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taz 25.07.1998

Hoffnungen auf einen gerechten Prozeß

Der Lübecker Brandprozeß muß neu aufgerollt werden. Safwan Eids Anwältin Heinecke sieht das Urteil als "Vorwand, weiterhin nicht gegen die dringend tatverdächtigen Jugendlichen aus Grevesmühlen vorzugehen"

Von Volker Probst

Berlin (taz) - Es war einer der spektakulärsten Prozesse vor einem deutschen Gericht der Nachkriegsgeschichte. Angeklagt war der aus dem Libanon stammende Flüchtling Safwan Eid wegen besonders schwerer Branstiftung und der fahrlässigen Tötung. Er soll für den Brand in einem Lübecker Asylbewerberheim verantwortlich, bei dem in der Nacht vom 18. Januar 1996 zehn Menschen ums Leben kamen.

Als gewichtiges Indiz für eine Täterschaft Eids werteten die Ermittler die Aussage eines Rettungssanitäters, der in der Brandnacht den verletzten Bewohnern des Flüchtlingsheims Erste Hilfe leistete. "Wir waren's", habe Safwan Eid ihm in einem Sanitätsomnibus anvertraut.

Der Prozeß gegen Eid dauerte acht Monate. Über 100 Zeugen und Sachverständige wurden gehört. Doch am Ende war kaum jemand schlauer als zuvor. Das Gericht konnte den eigentlichen Brandherd nicht definitiv bestimmen - nach Auffassung der Brandgutachter war das Feuer im ersten Stock des Hauses ausgebrochen.

Auch die Frage, ob vier Jugendliche aus Grevesmühlen, die sich in der Brandnacht in Lübeck aufhielten, mit dem Brand zu tun hatten, beschäftigt bis heute die Ermittlungsbehörden. Ein weiteres Mysterium bildete die Aussage einer Zeugin, die die Staatsanwaltschaft rund einen Monat vor Abschluß des Prozesses präsentierte. Sie berichtete, ein bei dem Brand umgekommener Bewohner habe ihr am Tag vor dem Anschlag gesagt, er habe Angst, die Unterkunft zu betreten. Der Grund seiner Furcht: heftige Streitereien um Drogengeschäfte in dem Heim.

Das Verhältnis der Heimbewohner untereinander gab weiteren Anlaß für Spekulationen: Mit einer Ausnahme - der Familie El-Omari - bezogen alle Überlebenden des Anschlags Position für Safwan Eid. Sie verstanden ihre Aussagen als solidarisch im Sinne Safwan Eids. Die Familie El- Omari dagegen reichte Nebenklage gegen ihn ein. Der Prozeßverlauf zeigte, daß die El-Omaris und die Familie von Safwan Eid alles andere als Freunde waren. Das autonome Aussageverhalten der El-Omaris provozierte im Laufe der Verhandlung Angehörige der Familie Eid zu Beschimpfungen im Gerichtssaal.

Schließlich sprach das Lübecker Landgericht Safwan Eid am 30. Juni 1997 aus Mangel an Beweisen frei. Keine Rolle spielten bei dem Urteil Mitschnitte von Gesprächen, die Safwan Eid während seiner Untersuchungshaft in der Besucherzelle geführt hatte. Das Gericht hatte die Gesprächsprotokolle nicht zur Verhandlung zugelassen, da der Vorsitzende Richter die Abhöraktion als gesetzeswidrig wertete. Gegen den Angeklagten wurde auch nicht gewertet, daß er noch in der Brandnacht seinen Nachtrock in den Container eines Krankenhauses warf.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger der Familie El-Omari belasteten die Mitschnitte Eid jedoch schwer. Unter anderem soll Eid zu Angehörigen gesagt haben: "Ich habe meine Fehler erkannt. Ich weiß, was ich in dem Gebäude gemacht habe." Allerdings ist nach wie vor strittig, ob Eids Äußerungen korrekt übersetzt wurden und in welchem Zusammenhang sie fielen.

Während die Staatsanwaltschaft den Freispruch für Eid hinnahm, reichten die Nebenkläger Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein, um die Abhörmitschnitte doch als verhandlungszulässig erklären zu lassen. Die gestrige Entscheidung des BGH, den Freispruch für Eid aufzuheben, ist fast eine Sensation - kaum jemand hatte mit einem Erfolg des Revisionsgesuchs gerechnet.

Dementsprechend unterschiedlich fallen die Reaktionen aus. In der Kanzlei von Wolfgang Clausen, der die El-Omaris rechtlich vertritt, ist man "sehr froh" über das Urteil und hofft, daß "es jetzt in einem neuen Prozeß zu einem gerechten Urteil kommt". Gabriele Heinecke, Eids Verteidigerin, sagte gestern zur taz: "Wir halten das Urteil für falsch. Eine neue Verhandlung wird auch zu keinem anderen Ergebnis führen."

Darüber hinaus erklärte sie: "Das Urteil gibt der Staatsanwaltschaft einen Vorwand, weiterhin nicht gegen die dringend tatverdächtigen Jugendlichen aus Grevesmühlen vorzugehen." Die Frage, ob sie die Entscheidung des Bundesgerichtshofs für ein politisches Urteil hält, ließ die Anwältin unkommentiert.

TAZ Nr. 5591 vom 25.07.1998 Seite 6 Inland 133 Zeilen
TAZ-Bericht Volker Probst