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Fri Sep  4 00:22:25 1998
 


Flammen schnitten den Fluchtweg ab

Ausländerheim in Lübeck brannte völlig aus - Polizei ließ Verdächtige zunächst wieder laufen

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Winfred Tabarelli, Direktor der Polizeidirektion Schleswig-Holstein Süd hat Erfahrung mit ausländerfeindlichen Brandanschlägen im benachbarten Mölln und zweimal auf die Lübecker Synagoge. Nach dem verheerenden Brand der Lübecker Asylantenunterkunft Hafenstraße 52 mit bisher neun Toten ist der Polizeichef noch zurückhaltend: "Wir ermitteln in alle Richtungen."

Also ist nicht ausgeschlossen, daß Extremisten aus Fremdenhaß das Feuer in dem weißen dreistöckigen Lübecker Wohnhaus mit ausgebauten Dachgeschoß am Innenstadthafen legten. Tabarelli ergänzt: "Möglich ist auch fahrlässige oder mutwillige Brandstiftung aus dem Kreis der Bewohner, ein technischer Defekt oder gar ein Unglücksfall."

Für einen Anschlag gibt es durchaus Anhaltspunkte: Kurz nachdem der Brand um 3.42 Uhr in der Nacht zum Donnerstag gemeldet wurde, stellte die Polizei etwa hundert Meter entfernt vom brennenden Haus drei junge Männer aus dem etwa 25 Kilometer entfernten mecklenburgischen Grevesmühlen.

Die Polizei ließ das Trio im typischen Skinhead-Outfit - einer von ihnen nach Aussage von Staatsanwalt Michael Böckenhauer mit kurzgeschorenem Schädel, Springerstiefeln und Bomberjacke - nach Feststellung ihrer Personalien wieder laufen.

Doch offenbar kam den Beamten Zweifel an ihrer Unschuld. Am Wohnort in Mecklenburg wurden die drei, zwei von ihnen über 18, einer als Heranwachsender bezeichnet, am Vormittag festgenommen und zur Vernehmung nach Lübeck gebracht. Den ganzen Tag über wurden die Männer verhört. Der Vorwurf: Verdacht auf neunfachen Mord und menschengefährdende Brandstiftung.

Zufällig entdeckte ein Streife des Bundesgrenzschutzes, die im Hafen ein Schiff kontrolliert hatte, die bereits im 2. und 3. Obergeschoß lodernden Flammen des Fremdenheims. Kurz darauf wurden Polizei und Feuerwehr auch von Bewohnern des Hauses alarmiert.

Für die Bewohner der oberen Stockwerke war der Fluchtweg abgeschnitten. Eine Frau sprang aus dem 3. Stock mit ihrem Kind im Arm in den Tod. Das Baby überlebte schwerverletzt. Über die Identität der insgesamt neun Toten konnte Polizeidirektor Tabarelli noch nichts sagen. Die erkennungsdienstlichen Untersuchungen der Leichen seien außerordentlich schwierig angesichts starker Brandspuren. Feuerwehr und Notarztwagen brachten 15 Schwer- und Leichtverletzte in die Lübecker Krankenhäuser.

Nach Ermittlungen der Kripo waren im Heim 47 Ausländer vorwiegend aus Schwarzafrika, dem Libanon, Syrien und Polen offiziell gemeldet. Dazu Tabarelli: "Die Zahl der Anwesenden in der Nacht zum Donnerstag war offenbar erheblich höher. Es müssen zahlreiche Familienangehörige und Freunde der Bewohner im Haus gewesen sein." Genaue Zahlen nannte Tabarelli nicht. Außerdem machte er keine Angaben über die mögliche Brandursache und zur Frage, ob es Hinweise auf Molotow-Cocktails gebe. Das völlig ausgebrannte Gebäude sei hochgradig einsturzgefährdet. Brandermittler der Kripo ständen daher vor einer schwierigen Aufgabe, die Ursache des Brandes zweifelsfrei zu ermitteln.

Bei einem weiteren Feuer in einem Asylbewerberheim in Burgwedel bei Hannover war die Ursache dagegen schnell klar. Die Bewohner selbst hatten einen Brandanschlag auf ihr Gebäude rechtzeitig vereiteln können, nachdem ein unbekannter Täter kurz nach Mitternacht einen Karton mit Teppichresten in der nicht verschlossenen Unterkunft abgestellt und angezündet hatte.

Copyright: DIE WELT, 19.1.1996 


 

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