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Die Welt online vom 9. April 1998 - Deutschland


Geständnis zum Lübecker Brandanschlag widerrufen
Bezahlte ein Unbekannter 20 000 Mark für die Tat?

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Der Prozeß um den verheerenden Brand im Lübecker Asylantenheim Hafenstraße muß möglicherweise neu aufgerollt werden. Unabhängig von dem anstehenden Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof gegen den in erster Instanz freigesprochen Hausbewohner Safwan Eid ergeben sich neue Verdachtsmomente gegen vier Jugendliche aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen. Sie waren in der Brandnacht vom 18. Januar 1996 in der Hafenstraße in Lübeck gesehen worden. Daß sie das Feuer mit zehn Toten und 38 Verletzten gelegt hatten, konnten ihnen bisher nicht nachgewiesen werden.

Maik W. gilt als Anführer der Grevesmühlener Skinheads. Er verbüßt gegenwärtig im Jugendgefängnis von Neustrelitz eine Haftstrafe wegen Diebstahls. Im Gespräch mit Mithäftlingen soll der 20jährige W. zwei seiner Kumpane belastet haben. Demnach sei das Quartett wenige Tage vor dem Brand in einem Lübecker Lokal von einem Unbekannten angesprochen worden. Er habe ihnen 20 000 Mark gezahlt, damit sie das Asylbewerberwohnheim in der Hafenstraße anzünden.

Nach Informationen aus Kreisen der Lübecker Ermittlungsbehörden soll Maik W. seine aufsehenerregende Aussage inzwischen widerrufen und selber als Unsinn bezeichnet haben. Er und seine Freunde hätten mit dem Brand nichts zu tun, habe W. zuletzt versichert. Diese Darstellung soll ein weiteres Mitglied der Gruppe bestätigt haben. Die beiden anderen Skinheads sind noch nicht zu den neuen Gerüchten vernommen worden.

Ein Sprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft erklärte, gegen die vier Jugendlichen sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die jungen Männer waren in der Brandnacht mit ihrem beigefarbenen PKW "Wartburg" von Zeugen in der Hafenstraße gesehen und dort von der Polizei kontrolliert worden. Der genaue Zeitpunkt blieb im Prozeßverlauf unklar. Für den auf 3.42 Uhr terminierten Ausbruch des Feuers besaß die Gruppe ein Alibi. Denn zu dieser Zeit hatten Zeugen die vier Grevesmühlener in einer sechs Kilometer entfernten Tankstelle gesehen. Daß sie versenkte Augenbrauen und Wimpern aufwiesen, begründeten die Skinheads bei ihrer polizeilichen Vernehmung mit der Erklärung, sie hätten einen Hund und einen gestohlenen Wagen "abgefackelt". Polizeilich sichergestellte Proben der versenkten Haare sind verschwunden.

Gabriele Heinecke, die Verteidigerin des der Brandstiftung freigesprochenen Safwan Eid, zeigte sich nach der jüngsten Entwicklung auf Anfrage der WELT in ihrem bisherigen Verdacht über die Grevesmühlener bestätigt. Ein völlig neues Verfahren sei nicht ausgeschlossen.

© DIE WELT, 9.4.1998

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