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aus Die Welt vom 25.07.1998
 
Chronik mühsamer Ermittlungen
Die Suche nach dem Lübecker Brandstifter beschäftigt die Gerichte weiter

Von UWE BAHNSEN
Lübeck - Das Aktenzeichen 3 StR 78/98 der gestrigen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zum Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße vom Januar 1996 ist das vorerst letzte juristische Kürzel eines Falles, der von Anfang an bizarr war und blieb. Nur wenige vergleichbare Vorgänge der letzten Jahre haben überdies solche Emotionen freigesetzt wie die Frage nach der Schuld oder Unschuld des Libanesen Safwan Eid.

Das Feuer, das in der Nacht zum 18. Januar 1996 in einem Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße als Folge eines Anschlags ausbrach, wurde zur schlimmsten Brandkatastrophe in Schleswig-Holstein: Zehn Menschen kamen ums Leben, 38 wurden zum Teil schwer verletzt.

Fest steht bislang nur die Zahl der Opfer und die Tatsache, daß es sich um Brandstiftung handelte. Wer das Feuer gelegt hat, ist ungeklärt.

Kurz nach dem Anschlag, um 3.42 Uhr, war bei der Lübecker Feuerwehr die Brandmeldung eingegangen. Die Löscharbeiten und die Ermittlungen zur Brandursache begannen nach wenigen Minuten.

Am Abend nahm die Polizei vier Jugendliche aus der Umgebung des mecklenburgischen Grevesmühlen fest, die der rechtsextremen Szene zugerechnet wurden.

Am Tag darauf wurden sie jedoch wieder freigelassen, da kein Tatverdacht bestehe. Außerdem lag ein Alibi vor: Eine Polizeistreife hatte zu der Zeit als vermutlich der Brand ausbrach, drei der vier Männer sechs Kilometer entfernt an einer Tankstelle beobachtet.

Am Tag nach der Katastrophe geriet der 18jährige libanesische Hausbewohner Safwan Eid unter Verdacht: Nach Aussagen eines Rettungssanitäters hatte er in der Brandnacht in einem Rettungswagen die Tat mit den Worten "Wir waren's" gestanden. Das mögliche Motiv: Streit mit einem afrikanischen Nachbarn. Am 20. Januar wurde Eid unter dringendem Tatverdacht verhaftet.

Am 8. Februar bestätigten Gutachter des Landes- und des Bundeskriminalamtes, das Feuer sei im ersten Stock des Asylbewerberheimes mit Hilfe von Brandbeschleunigern gelegt worden.

Im Zuge der Ermittlungen ließ die Staatsanwaltschaft Gespräche des Beschuldigten Safwan Eid mit seinen Familienangehörigen, die zur Tatzeit ebenfalls in dem Asylbewerberheim untergebacht waren, abhören. Am 29. Februar erklärten die Ermittler, der Inhalt dieser aufgezeichneten Gespräche habe den Tatverdacht gegen Eid erhärtet. Schon zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich eine öffentlich ausgetragene Kontroverse über die Zulässigkeit der Abhörmaßnahme im Besucherraum der Haftanstalt.

Am 4. April sorgte die Feststellung des Frankfurter Brandexperten Ernst Achilles, das Feuer könne möglicherwiese auch von außen gelegt worden sein, für erneute Auseinandersetzungen.

Aufgrund dieses Streits konstituierte sich am 23. April auf Betreiben der Verteidigung eine Kommission von Juristen aus fünf Staaten, um die Arbeit der Ermittlungsbehörden "kritisch zu begleiten".

Knapp einen Monat danach, am 23. April, warfen diese Juristen den Staatsanwälten vor, sie seien "auf dem rechten Auge blind", und forderten Ermittlungen gegen die vier Männer aus der Umgebung von Grevesmühlen. Wiederum gut einen Monat später, am 29. Mai, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Eid wegen besonders schwerer Brandstiftung und Körperverletzung. Der Mordverdacht wurde fallengelassen. Am 2. Juli hob das Gericht den Haftbefehl gegen Eid auf - es bestehe zwar ein "hinreichender", aber kein "dringender" Tatverdacht mehr.

Der Prozeß gegen Safwan Eid begann am 16. September 1996 vor einer Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts. Das Gericht hörte in den folgenden Monaten zahlreiche Gutachter und Zeugen, deren zum Teil widersprüchliche Aussagen die Urteilsfindung eher erschwerten als erleichterten.

Am 9. April 1997 erreichte die Verteidigung des angeklagten Libanesen einen Teilerfolg, auf den sie während der Hauptverhandlung mit außerordentlicher Zielstrebigkeit hingearbeitet hatte: Die Strafkammer entschied, die Abhörprotokolle mit den belastenden Äußerungen Safwan Eids würden als Beweismittel nicht zugelassen. Das war faktisch eine Vorentscheidung für das Urteil: Am 4. Juni beantragte die Staatsanwaltschaft Freispruch aus Mangel an Beweisen.

In den Tagen darauf schlossen sich vier Vertreter der Nebenklage diesem Antrag an. Nur ein Anwalt forderte eine Verurteilung Eids wegen Beihilfe zur Brandstiftung.

Die Urteilsverkündung am 30. Juni 1997 wurde zum Medienereignis: Die Jugendstrafkammer des Landgerichts Lübeck verkündete Freispruch für Safwan Eid und eine Entschädigung für fünf Monate Untersuchungshaft. Der Vorwurf der Anklage, Eid habe das Feuer gelegt, sei "nach Überzeugung der Kammer nicht nachgewiesen" worden. Das Gericht habe nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" entschieden. Ausdrücklich übte der Vorsitzende Rolf Wilcken Kritik an den Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft.

Am 7. Juli 1997 legte die Familie El-Omari als Nebenkläger vor dem Bundesgerichtshof Revision gegen das Urteil des Landgerichts ein, während die Staatsanwaltschaft auf eine Überprüfung des Urteils verzichtete.

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