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Fri Sep  4 00:23:14 1998
 

DIE WELT


Eid sieht sich als Justizopfer
Lübeck: Verteidigung verlangt Entschädigung für Libanesen

Von DIETHART GOOS
Lübeck - "Ich bin unschuldig, das weiß auch die Staatsanwaltschaft genau." Mit diesem "letzten Wort" des Angeklagten Safwan Eid endete gestern der 59. Verhandlungstag im Lübecker Brandprozeß. Am 30. Juni wird die Große Jugendkammer das Urteil verkünden. Nach Erklärungen des Gerichtsvorsitzenden Rolf Wilcken sowie den Anträgen der Staatsanwaltschaft und den gestrigen Plädoyers der Verteidigung scheint ein Freispruch so gut wie sicher. In ihren mehr als dreistündigen Plädoyers setzten sich die Verteidigerinnen des jungen Libanesen, Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter, äußerst kritisch mit den Ermittlungen zur Aufklärung der Brandkatastrophe vom 18. Januar 1996 auseinander. Die Spurensicherung nach dem Feuer im Asylantenheim Hafenstraße, das zehn Tote und 38 teils Schwerverletzte forderte, sei unprofessionell und einseitig erfolgt. Absolut unglaubwürdig nannten die Verteidigerinnen den Zeugen Jens Leonhardt, der von der Staatsanwaltschaft regelrecht zum Kronzeugen hochstilisiert worden sei. Eid soll dem Rettungssanitäter während des Abtransports ins Krankenhaus gesagt haben: "Wir waren es."

Verteidigerin Klawitta forderte für Safwan Eid nicht nur Freispruch, sondern auch Entschädigung für seine fünfeinhalb Monate dauernde Untersuchungshaft. Das würde 3260 Mark ergeben. Die im Haftbefehl vom 20. Januar 1996 aufgestellten Behauptungen seien "rechtswidrig, unvertretbar und objektiv falsch".

Staatsanwalt Michael Böckenhauer verzichtete mit den Worten, in dieser Instanz sei von der Anklage alles gesagt worden, auf eine Erwiderung. Der Anklagevertreter deutete allerdings an, möglicherweise in die Revision zu gehen. Als Grund nannte Möckenhauer die Weigerung des Gerichts, die Safwan Eid angeblich belastenden Protokolle abgehörter Gespräche mit Angehörigen während seiner Untersuchungshaft in das Verfahren einzubeziehen.

Copyright: DIE WELT, 19.6.1997