Freispruch für Eid beantragt
Plädoyer der Staatsanwaltschaft im Lübecker BrandprozeßVon DIETHART GOOS
Lübeck - "Im Zweifel für den Angeklagten" - nach diesem juristischen Grundsatz hat die Staatsanwaltschaft gestern im Prozeß um den Brand im Lübecker Asylantenheim Hafenstraße Freispruch für den Angeklagten Safwan Eid beantragt. Der 21jährige Libanese steht seit dem 16. September 1996 unter der Anschuldigung vor der Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts, das Feuer in der Hafenstraße gelegt zu haben. In der Nacht zum 18. Januar 1996 starben zehn Bewohner, 38 wurden teils schwer verletzt.Die Staatsanwälte Michael Böckenhauer und Axel Bieler gaben gestern am 56. Verhandlungstag in ihrem gut dreieinhalbstündigen Plädoyer Zweifel an Safwan Eids Unschuld zu Protokoll. Doch die "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" konnte weder beim Anklagepunkt der besonders schweren Brandstiftung noch bei vermuteter Mittäterschaft oder zumindest der unterbliebenen Strafvereitelung erbracht werden. Schon vor Prozeßbeginn war die Anklage wegen zehnfachen Mordes und 38fachen Mordversuchs fallengelassen worden.
Dreh- und Angelpunkt war auch gestern wieder die Aussage des Rettungssanitäters Jens Leonhardt, der den Hausbewohner Safwan Eid kurz nach Ausbruch des Brands versorgt hatte. Dabei soll ihm der Libanese erklärt haben: "Wir war'n 's." Safwan Eid und seine zahlreichen Unterstützer aus der politischen Linken haben diese Darstellung immer bestritten. Eid versicherte, er habe Leonhardt gesagt: "Die war'n 's." Dabei habe er Nazis gemeint, die den Anschlag von außen auf das Wohnheim verübt hätten.
Für Staatsanwalt Böckenhauer ist der Sanitäter glaubwürdig. Versuche der Verteidigung, diesen Mann in eine rechtsextreme Ecke zu stellen, und der Vorwurf gegen ihn, er habe das angebliche Geständnis von Safwan Eid erfunden, um die wahren Täter zu decken, gingen fehl. Erwiesen ist für die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu Aussagen überlebender Hausbewohner im Prozeß, daß es in der Hafenstraße keineswegs so harmonisch wie behauptet zuging. Es habe immer wieder Streit namentlich zwischen den libanesischen Großfamilien Eid und El Omari sowie afrikanischen Bewohnern gegeben. Möglicherweise habe Safwan Eid auch Streit mit einem Afrikaner gehabt, der unmittelbar nach dem Brand verschwand und bisher nicht wieder auftauchte.
Auf einen unüberhörbaren Vorwurf an das Gericht mochten die Staatsanwälte gestern nicht verzichten. Sie hatten als brisante Beweismittel Protokolle abgehörter Gespräche des Angeklagten mit Angehörigen während seiner fünfmonatigen Untersuchungshaft in der Lübecker Strafanstalt Lauerhof vorgelegt. Daraus sollte Streit zwischen den Bewohnern und deren abgesprochenen Zeugenaussagen hervorgehen. Das Gericht lehnte die Protokolle als Beweismittel allerdings ab. Am kommenden Montag und Mittwoch plädieren die sechs Rechtsvertreter von Nebenklägern. Ihnen folgt die Verteidigung. Das Urteil wird Ende Juni erwartet.
Copyright: DIE WELT, 5.6.1997
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