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Mon Feb 19 18:12:23 1996
 

aus: Zeck, Juli '95

Ein Konzert mit HbW

Zur Vorgeschichte : Am 9. Juni 1995 fand auf dem Sportplatz Corveystrasse ein Open-Air-Konzert mit der Gruppe "Heiter bis Wolkig" (HbW) und diversen anderen Gruppen statt. (...) Seit dem 7.2.94 in der Roten Flora waren mehrfach Konzerte dieser Gruppe aufgrund sexistischer Inhalte und Darstellungsformen in verschiedenen Staedten gestoert oder verhindert worden. Mitte Mai 94 wurde gemeinsam von der betroffenen Frau und ihrem FrauenLesben- Zusammenhang in Paderborn oeffentlich gemacht, dass das Bandmitglied Michael ein Vergewaltiger ist. Ein anderes Bandmitglied stieg daraufhin aus der Gruppe aus. Der Rest machte weiter und setzte sich in keinster Weise mit den Vorwürfen auseinander. Die Gruppe benannte sich bezeichnender-weise in "Haerter bis Wolkig" um. Im Vorfeld des Konzerts wurde bekannt, dass dort weitere Gruppen mit total üblen sexistischen Texten auftreten, insbesondere die Gruppen "Kassierer" und "Terrorgruppe".
Für viele Menschen aus unterschiedlichen politischen Zusammenhaengen war der Auftritt von Sexisten und Vergewaltigern unter einem antifaschistischen Motto eine unertraegliche Provokation.

Worum geht es dabei inhaltlich?

In der Entwicklung der linken Bewegung der letzten Jahre ist zunehmend erkannt worden, dass es in dieser Gesellschaft verschiedene Macht- und Unterdrückungsverhaeltnisse gibt, die zusammenhaengen und sich gegenseitig bedingen: Kapitalismus, Sexismus, Rassismus, Faschismus, die Diskriminierung sog. Behinderter und andere Herrschaftsverhaeltnisse. Es kann innerhalb einer linken Bewegung niemand gegen Kapitalismus sein, die/der sich gegen das Bleiberecht von Flüchtlingen ausspricht. Es kann keinen antifaschistischen Kampf geben, der die patriarchalen und sexistischen Strukuren dieser Gesellschaft ausblendet. Und es kann niemand gegen Sexismus sein, für die/den es so etwas wie ein "unwertes Leben" gibt. All diesen Machtverhaeltnissen ist gemeinsam, dass es ein Oben und Unten , TaeterInnen und Opfer gibt. Weisse Deutsche koennen nicht bestimmen, wann und inwieweit Flüchtlinge von Rassismus betroffen sind. Dies entscheiden MigrantInnen selbst und nur sie koennen es entscheiden. Weisse Deutsche koennen sich dazu solidarisch verhalten. Maenner koennen nicht bestimmen, wann und wie Frauen sich von ihnen belaestigt fühlen, welches Verhalten sexistisch ist und welches nicht, oder gar, wo Gewalt gegen Frauen anfaengt. Maenner koennen versuchen, ihre Machtstrukturen zu aendern und an sich zu arbeiten. Einzig und allein Frauen bestimmen, was Sexismus und Gewalt gegen Frauen ist. Maenner koennen sich dazu solidarisch verhalten.
Wer diesen Grundsatz nicht anerkennt, macht Gewalt gegen Frauen zur Glaubens- oder Beweisfrage. Dies ist keine neutrale Rolle, sondern Parteinahme für die HERRschenden im Machtverhaeltnis Patriarchat. Dies ist genau die Rolle, die ganz überwiegend maennliche Schergen, Staatsanwaelte und Richter einnehmen, wenn betroffene Frauen Maennergewalt oeffentlich machen.

Ziel und Verlauf der Kampagne:

Ziel war die politische Mobilisierung gegen das Konzert und dessen praktische Verhinderung. Dabei war die Kampagne anfangs nur auf HbW beschraenkt, einerseits weil die sexistischen Texte der anderen Gruppen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren und andererseits, weil sich unser Umgang (besonders der einiger Maenner) mit sexistischem Verhalten oft nur an Extrempunkten festmacht.
Das Ziel der praktischen Verhinderung des Sexisten-Konzerts ist nicht erreicht worden. Wir haben hierbei den schweren Fehler gemacht, trotz vorhandener Skepsis auf das koordinierte Taeuschungsmanoever von HbW und Fanladen, der fingierten Konzertabsage von HbW, hereinzufallen. Die angebliche Absage wurde nicht genau genug recherchiert. Das an den Infoladen Schwarzmarkt gerichtete gefaelschte Fax des Fanladens war von Imme unterschrieben, einer Frau aus dem Fanladen, die für einige von uns in dem Konflikt in einer eher vermittelnden Position und durchaus noch als Gespraechspartnerin angesehen wurde.
Wir ziehen daraus unsere Konseqünzen, was den Umgang mit dem Fanladen in seiner Gesamtheit angeht. Wir wissen, dass es im Umfeld vom Fanladen und "Uebersteiger" auch einige kritische Stimmen gibt. Sie müssen sich oeffentlich aeussern und Stellung beziehen!
Ein solcher Fehler wird sich nicht wiederholen. Er ist auch deshalb aergerlich, weil auf Basis der vermeintlichen Absage von HbW bestimmte militante Aktionen gegen das Konzert abgeblasen wurden, die das Konzert eventüll noch zum Platzen gebracht haetten.
Politisch sehen wir die Kampagne eher als Erfolg an. Die Problematisierung des Zusammenhangs zwischen Sexismus/Patriarchat und Antifaschismus fand gerade unter St.Pauli-Fans wie auch bei ganz jungen Leuten unerwartet grosse Resonanz. Das Flugblatt "Kein Konzert mit Sexisten und Vergewaltigern" wurde in grosser Auflage verteilt (s. Kasten). Die meisten lasen es, viele diskutierten darüber und einige - von denen wir es wissen - entschieden sich aufgrund dessen, nicht zum Konzert zu gehen. Am 9.6.95 wurde vor und waehrend des Konzerts ein aktualisiertes Flugblatt verteilt. Hier war die Reaktion gespalten: Viele meist jüngere Leute, die von dem Konflikt bisher nichts wussten, lasen das Flugblatt, einige kehrten spontan um oder besuchten das gleichzeitig stattfindende Antifa-Konzert in Langenhorn. Andere hingegen machten dumme und sexistische Sprüche.

Am Konzert selbst fanden wir zwei Dinge bemerkenswert:

  1. Das Konzert wurde nur von etwa 250 Personen (incl. Schergen) besucht. Es war somit ein Reinfall, auch finanziell, hatte der Veranstalter doch nach eigenen Angaben mit 1000 BesucherInnen kalkuliert. Wir führen dies weniger auf das Wetter zurück (trübe, aber kein Regen), sondern auch auf die von uns geführte Boykott-Kampagne.
  2. Das Konzert fand unter Polizeischutz statt!! Die Pseudo-AntifaschistInnen vom Fanladen/Uebersteiger" waren sich nicht zu bloede, ihr Antifa-Konzert gemeinsam mit fünf Wannen Polizei und einigen Zivis durchzuführen. Veranstalter Sascha hatte sein Konzert zuvor als Antifa-Konzert bezeichnet. Bei dem Gespraech am 14.5.95 hatten sich mehrere Fan-Laden-AktivistInnen ihrer langjaehrigen antifaschistischen Arbeit gerühmt. Der Anblick hat uns schon belustigt, wenn es nicht so traurig waere: Pseudo-AntifaschistInnen Hand in Hand mit Schergen schützen Sexisten und Vergewaltiger.
Kampf dem Sexismus - Politische Isolierung des St.Pauli-Fanladens: Die, die das Sexisten-Konzert durchsetzen und erklaertermassen notfalls durchprügeln wollten, und die, die letztlich auch hingegangen sind, waren wenige. Und mit denen haben wir, die sich hier um den Aufbau einer linksradikalen Bewegung bemühen, nichts, aber auch gar nichts (mehr) gemeinsam. Denn sie wissen genau, was sie tun. Sie wollen ihre maennliche Macht gegen Frauen durchsetzen. Sie wollen ihr sexistisches Macker-Verhalten ausleben. Sie ignorieren bewusst die betroffene Frau und erklaeren Michael/HbW zum Nicht-Vergewaltiger. Sie setzen den Auftritt offen sexistischer Bands in Prügelbereitschaft und notfalls unter Polizeischutz durch.
Sie stehen klar auf der anderen Seite, haben mit einer linken oder antifaschistischen Bewegung nichts zu tun. Mit ihnen wird es auch im Rahmen antifaschistischer Aktionen keinerlei Zusammenarbeit geben. "St.Pauli Fans gegen Rechts" - aus dem Mund von Sexisten eine leere Phrase. Wir werden sie politisch isolieren, bundesweit, auch unter linken Pauli-Fans in anderen Staedten.

Zum gemischten Plenum:

Die Kampagne "Kein Konzert mit Sexisten und Vergewaltigern" gegen den Auftritt von HbW und den anderen sexistischen Bands wurde von einem Plenum von Frauen und Maennern aus verschiedenen linken Zusammenhaengen getragen. Da antisexistische Aktionen in der Vergangenheit meist von FrauenLesben-Gruppen oder auch von schwulen Gruppen, seltener von Hetero-Maennern ausgingen, ist diese punktüll gemischte Aktionsform "neu" und muss auf ihren Charakter hin analysiert und kritisiert werden: Der Einstieg gestaltete sich als schwierig, da die Initiative für die gemischt konzipierte Kampagne von Maennern ausging. Anfangs beteiligten sich nur wenige Frauen. Deshalb bekamen die Diskussionen schnell ein Ungleichgewicht. Statt sofort auf die anwesenden Frauen zuzugehen, wurden diese teilweise ausgegrenzt und durch den Maennerhaufen abgeschreckt. Die Plena waren maennerdominiert: dies gilt sowohl zahlenmaessig als auch im Auftreten/Verhalten von Maennern. So wurden Frauen-Beitraege abgebügelt oder ihren Aeusserungen weniger Beachtung geschenkt. Die Experten- Einschaetzungen kamen von Typen. Es wurde bei der Verteilung von kleineren Aktionen kaum auf zoegernde oder unsichere Menschen eingegangen. Allgemein haben wir uns in den Diskussionen wenig aufeinander bezogen. Auf den Plena wurde nicht tiefergehend Inhaltliches zum Geschlechterverhaeltnis diskutiert. Wir haben uns nicht die Zeit genommen, um darüber genaür zu reden, unsere eigene unterschiedliche Betroffenheit miteinzubringen. Dennoch wurden verschiedene Ansaetze von Frauen und Maennern deutlich, sowohl in der politischen Analyse als auch in der Herangehensweise an Aktionen: In der Frage des Umgangs mit den anderen Bands waren die Forderungen von vielen Frauen weitgehender als die von vielen Maennern. Es waren Frauen, die immer wieder versuchten, das Augenmerk auch auf diese Bands zu lenken. (...)

Diese Kritik bedeutet keine generelle Absage an punktüll gemischte Kampagnen, doch wollen wir die Beobachtungen aus dem Verlauf dieser Diskussion in unsere zukünftigen Auseinandersetzungen miteinfliessen lassen.
Hier muss diskutiert werden, wie die Verteilung von Aktionen innerhalb einer gemischten Kampagne aussehen kann und muss. An diesem Punkt stellten sich vor dem Konzert beispielsweisedie Fragen: Welche schreiben die Flugis, welche segnen sie ab, welche verteilen sie? (Gerade beim letzten Flugi tauchte das Problem auf, dass einerseits von Maennern eingefordert wurde, die Arbeit zu leisten und es zu verfassen, dass es andererseits aber auch Frauen waren, die sie verteilen wollten - ohne so schliesslich Einfluss auf Formulierungen und Inhalte zu haben).
Auch die Diskussion um "Sieg" und "Niederlage" und unseren Umgang damit muss weitergeführt werden: Wo sind angesichts einer moeglichen Niederlage die Grenzen zwischen verletztem Kaempferstolz und sinnvoller Abschaetzung etwaiger negativer Folgen?
Für Maenner wird sich die Frage stellen, wie sie in solchen Kampagnen Position beziehen koennen, ohne die eigene (Taeter-)Stellung zu leugnen, und wie sie Eigenanteile thematisieren koennen, ohne anbiedernd zu wirken. Schliesslich haben wir es versaeumt, in bestimmten Phasen der Auseinandersetzung auch getrennte Plena abzuhalten. Diese machen auch im Rahmen einer gemischten Kampagne einen Sinn und bieten die Moeglichkeit, die Diskussion zu intensivieren und zu erweitern.

Bleibt schliesslich festzuhalten, dass weiterhin gilt: einzelne gemeinsame Aktionen bedeuten keinen einheitlichen Kampf von Maennern und Frauen gegen patriarchale Strukturen. Diese sind nur punktülle Bündnisse und dürfen nicht die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Interessen, sowie die auch in der Kampagne nicht aufgeloesten Herrschaftsverhaeltnisse verwischen.

Der Kampf gegen Sexismus und Faschismus ist unteilbar!
Für eine herrschaftsfreie Gesellschaft!


2 Anarchafeministinnen, 1 Frau, 1 autonomer Mann aus 1 Maennerzusammenhang und 1 autonomer Mann aus 1 gemischten Zusammenhang
P.S. Es ist für August ein Konzert mit "Heiter bis Wolkig" in der Markthalle angekündigt ...

(Der Text wurde aus Platzgründen gekürzt, d.R.)