Schwierige Wahrheitssuche
Vor dem Lübecker Brand-Prozeß sind noch viele Fragen offen
Von UWE BAHNSEN
Lübeck - Die wahrscheinlich in acht Wochen vor der Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts beginnende Hauptverhandlung gegen den 20 Jahre alten Libanesen Safwan Eid könnte mit Sicherheit zu einem der brisantesten Strafprozesse der letzten Jahrzehnte in der Bundesrepublik werden. Zwar hat die Jugendstrafkammer des Landgerichts die Anklage wegen schwerer Brandstiftung und fahrlässiger Körperverletzung zur Hauptverhandlung zugelassen, doch der Ablauf der dramatischen Brandkatastrophe in dem Asylantenheim in der Hafenstraße 52 am 18. Januar wirft zahlreiche nach wie vor völlig ungeklärte Fragen auf. Für die Kammer wird die Aufgabe der richterlichen Sachaufklärung ungewöhnlich schwierig sein.Die Kernfrage der bisherigen Ermittlungen wird auch den Prozeß beherrschen: Wurde das verheerende Feuer, bei dem zehn Menschen den Tod fanden und 38 zum Teil schwer verletzt wurden, im Inneren von einem oder mehreren Bewohnern gelegt oder von bislang unentdeckten Tätern, die von außen eindrangen? Für die erste Variante sprechen die kriminaltechnischen Gutachten von Brandexperten des Landes- und des Bundeskriminalamtes, die den Brandherd einwandfrei im Flur des ersten Stockwerks festgestellt haben wollen - neben dem Zimmer der 37jährigen Ottodzo Dope Agonglovi. Der vom Gericht bestellte Gutachter Ernst Achilles hingegen glaubt an einen Brandherd neben dem Hauseingang in der Konstinstraße. Daneben wurde die Leiche des 27jährigen Afrikaners Sylvio Amoussou aus Benin gefunden, der mit zwei weiteren Asylanten ein Zimmer im ersten Stock bewohnte. Der Tote wies keine Spuren von Gewaltanwendung auf, kam aber auch nicht in dem Feuer um, wie die Obduktion zweifelsfrei ergab. Die Todesursache ist bislang nicht geklärt.
Zu den zahllosen bizarren Widersprüchen des gesamten Falles gehört ferner, daß am Körper von Safwan Eid keine der für einen Brandstifter typischen Versengungen festgestellt wurde, wohl aber an den Haaren der vier jungen Männer aus Grevesmühlen, die zunächst unter Tatverdacht standen, bis durch die Bekundungen einer Polizeistreife feststand, daß sie in der Katastrophennacht um 3.15 Uhr an der Shell-Tankstelle Padelügger Weg fünf Liter Gemisch für ihren Wartburg getankt haben - ein nach Auffassung der Staatsanwaltschaft absolut stichhaltiges Alibi.
Es wird in diesem Prozeß zu dramatischen Phasen kommen - vor allem dann, wenn der 25jährige Rettungssanitäter aus Lübeck aussagt, was Safwan Eid ihm während der Fahrt in einem Feuerwehrbus zum nächsten Krankenhaus gestanden habe: "Wir warn's." Und auf die erstaunte Nachfrage des Sanitäters habe Safwan Eid geantwortet: "Wir hatten Streit mit einem Familienvater. Wir wollten uns rächen. Wir haben ihm Benzin an die Tür gekippt und angezündet. Das Zeug lief brennend die Treppe hinunter. Mit einem Mal stand die Treppe in Flammen." Zunächst stritt Safwan Eid ab, überhaupt mit dem Sanitäter gesprochen zu haben. Später gab er in der Vernehmung einen völlig anderen Gesprächsverlauf an und bezeichnete die Schilderung des Rettungssanitäters als Mißverständnis.
Copyright: DIE WELT, 8.7.1996
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