Das SVZ online Archiv
Nachrichten aus Deutschland und der Welt vom 02. November 1996
Von Manfred Rüscher
"Wie lange noch?" Die Frage nach der Dauer des Brandprozesses um ein Lübecker Asylbewerberheim jetzt, nach zwölf Verhandlungstagen, beantworten zu wollen, wäre ebenso Spekulation wie eine Antwort nach dem Täter. Immerhin ist seit Prozeßbeginn am 16. September und der Anhörung von rund hundert Zeugen die Wahrheit ein Stück näher gerückt, ungeachtet aller Widersprüche und Erinnerungslücken bei den Aussagen. Immer mehr verstärkt sich die Erkenntnis, das Feuer, bei dem zehn Menschen starben, ist im ersten Obergeschoß entstanden - also kein Anschlag von außen. Deutlich wird auch, daß die zunächst Tatverdächtigen drei Grevesmühlener erst am Brandort waren, als das Haus schon lichterloh brannte.
Nur, wenn es ein Anschlag von innen war - wer tat es und warum? Beantworten oder erhellen könnten diese Fragen die Bewohner des Asylbewerberheimes, die ab Mitte kommender Woche in den Zeugenstand gehen. Eine Gratwanderung zwischen Aufklärungsbedarf und Rücksichtnahme bei der Befragung steht Staatsanwaltschaft und Verteidigung bevor - zu groß war das erlebte Grauen jener Nacht und ist bis heute die Trauer der Angehörigen.
Eine andere Schwierigkeit ist längst offenkundige Tatsache: die Beeinflussung der als Nebenkläger auftretenden Bewohner durch linksorientierte Gruppierungen und der Versuch der Verteidigung, der Justiz unter den Aktendeckeln dieses Prozesses ein Armutszeugnis auszustellen. Mögen auch einige Schwachstellen während der Ermittlungen in der Tat vorhanden sein: Es wäre fatal, den Prozeß um jeden Preis auf eine ideologische Bahn zu schieben. Das Leid der Menschen, die Achtung vor den Toten, die Wahrheit jener Nacht sind wichtiger, als bunte Plakate vor dem Gerichtsgebäude.
Terminiert ist der Prozeß zunächst bis zum 11. Dezember, aber in den Gerichtsfluren werden längst Termine für das kommende Jahr diskutiert. Die Bewohner, die Gutachten, ein Ortstermin und möglicherweise Zeugen, die noch gar nicht auf der Liste des Gerichtes stehen, lassen ein schnelles Ende des Prozesses nicht vermuten.
[Lübeck - Hauptseite | Presse | Was gibt's Neues | Inhalt | Feedback ]