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Sun Jul  6 02:29:48 1997
 


"Bollwerke gegen Fremdenhaß errichten"

Mahnwachen in Norddeutschland - Weiter Unklarheit über die Brandursache

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Kirchen, Gewerkschaften und Parteien wollen mit Mahnwachen und Gottesdiensten in Lübeck, Kiel und Bremen der Opfer der Brandkatastrophe im Lübecker Asylbewerberheim gedenken. Der evangelische Bischof Karl Ludwig Kohlwage sagte am Freitag im Norddeutschen Rundfunk, das Unglück sei eine Aufforderung zur Nächstenliebe. Es müsse ein "Bollwerk gegen Haß und Gleichgültigkeit" errichtet werden. "Wir wollen nicht, daß Menschen in unserem Land Angst haben müssen um ihr Leben", sagte Kohlwage.

Bundesregierung und Opposition haben mit Betroffenheit auf das verheerende Feuer von Lübeck reagiert. Die Regierung trauere mit den Angehörigen um die vielen Toten, sagte Regierungssprecher Herbert Schmülling am Freitag.

Ein Solidaritätskomitee von unverletzten Bewohnern und Angehörigen der Brandopfer verlangte gestern umfangreiche Hilfsmaßnahmen und staatliche Unterstützung. So müßten die Toten in ihre Heimat nach Zaire überführt und die Kosten für diesen Transport von deutschen Behörden übernommen werden.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat sich gegen Vorverurteilungen gewandt. Bubis sagte, nach den Anschlägen der vergangenen Jahre kämen unweigerlich die Assoziation an die Verbrechen der Nazi-Diktatur und Vermutungen auf, daß Neonazis die Verantwortung tragen könnten. Es könne sich jedoch auch herausstellen, daß es sich in Lübeck um einen Unglücksfall gehandelt habe.

Die angeblich heiße Spur bei der Suche nach den Verantwortlichen für das Großfeuer im Lübecker Asylantenheim Hafenstraße hat sich innerhalb von 24 Stunden offenbar als falsch erwiesen. Denn den vier am Donnerstag in Grevesmühlen/Mecklenburg festgenommenen jungen Männern ist offenbar ein versuchter Autodiebstahl in Lübeck nachzuweisen, nicht aber der Brandanschlag .

Staatsanwalt Schulz und Polizeichef Tabarelli begegneten gestern einer Fülle von Gerüchten, die sich im Zusammenhang mit den jungen Mecklenburgern in Lübeck gebildet hatten. Für die Ermittler stellt sich der Sachverhalt so dar: In der Nacht zum Donnerstag kontrollierte eine Lübecker Polizeistreife an einer Tankstelle fernab von der Hafenstraße drei Männer im Zusammenhang mit Verdacht auf Autodiebstahl. Die Streife wurde plötzlich alarmiert und in die Hafenstraße zum Brandort beordert. Dort trafen die Beamten später die drei Mecklenburger wieder die ihr Auto in der Hafengegend abholen wollten. Als sich die Verdachtsmomente verdichteten, wurden die Männer am Vormittag zu Hause in Grevesmühlen festgenommen. Am Donnerstagabend erfolgte eine vierte Festnahme, denn ein weiterer Mecklenburger hatte sich mit der Gruppe aus Grevesmühlen in Lübeck aufgehalten. Stundenlange Vernehmungen ließen den Anfangsverdacht aber nicht erhärten. Das Quartett kam gestern gegen 11.00 Uhr wieder auf freien Fuß.

Am Morgen konnten Brandermitller der Kripo das Erdgeschoß die erste Etage des völlig ausgebrannten Gebäudes ersts betreten. Die zweite Etage und das teilweise eingestürzte ausgebaute Dachgeschoß sind noch nicht zu begehen. Mit schnellen Ergebnissen der Untersuchungen auf chemische Rückstände und möglicherweise technische Defekte ist nach Auskunft der Sachveständigen nicht zu rechnen. Polizeichef Tabarelli widersprach angeblichen Zeugenaussagen, wonach das Feuer an drei Stellen gleichzeitig im Gebäude ausgebrochen sein soll.

Ministerpräsidentin Simonis wies Vorwürfe zurück, nach denen das Asylbewerberheim überbelegt gewesen sei. Es hätten sich etwa 60 Personen in dem Gebäude aufgehalten. Nach Frau Simonis Worten können die Kommunen selber entscheiden, ob sie Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften oder dezentral unterbringen. In Schleswig-Holstein gebe es 10 000 Asylsuchende, von denen 2000 bis 2500 in Gemeinschaftsunterkünften lebten. Sie warnte vor übereilter Solidarität wie etwa der Hilfe beim Abtauchen von Asylsuchenden in die Illegalität.

 Copyright: DIE WELT, 20.1.1996


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