältin hatte später jedoch einen Auszug aus dem libanesischen Personenstandsregister vorgelegt, wonach ihr Mandant am 10.11.1975 geboren wurde. Danach müßte das Gericht nach dem milderen Jugendstrafrecht urteilen.
Noch immer strittig ist die Frage, wo genau in dem Haus das Feuer ausbrach. Zwei Gutachten des Bundes- und des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein besagen übereinstimmend, der Brand sei im Hausflur des ersten Stockwerks mit einer brennbaren Flüssigkeit entfacht worden. Die Verteidigung hält es hingegen für möglich, daß das Feuer von außen gelegt wurde. Sie stützt sich dabei auf ein Gutachten des Frankfurter Brandexperten Ernst Achilles, der die Brandausbruchsstelle im Erdgeschoß lokalisiert haben will.
Der Prozeß wurde zunächst bis zum 14. Oktober terminiert. Bis dahin sollen an zwei Verhandlungstagen in der Woche 60 Zeugen gehört werden, darunter Angehörige des Angeklagten und ehemalige Bewohner des Brandhauses. In Justizkreisen geht man jedoch davon aus, daß der Prozeß bis zu einem Jahr dauern könnte. Die Zeugen sowie fünf Sachverständige sollen zur Klärung der vielen offenen Fragen beitragen.
Der Prozeß findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Im Gericht wurden an "sicherheitsrelevanten Punkten" Videokameras installiert. 200 Polizisten werden zum Prozeßauftakt im Einsatz sein, Sprengstoffspürhunde und Spezialisten vom Munitionsräumdienst stehen nach Angaben der Polizei in Bereitschaft.
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