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Die Welt online vom 13. Juli 1998 - Deutschland


Verwirrspiel um Brandanschlag
Lübecker Staatsanwaltschaft dementiert "Geständnis" im Fall Hafenstraße

Von DIETHART GOOS
Lübeck - In zehn Tagen verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Revisionsverfahren über den verheerenden Brand im Lübecker Asylantenwohnheim Hafenstraße, bei dem am 18. Januar 1996 zehn Menschen starben und zahlreiche Schwerverletzte zu beklagen waren. Dabei wird der neunmonatige Prozeß aufgerollt, der 1997 in einen Freispruch für den wegen Brandstiftung angeklagten libanesischen Hausbewohner Safwan Eid (21) mündete.

Vor diesem Hintergrund sorgte gestern der "Spiegel" mit der Geschichte für Verwirrung, Jugendliche aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen hätten das Feuer gelegt. Diese Darstellung wies die Lübecker Staatsanwaltschaft aber entschieden zurück.

Die vier jungen Männer aus der Lübeck benachbarten Kleinstadt gerieten schon in der Brandnacht 1996 in Verdacht. Sie waren in der Nähe des brennenden Gebäudes von der Polizei kontrolliert worden. Gegen sie sprachen versenkte Haare und Augenbrauen. Doch für den Zeitpunkt 3.41 Uhr, an dem das Feuer ausgebrochen war, hatten die Männer ein Alibi. Deshalb kamen sie nach kurzer Verhaftung wieder frei. Später wurde Safwan Eid der Prozeß gemacht.

Jetzt, neun Monate später, bekannte sich angeblich der Grevesmühlener Maik Wotenow (20) im "Spiegel" zur Tat. Er ist wegen verschiedener Diebstahlsdelikte in der Jugendstrafanstalt Neustrelitz inhaftiert. Als Motiv für den Brandanschlag, an dem seine Freunde Heiko Patynowski und René Burmeister beteiligt gewesen sein sollen, habe Wotenow Streit mit Hafenstraßen-Bewohnern wegen Rauschgiftgeschäften genannt.

Bereits am 22. Februar 1998 bezichtigte sich Wotenow im Gespräch mit dem Leiter der Jugendstrafanstalt der Mitwirkung am Brandanschlag. Gegen ihn und die drei anderen Grevesmühlener leitete die Staatsanwaltschaft ein neues Ermittlungsverfahren ein. Wotenow wurde in Neustrelitz verhört, widerrief wenige Tage später seine Aussagen.

Darauf fuhr Hans-Dieter Schulz, Vizechef der Lübecker Staatsanwaltschaft, mit einem weiteren Staatsanwalt und Kripo-Beamten zur erneuten Vernehmung in die Haftanstalt.

Schulz, der die Ermittlungen Hafenstraße koordiniert hatte, sagte gestern der WELT, er könne in der "Spiegel"-Veröffentlichung "absolut nichts Neues entdecken". Über Einzelheiten des "Geständnisses" habe er bereits nach ersten Vernehmungen von Wotenow im Frühjahr 1998 der Presse berichtet.

Es gebe allerdings zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche in Wotenows Angaben. So sagte dieser im Februar, er habe 100 bis 200 Meter vom Brandhaus entfernt Schmiere gestanden. Dagegen heiße es im "Spiegel-Geständnis": "Ich habe in der Hafenstraße gleich hinter dem Haus gestanden und geguckt, ob jemand kommt."

Kommentar von Oberstaatsanwalt Schulz: Er glaube Wotenow nicht - weder seinen Äußerungen im "Spiegel" noch dem ersten Geständnis oder dem Widerruf. "Ich halte mich an die Fakten, und die passen nicht mit seinen Darstellungen zusammen." Dennoch werde die Staatsanwaltschaft im Laufe ihrer weiteren Ermittlungen alle Einzelheiten genauestens prüfen.

Bereits Mitte April war ein angebliches Geständnis des Grevesmühleners Heiko Patynowski aufgetaucht, der im Gefängnis Bützow einsitzt und die Gruppe der Brandstiftung bezichtigte. Laut Schulz erwies es sich als "eindeutige Fälschung".

© DIE WELT, 13.7.1998

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