nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:22:30 1998
 


Lübeck: Weizsäcker warnt vor Erleichterung

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Auch nach der Verhaftung des 21jährigen Libanesen Safwan E. fahndet die Sonderkommission nach weiteren Verantwortlichen für die Brandkatastrophe mit zehn Toten. Ein fremdenfeindlicher Anschlag von außen scheidet offenbar aus. Als Motiv für die Brandstiftung wird Streit unter den Bewohnern angenommen. Der Libanese wohnte mit seiner neunköpfigen Familie im Dachgeschoß des abgebrannten Asylantenheims. Zu den Mitbewohnern zählten zahlreiche Schwarzafrikaner aus Angola und Zaire. Der Verhaftete bestreitet, das Feuer gelegt zu haben.

Zum Stand der Ermittlungen zogen Polizeidirektor Winfred Tabarelli und Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schulz gestern mittag in Lübeck eine vorläufige Bilanz. Demnach hatte der Libanese nach seiner Rettung aus dem brennenden Haus über die Feuerwehrleiter einem Lübecker Brandbekämpfer erklärt: "Wir waren es." Der Feuerwehrmann hatte diese Aussage bis Freitag allerdings für sich behalten.

Der Haftbefehl gegen Safwan E. stützt sich laut Staatsanwaltschaft nicht nur auf das "Geständnis" des Libanesen gegenüber dem Feuerwehrmann: "Er bestreitet die Tat und sagte aus, er sei auch kein Tatbeteiligter. Doch er verfügt über Wissen, das nur ein Täter oder Tatbeteiligter haben kann. So bezeichnete er genau die Stelle im Haus, wo der Brand ausgebrochen war. Außerdem befinden sich an dieser Stelle keine technischen Anlagen, die das Feuer ausgelöst haben könnten", so Schulz. Einzelheiten gab er unter Hinweis auf "ermittlungstaktische Gründe" nicht preis. Schulz sagte lediglich, das Wissen des Libanesen decke sich genau mit den unabhängig davon angestellten kriminaltechnischen Ermittlungen. Danach brach das verheerende Feuer an einem Ort im ersten Stockwerk aus, der mit einem Molotowcocktail oder ähnlichem Brandmittel nicht von außen erreichbar war. Die Tür zum Wohnheim war nach Erkenntnissen der Brandermittler verschlossen. Darauf deuten Schloß und Schließblech, die am Wochenende gefunden worden waren.

Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel haben die Deutschen davor gewarnt, sich wegen des Haftbefehls gegen den Libanesen "erleichtert" zu fühlen. Weizsäcker sagte gestern im ZDF, das deutsche Volk dürfe sich nicht entlastet fühlen, nur weil ein Angehöriger eines anderen Volkes eine solch grauenhafte Mordtat begangen habe. Vogel verlangte "ernstes Nachdenken" darüber, daß viele einen Anschlag deutscher Rechtsradikaler für möglich hielten.

Copyright: DIE WELT, 22.1.1996

 


[Lübeck - Hauptseite | Presse | Was gibt's Neues | Inhalt | Feedback ]