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Mon Feb 19 19:00:46 1996
 

Heiter bis Wolkig Diskussion

Offener Brief an HbW

Offener Brief an "Heiter bis Wolkig" zum Auftritt am 7.2.94 in der Roten Flora "Heiter bis Wolkig" - links, lustig, kritisch und immer gut fuer einen netten Abend im Kreise unserer "Lieben". Mit dieser Vorstellung im Kopf sind wohl die Meisten am besagten Montag in die Flora gekommen.

Mit "zehn klaeine Nazischweine" (eine Kritik hieran ersparen wir uns mal) war dann auch schnell der Minimalkonsens aller gefunden, die Stimmung entsprechend ausgelassen, und so ein Wir-Gefuehl zwischen Euch und dem Publikum hergestellt. Die Sympathie mit den von Euch dargestellten Charakteren hielt aber auch da noch an, wo eigentlich ein Bruch erfolgen sollte und ihr den widerlichen, deutschen Alltag mit all seiner Brutalitaet, Frauenverachtung, seinem Rassismus, der banalen Berieselung durch die Medien etc. aufzeigen wolltet. Es waren vorwiegend Typen, denen das Lachen bestenfalls kurz im Halse steckenblieb, die sich daraufhin aber nicht zu schade waren, ueber rassistische wie frauenverachtende Witze zu lachen und selbst die dargestellte Vergewaltigungsszene ("Lindenstrasse"), johlend und sexistische Sprueche schreiend, nur in Bezug auf ihren Unterhaltungswert zu registrieren.

Die Botschaft, die hier ankam, war: Heute duerfen Typen mal ihre ganze sexistische Kacke ausleben, jetzt lachen wir mal ueber Maennergewalt.

Dieses Publikum, das sich groesstenteils als politisch links vertsteht und von dem viele so grossen Wert darauf legen sich sowohl aeusserlich als auch in ihren Inhalten von der Gesellschaft abzugrenzen und hervorzuheben, dieses Publikum hat an diesem Abend mehr als deutlich gemacht, dass die meisten von ihnen ein mindestens ebenso menschenverachtendes, sexistisches und unglaublich dummes Verhalten drauf haben wie die, die sie bekaempfen.

Wir wollen euch gar nicht die Motivation unterstellen, dieses Verhalten bewusst provoziert zu haben. Aber ihr habt kein Stueck auf die Wirkung Eurer Sketche im Publikum geachtet, so dass Euer Auftritt voll nach hinten losging! Selbst wenn wie unterstellen, dass ihr weder die beschissenen Sprueche noch die Protestrufe einiger Frauen registriert habt, und euch ausserdem entgangen ist, dass schon zur Pause diverse Leute gegangen waren, so haette Euch die Reaktion auf die "Unterbrechung" des mehr als fragwuerdigen Spektakels doch irgendwann zu denken geben muessen. Aber stattdessen habt ihr euch auf die Seite der groehlenden Menge gestellt und und nur einer von euch sah sich genoetigt, eine zarte, eher formale Kritik an der Reaktion aus dem Publikum zu aeussern. Die anderen haben sich hinter der Buehne verpisst und waren mit der Situation sichtlich ueberfordert.

Die Tatsache, dass ihr euer Programm fortgesetzt habt, zeigt, wie wenig Wert ihr auf das Vermitteln eurer Inhalte legt und das ihr scheinbar keine Probleme damit habt, zur Unterhaltung eines derart motivierten Publikums beizutragen. In Anbetracht der Tatsache, dass ihr euch mit eurem Programm ganau dagegen wendet, seid ihr fuer uns in jeder Beziehung unglaubwuerdig.

Sicher seit ihr nicht fuer euer Publikum verantwortlich zu machen, doch tragt ihr in eurer Funktion als Kabarettgruppe einer Verantwortung, die sich nicht mit dem Totschlag-Argument von der Freiheit der Kunst abtun laesst (sonst macht doch mal ein paar Witze ueber die Morde von Moelln und Solingen).

Mag ja sein, dass wir einfach nicht kapieren, was z.B. an der Namensgebung "Flick, Fick, Fuck..." gesellschaftskritisch ist; das Publikum hat aber offensichtlich noch viel weniger geschnallt. Diskriminierung jeglicher Art in Form von Parodien, dargebracht von Maennern, die selbige Unterdrueckung nie selbst erfahren haben koennen, wird und muss immer schraeg erscheinen.

Ihr wolltet mit der Show provozieren und das habt ihr auch geschafft. Ihr habt die Menschen provoziert, die irgendwann angewidert abgehauen sind und habt die Unterbrechung des Programms provoziert, nur dass ihr absolut unfaehig wart, damit umzugehen. Haettet ihr das Thema "Faschismus" in einer derartigen Form behandelt, dann waeren wahrscheinlich Bierflaschen geflogen, aber so waren "nur" Frauen das Ziel, wobei euch die Solidaritaet vieler Maenner sicher war (wenn ihr sie in dieser Form vielleicht auch nicht haben wolltet).

Wenn es euch bei der dann folgenden Auseinandersetzung um mehr geht, als nut bei der Hamburger Szene nicht verschissen zu haben, dann koennt ihr nicht einfach nur das Maul halten, wenn als Reaktion auf die Kritik von der Buehne z.B. der absolut duemmliche und dazu unpassende Rassismus-Vorwurf folgt (von den anderen Spruechen ganz zu schweigen).

Wir fordern Euch auf, euer Verhalten und das gesamte Programm nicht nur in Bezug auf die genannte Kritik zu ueberdenken. Und die von Euch, denen das Thema nicht voellig am Arsch vorbeigeht, fordern wir auf, kurzfristig die Konsequenzen zu ziehen und eure Tour abzubrechen.

Dabei halten wir es fuer wenig sinnvoll und ausserdem fuer ziemlich billig, sich das OK von ein paar Frauen einzuholen, denn es soll tatsaechlich moeglich und sogar sinnvoll sein, solche Themen ausschliesslich unter Maennern zu diskutieren (oder braucht ihr bei anderen Konflikten auch immer erst einen Schlag vor die Nase mit anschliessender Therapie, bevor ihr euer Verhalten aendert ?).

Auch wir haben die antipatriachale Weisheit bestimmt nicht mit Loeffeln gefressen, werden aber auch weiterhin unser Verhalten und das anderer Maenner diesbezueglich in Frage stellen.

In der Hoffnung, dass wir uns das naechste Mal nicht auf der Buehne wiedersehen muessen.