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Fri Sep  4 00:22:52 1998
 


Safwan Eid bestreitet entschieden Vorwürfe

Angeklagter im Lübecker Brandprozeß: Habe das Feuer nicht gelegt

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Am zweiten Verhandlungstag im Prozeß um die Brandkatastrophe im Lübecker Asylantenheim Hafenstraße hat der Angeklagte Safwan Eid gestern sein Schweigen vom letzten Montag aufgegeben. Der 20jährige Libanese widersprach entschieden dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, er habe am 18. Januar das verheerende Feuer gelegt und die Tat anschließend Zeugen gegenüber eingestanden. Bei der Brandkatastrophe starben zehn Heimbewohner, 38 wurden teilweise schwer verletzt.

Erneut gab es gestern Irritationen um das Alter des Angeklagten. Nach der einen Version wurde Eid am 1. Januar 1975 in Tripoli/Libanon geboren, nach der anderen am 1. November desselben Jahres. Er erinnere sich eines Gesprächs der Eltern Marwan und Hassna Eid, sagte Sohn Safwan, wonach sie ihn "größer" machen wollten. "Das Geburtsdatum haben mir die Eltern gesagt."

Als Staatsanwalt Böckenhauer dem Angeklagten seine Aussage vor der Polizei vorhielt, er sei kein Kind mehr, sondern 21, hakte Verteidigerin Heinecke sofort ein. Diese Protokolle seien wertlos, da sie ohne Beisein eines Dolmetschers entstanden. Die Kammer solle entscheiden, diese Protokolle im Prozeß nicht zu berücksichtigen. Das Gericht lehnte den Antrag ab.

Atemlose Stille, als Safwan Eid sein Erleben der Brandnacht schilderte. Im gemeinsamen Zimmer mit zwei seiner Brüder ganz oben im Dachgeschoß sei er von Schreien der Nachbarn aufgewacht. Der Raum habe sich schnell mit Rauch gefüllt, verzweifelt hätten sie nach der Feuerwehr gerufen. Die erste Leiter der Brandbekämpfer sei umgekippt, über die zweite seien die Nachbarn, seine Brüder und er als letzter dem Flammeninferno entkommen.

Unten vor dem brennenden Haus habe er seinen Vater gefunden und gefragt, was passiert sei. Marwan Eid habe geantwortet, er habe zuerst die quietschende Gartentür gehört, dann einen Knall, und schon habe das Erdgeschoß in Flammen gestanden. Der Vater habe von einer Bombe gesprochen und gesagt: "Die waren es, sie haben uns geschlagen und die Treppe verbrannt, damit wir nicht fliehen konnten." Auf die Frage, wer damit gemeint sei, antworte Safwan Eid: "Wir wissen, wer die sind, also die Nazis und so . . ."

Was ihm der Vater berichtete, habe er beim Abtransport der Verletzten im Bus - er selbst hatte beide Ohren verbrannt - zum Krankenhaus Priwall dem Busfahrer und einem Sanitäter, der ihm die Ohren verband, erzählt, so Safwan. Dieser Sanitäter, Jens L., ist Kronzeuge der Anklage. Denn er will von Safwan die Worte gehört haben: "Wir waren es." Einen Tag nach der Katastrophe wurde der Libanese verhaftet und kam erst im Juli wieder frei, weil das Gericht keinen dringenden Tatverdacht mehr gegeben sah.

Hassna Eid, die Mutter des Angeklagten, verzichtete auf Aussagen zur Sache und schilderte dem Gericht nur ihre schweren Rückenverletzungen, die sie beim Sprung aus dem brennenden Haus erlitten hatte. Auch vier seiner insgesamt acht Geschwister nahmen weitgehend ihr Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch. Mit großer Spannung wird von den Prozeßbeteiligten die Aussage des Rettungssanitäters L. am kommenden Montag erwartet.

Copyright: DIE WELT, 19.9.1996


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