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TAZ Nr. 5255 vom 18.06.1997 Seite 5 Inland 139 Zeilen

Kanther läßt Lübecker Brandopfer warten

39 Überlebende der Lübecker Brandnacht droht die Abschiebung nach dem Prozeßende

Von Severin Weiland

Bonn (taz) - Den Brand in der Lübecker Hafenstraße haben Kate Davidson und ihre beiden Kinder Moreen und Kinsley überlebt. Die Nacht vom 18. Januar 1996, als zehn Menschen starben, wird die 23jährige niemals vergessen. Trotzdem würde sie gern in Deutschland bleiben. Aber ihre Zukunft ist ungewiß. Am 23. Juli endet die Duldung für die junge Frau aus Liberia und ihre in Lübeck geborenen Kinder - dann droht ihr möglicherweise die Abschiebung.

Davidson ist mit ihrer Angst nicht allein. Die insgesamt 39 Überlebenden der Brandnacht könnten nach dem Ende des Prozesses gegen Safwan Eid, der nächste Woche vom Vorwurf der Brandstiftung wohl freigesprochen wird, ein ähnliches Schicksal ereilen. Nun richten sich alle ihre Hoffnungen auf Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU). Von ihm hängt es ab, ob die Gruppe aus humanitären Gründen ein Bleiberecht erhält. Eine vor Monaten erfolgte Prüfung der einzelnen Fälle durch die Lübecker Ausländerbehörde fiel negativ aus. Nur eine Gruppenregelung kann jetzt noch den Flüchtlingen zu Aufenthaltsbefugnissen verhelfen. Dazu wäre der schleswig-holsteinische Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) bereit. Doch um den entsprechenden Paragraphen 32 des Ausländergesetzes anzuwenden, müßte Kanther zuvor sein "Einvernehmen" erklären. Bislang aber zeigt sich der Christdemokrat stur. Um Druck zu machen, hat die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer kürzlich sogar Außenminister Klaus Kinkel (FDP) gebeten, mit seinem Amtskollegen zu sprechen.

Der Kleinkrieg um die Zukunft der Flüchtlinge dauert nun schon fast ein Jahr. Hartnäckig bemüht sich Wienholtz, Kanther zur Einsicht zu bewegen - zuletzt in einem Brief vom 9. Juni. Abschiebungen nach dem Ende des Prozesses gegen Safwan Eid, so seine Befürchtung, würden sich international "veheerend" auswirken. Es dürfe "nicht der Eindruck entstehen, wir Innenminister in der Bundesrepublik Deutschland seien nicht in der Lage, das individuelle Schicksal von Menschen in unsere Entscheidungen einzubeziehen". Nicht nur das Kieler Landesparlament plädierte im Januar, allerdings gegen die Stimmen der CDU, für ein Bleiberecht. Auch alle SPD-Innenminister unterstützen Wienholtz.

Doch Kanther bewegte sich bislang keinen Millimeter. Schon im Oktober hatte der CDU-Politiker seine "Bedenken" gegen eine Gruppenregelung ausgesprochen. In einem Brief an Wienholtz erklärte er, ein derartiger Schritt könne als Präzedenzfall verstanden werden, der sich auf andere Bundesländer auswirke. Keine Wirkung zeigte auch ein Treffen von Mitte April mit den bündnisgrünen Politikerinnen Kerstin Müller, Angelika Beer und der SPD-Abgeordneten Cornelie Wolgast-Sonntag im Bundesinnenministerium in Bonn. Kanther habe ihr "in eineinhalb Stunden nicht einmal in die Augen sehen können", erinnert sich Beer an das nächtliche Gespräch. Bei dieser Gelegenheit habe der Minister gar argumentiert, man wisse ja nicht, wer in der Gruppe der Flüchtlinge Opfer, Beteiligter oder gar Täter der Brandnacht gewesen sei. "Das war schon eine perfide Argumentation", meint Beer.

Trotz des Hilferufs an Außenminister Kinkel rechnet die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein kaum noch damit, daß Kanther seine Haltung in den nächsten Wochen ändern wird. Sollte er seine Zustimmung zur Gruppenregelung verweigern, setzt Beer auf ein Zeichen der Landesregierung in Kiel. Dann müsse eben SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis einen "humanitären Gnadenakt" aussprechen und die Lübecker Ausländerbehörde anweisen, den 39 Flüchtlingen, darunter auch Safwan Eid, das Bleiberecht zu gewähren. Zwar gebe es dafür keine Bestimmung im Ausländerrecht - aber wo "keine gesetzliche Grundlage ist, kann auch kein Paragraph verletzt werden", argumentiert Beer. Immerhin habe Kanther beim Treffen im April versichert, daß er nichts unternehmen werde, sollte die örtliche Ausländerbehörde ein Bleiberecht aus humanitären Gründen aussprechen. Daß ihre Forderung an die rot-grüne Landesregierung für Wirbel sorgen wird, ist Beer klar: "Das gibt eine Woche lang einen Aufschrei. Der Anspruch der rot-grünen Koalition ist es aber, die Spielräume des Ausländergesetzes zu erweitern."