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702 Js 206/96
2 a KLs (2/96)
LANDGERICHT LÜBECK
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In der Strafsache
gegen Safwan E i d, geboren am 10. November 1975 in Deir Ammar, Kreis Tripoli/Libanon, wohnhaft in Lübeck, ledig, Libanese,
wegen Verdachts der besonders schweren Brandstiftung
- Nebenkläger:
[ ... ]
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hat die II a Große Strafkammer -Jugendkammer- des Landgerichts Lübeck aufgrund der
Verhandlungen vom
16.September 1996, [ ... ], 30. Juni 1997, an denen teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Landgericht Wilcken
als Vorsitzender,Richter am Landgericht Wendorff
Richterin am Landgericht Fock
als beisitzende Richter,Erzieherin Bärbel Rathje
Finanzbeamter Klaus Meißner
als Schöffen,Staatsanwalt Dr. Böckenhauer
Staatsanwalt Bieler
als Beamte der Staatsanwaltschaft,
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Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Hamburg,
Rechtsanwältin Barbara Klawitter, Hannover,
als Verteidiger,Nebenklägervertreter:
Rechtsanwalt Jan Mohr, Hamburg,
Rechtsanwältin Marlen Schmid-Czarnetzki, Hamburq,
Rechtsanwältin Ursula Ehrhardt, Hamburg,
Rechtsanwalt Mathias Wagner, Hamburg,
Dr. Wolfgang Clausen, Kiel,
Rechtsanwalt Ulrich Haage, Lübeck,Justizangestellte Eisenberg,
Justizangestellte Buzuk (9- + 11.12.1996)
Justizangestellte Sharma (16.12.1996)
Justizangestellte Rahtgens (23.12.1996, + 4.6.1997)
Justizangestellte Freese (28.5.l997)
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle
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in der Sitzung am 30- Juni 1997
für Recht erkannt:
Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.
Wegen des durch die vorläufige Festnahme und durch den Vollzug der Untersuchungshaft erlittenen Schadens ist der Angeklagte aus der Staatskasse zu entschädigen
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Gründe
I.
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in Lübeck am 18. Januar 1996 gegen 3.30 Uhr mittäterschaftlich mit anderen nicht ermittelten Personen sich der besonders schweren Brandstiftung nach §§ 307 Nr. 1, 306 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung nach §230 StGB dadurch schuldig gemacht zu haben, daß ein zur Wohnung von Menschen dienendes Gebäude in Brand gesetzt worden sei, wodurch zehn sich darin befindliche Menschen den Tod gefunden hätten und 38 Personen an der Gesundheit beschädigt worden seien.
In der Tatnacht soll sich der Angeklagte, der in dem als Asylbewerberheim genutzten Haus in der Hafenstraße 52 im Dachgeschoß lebte, gegen 3.30 Uhr oder geraume Zeit davor in den ersten Stock des Hauses begeben haben und dort in dem zu der Hafenstraße hin gelegenen, vorn Hauseingang in der Konstinstraße aus gesehen rechten Flur des Eckhauses (im folgenden: rechten Flur) zusammen mit nicht ermittelten Mittätern Benzin oder ein artverwandtes Brandlegungsmittel ausgegossen und angezündet haben, um sich an einem der Hausbewohner, mit dem es Streit gegeben habe, zu rächen.
Durch das danach in dem ganzen Haus entstandene Feuer seien zehn Personen aus dem Haus in den Flammen oder bei dem Versuch, aus den oberen Stockwerken des Hauses herunterzuspringen, infolge der erlittenen Verletzungen ums Leben gekommen und 38 Personen zum Teil schwer verletzt worden.
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Der Angeklagte soll die Tat als Heranwachsender begangen haben. Er hat den 10. November 1975. als den Tag seiner Geburt angegeben. In Urkunden ist er auch für den 1. Januar 1975 belegt. Das tatsächliche Alter des Angeklagten ist in der Beweisaufnahme nicht abschließend geklärt worden.
II.
Bei dem Haus Hafenstraße 52 handelt es sich um ein auf dem Eckgrundstück Hafenstraße/Konstinstraße freistehendes dreistöckiges Mehrfamilienhaus mit ausgebautem Mansardendachgeschoß und Keller. Der Keller ist von außen von der Hofseite aus zugänglich und hat keine Verbindung zum Erdgeschoß. An der Hafenstraßenseite führt unmittelbar an dem Haus der Bürgersteig entlang. Zur Konstinstraße hin befindet sich ein etwa drei Meter breiter, durch einen Zaun abgegrenzter Vorgarten. An das Haus ist hier in Frdgeschoßhöhe ein nahezu die gesamte Hausbreite ausfüllender hölzerner Vorbau mit der Hauseingangstür nachträglich angebaut worden, dessen Ausmaß zur Straße hin über vier Meter beträgt und dessen Dach mit Bitumenteerpappe gedeckt ist. Der ursprüngliche Hauseingang an der abgeschrägten Ecke an der Hafenstraße/Konstinstraße wurde durch bauliche Maßnahmen aufgehoben. Das Erdgeschoß liegt im Hochparterre.
Zu der Eingangstür führt eine Steintreppe mit fünf Betonstufen. An die der Konstinstraße gegenüberliegenden Grundstücksseite grenzt das Gelände der Firma Brüggen.
Zwischen dieser Grundstücksgrenze und dem Haus ist ein ein bis zwei Meter breiter Grünstreifen. An der Gebäuderückseite - an der Hofseite - der Hafenstraße
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gegenüberliegend, befindet sich eine Fläche, die als Abstell- und Kinderspielplatz genutzt wurde.
Das Haus stammt aus der Gründerzeit. Es ist vor einigen Jahren renoviert worden und wurde als Asylbewerberunterkunft genutzt, die von dem Diakonischen Werk in Lübeck betreut wurde.
Im Erdgeschoß des Hauses befanden sich auf der Hof- und Brüggenseite die Wohnräume der Familie Katuta sowie in den übrigen Teilen Gemeinschafträume, wie eine Waachküche, ein Spielzimmer und ein Gastzimmer, ferner in einem Eckzimmer an der Hofseite mit einem links des Eingangs gelegenen Fenster zur Konstinstraße hin das Büro der Betreuer des Diakonischen Werkes. Die Tür des Büros war in der Brandnacht verschlossen. Im Büroraum waren zwei verschlossene Schränkchen mit Schlüsseln für das Haus. Die in die Wand eingelassenen Schränke waren auch nach dem Brand noch ordnungsgemäß verschlossen. Rechts des Hauseingangs befand sich im hölzernen Vorbau ein vom Eingangsflur durch eine Tür erreichbarer verschlossener Lagerraum.
Hinter der Hauseingangstür führt geradeaus' nach fast zwei Metern, noch im Vorbau beginnend an der Außenwand entlang, eine gerade zweiläufige, im Austritt nach rechts viertelgewendelte Treppe aus Kunststein mit eisernen Geländern nach oben in das erste Stockwerk. Rechts neben der Treppe sind die Räumlichkeiten des Erdgeschosses erreichbar.
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Im ersten Stockwerk in der Richtung des Treppenverlaufs auf der Hofseite befand sich die Wohnung der Familie Eid mit der Wohnungstür gleich links neben dem Treppenaustritt. Dem Treppenaustritt gegenüber befand sich im ersten Stockwerk auf der gegenüberliegenden Wand des etwa zwei Meter breiten Treppenraumes eine mit automatischem Rücksteller (Selbstschließer) und mit umlaufender Gummidichtung rauchdicht versehene Treppenflurtür, durch die es in den rechten Flur mit zur Hafenstraße hin vier angrenzenden Wohnräumen ging, die von afrikanischen Asylbewerbern genutzt wurden. Dort wohnten im ersten Raum aus Richtung Konstinstraße gesehen die Zeugin Kate Davidson und der nicht vernommene Emmanuel Uwaila, der unbekannten Aufenthalts ist, im zweiten Raum die Zeugen Williams Munir und Sylvere Atty sowie Yictor Atoe alias David Picolo, der unbekannten Aufenthalts ist, im dritten Raum die Zeugin Ottodze flope Agonglovi mit drei kleinen Kindern und im vierten Raum die Zeugen Ray und Gustave Sossou sowie der in der Brandnacht verstorbene, unten im Vorbauflur aufgefundene Sylvio Amossou. In dem knapp zwei Meter breiten rechten Flur befanden sich den Wohnräumen gegenüberliegend nachträglich mittels Leichtbauwänden hergestellte Naßräume - in Richtung Firma Brüggen gesehen: ein Duschraum, eine Toilette, eine Küche ohne Tageslicht und am Ende des rechten Flures ein Waschraum mit Fenster.
Der Durchgang im Bereich der Naßräume war auf etwa 8O bis 90 cm eingeengt.
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Vom Treppenraum im ersten Stockwerk führte eine im An- und Austritt viertelgewendelte Holztreppe an der Außenwand der Konstinstraße beginnend in das zweite Stockwerk und sodann ebenso in das Dachgeschoß. Im zweiten Stockwerk wohnte auf der Hälfte zur Hafenstraße hin die Familie El Omari, die sich bis auf den Sohn Rabia aus dem Brandhaus retten konnte, und auf der Hofseite die Familie Makodila, von der mit Ausnahme des Vaters, der in der Brandnacht nicht im Haus war, alle sechs Personen starben. Im Dachgeschoß wohnten zur Hofseite hin die Zeugin Aida Alias mit drei Kindern und im Zimmer an der Treppe der Angeklagte mit seinen Brüdern Mohammed und Ghasswan sowie zur Hafenstraße hin die Familie Bunga. Die Ehefrau Monica Maiamba Bunga und ihr Kind Suzana Bunga starben bei dem Versuch, sich durch einen Sprung von dem Dach auf die Straße zu retten Francoise Makodila Landu, die Mutter, und ihre Kinder Christelle, Legrand, Christine, Miya und Jean-Daniel sowie Rabia El-Oman starben in ihren Zimmern an einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung. Sylvio Amossous Todesursache ist nicht eindeutig geklärt.
In der Nacht vor dem Brand schloß der Zeuge Khalil El-Omari gegen Mitternacht die Haustür ab, und auch der Zeuge William Munir schloß sie wieder ordnungsgemäß ab, als er später nach Hause zurückkehrte. Die Fenster des Erdgeschosses waren ordnungsgemäß geschlossen mit Ausnahme des kleinen Fensters im Vorbau, das durch geringfügiges Anheben um vier Millimeter und Druck aufgeschoben werdenkonnte.
Am 18. Januar 1996 -ungefähr um 3.3O Uhr oder einige Zeit davor begab sich jemand in den rechten Flur, goß dort in der Nähe der Zimmertür der Zeugin Agonglovi Benzin oder einen anderen Brandbeschleuniger auf den Fußboden und zündete es an Die Person konnte nicht ermittelt werden.
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Der Fußboden dort im rechten Flur war mit einem ohne Stützflamme selbstständig brennbaren PVC-Belag versehen, der auf einer 22 mm dicken Spanplatte lag, die wiederum auf Leisten auf dem ursprünglichen Dielenfußböden aufgebracht war. Der PVC-Belag war ein Stückchen senkrecht an der mit auf Leisten angebrachten nnd bis zur Decke mit Hartfaserplatten verkleideten Wand hochgezogen worden, und die Fuge mit Silikon abgedichtet worden. Der Fußboden war im Jahre 1995 in dieser Weise ausgebessert worden, weil der ursprüngliche Fußboden infolge von Nässe, die von den in dem Flur installierten Naßräumen herrührte, verrottet gewesen war. Möglicherweise hatte der ausgebesserte Fußboden danach ein Gefälle von der Schwelle der Treppenflurtür zur Wand hin, wie es auch in der anderen Richtung von der Treppenflurtürschwelle zur Kunststeintreppe hin der Fall gewesen sein kann. Bei Durchführung entsprechender Messungen war das Haus bereits teilweise abgesackt.
Nachdem nach dem Verschütten des Benzins sich daraus innerhalb kurzer Zeit ein Gas-Dampf-Luftgemisch entwickelt hatte, wurde es von einer unbekannten Person angezündet, so daß es zu einem flammenden Feuer kam, das wegen des begrenzten Raumes im rechten Flur und fehlender Frischluftzufuhr nach einiger Zeit infolge nicht ausreichenden Sauerstoffs in einen Schwelbrand, dessen Dauer nicht genau abschätzbar ist mit intensiver Rauchgasbildung überging. Der heiße Rauch verbreitete sich sodann im Haus. Er stieg auch nach oben durch die Holzbalkendecken bis in das Dachgeschoß. Der Rauch setzte den Alarmmelder in Betrieb.
Dieser wurde von der Zeugin Aida Alias im Dachgeschoß gehört. Andere, wie die Zeugen Assia El-Omari, wurden durch den Rauch wach, andere durch Warn- und Hilferufe- Um 3:4l:47 Uhr telefonierte
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die verstorbene Francoise Makodila Landu aus dem zweiten Stockwerk etwa über eine Minute lang mit der Polizei. Sie war die Erste, von der die Polizei von dem Feuer Kenntnis erlangte. Ihr Hilferuf endete abrupt mit verzweifeltem Stimmausdruck. Ob sie beim Telefonat starb und wie weit sich der Brand zu dieser Zeit entwickelt hatte, ist nicht mehr aufklärbar.
Der Schwelbrand ging in ein offenes Feuer über, nachdem wieder ausreichend Frischluftzufuhr war. Das geschah spätestens, als die Bewohner der Zimmer des rechten Flurs ihre Zimmertüren öffneten und hinaus wollten, aber mit Ausnahme von Sylvio Amossou, sämtlich als Ausweg zu ihrer Rettung den Sprung aus den Fenstern wählten. Die vernommenen Bewohner dieser Zimmer berichteten übereinstimmend von dichtem Qualm, nicht aber mehr von Feuer oder Flammen im Flur. Dort, wo der Brand gelegt worden war, war das Feuer aber nicht ganz erloschen, vielmehr hatte es sich in den Fußboden eingebrannt und war lediglich durch den dichten Qualm verdeckt, Während der Schwelbrandphase ging Sylvio Amossou nach unten in den Vorbau, um sich zu retten. Dabei kam er, als er an dem Brandherd auf dem rechten Flur vorbeiging, in dem dichten Qualm möglicherweise mit seiner Kleidung mit dem Feuer in Berührung, so daß der Stoff möglicherweise Kunststoff - Feuer fing, ohne ihn aber sogleich ganz in Brand zu setzen. Das geschah möglicherweise erst in dem Eingangsbereich des Vorbaus nahe der Tür, wo Sylvio Amossou zu Boden stürzte und starb. Hier wurde seine verkohlte Leiche mit Brandschutt bedeckt aufgefunden. Unter seinem Körper war kein Schutt.
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Dadurch, daß Sylvio Amossou mit brennender Kleidung in den Vorbau ging, könnte es dazu gekommen sein, daß dort ein weiterer Brandherd entstand, der letztlich dazu rührte, daß die Holzverkleidung der Wände, ein als Sitzbank neben der Treppe benutztes Holzgestell und andere Holzteile brannten und auch die Eingangstür aus Kunststoff mit Metallinnenrahmen an der Schloßseite Feuer fing, die Scheibe der Tür aus Drahtglas aufgrund der Hitze zu einem Klumpen zusammenschmolz, die Kunststoffrahmenteile der Tür verbogen und auf den mit Kunststoff belegten Holzfußboden fielen und dort, zu Einbrennungen führten Es kam dann zu weiteren Zerstörungen, insbesondere zu den thermisch bedingten Zerstörungen der Fensterscheiben im Vorbau, so daß ein Teil der starken durch den Brand entstandenen Hitze durch die Tür und Fensteröffnungen nach außen entweichen konnte und deshalb das Dach mit Bitumenpappe nicht durchbrannte, sondern bis auf Brandspuren in den Randbereichen heil blieb.
Ob im Bereich der Eingangstür eine andere isolierte Brandquelle gesetzt worden ist, ließ sich nicht feststellen. Dafür könnte die in diesem Bereich stärkste Brandbelastung und das Herunterbrennen der Haustür sprechen.
Wie weit zu der Zeit, als der Vorbau in Brand geriet, das Feuer in den anderen Teilen des Hauses sich entwickelt hatte, ist nicht eindeutig. Im Dachgeschoß begaben sich die Bewohner vor dem Feuer, dessen Flammen bis zu ihnen noch nicht direkt gelangt waren, jedenfalls durch die Fenster auf den Dachsims. Von dem Dachsims aus hatte der Angeklagte unten auf dem Grundstück seinen Bruder Ahmed gesehen. Dieser hatte sich durch einen Sprung aus dem Fenster im ersten Stockwerk gerettet. Ihm rief der Angeklagte zu, er solle die Polizei anrufen. Das tat sein Bruder. Der Anruf ging um 3:42:O9 Uhr als zweiter Hilferuf bei der Polizei ein.
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Außer Monica Maiamba Bunga, der Ehefrau des Zeugen Diavusumuca Joao Bunga, mit ihrem Kind Suzana Bunga, die in die Tiefe sprangen, warteten die Dachgeschoßbewohner auf dem Sims auf Rettung durch die Feuerwehr. Auf dem Sims zur Hofseite hin stehend waren sie dem heißen Rauch ausgesetzt und zuletzt auch den hochschlagenden Flammen. In dieser Situation wurde der Angeklagte, der als einziger von ihnen Brandverletzungen davontrug., an seinen Ohren verletzt, möglicherweise, weil er als letzter die Rettungsleiter hinuntergestiegen war. Der Angeklagte hatte von diffuser Hitzeeinwirkung, nicht von direkter Flammeneinwirkung herrührende Verbrennungen ersten und zweiten Grades an den Rändern der Ohrmuscheln hinten und in diesem Bereich brandbedingte Verfärbungen der Haare.
Außerhalb des Gebäudes wurden erstmals gegen 3.30 Uhr oder einige Minuten später Arbeiter in der benachbarten Firma Brüggen während ihrer Arbeitspause im Pausenraum durch Hilfeschreie auf den Brand aufmerksam. Sehen konnten sie von dort aus nichts. Die Zeugen Thorsten Kröplin, Thorsten Reher und Rudolf Ortmann liefen hinaus auf die Straße in Richtung des Gebäudes. Ein Polizeifahrzeug war noch nicht da. Im ersten Stockwerk des Hauses sahen sie Feuerschein, durch Fenster aufsteigenden Qualm und auch Flammen, die aus dem Fenster des Zimmers der Zeugin Kate Davidson schlugen. Der Zeuge Ortmann sah auf dem Bürgersteig der Hafenstraße am Haus zwei Personen liegen die Ehefrau des Zeugen Bunga und deren Töchter. Einige nur wenig bekleidete Personen waren schon unten auf der Straße. Sie fingen Kinder aus dem ersten Stockwerk auf, während andere noch in den Fenstern oder auf dem Sims darunter waren, um sich zu retten.
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Der Zeuge Kröplin half. Die Zeugen Ortmann und Reher begaben sich auf das Firmengelände zurück, um zu telefonieren. Es gelang ihnen aber - wahrscheinlich wegen eines technischen Defekts nicht, einen Hilferuf durchzugeben. Als dann wenig später die Feuerwehr schon da war, kehrten sie zurück. Danach gingen sie bald wieder zu ihrem Arbeitsplatz. In dem Bereich des Vorbaus in der Konstinstraße waren die drei Zeugen nicht gewesen.
Um 3:45:41 Uhr ging ein weiterer Anruf bei der Polizei ein. Es war die Zeugin Mechthild Wulf, die in der Berufsbildungsstätte in der Konstinstraße Aufsichtsdienst hatte und von den Zeugen Maik Preuße und Ronny Bittner geweckt worden war Beiden Zeugen hatte sie die Tür aufgeschlossen, weil diese auf die von ihnen vernommenen Schreie hin hinaus wollten, um zu helfen. Die beiden Zeugen liefen vorweg und riefen der Zeugin zu, die Feuerwehr anzurufen, was die Zeugin Wulf, die einige Meter hinter beiden zurück blieb, mit ihrem Mobiltelefon auch sogleich tat. Die Zeugen Preuße und Bittner liefen bis auf zehn bis zwanzig Meter an das brennende Haus heran, auf dessen Dachgesims schon Personen standen. Unten waren auch schon einige Personen aus dem Haus, die sich durch Fenster gerettet hatten. Beide Zeugen sahen den Vorbau lichterloh in Flammen, während die Zeugin Wulf daran keine Erinnerung mehr, anders als bei ihrer polizeilichen Aussage gehabt hat. Die beiden Zeugen standen seitlich zum Eingang und kannten aus ihrem Blickwinkel nicht erkennen, ob die Tür des Vorbaus noch vorhanden war. Kurz nachdem sie ihren Standort am Haus erreicht hatten, erschien zuerst ein Bundesgrenzschutzfahrzeug, das in dem Einmündungsbereich Konstinstraße/Hafenstraße auf der Fahrbahn mit blinkendem Blaulicht abgestellt wurde.
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Ab etwa 3.46 Uhr trafen Einsatzfahrzeuge der Polizei ein- als erstes Fahrzeug war ein grüner BGS-VW-Bus mit den Zeugen Swoboda und Baumann dort. Diese hatten nach Beendigung einer Schiffskontrolle am Konstinkai aus mehreren hundert Metern Entfernung Rauch aufsteigen sehen. Sie waren zuvor auf der Fahrt zu dem Schiff gegen 3.00 Uhr an dem Haus vorbeigekommen und hatten nichts Auffälliges bemerkt. Auch um etwa 3.15 Uhr war nichts Auffälliges an dem Haus, als der Zeuge Martin Kra, der in dem Maus einen Bekannten wohnen und deshalb darauf geachtet hatte, mit dem Fahrrad auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle dort entlang kam. Ebenso war es, als etwa zu der Zeit die Zeugen Manfred Topp, Martin Krohmann und Klaus-Peter Eickenjäger mit Rangierarbeiten auf dem Gleisgelände entlang der Hafenstraße am Konstinkai beschäftigt waren. Diese nahmen das Feuer erst wahr, als sie auf dem Rückweg waren und die Einsatzkräfte schon dort waren. Ebenso war dem Zeugen Martin Muschke nichts Ungewöhnliches aufgefallen, als er gegen 3.30 Uhr mit seinem Lkw vom Hofplatz neben dem Imbiß an der Hafenstraße losgefahren und an dem Haus vorbeigekommen war. Ähnlich war es bei der Zeugin Bärbel Dührkop, die nach ihrer Schätzung um 3.41 Uhr dort vorbeigekommen war, als sie mit dem Auto unterwegs war, ihre Kollegin Melanie Glowick zur Arbeit abzuholen. Auf der Hinfahrt hatte sie nichts wahrgenommen, was für sie auf einen Brand hingedeutet hätte. Sie war einzig darüber verwundert, daß sie an dem Haus als einzigen Menschen einen nur mit einem Slip bekleideten Farbigen auf dem Fenstersims öder an der Satellitenschüssel hatte hängen sehen. Auf der Rückfahrt mit der Zeugin Glowick wenige Minuten später wurde sie von einem Beamten an dem Haus nicht mehr vorbei gelassen Zu diesem Zeitpunkt brannte es schon. Flammen schlugen aus einem Fenster im ersten Stock an der Hafenstraße. Aus dem Holzvorbau sah sie auch Flammen schlagen. Die Zeugin Glowick hatte nicht in die Richtung Konstinstraße gesehen.
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Nach dem Abstellen ihres Dienstfahrzeugs auf der Fahrbahn der Einmündung Konstinstraße/Hafenstraße fielen den Zeugen Swoboda und Baumann zwei weibliche Personen am Boden des Bürgersteigs der Hafenstraße zur Konstinstraße hin liegend auf. Mehrere Personen gingen umher, andere waren an den Fenstern, um sich zu retten. Aus dem Fenster des Zimmers der Zeugin Davidson im ersten Stockwerk zur Hafenstraße hin links schlugen Flammen. Durch die Fenster anderer Zimmer im ersten Stockwerk war Feuerschein vom Flur her erkennbar. Im Erdgeschoß des Hauses war kein Feuer. Bei seinem Rundgang um das Haus fiel dem Zeugen Swoboda auf, daß diagonal zu der Brandstelle vorne an der Hafenstraßenseite auch auf der Hofseite aus dem linken Fenster des ersten Stockwerks Flammen schlugen. Am Vorbau nahm er nichts wahr. Auf die Eingangstür achtete er nicht. Der Zeuge Baumann hatte wegen seiner Bemühungen um verletzte Menschen ebenfalls nicht den Vorbau im Auge. Ab etwa 3.47 Uhr trafen die ersten Fahrzeuge der Feuerwehr ein, die deshalb so schnell dort waren, weil sie von einem Einsatz in der Innenstadt Lübecks am Koberg sogleich in die Hafenstraße fahren konnten. Weitere Fahrzeuge kamen kurz darauf von der Feuerwehrwache hinzu. Bei der Ankunft des Einsatzleiters, des Zeugen Dietmar Schiemann, und des nächsten Feuerwehrfahrzeugs war, die mit starker Rauchentwicklung verbundene Brandsituation so, daß im Erdgeschoß kein Feuer war, sondern daß im ersten Stockwerk in dem Eckbereich Konstinstraße/Hafenstraße mit dem Zimmer der Zeugin Davidson sowie auf der diagonal gegenüberliegenden Ecke zur Hofseite hin von außen die stärksten Brandstellen zu sehen waren - dort schlugen Flammen aus den Fenstern - sowie, daß es in dem Eingangsbereich des Vorbaus brannte. Dem Zeugen
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Horst Kläber, der auf 31 Jahre Berufserfahrung bei der Feuerwehr zurückblickt, erschien dies eigenartig, daß es drei isolierte Brandstellen in unterschiedlichen Bereichen des Hauses waren
Nachdem die Feuerwehrleute sich um die verletzten am Haus gekümmert, die restlichen Personen aus den Fenstern auf der Hafenstraßenseite mit Sprungpolstern und Leitern gerettet und auch die acht Personen auf der Hofseite von dem Dachgesims auf einer Drehleiter und nach deren Umkippen auf einer Steckleiter heruntergeholt hatten, wurden die Löschmaßnahmen durchgeführt, die von einzelnen Feuerwehrleuten schon während der Rettungsbemühungen unternommen worden waren, nämlich im Bereich des Vorbaus. Hier ging, nachdem alsbald nach der Ankunft Schläuche gelegt worden waren, der Zeuge Reiner Steffen vom Angriffstrupp mit Brandschutzkleidung und einem C-Schlauch in den Eingangsbereich hinein. Dabei nahm er keine Tür wahr. Er empfand den Zugang als großes Loch Die Haustür mit der Drahtglasfüllung war nicht mehr vorhanden. Unmittelbar an der Türschwelle bis in einen Bereich von mindestens zwei Metern dahinter waren züngelnde Flammen an Wand, Decke und Fußboden. Es war keine durchgehende Flammenfront. Der Zeuge löschte die Flammen so weit, daß er in den Vorbau hineingehen und anschließend die Treppe hochsteigen konnte, indem er auch hier züngelnde Flammen an Wand und Decke löschte. Größere Gegenstände brauchte er bei dem Begehen der Treppe nicht zu überwinden. Von oben hingen Drahlitzen herunter. Am Treppenaustritt im ersten Stockwerk blieb der Zeuge stehen und löschte dort etwa drei Minuten lang. Als er verspürte, daß von oben etwas herunterfiel,
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ging er den Weg zurück. Auf der Treppe und im Vorbau merkte er nichts mehr herunterfallen. Später stellte er auf seinem Helm und seiner Jacke Bitumenplacken fest, die von oben heruntergekommen waren. Als er wieder zu dem Eingang zurückgekommen war, war das Feuer wieder entfacht. Es wurde von seinem Kollegen gelöscht, so daß der Zeuge Steffen sicher ins Freie gelangte. Auch der Zeuge Peter Theml stellte bei seinem Löschangriff etwa eine Minute nach dem Eintreffen am Brandort fest, daß der Vorbau brannte und die Eingangstür nicht mehr vorhanden war. Das Feuer brannte mit so starker Hitze im Vorbau, daß der Zeuge Theml nur bis zur Treppe kam über größere Balken oder Bretter brauchte er dabei nicht hinwegzusteigen. Nachdem der Angeklagte von dem Dachgesims herunter gekommen war, kümmerte er sich um seine verletzten Eltern und andere. Er unterhielt sich über den Brand mit seinem Vater, der ihm u.a. von einem Quietschen der Gartenpforte und einem Knall berichtete. Er besorgte sich von einem Mitglied der Familie El-Omari eine Telefonkarte, mit der er seine Bekannten Ahmed El Rifahe und Bassam Trad anrief. Er hielt sich im Stadtwerke-Bus auf, der zum Aufwärmen bereitstand, und unterhielt sich mit dessen Fahrer, dem Zeugen Mario Bernet-Wiebelitz, dem er auf dessen Frage zum Brand, was passiert sei, sagte, er habe es knallen hören und welche weglaufen sehen. schließlich fuhr er in dem Bus mit den anderen Leichtverletzten gegen 5.30 Uhr in das Priwall-Krankenhaus, das er aber gemeinsam mit dem Zeugen Ahmed El-Rifahe alsbald wieder verließ, Auf dem Gelände des Krankenhauses ließ der Angeklagte in einem Papierkorb sein langes arabisches Gewand, eine Art Kaftan, zurück, das dann einige Tage später in einem Entsorgungscontainer gefunden wurde. Wie es dort hin kam; ist nicht bekannt.
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Das Gewand will der Angeklagte sich in der Brandnacht vor dem Hinaussteigen auf das Dach des Hauses angezogen haben. Das Kleidungsstück wurde kriminaltechnisch untersucht. Es zeigten sich an ihm keine Hinweise auf Brandlegungsmittel.
In dem zum Priwall fahrenden Bus, in dem Lärm und Hektik herrschte, kam es während der Fahrt dazu, daß der Angeklagte von dem Zeugen Jens Leonhardt, einem ehrenamtlich tätigen. Rettungssanitäter, medizinisch versorgt wurde. Als der Zeuge den Angeklagten, der auf der letzten Bank des Busses alleine saß, auf sein Befinden ansprach, sagte der Angeklagte: "Wir waren's". Der Angeklagte erzählte sinngemäß weiter, es habe einen Streit mit einem Hausbewohner oder Familienvater gegeben, dafür habe man sich rächen wollen, man habe ihm Benzin oder eine andere brennbare Flüssigkeit an die Tür gekippt und angezündet, das sei die Treppe brennend heruntergelaufen, und die Treppe habe in Flammen gestanden.
Noch in der Nacht des Brandes wurden die Toten aus dem Haus geborgen. Weil kriminalpolizeiliche Untersuchungen in der Brandruine noch nicht verantwortbar waren, geschah dies aus den oberen Stockwerken über Leitern durch die Feuerwehr. Sylvio Amossou wurde im Vorbau auf dem Fußboden bäuchlings liegend, mit Brandschutt bedeckt und am ganzen Körper stark verkohlt aufgefunden. Unter seinem Körper lag kein Bauschutt. Später bei seiner gerichtsmedizinischen Untersuchung wurde lose an seinem Leib und seinen Gliedmaßen liegend ein Draht gefunden, dessen Herkunft ungeklärt blieb. Ein Vergleichsdraht wurde im Vorbau und Treppenhaus nicht gefunden. Die Ursache, die Sylvio Amossous Tod herbeiführte, ist nicht eindeutig geklärt.
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Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen um das Haus herum und im Haus, insbesondere im Bereich des Vorbaues und des rechten Flures, bei denen Brandschuttproben genommen wurden, ergaben unter Einsatz eines Photoionisationsdetektors (PID) keinen Hinweis auf Brandlegungsmittel. Die durch das Untersuchungsgerät nachweisbaren Stoffe, die auf ein Brandlegungsmittel hingedeutet hätten, können unter der Einwirkung der starken Hitze und des Löschwassers verlorengegangen sein. In dem rechten Flur wurden bei dem Aussieben des Brandschutts verschieden gewölbte Glasscherben und ein roter, vermutlich von einer Babyflasche herrührender Kunststoffschraubdeckel gefunden. In der Wohnung der Familie Eid wurden ein 20-Liter-Benzinkanister sowie ein roter und ein zusammengeschmolzener gelber Kunststoffrest festgestellt. Von dem Fußboden des rechten Flures wurde eine Materialprobe der Spanplatte mit der Durchbrennung gesichert, deren gaschromatographische Überprüfung ebenfalls keinen Nachweis auf Brandlegungsmittel ergab. Die Spanplatte wurde nach der Untersuchung beseitigt.
Das Gebäude wurde durch den Brand zerstört. Das Feuer stieg unmittelbar aus dem rechten Flur nach oben und verursachte nahezu senkrecht nach oben einen trichterförmigen Durchbrand, der sich an der Wand des rechten Flures an den Rändern des Trichters durch Verrußungen abzeichnete. Außerdem breitete sich das Feuer zunächst in den oberen Raumschichten von dort zu den Seiten hin aus und zerstörte Wandverkleidungen, Türen, insbesondere die Treppenflurtür und die Tür zur Wohnung Eid, und angrenzende Zimmer insbesondere das Zimmer der Zeugin Davidson. Die unmittelbar im Treppenbereich befindlichen Zimmer der Wohnung Eid im ersten Stockwerk blieben weitgehend, bis auf Schäden durch Verrußungen und geringe Brandzehrungen verschont.
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Lediglich das hintere Zimmer zur Brüggen-Seite hin wies stärkere Brandzerstörungen auf, die dort über den Küchenbereich hinweg durch Heißgasschichten - kenntlich durch ein horizontales, vom Deckenbereich nach unten verlaufendes Brandspurenbild - und ein geöffnetes Fenster entstanden waren. Die Treppenflurtür im ersten Stockwerk war ebenfalls von oben weggebrannt. Deren Türschwelle war durch heruntergefallenen Ruß gegen direkte Feuereinwirkung abgeschirmt und nahezu unbeschädigt. Im zweiten Stockwerk traten die Brandzerstörungen besonders im Flur oberhalb des rechten Flures und in den Zimmern der Familie Makodila besonders zur Brüggen-Seite hin auf. Außerdem wurden beide Holztreppen vom ersten zum zweiten Stockwerk und in das Dachgeschoß durch das Feuer vollständig zerstört. im Vorbau waren die stärksten Brandzerstörungen im Türbereich und an der Wand zur Hofseite hin, wo zwei kreisrunde Löcher in der Wand entstanden, deren Ursache unklar ist. Der an den Vorbauflur angrenzende Lagerraum und das Dach wurden bis auf Randbereiche von dem Feuer kaum erfaßt. Noch in der Brandnacht wurden drei junge Männer aus Grevesmühlen, die in der Hafenstraße dicht bei dem Brandhaus am Beginn des Löscheinsatzes polizeilich überprüft wurden, als Tatverdächtige vorläufig festgenommen, später aber wieder freigelassen. Als der Zeuge Leonhardt davon im Radio hörte, meldete er sich, nachdem er zuvor mit seinem Freund Matthias Hamann darüber und über eine mögliche Verschwiegenheitspflicht gesprochen hatte, bei der Polizei. Der Zeuge Leonhardt wollte mit seinem Wissen zur Wahrheitsermittlung beitragen.
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III.
Der Angeklagte bestreitet die Tat. Er hat sich dahin eingelassen, daß er und seine Brüder Mohammed und Ghasswan in ihrem Zimmer im Dachgeschoß seit 23/24.oo Uhr geschlafen hätten, als er den Alarmmelder und auch Schreie ihrer Nachbarn, der Familie Alias, gehört habe. Er und seine Prüder seien danach schnell aufgestanden. Er habe sich sein arabisches Gewand, eine Art Kaftan, angezogen. Auf die Hilferufe von nebenan habe er denen durch die Wand zugerufen, sie sollten keine Angst haben, es sei nur ein kleines Feuer. Das habe er gesagt, weil es schon öfter Fehlalarm gegeben habe, und er angenommen habe, es sei wie immer. Er habe versucht, das Licht anzumachen. Danach sei er zur Tür gegangen, habe sie geöffnet und viel Rauch wahrgenommen. Seine Brüder hätten auch an der Tür gestanden. Ohne die Tür wieder zu schließen, sei er zum Dachfenster gegangen, durch das seine Brüder und er hinaus auf das Dachgesims gestiegen seien. Von dort sei er, wie die anderen, über die Leiter der Feuerwehr als letzter gerettet worden. Auf dem Gesims sei es sehr heiß gewesen. Hinter ihm sei heißer Rauch und auch Feuer gewesen, bevor er gerettet worden sei. Daher rührten seine Verletzungen an den Ohren.
Für eine Verurteilung des Angeklagten ausreichende Feststellungen hat die Kammer nicht treffen können.
Sein Bruder Ghasswan Eid hat das Zeugnis verweigert. Sein Bruder Mohammed Eid hat lediglich zu seinen bei dem Brand erlittenen Verletzungen ausgesagt. Weitere Personen, mit denen der Angeklagte im Brandentstehungszeitraum zusammen war oder die ihn beobachtet hätten haben können, sind nicht ermittelt worden.
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Belastet wird der Angeklagte durch den Zeugen Jens Leonhardt, der wie folgt ausgesagt hat: Er sei als Sanitäter ehrenamtlicher Helfer beim Deutschen Roten Kreuz. Um 4.22 Uhr sei er in der Brandnacht alarmiert worden und danach mit seinen Freunden Matthias Hamann und Nadine Meyer, die er von zu Hause abgeholt habe, zum Sammelpunkt in der Cambrai-Kaserne gefahren. Dort habe er sich für den Einsatz umgezogen und sich danach bei der Einsatzleitstelle als einsatzbereit gemeldet. Nachdem er den Anfahrtsweg und den Standort mitgeteilt bekommen habe, sei er mit dem DRK-Wagen in die Hafenstraße gefahren. Dort habe er sich erneut gemeldet. Er sei für den Bus mit den Leichtverletzten, als Rettungssanitäter eingeteilt worden. Mit ihm sei auch Nadine Meyer im Bus gewesen. Nach einer ersten Sichtung der siebzehn oder achtzehn Personen nach ihrem Verletzungsgrad hätten er und Nadine Meyer mit der Behandlung begonnen. Er sei von vorn nach hinten durch den Bus gegangen. Dabei sei ihm dann erstmals während der Fahrt in das Priwall-Krankenhaus der Angeklagte aufgefallen. Dieser habe auf der letzten Bank in der Mitte gesessen. Er habe die Seine gespreizt gehabt und habe, seine Ellenbogen auf den Knien aufgestützt, auf den Boden geschaut. Er sei im Gegensatz zu den anderen im Bus, die teilweise hysterisch geschrien hätten, sehr ruhig gewesen. Weil er bei dem Angeklagten eine Art Schock für möglich gehalten habe und deshalb an eine Behandlung im Rettungswagen gedacht habe, sei er zu dem Angeklagten gegangen und habe sich vor ihm hingehockt. Er habe dessen Puls gefühlt, wie er es immer mache Er habe den Angeklagten gefragt, ob alles okay sei. Der Angeklagte habe daraufhin ziemlich monoton ohne Stimmanhebung und -senkung einfach so hinausgesagt: "Wir warens." Daraufhin sei er aus der Hocke aufgestanden, habe sich rechts neben den Angeklagten gesetzt und nach vorn
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gebeugt zum Angeklagten gesagt, so etwas könne man nicht einfach sagen, das könne Kopf und Kragen kosten. Der Angeklagte habe hierauf nicht irgendwie beeindruckt reagiert, sondern nach kurzer Pause gesagt, es habe einen Streit mit einem Hausbewohner gegeben oder Familienvater Man habe sich dafür rächen wollen. Man habe ihm Benzin oder eine andere brennbare Flüssigkeit an die Tür gekippt und angezündet. Das sei die Treppe brennend heruntergelaufen, und die Treppe habe in Flammen gestanden.
Er, der Zeuge, sei darauf sprachlos gewesen. Er habe sich gesagt, das sei jetzt nicht seine Aufgabe, und gedacht, der Angeklagte könne unter einem Schock gestanden haben. Er könne das Gespräch - mit Ausnahme der Worte "Wir waren's" wegen des langen Zeitablaufs und seiner wiederholten Vernehmungen dazu nicht mehr wortwörtlich, sondern nur sinngemäß wiedergeben. Er habe, weil dies nicht seine Aufgabe sei, den Angeklagten nicht zum Feuer befragt, insbesondere nicht dazu, wer mit "wir" gemeint sei. Später habe er sich darüber schon Gedanken gemacht. Er habe den Angeklagten dann nach seinen Verletzungen befragt. Dieser habe darauf gesagt, seine Ohren täten weh. Er habe sich die Ohren angesehen. Er habe die unters Hautschicht gesehen, die Ohren seien rußig gewesen. Die Wunden habe er mit einer Laktatlösung und sterilen Wundauflagen behandelt. Dann sei er wieder durch den Bus nach vorne gegangen: Nadine Meyer sei ihm entgegengekommen. Dieser habe er von dem Gespräch mit dem Angeklagten berichtet, worauf sie ihm entgegnet habe, das müsse er dem Polizisten im Bus sagen. Dazu habe er gesagt, das sei jetzt nicht die Zeit dafür. Zu der Unterrichtung der Polizei über das von ihm von dem Angeklagten Gehörte habe er sich entschlossen, nachdem er im Radio von der Freilassung der Grevesmühlener gehört habe.
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Der Angeklagte hat, nachdem er am Anfang der Ermittlungen ein Gespräch mit dem Zeugen Leonhardt überhaupt abgestritten hatte,, eingeräumt, hinten alleine im Bus auf dar Bank sitzend von dem Zeugen Leonhardt an den Ohren behandelt worden zu sein. Das Gespräch zwischen beiden schildert er abweichend, Der Zeuge Leonhardt habe ihn vielmehr gefragt, was los gewesen sei, worauf er dem Zeugen Leonhardt erwidert habe, er wisse es nicht, die hätten das gemacht, womit er die Nazis gemeint habe. Er habe dem Zeugen Leonhardt gesagt, er selbst habe nichts gehört. Jedoch sein Vater habe ein Quietschen und eine Bombe gehört. Darauf habe der Zeuge Leonhardt gesagt, das sei keine Bombe, vielmehr ein Molotowcocktail, ein ihm, dem Angeklagten, damals noch nicht bekanntes Wort, gewesen. Er erinnere sich, daß der Zeuge es ihm erklärt und etwas von Flasche und Benzin erzählt habe, währenddessen er ihn behandelt habe. Dann sei der Zeuge wieder weggegangen.
Der Zeuge Leonhardt hat dazu erklärt, sich nicht mit dem Angeklagten über Molotowcocktails unterhalten zu haben. Auch in einer polizeilichen Vernehmung, an die er sich in der Hauptverhandlung insoweit nicht mehr erinnert hat, hat er ausgesagt, mit dem Angeklagten nicht darüber gesprochen zu haben, was dieser ihm bezüglich eines angeblichen Gesprächs mit seinem Vater erzählt haben solle. Die Kammer hat dem Zeugen Leonhardt geglaubt. An seiner Glaubwürdigkeit haben sich keine durchgreifenden Zweifel ergeben. Der Zeuge Leonhardt hat kein Motiv für eine falsche Belastung des Angeklagten. Eine Belohnung war nicht ausgelobt worden. Er war bei seiner Meldung bei der Polizei auch nicht davon ausgegangen. Daß er erst nach der Freilassung der zunächst festgenommenen Grevesmühlener jungen Leute sein Wissen den Ermittlungsbehörden offenbart
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hat, spricht nicht gegen ihn. Einen Anflug von Geltungsbedürfnis hat die Kammer bei dem Zeugen nicht ausmachen können. Vielmehr hat die Kammer von dem Zeugen Leonhardt den Eindruck eines verantwortungsbewußten jungen Menschen gewonnen, dem es darum gegangen ist, zur wahrheitsgemäßen Aufklärung des Geschehens beizutragen. Der Zeuge hat von dem Gespräch mit dem Angeklagten im Bus im Kern immer gleich berichtet. Widersprüche in seiner Aussage sind trotz umfassender, von allen Blickwinkeln erfolgter stundenlanger Befragung nicht aufgetreten. Er hat auch deutlich gemacht, in welchen Punkten er sich nicht mehr ganz sicher war, wobei er keinen Zweifel daran gehabt hat, was den Inhalt des Gesprächs mit dem Angeklagten anbelangt. Verständigungsschwierigkeiten und dadurch bei dem Zeugen Leonhardt entstandene Mißverständnisse hat es nicht gegeben. Der Angeklagte versteht deutsch und kann sich auf deutsch ausdrücken, soweit es sich um Alltagssprache handelt. Das hat sich der Kammer in der Hauptverhandlung gezeigt. Das Gespräch zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen entsprach diesem Niveau. Die wörtlich von dem Zeugen Leonhardt erinnerte Angabe des Angeklagten "wir warens's" ist zur Überzeugung der Kammer bei dem Gespräch gefallen. Daß der Angeklagte insofern etwas anderes, nämlich "die waren's", wie von ihm auch während der Ermittlungen in den Raum gestellt worden ist, gesagt und daß der Zeuge Leonhardt insofern den Angeklagten falsch verstanden haben könnte, hat der Zeuge Leonhardt sicher ausgeschlossen. Die Kammer hat es ihm geglaubt. Zu diesen von dem Angeklagten gefallenen Worten paßt die - nicht der Version des Angeklagten entsprechende - Reaktion des Zeugen, so etwas sage man nicht, man könne dabei Kopf und Kragen riskieren. Daß der
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Angeklagte darauf eine kurze Pause gemacht hat, kann darauf beruhen, daß er überlegt hat, weil ihm die Bedeutung der Redewendung nicht gleich vertraut war. Der Angeklagte hat dann aber - so wie der Zeuge Leonhardt es empfand - unter dem Eindruck des Geschehenen sich die Sache von der Seele reden wollen. Daß der Angeklagte zuvor auf andere den Eindruck gemacht hatte, als sei er einer der wenigen, der in hektischen Situation zu besonnenem Handeln in der Lage war, steht dem nicht entgegen. Es ist zwar richtig daß er der. Familie Alias half, aus ihrer Wohnung auf das Dachgesims zu gelangen, daß er vom Gesims aus seinem Bruder Ahmed zurief, die Polizei zu verständigen, und daß er auf den Busfahrer Mario Bernet-Wiebelitz einen relativ ruhigen und ausgeglichenen Eindruck machte, und er nach dessen Aussage zwei- oder dreimal den Bus verließ und sich umsichtig um andere Verletzte kümmerte. Nachdem er nach dem Wegfahren vom Brandhaus das schreckliche Geschehen nicht mehr vor Augen hatte und auch einige Zeit verstrichen war hält die Kammer es für möglich und legt es ihrer Bewertung zugrunde, daß der Angeklagte in einem Augenblick der Besinnung sich die Sache von der Seele reden wollte, weil er allein damit nicht fertig wurde, ohne daß damit schon feststeht, in welcher Weise er mit der Sache etwas zu tun hatte. Die Aussage des Zeugen Leonhardt über das von dem Angeklagten Gehörte ist insoweit durch das Brandspurenbild bestätigt worden, als die Brandlegung nicht von außen in das Haus getragen wurde. Daß es sich um eine Brandlegung gehandelt hat, ergibt sich zweifelsfrei daraus, daß technische Ursachen, Naturereignisse oder andere vergleichbare Unglücksfälle für die Entstehung des Brandes ausscheiden.
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Die elektrische Anlage des Hauses war noch in einem Zeitpunkt intakt, als die Bewohner schon den Brand, insbesondere den starken Qualm, bemerkt hatten und sich zu retten versuchten. Wie die Zeugin Aida~Alias, die im Dachgeschoß wohnte, die Zeugen Assia, Khalil und Salao El-Omari aus dem zweiten Stockwerk, die Zeugin Kate Davidson aus dem ersten Stockwerk und der Zeuge Kibolo Katuta aus dem Erdgeschoß sich glaubhaft erinnerten, brannte das elektrische Licht noch, ging aber nach kurzer Zeit aus. Dies geschah wegen eines Kurzschlusses, dessen Spuren in Form von' abbröselnden Kuprerperlen der Sachverständige Diplom-Ingenieur Wolfgang Kohnke, der als Sachverständiger für elektrische Fragen bei dem Landeskriminalamt tätig ist, bei seinen Untersuchungen im Bereich des elektrischen Zählers im ersten Stock festgestellt hat. Der Zählerkasten aus Kunststoff befand sich an der Wand im Treppenraum im ersten Stock rechts neben der Treppenflurtür vor dem Durchgang zum rechten Flur und war noch mit einem Holzschrank umkleidet. Hier befanden sich die Zähler für die einzelnen Wohnungen des Hauses und von hier verliefen die Stromkreise, die aus dem dreiadrigen, ummantelten Kupferleitungstyp NYM bestanden, in die Wohnungen. Der von dem Sachverständigen bei seiner Untersuchung noch teilweise vorgefündene Kunststoff des Zählerkastens, den er für seine weiteren Untersuchungen beseitigen mußte, wies Spuren thermischer Einwirkung von außen her auf. Der Holzschrank um den Zählerkasten herum war von oben her weggebrannt, die Unterseite war angekohlt noch vorhanden. Die für einen Kurzschluß typischen Kupferperlen befanden sich an der Zuführung unterhalb der Zähler. Die Steigeleitung von dem Hausanschlußkasten aus mit der Hauptsicherung im Keller war bis in das Erdgeschoß mit Ausnahme eines Teils unterhalb ,der
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Decke nicht brandbetroffen. Nach den überzeugenden Ausführüngen des Sachverständigen Kohnke war bei diesem Brandspurenbild der elektrischen Leitung der Kurzschluß nicht Brandursache, sondern der schon eingetretene Brand führte den Kurzschluß herbei. Andere von dem Sachverständigen untersuchte Stellen der elektrischen Leitungen des Hauses kamen für die Brandentstehung nicht in Frage. Insbesondere im Eingangsbereich des Vorbaus, wo Fußbodeneinbrennungen hinter der Haustür und zwei kreisrunde Durchbrennungen der Holzwand zur Hofseite hin waren, befanden sich keine elektrischen Leitungen, die brandursächlich hätten ,gewesen sein können. Im Fußbodenbereich im rechten Flur, wo sich die intensivsten Einbrandspuren befanden, waren weder oberhalb des Fußbodenbereichs noch innerhalb der Geschoßdecke elektrisch- technische Leitungsmaterialien vorhanden Unterhalb der Holzbalkendecke im rechten Flur waren Reste einer Metallmantelleitung, die nach dem Zustand ihrer Ausführung ein Leitungsstück der alten Installation war und die, sofern sie doch unter elektrischer Spannung gestanden habe sollte, aufgrund der verlegeweise im Putz im Falle eines technischen Defekts als brandursächlich ausgeschlossen ist. Diese erläuterten Feststellungen des Sachverständigen Kohnke mit der von ihm daraus gezogenen Schlußfolgerung hat die Kammer überzeugt.
Brandursächlich war auch nicht die Gasanlage im Haus. Wie der Brandsachverständige Dr. Holger Herdejürgen vom Landeskriminalamt unzweifelhaft dargelegt hat, habe ein Defekt der Gasleitung nicht vorgelegen.
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Nahe der schwerwiegendsten Brandzerstörung im rechten Flur war die Warmwasser-Gastherme in der angrenzenden Küche äußerlich zwar beschädigt, nicht jedoch ihr Gasröhrensystem. Auch sonst war die Gasleitung im Haus in Ordnung.
Die Zugänge in das Haus waren nicht offen. Der ehemalige Zugang an der abgeschränkten Hausecke Konstinstraße/Hafenstraße war nicht mehr benutzbar. über ,den Zugang zum Keller von der Hofseite her waren die Stockwerke darüber nicht erreichbar. Vom Keller gab es keinen Zugang nach oben. Die Haustür im Vorbau an der Konstinstraße war abgeschlossen. Der Zeuge Khalil El-Omari hatte sie gegen Mitternacht verschlossen, und der Zeuge William Munir hatte sie, als er einige Zeit später nach Hause kam, nach dem Aufschließen wieder verschlossen. Beiden Zeugen hat die Kammer dies geglaubt. Ihren Aussagen entspricht auch das Ergebnis der Untersuchung des nach dem Brand gesicherten Türschlosses der Haustür durch den Sachverständigen für Werkzeugkunde vom Landeskriminalamt Reinhard Kreutz. Dieser hat überzeugend ausgeführt, der Schließriegel des Sicherheitsschlosses, der (vermutlich durch die Hitze) etwas verbogen worden sei, sei zweifach ausgeschlossen gewesen, d.h. nicht im Schließkasten gewesen, und in dieser Stellung durch die Zuhaltung gesichert gewesen Von außen hätten sich weder am Schließblech noch an dem Rohrteil der Tür Spuren von Gewalteinwirkung gezeigt. Nach dem Öffnen des Zylinders durch ihn hätten sich auch keine Spuren ergeben, die auf die Benutzung eines Nachschlüssels hingewiesen hätten. Daß die Tür auch geschlossen gewesen war, d.h. sich im Anschlag, des Türrahmens befand, geht deutlich daraus hervor, daß sich an
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der Türrahmenunterkante zwischen den Aufliegeflächen des Türflügelrestes und des Türrahmenrestes im Gegensatz zu den Fußbodenflächen daneben kein Brandschutt befand und diese Stelle auch keine Berußungen aufwies, wie sich bei den kriminaltechnischen Untersuchungen herausstellte und der Zeuge Sahm glaubhaft bekundet hat. Hieraus hat die Kammer mit dem Sachverständigen den Schluß gezogen, daß die Tür geschlossen war und deshalb dort im Anschlag des Türrahmens vor Brandeinwirkungen geschützt war.
Die Fenster des Erdgeschosses, von denen aus ein Zugang zur Brandlegung im Inneren des Gebäudes möglich gewesen wäre, waren geschlossen. Das haben die Untersuchungen des bei dem Landeskriminalamt für Werkzeugspuren tätigen Sachverständigen Lothar Winthört ergeben. Daß die Untersuchungen nicht alsbald nach der Brandlegung unternommen wurden, steht nicht entgegen. Die von dem Sachverständigen untersuchten Beweismittel waren noch so vorhanden, daß ihnen sichere Schlüsse entnommen werden konnten. Mit Ausnahme des Fensters zum Büroraum wiesen die Fenster keine Spuren von Gewalteinwirkung auf, die an den Holzteilen auf einen Aufbruch hätten hindeuten können. Die Hebelspuren am Bürofenster wurden von einem Feuerwehrmann verursacht, wenngleich der Betreffende nicht mehr hat ausfindig gemacht werden können. Im übrigen war die Bürotür am 17. Januar 1996 abends bei seinem Weggang nach Dienstschluß von dem Zeugen Roman Schick abgeschlossen worden, wie dieser glaubhaft ausgesagt hat. Der Zeugen Obenaus hat zudem bei seinen kriminaltechnischen Untersuchungen das Schloß der weggebrannten Bürotür mit herausstehender Schloßzunge
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vorgefunden. Bei den beiden einflügeligen seitlichen Fenstern des Vorbaus zur Hofseite hin war der Fensterflügel das großen Fensters nicht mehr vorhanden. Er war bis auf die Gestänge verbrannt. Während die Außenseite des Fensterrahmens des großen Fensters vom Brand fast unbeeinträchtigt war, wies er an der Innenseite starke Brandeinwirkungen auf. Die Brandzehrungen fanden an dem Rahmeninnenfalz ihre Begrenzung dort, wo der ursprüngliche Fensterflügel gesessen hatte. In diesem Bereich war auch hoch der ursprüngliche Farbanstrich vorhanden. Aus den angeführten Erwägungen hat der Sachverständige Witthöft den Schluß gezogen, daß das große Fenster während des Brandes geschlossen war. Das hat die Kammer überzeugt. Ungeachtet der Angaben von Zeugen, daß das kleine Fenster des Vorbaus von außen leicht zu öffnen gewesen sei und auch schon beim Auftreffen eines Fußballs aufgegangen sei, steht für die Kammer mit dem Sachverständigen Witthöft fest, daß auch das kleine Fenster während des Brandes geschlossen war. Bei dem kleinen Fenster befanden sich alle drei Schließzapfen in dem Führungslangloch am unteren Ende, also in der Schließstellung. Dazu kommt, daß die innere Leibungsseite des Fensterrahmens sowie die Unterseite des Fensterflügels von Brandeinwirkungen kaum beeinträchtigt wurde, so daß der Farbanstrich noch vorhanden war, weil Rahmen und Flügel aneinanderlagen und die Farbe gegen den Brand abschirmten. Im übrigen wies das Fenster aber, starke verkohlungen auf.
Daß ein Täter nach dem Einstieg durch ein von ihm aufgebrochenes Fenster - wobei wegen der ansonsten fehlenden Aufhebelspuren an den anderen Fenstern nur das große Fenster
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des Vorbaus in Betracht käme - und einer Brandlegung im Haus nach dem Ausstieg das Fenster von außen wieder geschlossen haben könnte, erscheint der Kammer eine lediglich theoretische, nicht ernstlich in Betracht zu ,ziehende Denkmöglichkeit. Dies gilt auch insbesondere für das kleine Fenster des Vorbaues, das zwar durch Überwinden eines Hubs von vier, Millimetern zu öffnen war, jedoch nur mit einem technischen Hilfsmittel in angehobenem Zustand wieder geschlossen werden konnte.
Auch eine Brandlegung von außen durch den Briefkastenschlitz, der sich rechts neben der Eingangstür befand, sieht die Kammer als ausgeschlossen an. Die Überprüfung der im Bereich der Treppenstufen vor der Eingangstür gefundenen Briefkastenklappe durch den Sachverständigen Reinhard Krentz hat hier keine Spuren ergeben, die mit einem gewaltsamen Öffnen oder Entfernen der Klappe im Zusammenhang stehen. Nach dessen überzeugenden Erläuterungen sei die vorhandene Verformung an einer Ecke durch den Aufprall auf einen harten Untergrund entstanden, wie er bei den Stufen der Treppe gegeben sei. Die Halterung der Klappe, die - was aus den Profilleisten geschlossen werden könne - aus Kunststoff bestanden habe, sei infolge Hitze weggeschmolzen, so daß die Klappe auf den Boden gefallen sei. Wie der Sachverständige dargelegt hat, wäre im Fall einer Verbringung von Brandlegungsmitteln (wie z.B. Benzin) durch den Briefkastenschlitz von außen in das Haus hinein bei der Zündung eine Verpuffung zu erwarten gewesen, die die Klappe, die nur aus Leichtmetall bestanden habe, erkennbar deformiert haben würde. Die Ausführungen des Sachverständigen haben die Kammer überzeugt.
Andere Brandursachen für den Vorbau sind denkbar, ,aber nicht sicher feststellbar.
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Die Brandsachverständigen Dr Herdejürgen vom Landeskriminalamt und Dr. van Bebber vom Bundeskriminalamt haben in dem Bereich der stärksten Brandzerstörung im ersten Stockwerk im rechten Flur den Brandherd gesehen, von dem aus sich das Feuer auf direktem Weg in die angrenzenden Räume und in die oberen Stockwerke und durch heiße Rauchgasschichten, die Brandstellen an anderen Orten des Hauses entfachten, ausbreitete. Diesen Schluß haben sie nicht allein aus den stärksten Brandzerstörungen an dieser Stelle gezogen. Diese würden sich auch schon dadurch erklären, daß es hier nahezu in der Mitte des Hauses am längsten gebrannt hatte, weil dieser Bereich von der Feuerwehr zum Löschen am schlechtesten erreichbar war. Vielmehr war für beide Sachverständigen die von ihnen bei ihren Untersuchungen im rechten Flur einzige festgestellte tiefe Einbrandstelle im Fußboden an der Wand gegenüber der Küchenzeile nahe der Zimmertür der Zeugin Agonglovi, des dritten Zimmers aus Richtung Konstinstraße und vom Flurfenster an der Konstinstraße über acht Meter entfernt, ein typisches Merkmal für die Verwendung eines flüssigen Brandlegungsmittels. Nach diesen Untersuchungen bestand der Fußboden dort im rechten Flur aus einer 22 mm dicken Spanplatte, die mit einem Bodenbelag aus selbstständig (nämlich ohne Stützflamme) brennbarem PVC bedeckt war und mit einer Unterlattung auf der ursprünglichen Dielenlage aufgebracht war Auf einer Fläche von knapp 40 x 60 cm war die Spanpiatte fast kreisrund durchgebrannt und an dem Lochrand eingebrannt. Die Dielen lagen auf Balken, zwischen denen Bauschutt war Bis dort war es zu Durchbranderscheinungen von oben nach unten gekommen, jedoch nicht weiter, so daß eine Brandübertragung aus anderen
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Bereichen der Geschoßdecke oder aus dem Erdgeschoß nicht stattfand. Das Feuer breitete sich - wie das Brandspurenbild mit der abnehmenden Brandintensität an den Seiten für beide Sachverständige ergab - von dieser Stelle entlang der mit Holzfasertafeln versehenen Wand nach oben trichterförmig aus, fraß sich durch die Holzbalkendecke dar Geschoßdecke bis in das zweite Stockwerk und von dort wiederum trichterförmig sich ausweitend in das Dachgeschoß und in das Dach des Hauses. Für ein solches Brandspurenbild sei ein halber Liter Benzin, als Brandlegungsmittel ausreichend. Die weiteren Brandzerstörungen seien Folgeerscheinungen des Brandherdes im rechten Flur, wobei das Feuer in den Flur des Vorbaues dadurch gelangt sei, daß brennende Teile der Holztreppe heruntergefallen seien und danach den Vorbau in Brand gesetzt hätten. Diese Darlegungen der beiden Sachverständigen waren, soweit sie den Brandherd im rechten Flur betreffen, für die Kammer nachvollziehbar und haben sie überzeugt. Die Kammer ist ihnen gefolgt. Daß bei den kriminaltechnischen Untersuchungen an der Brandlegungsstelle im rechten Flur kein Nachweis von Benzinrückständen oder anderen flüssigen Brandlegungsmitteln mit dem Photoionisationsdetektor und auf gaschromatographischem Weg hat geführt werden können, steht nicht entgegen. Auch in anderen Brandfällen hat es schon solche Nachweisschwierigkeiten gegeben, was sich einfach damit erklärt, daß derartige flüssige Brandlegungsmittel sich durch Hitze verflüchtigen und ihr Nachweis auch durch Löschwasser beeinträchtigt ist, wie die Sachverständigen Dr. Herdejürgen und Dr. van Bebber überzeugend dargetan haben.
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Auch der Brandsachverständige Rodger Ide aus Birmingham (England) ist nach seinen Untersuchungen, mit denen er allerdings erst knapp ein Jahr später nach dem Brand befaßt war, zu dem Ergebnis gelangt, daß der Brand im rechten Flur ausgegangen sei und hat als einen weiteren Brandherd den Flur des Vorbaus insbesondere aufgrund der dort hinter der Tür vorgefundenen Einbrennungen in den Fußboden genannt. Nach seinen Überlegungen müsse der Brandherd im rechten Flur jedoch nicht an der von den Sachverständigen Dr. Herdejügen und für van Bebber bezeichneten Stelle gelegen haben.
Vielmehr erklärten sich die dortigen starken Zerstörungen dadurch, daß diese Stelle nur schwer von der Feuerwehr beim Löschen habe erreicht werden können. Der Sachverständige Ide hat den Brandherd im rechten Flur in der Nähe des Fensters an der Konstinstraße gesehen. Dort sei eine äußerst starke Hitzeentwicklung gewesen, was sich ihm darin gezeigt habe, daß an der dem Zimmer der Zeugin Davidson gegenüberliegenden Flurwand Abplatzungen des Ziegelmauerwerks gewesen seien; solche Risse könnten thermisch bedingt bei großer Hitze auftreten. Diese Erwägungen hat die Kammer hier nicht für zutreffend erachtet. Insoweit ist nicht hinreichend berücksichtigt, daß das Mauerwerk durch die Löschmaßnahmen naß geworden war und danach der Witterung ausgesetzt war, so daß die Abplatzungen auf den nachfolgenden späteren Frost zurückzuführen sind, wie es auch die Sachverständigen Dr. Herdejürgen und Dr. van Bebber vertreten haben.
Als Ausgangspunkt für den, Brand hat auch der Sachverständige Prof. Ernst Achilles den Vorbau des Hauses gesehen. Nach seiner Erklärung seien von dort aufgrund des Kamineffektes des Treppenhauses heiße Rauchgase in das erste Stockwerk aufgestiegen. Diese seien dann im rechten Winkel Richtung Treppenflurtür gezogen und dann in den rechten Flur gelangt, wo dann im Laufe des Brandes Teile der Decke oder etwas anderes heruntergefallen sei und den Einbrand in den Fußboden verursacht habe.
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Als mögliches Material, das solche Einbrennungen hätte verursachen können, sei an der Decke des rechten Flures möglicherweise vorhanden gewesenes Styropor zu sehen oder aber Dachteile bei dessen Einreißen mittels Kranes. Dem steht jedoch entgegen, daß das Dach erst nach Abschluß der Löschmaßnahmen mittels Krans ,teilweise beseitigt wurde und einmal an der Decke vorhanden gewesenes Styropor wahrscheinlich auf Beanstandung der Feuerwehr hin lange Zeit davor beseitigt worden war: Die Überlegungen des Sachverständigen Prof. Achilles haben die Kammer nicht überzeugt, wenngleich der von ihm angegebene Brandverlauf durch die Computersimulation, die der Sachverständige Dr. Rainer Könnecke mittels des von ihm für den vorbeugenden Brandschutz entwickelten Computerprogramms Kobra-3D dargestellt hat, als möglich bestätigt worden ist. Der Sachverständige Prof. Achilles hat keine überzeugende Erklärung dafür geben können, daß die heißen Rauchgase nach dem Aufstieg im Treppenhaus in das erste Stockwerk im rechten Winkel in Richtung der mit einem Selbstschließer versehenen Treppenflurtür gezogen sein sollen und nicht den unmittelbaren Weg am Ende des Treppenaufganges in die Wohnung der Familie Eid genommen haben. Deren Wohnungstür und die Treppenflurtür waren nicht grundverschieden. Die Wohnungstür wurde ebenso zerstört wie die Treppenflurtür. In der Wohnung der Familie Eid waren im unmittelbaren Bereich hinter der Tür gegenüber dem rechten Flur und dessen angrenzenden Räumen aber weitaus geringere Brandbelastungen. Das Mobiliar war weitgehend heil geblieben. Unter der Zugrundelegung des von dem Sachverständigen angeführten Kamineffekts wären aber für die Kammer annähernd gleiche Brandzerstörungen zu erwarten gewesen. Dazu kommt, daß es für die Kammer nicht nachvollziehbar ist, daß bei einer Brandlegung im Vorbau mit Hilfe von Benzin das Dach aus Teerpappe praktisch unbeschädigt geblieben sein soll und es zudem auch nicht zu dem typischen trichterförmigen Abbrand gekommen ist. Der Kamineffekt, der das Wegführen der starken Hitze in der Treppenhaus bewirkt haben soll, vermag dies
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für die Kammer allein nicht zu erklären. Die von dem Sachverständigen Dr. Könnecke erstellte computersimulation, die von den Vorgaben des Sachverständigen Prof. Achilles ausgeht, hat die Zweifel der Kammer nicht beheben können, zumal die Sachverständige Dr. Silke Löffler vom Bundeskriminalamt - ebenfalls unter Verwendung des Programms Kobra-3D - bei ihrer Computerberechnung aufgrund ,eines kalten Luftpolsters, das sich nach ihrer Darlegung mit dem Durchbrennen der sich selbst schließenden Treppenflurtür und öffnen von Türen und Fenstern im Bereich des rechten Flurs gebildet haben würde, das Vordringen der Rauchgase aus dem Vorbau in den rechten Flur gehemmt hätte. Letztlich hat die Kammer auf die auf den Sachverständigen Prof. Achilles zurückgehenden Überlegungen über den Ausbruch des Brandes im Vorbau nichts geben können. Der Sachverständige Prof. Achilles hat als Ausgangspunkt ,seiner Brandentstehungssthese die ihm nicht ausschließbar erscheinende Möglichkeit des Einsteigens in das Gebäude durch ein Fenster gesehen, wofür er einen Anhalt darin zu sehen meinen könnte, daß Klinkerplatten des Sockelgesimes unterhalb der Fenster des Vorbaus zur Hofstraße hin beim Einsteigen abgebrochen sein könnten, ohne hierfür auch nur den geringsten Hinweis aufgrund von Ermittlungen zu haben. Ähnliches gilt für die Einsteigemöglichkeit. Der Ansatz für seine Überlegungen war von dem Sachverständigen zu eng gesetzt worden.
Unter Zugrundelegunq der von den Sachverständigen Dr. Herdejürgen und Dr. van Bebber angegebenen Brandlegungsstelle im rechten Flur entspricht der Brandverlauf nicht dem Tatgeschehen, wie er dem Zeugen Leonhardt von dem Angeklagten zu Ohren gekommen ist. Das Brandlegungsmittel wurde in der Nähe einer Tür verschüttet, nicht aber an einer Tür. Geprüft hat die Kammer deshalb weiterhin, ob das Benzin möglicherweise an die Treppenflurtür gegossen worden sein könnte. Nach den
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kriminaltechnischen Untersuchungen stellte sich von der Schwelle dieser Tür aus ein Gefälle hin zu dem Brandort unterhalb des trichterförmigen Abbrandes sowie von der Schwelle zur Treppe hin heraus, so daß ausgegossenes Benzin möglicherweise in beide Richtungen geflossen und an der Treppe nach unten in den Flur des Vorbaus getropft sein könnte. Gegen eine solche Annahme spricht aber, ,daß die Schwelle der Treppenflurtür aus Holz nahezu unbeschädigt geblieben ist, was nicht zu erwarten gewesen wäre, wenn sie nach dem Anzünden des Benzins den Flammen ausgesetzt gewesen wäre. Vielmehr waren die Abbrandspuren in diesem Bereich von oben nach unten verlaufen, so daß herabfallender Ruß und Brandschutt die Türschwelle gegen Flammeneinwirkung abschirmten, was wiederum zeigt, daß die Brandbeeinträchtigung an der Türschwelle erst später eintrat, als die Flammen an anderer Stelle schon heiße Rauchgase entwickelt hatten. Dazu kommt, daß für das in Erwägung gezogene Ausschütten des Benzins an der Treppenflurtür das festgestellte Höhenniveau nicht als sicher zugrunde gelegt werden kann. Es kann, wie der Sachverständige Dr. Herdejürgen dargetan hat, sich durch die Einwirkung des Feuers und auch des Löschwassers verändert haben und erst nachträglich entstanden sein. Schlüsse gegen den Angeklagten sind auf dieser unsicheren Tatsachengrundlage nicht möglich.
Die Kammer hat danach die Überzeugung gewonnen, daß der Brand im rechten Flur des ersten Stockwerks gelegt wurde. Die Möglichkeit, daß jemand zur Brandlegung in das Haus eingestiegen ist, indem er die Haustürscheibe oder ein Fenster im Vorbau einschlug, ist anhand der vorhandenen objektiven Beweismittel zu überprüfen nicht möglich. Aus dem gefundenen, aber nicht asservierten Drahtglasklumpen, der nicht weiter untersucht wurde, kann dies nicht mehr nachvollzogen werden. Die Fensterscheiben Zerspringen auch unter thermischer Einwirkung und können dann auch im Inneren des Gebäudes liegen, wie die Sachverständigen Dr. Herdejürgen und Dr. van Bebber überzeugend erläutert haben.
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Weitere Untersuchungen an den Scherben sind nicht durchgeführt worden. Die Untersuchung hat nicht nachgeholt werden können, weil das Material dafür nicht mehr vorhanden ist.
Für die Kammer ist die Möglichkeit des gewaltsamen Eindringens von Personen von außen - für die einzig zweifelsfrei festgestellte Brandlegungsstelle im rechten Flur - nach der gesamten der Kammer bekannt gewordenen Tatsachenlage nur eine theoretische Erwägung, die für die Kammer letztlich deshalb ausgeräumt; ist, weil der Brandherd mitten im Haus war und es für die Kammer ausgeschlossen erscheint, daß ein Täter es gewagt hätte, so weit in das Haus einzudringen, zumal er bei der Größe des Hauses und den verwinkelten Fluren und den zahlreichen Türen immer mit Entdeckung hätte rechnen müssen. Für ausgeschlossen hält die Kammer es, daß die Brandstelle im rechten Flur mittels Molotowcocktails gelegt worden sein könnte. Dazu wäre es erforderlich gewesen, mit dem Wurf das Vorgartengelände und den Vorbau zu überwinden, das Flurfenster zu treffen und was letztlich der entscheidende Punkt ist - das Geschoß noch über den engen, mit verschiedenen Haushaltsgerätschaften der Bewohner (wie Wäschetrockner) verstellten Flur über eine Strecke von acht bis zehn Metern zu befördern. Das erscheint der Kammer nicht möglich, zumal auch: kein Zeuge in diesem Bereich das Geräusch einer zu erwartenden Verpuffung wahrgenommen hat.
Ohne sich insofern auf die Ausführungen der Sachverständigen Ide und Prof. Achilles zu stützen, ist die Kammer abweichend von den Erklärungen der Sächverständigen Dr. Herdejürgen und Dr. van Bebber davon ausgegangen, daß der Brand im Vorban schon in einer sehr frühen Phase des Brandgeschehens war, Die Annahme der Sachverständigen Dr. Herdejürgen und Dr. van Bebber, das Feuer im Vorbau sei durch heruntergefallene Treppenteile der Holztreppen entstanden, hat die Kammer nicht überzeugt. Gegen die Annahme der beiden Sachverständigen spricht, daß schon von den ersten zu dem brennenden Haus ,gekommenen Zeugen, wie den Zeugen Preuße, Bittner, Dührkop, Schiemann, Kläber, Steffen und Theml, der
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Vorbau in Flammen stehend gesehen wurde und daß der Zeuge Steffen, als er den Vorbau betrat, schon keine Eingangstür mehr wahrnahm; ihre Glasfüllung war schon zerschmolzen und herausgefallen. Der Vorbau war also in einer sehr frühen Phase des Brandgeschehens in Brand geraten. Daß anderen hinzugekommenen Zeugen der brennende Vorbau nicht aufgefallen war, erklärt sich damit, daß sie sich auf ihre anderen dienstlichen Aufgaben konzentriert hatten. Daß die Treppe noch längere Zeit dem Feuer standgehalten hat, hat sich der Kammer mit dem Sachverständigen Ide daraus ergeben, daß später bei den im Rahmen der kriminaltechnischen Untersuchung gemachten Fotoaufnahmen die Stirnkanten der Treppendielen der Holztreppen oberhalb des ersten Stockwerks sich noch an dem Mauerwerk ohne wesentliche Berußung deutlich abzeichneten und die Wandflächen darüber geringer verrußt waren als diejenigen darunter. In Übereinstimmung dazu hat der Zeuge Steffen ausgesagt, daß er beim Begehen der Kunststeintreppe und auch im Flur des Vorbaues keine wesentlichen Hindernisse übersteigen mußte. Es erscheint der Kammer unwahrscheinlich, daß der verstorbene Sylvio Amossou als einziger Bewohner des Hauses in das offene Feuer im Vorbau gelaufen sein könnte, um sich zu retten. Der Zeuge Ray Sossou hat zwar bekundet, Sylvio Amossou sei, nachdem dieser ihn wegen des Feuers geweckt habe, durch den Flur nach unten in den Vorbau gegangen; er sei Sylvio Amossou gefolgt und sei auf der Treppe wieder umgekehrt, als er ein kleines Feuer am Büro gesehen habe. Was jedenfalls das von dem Zeugen Ray Sossou bekundete kleine Feuer am Büro angeht, kann dessen Aussage nicht stimmen. Diese Überzeugung hat die Kammer aufgrunddessen gewonnen, daß der Sylvio Amossou im Vorbau im Feuer zu Tode gekommen ist. Dazu reicht ein kleines Feuer nicht aus. Auch sonst erschien die Zeugenaussage Ray Sossous der Kammer wenig zuverlässig.
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Die Kammer ist deshalb davon ausgegangen, daß im Zeitpunkt des Herunterkommens von Sylvio Amossou in den Vorbau dort noch kein Feuer war.
Mit den Sachverständigen Dr. Herdejürgen und Dr. van Bebber und der Computersimulation der Sachverständigen Dr. Löffler dazu geht die Kammer davon aus, daß der Brand im rechten Flur nach einiger Zeit wegen der geschlossenen Räumlichkeit und des alsbald infolge des Feuers verminderten Sauerstoffgehalts in einen Schwelbrand mit starker Rauchgasentwicklung überging. In dieser Phase kann Sylvio Amossou durch den verqualmten rechten Flur gegangen sein, ohne die Brandstelle zu bemerken, und dabei unbemerkt an seiner Bekleidung Feuer gefangen haben. Mit dem Öffnen der Treppenflurtür durch Sylvio Amossou bekam das Feuer wieder ausreichend Sauerstoff, so daß, der Schwelbrand wieder aufflammte. Das Feuer an Sylvio Amossous Bekleidung, die möglicherweise aus Kunststoff bestand, kann urplötzlich zu einer eine starke Hitze entwickelnden Stichflamme geworden sein, die Sylvio Amossaus Tod infolge Hitzeschocks, Hitzestarre oder Laryngospasmusses herbeiführte. Zu diesen Überlegungen ist die Kammer deshalb gelangt, weil die von dem gerichtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Oehmichen bei der Obduktion festgestellten möglichen Todesursachen am ehesten einem solchen Geschehensablauf zuzurechnen sind. Andere von ihm genannte aus medizinischer Sicht mögliche Todesursachen hat die Kammer aber nicht mit einem zu dem Brandverlauf passenden Geschehen erklären können. Sylvio Amossous Körper wies massiv brandbedingte Veränderungen auf. Seine Bekleidung war nicht mehr vorhanden. Bei ihm war es infolge starker Hitzeeinwirkung zu breitflächigem Aufplatzen der Haut, Verkohlung freiliegender Weichteile, Verkohlung
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oberflächennaher Anteile und Karbonisierung von freiliegenden Knochen gekommen. In den Lungenwegen - ausschließlich im Bereich der größeren Bronchien, nicht aber in den reineren Verzweigungen - waren nur äußerst diskret und locker verteilt Rußpartikel nachweisbar gewesen. Es fanden sich keine Hinweise für eine wesentliche Gewalteinwirkung auf die Halswirbelsäule bzw. das Kehlkopfskelett und auch sonst keine Verletzungen, die nicht durch Hitzeeinwirkung erklärlich sind. Traumatisch bedingte Hirnveränderungen lagen nicht vor, die bei einer festgestellten, aber brandbedingten feinen Frakturlinie im Bereich des Schädeldaches hätten möglich gewesen sein können. Seine inneren Organe wiesen keine krankhaften Veränderungen auf, die den Tod hätten erklären können. Sylvio Amossou starb nicht an einer Kohlenmonoxydvergiftung, wie die in den Zimmern aufgefundenen Opfer. Der CO-Hb-Gehalt im Herzblut ergab ,weniger als 5%. Ein solcher für Raucher normaler Befund spricht bei Brandopfern dafür, daß der Tod vor der Einwirkung toxischer Brandgase eintrat. Die bei ihm im Herzblut festgestellte Cyanidkonzentration von weniger als 0,1 mg/l liegt im normalen Bereich.
Aus medizinischer Sicht hat der Sachverständige Prof. Dr. Oehmichen, dessen
Ausführungen und Erläuterungen überzeugend waren, aufgrund seiner Untersuchungen als
Todesursachen gefunden:
Einen akuten brandbedingten Sauerstoffmangel, was von den Brandsachverständigen im
brennenden Vorbau aus brandtechnischer Sicht aber ausgeschlossen worden ist; einen
Hitzeschock, wie er bei akutem Blutmangel auftritt mit Blutdruckabfall und Zusammenbruch
der Körperfunktionen;
einen Laryngospasmus (Stimmritzenkrampf) infolge der lokalen
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Einwirkung heißer Gase, so daß aufgrund eines Reflexvorganges die Atmung aussetzt und
kein Sauerstoff mehr in die, Lunge gelangt;
ein Auftreten einer Hitzestarre mit akutem Erstarren der Brustwand;
ein flash-fire-Geschehen durch Einwirkung von Brandbeschleunigern mit Laryngospasmus
eintritt;
eine Zyankaliintoxikatiön infolge Kunststoffbrandes, wobei sich bildendes Zyan
eingeatmet wird, das bei Sylvio Amossou zwar nicht nachgewiesen worden ist, das sich
jedoch bis zur Leichenöffnung abgebaut haben kann;
ein aufgrund der starken Verkohlung der Leiche nicht ausschließbarer Tod durch
Gewalteinwirkung (auch im Bereich des Halses), wenngleich dafür keine positiven Befunde
gegeben sind;
ein Krampfanfallsleiden, für das bei Sylvio Amosson aber kein Hinweis gegeben ist.
Dem bei der Obduktion von dem Sachverständigen Prof. Dr. Oehmichen lose am Körper mit sonstigem Bauschutt vorgefundenen verrußten Draht, dessen Herkunft auch durch Untersuchungen nicht hat geklärt werden können, hat die Kammer weder für die Brandlegung noch für den Tod von Sylvio Amossou eine Bedeutung beilegen können.
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Die Kammer hat auch nicht davon ausgehen können, daß entsprechend der von dem Zeugen Leonhardt wiedergegebenen Aussage des Angeklagten das Benzin brennend die Treppe heruntergelaufen sei und dann die Treppe in Flammen gestanden habe. Die Treppe war aus Kunststein und nicht brennbar. Allenfalls kann der visuelle Eindruck gegeben gewesen sein, als brenne sie, weil nämlich ausgegossenes Benzin alsbald nach dem Ausschütten verdampft und ein Gasluftgemisch bildet, das über dem Böden wabert und, wenn es brennt, den Eindruck einer brennenden Treppe machen kann. Eine solche wabernde, die Treppe herunterlaufende Schicht kann aber nur dann entstehen, wenn geringe Mengen Benzin in solch kurzen Abständen ausgeschüttet werden, daß sie sich zu einer durchgehenden Schicht des Gasluftgemisches verbindet.
Andererseits würde das Ausschütten von Benzin in solchen Mengen, daß es vor der Verdampfung die Treppe herunterläuft, im Falle der Entzündung zu einer explosionsartigen Verpuffung geführt haben. Eine solche Verpuffung mit explosionsartigen Zerstörungen hat bei dem Zerstörungsbild des Hauses aber nicht vorgelegen. Diese Erwägungen sind der Kammer von den Brandsachverständigen überzeugend erläutert worden. Es kommt hinzu, daß die sich selbst schließende Treppenflurtür eine Sperre für auf dem rechten Flur ausgeschüttetes Benzin dargestellt hat. Deshalb entspricht die von dem Angeklagten dem Zeugen Leonhardt insoweit gegebene Schilderung nicht den tatsächlichen Verhältnissen beim Brandgeschehen. Daß der Vater des Angeklagten als einziger im Haus in der Brandnacht ein Bombengeräusch im Vorbau gehört haben will, hat die Kammer ihm nicht geglaubt. Auf Nachfrage hat er nämlich die weitere Aussage verweigert.
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Zu einem möglichen Tatmotiv hat die Kammer keine Feststellungen treffen können, die den Angeklagten veranlaßt haben könnten, aus Rache einen Brand im Haus zu legen. Einen Familienvater gab es nicht in dem rechten Flur. Auch mit anderen Benutzern der Wohnungen des rechten Flures gab es keine Zwietracht. Rachegründe insbesondere für den Angeklagten oder seine Familie sind nicht bekannt geworden. Ernstliche Streitigkeiten oder körperliche Auseinandersetzungen im Haus mit Bezug auf den Angeklagten oder seine Familie hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Ganz konfliktfrei war das zusammenleben im Haus mit Sicherheit nicht - schon im Hinblick auf die vielen unterschiedlichen Sprachen der Bewohner - Als Ausdruck der Schwierigkeiten im zusammenleben auf engem Raum von nahezu 50 Personen sind die Wandschmierereien, das Abreißen und Ankokeln von Mitteilungszetteln an der Bürotür der Betreuer durch unbekannte Täter zu sehen. Deshalb sind die Aussagen der Bewohner, es habe im Haus keine Konflikte gegeben, wenig überzeugend. Andererseits haben auch Zeugen, die dem Angeklagten weniger wohlgesonnen sind, wie die der Familie El-Omari, keine konkreten Beispiele bekunden können, aus denen sich ein Grund zur Rache hätte ergeben können, soweit der Angeklagte betroffen ist. Daß der Familie Eid, die schon seit langem aus dem Hans ausziehen und eine größere Wohnung hatte haben wollen, dies verweigert wurde, wäre als Tatmotiv denkbar, hat die Kammer hier aber deshalb verneint, weil der Angeklagte und seine Familie selbst gefährdet waren und erst im letzten Moment Rettung fanden. Es wäre zu erwarten gewesen, daß der Angeklagte seine Familie zuvor verständigt hätte und sich selbst nicht dorthin begeben hätte, nämlich in das Dachzimmer, wo ihm der übliche Fluchtweg abgeschnitten war.
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Die Beweismittel, die der Kammer zur Verfügung gestanden haben, haben nichts für einen festzustellenden konkreten Tatanteil des Angeklagten an der Brandlegung erbracht. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß einzelne den Angeklagten belastende Umstände vorliegen. Dazu ist angeführt worden, daß der Angeklagte bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung, in der er den Tatvorwurf bestritt, sich danach erkundigt haben soll, was mit seinen Brüdern sei, und er auf die Erklärung, der Tatverdacht richte sich gegen ihn, mit den Worten "dann ist ja gut" reagiert haben soll. Das gleiche gilt für das Bestreiten des Gesprächs mit dem Zeugen Leonhardt in dieser Vernehmung. Aus diesem Aussageverhalten wären für sich allein keine eindeutigen Schlüsse möglich. Sie blieben spekulativ. Ebensowenig kann der in der Wohnung Eid vorgefundene leere 20-Liter~Benzinkanister ohne spekulative Überlegungen dem Angeklagten und der ihm vorgeworfenen Tat zugeordnet werden. Dasselbe gilt für den in der Wohnung Eid gefundenen roten Kunststoffrest und den zusammengeschmolzenen gelben Kunststoffrest, der von einem Benzinkanister gestammt und brennbare Flüssigkeit enthalten haben könnte. Im Brandschutt des rechten Flures ausgesiebte verschieden gewölbte Glasscherben und ein roter Kunststoffschraubdeckel, der vermutlich von einer Baby-Flasche herrührte, an denen bei den kriminaltechnischen Untersuchungen keine Spuren brennbarer Flüssigkeiten nachgewiesen wurden, haben den Angeklagten ebenfalls nicht tatbezogen belasten können, daß der Angeklagte mit diesen Dingen zu schaffen gehabt haben könnte, ist mangels weiterer näherer auf den Angeklagten hindeutender Umstände spekulativ.
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Gleiches gilt für den Umstand, daß der Angeklagte auf dem Krankenhausgelände seinen Kaftan wegwarf sowie dafür, daß er nach dem Verlassen des Krankenhauses in der Wohnung des Zeugen El-Rifahe geduscht hat und gegenüber Angehörigen der Familie El-Omari dies als Fehler bezeichnet hat. Dies alles sind zwar in einem gewissen Sinne belastende Umstände gegen den Angeklagten, aus ihnen sind aber keine Schlüsse auf Art und Weise der Beteiligung des Angeklagten an der Tat möglich. Die Schlüsse wären speku1ativ. Auch seine Äußerung zu der Familie Alias, es sei nur ein kleines Feuer, läßt auch unter Berücksichtigung anderer gegen den Angeklagten sprechender Umstände keinen hinreichend sicheren Schluß gegen ihn zu. In dem Haus hatte es vorher schon Vorfälle gegeben, bei denen der Rauchmelder in Funktion getreten war, so bei dem verwenden von Silvesterknallern. Dazu kommt, daß es im Erdgeschoß im Bereich des Büroraumes wiederholt Zündeleien gegeben hatte, bei denen Aushänge der Betreuer angekokelt worden waren. Danach ist die mit früheren Fehlalarmen begründete Erklärung des Angeklagten nachvollziehbar, wenn auch nicht in vollem Umfang überzeugend.
Im Hinblick darauf, daß das Brandgeschehen teilweise mit einzelnen Punkten der gegenüber dem Zeugen Leonhardt gegebenen Darstellung nicht in Einklang steht, hat die Kammer schließlich auch in Erwägung gezogen, daß der Angeklagte möglicherweise die Schilderung gegenüber dem Zeugen Leonhardt nicht aufgrund unmittelbaren eigenen Erlebens, sondern aufgrund von anderer Seite Gehörtem gemacht haben kann.
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Das Hören kann dabei auch erst nach dar Brandlegung gewesen sein. Möglichkeiten dazu hatte er.
IV.
Der Angeklagte ist aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Die der Kammer möglich gewesenen Feststellungen tragen keinen Schuldspruch gegen ihn. Daran ändert nichts, daß die Kammer von der Äußerung des Angeklagten gegenüber dem Zeugen Leonhardt ausgeht. Ein zweifelsfreies Geständnis mit gegen den Angeklagten möglichen Schuldfeststellungen hat die Kammer in den Worten ,,wir waren's" nicht gesehen. Diese Worte bedeuten ein Indiz für die Tatbeteiligung des Angeklagten im weiteren Sinne. Es läßt einen Schluß gegen den Angek1agten zu, ist aber mangels weiterer hinreichender Indiztatsachen gegen den Angeklagten nicht zwingend. Daran ändert sich nichts dadurch, daß der Angeklagte gegenüber dem Zeugen Leonhardt außerdem noch Umstände der Tatbegehung berichtet hat. Diese sind nicht hinreichend obiektivierbar und mit dem Anklagevorwurf nicht eindeutig in Zusammenhang zu bringen gewesen. Sonstige Umstände gegen den Angeklagten hat die Beweisaufnahme nicht erbracht.
Der Überzeugungsbildung der Kammer sind insoweit Grenzen gesetzt, als es nicht allein darauf ankommt, daß die von ihr anhand von Indizien getroffenen Schlußfolgerungen tatsächlicher Art möglich sind, sondern daß die Folgerungen sich nicht so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, daß sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden - Verdacht begründen (BGH NStZ 1981, 33). so liegt der Fall hier.
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Es ist kein Beweismittel dafür zutage getreten, die Beteiligung des Angeklagten in tatsächlicher Hinsicht so einzugrenzen, daß daraus rechtliche Folgerungen auf die Täterschaft des Angeklagten gezogen werden können. Die Äußerung ,,wir waren's" sagt nichts über die Art der Teilnahme. Sie läßt alle Möglichkeiten der Teilnahmeformen von der aktiven Mitwirkung an der Brandlegung, der mittelbaren Täterschaft, der Anstiftung des oder der Täter bis hin zur Beihilfe an der Tat offen, wobei zugunsten des Angeklagten vom bloßen Dabeistehen zwecks psychischer Unterstützung des Täters auszugehen wäre. Daß der Angeklagte weitere - wenn auch nur schwache und dazu auch teils nicht zutreffende - Einzelheiten über die Brandlegung und den Brandverlauf gegenüber dem Zeugen Leonhardt geäußert hat, könnte andererseits für eine aktivere Teilnahme sprechen, nämlich eigenes Brandlegen oder Zusammenwirken mit anderen, so daß an wahldeutige Tatsachenfeststellung zu denken wäre mit der Konsequenz, daß der Angeklagte sich zumindest wegen einer Beihilfe der ihm zur Last gelegten Tat schuldig gemacht hätte. Bei einer solchen wahldeutigen Tatsachenfeststellung müßte aber für jede mögliche Variante der Tatbeteiligung der äußere und innere Sachverhalt festgestellt werden und andere Möglichkeiten müßten sicher ausgeschlossen werden können, wobei an den Ausschluß um so strengere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der Schuldvorwurf wiegt und je größer die Zahl der Geschehensabläufe ist, die die Kammer für möglich erachtet (BGH a.a.O.). Dabei ist sich die Kammer bewußt, daß der menschlichen Erkenntnisfähigkeit Grenzen gesetzt sind, insbesondere wenn sie - wie hier - durch einen Teil der Hausbewohner nicht die genügende Förderung erfahren hat. Eine ganze Anzahl der Nebenkläger haben sich mit dem
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Angeklagten solidarisiert. Diese haben die Interessen des Angeklagten verfolgt, indem sie wiederholt Anträge des Angeklagten zu ihren eigenen machten und damit ihre auch sonst nicht verhohlene Einstellung offenbar werden ließen, daß sie den Täter in den Kreisen von Rechtsradikalen sehen, hier speziell ,in den anfangs von der Polizei festgenommenen Personen aus Grevesmühlen.
Im Hinblick darauf, daß keine zusätzlichen eindeutigen auf den Angeklagten bezogenen Indizien für seine Täterschaft haben festgestellt werden können, mit Ausnahme der gegenüber dem Zeugen Leonhardt gemachten Äußerung, ist das Feld der denkbaren möglichen Tatbeteiligungen des Angeklagten derart weit, daß mögliche Schlüsse auf seine Teilnahme auf reine Mutmaßungen hinausliefen, wobei die Überprüfung dieser Schlüsse auf ihren Ausschluß hin mangels objektiver Beweismittel ebenfalls nicht möglich ist.
Schließlich hat die Kammer auch für denkbar gehalten. Daß der Angeklagte mit der Formulierung ,,wir waren's" sich nicht als Tatbeteiligten - wenn auch nur im weiten Sinne - einbezogen hat, sondern damit ,,wir, die Hausbewohner", gemeint haben könnte, ohne damit seine eigentliche Teilnahme an der Tat ausdrücken zu wollen. Tatsächlich ist der Brand im ersten Stockwerk vom Inneren des Hauses ausgegangen und nicht von außen in das Haus hineingetragen worden. Im Hinblick darauf, daß der Angeklagte mit seiner gegenüber dem Zeugen Leonhardt gemachten Äußerung auch Einzelheiten über den Verlauf der Tat berichtet hat, wie die Verwendung von Benzin, dessen Schütten an eine Tür und die Ausbreitung des Feuers, sowie das Motiv, wäre davon auszugehen, daß er davon Kenntnis
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erlangt hatte. Für den Fall, daß seine Kenntniserlangung vor der Begehung der Tat lag, was nicht aufklärbar ist, würde der Straftatbestand der Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 Abs. 1 Nr. 9 StGBl infrage kommen und möglicherweise zu wahlweiser Verurteilung zwischen § 138 StGB und den verschiedenen Teilnahmeformen der nicht angezeigten Tat führen können. Die Annahme der Kenntniserlangung durch den Angeklagten vor der Tat wäre im Hinblick alleine auf § 138 StGB eine Feststellung zu Lasten des Angeklagten, im Hinblick auf eine zu prüfende Wahlfeststellung hier jedoch eine sich zu Gunsten des Angeklagten auswirkende Wahlunterstellung, weil eine Wahlfeststellung zwischen § 138 StGB und der nicht angezeigten Tat dann nicht möglich ist, wenn auch nur ein Verdacht wegen der Teilnahme an der nicht angezeigten Tat besteht (BGH NJW 1964, 732). Ein Verdacht in diesem Sinne ist gegen den Angeklagten weiterhin gegeben. Schließlich wäre der Grundsatz in dubio pro reo hier aber auch so anzuwenden, daß der Angeklagte die Kenntnis von der Tat erst nach der Brandlegung erlangt haben kann, wozu er in der Lage gewesen sein kann. Er war nur leicht verletzt und hatte danach Kontakt mit verschiedenen, teilweise nicht mehr ermittelbaren Personen. Damit entfiele der Tatbestand des § 138 StGB. Weiterhin entfiele auch eine Strafbarkeit nach § 323 0 StGB wegen unterlassener Hilfeleistung, weil es der Kammer nicht möglich ist festzustellen, daß der Angeklagte von der Brandlegung, die ein Unglücksfall im Sinne dieser Vorschrift ist, schon zu einem Zeitpunkt Kenntnis erlangt hat, zu dem er noch durch geeignete Maßnahmen - wie Löschen, Benachrichtigung der Hausbewohner oder Alarmierung von Hilfskräften - wirksam hätte Hilfe leisten können. Die Kenntnis kann der Angeklagte erst nach seiner Rettung
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vom Dach erlangt haben. Zuvor hatte er außerdem vom Dachgesims aus seinem Bruder Ahmed Eid, der sich schon selbst aus dem Haus hatte retten können, zugerufen, er solle die Polizei anrufen, was in seiner Situation die ihm einzig mögliche und zumutbare Form der Hilfeleistung war. Letztlich ist gegen den Angeklagten auch kein Schuldvorwurf wegen Strafvereitelung nach § 258 StGB möglich, die in dem Bestreiten des Inhalts des Gesprächs zwischen ihm und dem Zeugen Leonhardt gegenüber der Polizei und dem darin liegenden Nichtoffenbaren seines Wissens gesehen werden könnte. Seine eigene Tatbeteiligung brauchte der Angeklagte nicht zu offenbaren (§ 258 Abs. 5 StGB). Aber auch dann, wenn er nicht selbst tatbeteiligt war und mit ,,wir" die Hausbewohner gemeint haben könnte, könnte sein Informant ein Familienangehöriger gewesen sein, so daß er die Tat zu dessen Gunsten begangen hätte und nach § 258 Abs. 6 StGB straffrei wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO, die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten auf § 2 StrEG. Ausschluß- oder Versagungsgründe für die Entschädigung sind nicht gegeben.
Wilcken Wendorff Fock
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