Nachrichtensperre in Lübeck
Polizei übt Medienschelte wegen "Zeugenbefragung" - Heimbewohner wollen eigene Wohnungen
Von DIETHART GOOS
Lübeck - Bei den Ermittlungen zur Aufklärung der Brandkatastrophe vom Donnerstag letzter Woche schalten Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei auf härtere Gangart. Eine strikte Nachrichtensperre wurde gestern verhängt. Zur Begründung hieß es, Medien hätten durch Interviews mit Zeugen die Ermittlungen beeinträchtigt.Anlaß für diese Medienschelte ist offensichtlich ein Bericht des ZDF vom Vortage. Der Mainzer Sender hatte den Schwarzafrikaner Gustave Sousou präsentiert, dessen Aussage dem Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Attentäter Safwan E. widerspricht. Im Haftbefehl wird dem 21jährigen Libanesen vorgeworfen, das verheerende Feuer in der Nacht zum 18. Januar vor der Etagentür des Afrikaners in dem Asylantenwohnheim Hafenstraße mit Benzin entfacht zu haben, was zehn Bewohnern das Lebens kostete. Vorausgegangen war nach den Erkenntnissen der Ermittler ein Streit zwischen Safwan E. und Gustave Sousou.
Diese Darstellung im Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß des Haftbefehls gegen Safwan E. wird von dem Schwarafrikaner bestritten. Er habe keinen Streit mit dem Libanesen gehabt, sagte er im ZDF. Auch sei unzutreffend, daß er im Heim Hafenstraße wohnte. Er sei dort nur zu Besuch gewesen.
Manfred Sahm, Leiter der Sonderkommission aus 50 Experten von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, bekräftigte dagegen seine frühere Darstellung. Danach kam es unter den 48 Bewohnern des Asylantenheims Hafenstraße immer wieder zu Streitigkeiten.
Der wegen dringenden Tatverdachts verhaftete Libanese Safwan E. wurde auch gestern zu den Ereignissen der Brandnacht vernommen. In einer Vorab-Meldung des Hamburger Magazins "Stern" hieß es, der Libanese habe das Feuer möglicherweise aus Eifersucht gelegt. Das Blatt berief sich auf Informationen aus Polizeikreisen. Der Libanese habe einer Mitbewohnerin, die anderen Männern den Vorzug gegeben habe, aus enttäuschter Liebe einen "Denkzettel" verpassen wollen. Dabei habe er "mit Sicherheit" nicht beabsichtigt, daß sich das Feuer ausbreitet.
Der Lübecker Bürgermeister Bouteiller sicherte gestern den Überlebenden unbürokratische Hilfe zu. Sprecher der Asylanten verlangten, die Toten müßten in ihre afrikanische Heimat nach Zaire und Angola überführt werden. Dabei sei sicherzustellen, daß die begleitenden Angehörigen dort keinen Repressalien ausgesetzt würden und nach Ende der Tauerfeierlichkeiten wieder zurückkehren könnten. Die erneute Unterbringung in einem Heim lehnten die Betroffenen ab. Sie verlangten einzelne Wohnungen.
Copyright: DIE WELT, 24.1.1996
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