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Das SVZ online Archiv
Nachrichten aus Deutschland und der Welt vom 24. April 1997


Korrespondenz: Keine Beweise

Zwischenbilanz im Lübecker Brandprozeß

Es war keine überraschung, aber überraschend deutlich: Ohne das Wort "Freispruch" zu benutzen, ließ der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken durchblicken, daß es bislang keine überzeugenden Hinweise auf die Täterschaft von Safwan E. gebe. Am 53. Verhandlungstag im Prozeß gegen den Libanesen, dem die Lübecker Staatsanwaltschaft vorwirft, allein oder mit anderen in der Nacht zum 18. Januar 1996 ein Feuer im Asylbewerberheim an der Hafenstraße 52 gelegt zu haben, nahm der Vorsitzende eine Bewertung der bisherigen Beweisaufnahme - vornehmlich der Sachverständigen-Aussagen - vor.

"Die Lücken, die nach den Sachverständigen-Gutachten entstanden sind, konnten auch mit den bisherigen Zeugenaussagen nicht geschlossen werden", spielte Wilcken vor allem auf die Brandausbruchstelle und den genauen Zeitpunkt der Entstehung an. "Wir müssen, wenn wir zu einer Verurteilung kommen wollen, zu einem Mindestvorwurf der Schuld - Anstiftung, Beihilfe oder Mittäter - kommen. Aber auch nach der belastenden Aussage des Rettungssanitäters stellt sich die Frage nach Beweisen."

Die Kammer, so Wilcken, gehe im Moment davon aus, daß ein Brandentstehungsort in der ersten Etage zu lokalisieren sein wird - "darin sind sich alle ernstzunehmenden Sachverständigen einig", sagte er. Das Szenario sei innerhalb des Hauses entstanden, bei geschlossenen Fenstern und Türen des Vorbaues. Keine Erklärung gäbe es jedoch für den Abbrand im Vorbau, ebensowenig dafür, warum das Weichdach des Vorbaues fast unbeschädigt blieb. Auch der Ausbruchsort des Feuers habe bislang nicht eingegrenzt werden können, fraglich sei auch, ob ein Brandbeschleuniger gegen eine der Türen im Flur gekippt worden sei. Zur Theorie der Verteidigerinnen sagte Wilcken: "Wir haben die Grevesmühlener nicht als Zeugen geladen, weil es nicht die Aufgabe dieses Verfahrens ist, Schuld oder Unschuld der Jugendlichen zu klären. Natürlich bleibt die Frage offen, ob sie in jener Nacht nicht nur gefahren, sondern auch gegangen seien. Diese Fragen alle unter dem Aspekt der Entlastung des Angeklagten zu sehen, wird nicht gehen - weil dies eine entsprechende Belastung der anderen voraussetze."

Vor dem Hintergrund der noch unerledigten 50 Beweisanträge ermahnte Rolf Wilcken alle Verfahrensbeteiligten, mögliche neue Beweisanträge kritisch zu überdenken. Am kommenden Mittwoch soll der Brandexperte Rodger Ide aus England erneut gehört werden, dann beginnt eine knapp 30tägige Sitzungspause. Manfred Rüscher


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