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Fri Sep  4 00:23:01 1998
 


Lübeck: Weiter Rätsel über Brandherd

Im Prozeß prallen gegensätzliche Zeugenaussagen aufeinander

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Nach den Tumulten vom vergangenen Mittwoch im Prozeß um das verheerende Feuer im Lübecker Asylantenheim Hafenstraße ist gestern die frühere Sachlichkeit in den Gerichtssaal zurückgekehrt. Acht Zeugen machten am fünften Verhandlungstag unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Aussagen darüber, in welchen Gebäudeteilen sie als Passanten Flammen gesehen hatten. Gegen Professor Ernst Achilles, den gerichtlichen Brandsachverständigen, wurde ein neuer Befangenheitsantrag gestellt.

Überraschend hatte Nebenkläger Diavusumuca Joao Bunga aus Angola, der bei dem Brand seine Frau und eine Tochter verlor, zum Auftakt der gestrigen Verhandlung durch seinen Anwalt Ulrich Haage den letzte Woche gestellten Befangenheitsantrag gegen Achilles zurückgezogen. Sogleich beantragte Anwalt Wolfgang Clausen, Prozeßvertreter der als Nebenkläger zugelassenen libanesischen Familie El-Omari, für seine vier Mandanten, Professor Achilles wegen Besorgnis der Befangenheit als Gerichtsgutachter abzulehnen.

Seinen Vorstoß gegen den als Brandschutzexperten international anerkannten früheren Frankfurter Feuerwehrchef begründete Clausen damit, daß Achilles zunächt als Gutachter für die Verteidigung des der schweren Brandstiftung im Heim Hafenstraße angeklagten Libanesen Safwan Eid tätig war. In dieser Eigenschaft habe Achilles eine brandschutztechnische Vorabstellungnahme abgegeben. Darin äußerte der Gutachter im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft die Überzeugung, daß der Brand im Erdgeschoß und nicht in den oberen Stockwerken - wie es in der Anklageschrift heißt - ausgebrochen sein muß.

Die Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts unter Vorsitz von Richter Rolf Wilcken vertagte gestern ihre Entscheidung darüber, ob Professor Achilles gemäß Antrag der Nebenkläger abberufen wird. Erst wollen die drei Berufsrichter und zwei Schöffen ein brandtechnisches Vorabgutachten prüfen, das Achilles gestern dem Gericht übergab.

Zu der für den Prozeßverlauf entscheidenden Frage, in welchem Teil des mehrstöckigen Gebäudes der Brand von außen zuerst zu sehen war, konnte die Kammer gestern keine eindeutige Klarheit gewinnen. So berichtete der Grenzschutzbeamte Peter Baumann, er habe Flammen aus den Fenstern der ersten Etage schlagen sehen. Baumann war mit einem Kollegen auf Streife im Lübecker Hafen, kontrollierte dort ein russisches Schiff und kam als erster noch vor Feuerwehr und Polizei zum Brandort. Seine Beobachtungen bestätigten die Zeuginnen Bärbel Dürrkop und Melanie Glowik, die gemeinsam auf der Fahrt zur Arbeit das brennende Haus in der Hafenstraße passierten.

Dagegen sagte Zeuge Ronny Bittner, der ganz in der Nähe wohnte und von Schreien der Bewohner des brennenden Asylantenheims aufgewacht war, der hölzerne Vorbau im Erdgeschoß habe zuerst "komplett" in Flammen gestanden. Gleiche Angaben machte auch Nachbarin Susanne Dix. Lokomotivführer Martin Krohmann von der Lübecker Hafenbahn berichtete dem Gericht von einem Pkw, der ihm in einiger Entfernung des Brandhauses durch Blinkzeichen mit der Lichthupe aufgefallen war.

Copyright: DIE WELT, 1.10.1996


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