Köln, am 15/05/94
Erfahren habe ich von der Vergewaltigung mitten in der Diskussion um den Sexismusvorwurf an HBW. Nach anfänglichen Schwierigkeiten (dazu am Ende meines Papiers noch mehr) standen für mich zwei Dinge fest. Michael durfte nie wieder fähig sein, eine Vergewaltigung zu begehen und ich wollte zum schnellst möglichen Termin aus HBW aussteigen. Da ein Tourabbruch den finanziellen Kollaps (ca. 50.000 DM Schulden für mich und die anderen vier Anteilseigner) bedeutet hätte, beschloß ich, Ende September, nach dem bis dahin letzten vertraglich festgelegten Auftritt, HBW zu verlassen.
Ferner wußte ich, daß Michael bei einer direkten Konfrontation mit dem Vergewaltigungsvorwurf, diesen vor sich und allen anderen Menschen leugnen würde. Daher "unterrichtete" ich ihn über das, was er getan hatte, sodaß er vor sich selbst nicht mehr fähig war die Tat zu leugnen. Später wurde zunächst Michael von einer Autonomen Frauen-Lesbengruppe aufgefordert, sich gegenüber HBW zu äußern. Anschließend wurde HBW ein Ultimatum von zwei Wochen gesetzt, sich zur Situation, einen Vergewaltiger in der Gruppe zu haben, öffentlich zu verhalten. In den nun täglich stattfindenden Diskussionen innerhalb von HBW teilte der Bassist (einer der für dieses Projekt extra dazu geholten Musiker) mit, die Tour abzubrechen. Später stellte ich die Forderung auf, alle Auftritte abzusagen, bei denen für uns kein Kostenrisiko (Vertragsstrafen, bezahlte Automieten, etc) entstehen würde. In der weiteren Diskussion stellte sich heraus, daß es für vier der 16 Beteiligten der Gruppe nicht möglich war, weiter mit Michael auf Tour zu gehen. Daher wurde Michael bis auf weiteres von HBW beurlaubt. Aber einer der anderen Schauspieler konnte sich, aufgrund meiner Rolle in dem Vergewaltigungskomlex, unter keinen Umständen vorstellen, mit mir und seinem Bruder alleine auf der Bühne zu stehen. So wurde Michael zum 6.5. beurlaubt und ich gegangen.
Von den meisten in der Gruppe wurde die ganze Angelegenheit als äußerst lästig empfunden. Vor allem der Umstand, das sich HBW bis zu einem festgelegten Zeitpunkt verhalten mußte, wurde als Unverschämtheit gesehen. Für fast alle der Gruppe ist diese Vergewaltigung eigentlich eine Privatsache, die Michael zu klären hat. Das HBW überhaupt selbst dazu etwas veröffentlicht, folgt eher taktischen Erwägungen (Gefahrenabwendung), als das es aus einer Überzeugung heraus geschieht. Sowohl hinter der "Härte" im Umgang mit HBW zum Vergewaltigungsfall, als auch hinter dem Sexismusvorwurf an HBW wird immer ein anderer Grund gesehen. So wird vermutet, das aus einer Mischung aus Neid, Komerzialisierungsvorwurf, privaten Gründen und unerfüllten Erwartungen der Autonomen an HBW, diese eben HBW zerstören wollen. Und ich war das "willfährige" Instrument eben jener Zerstörungswut. Diese Gedankengänge und 10 Jahre unbewältigte Konflikte zogen konsequenterweise meinen Rausschmiß nach sich. Ebenso ist verständlich, daß eher die Definition von Vergewaltigung und das taktische Verhalten im Mittelpunkt der Diskussionen standen. Auch das eine heftige Emotionalität mit den eben bekannten Folgen aufkam, als meine Rolle in der Geschichte angesprochen wurde.
Zum Ende will ich noch auf meine eigenen Schwierigkeiten im Umgang mit dieser Vergewaltigung kommen. Auch ich habe am Anfang gefragt, ob die vergewaltigte Frau von den Sexismusvorwürfen aus Hamburg wußte. Auch habe ich die ganze Sache als eine Chance gesehen, mal mit einem Vergewaltiger zu reden, zumal er einer meiner besten Freunde war. Obwohl ich mich vorher schon mit dem hypothetischen Fall, von einem Vergewaltiger in meinem Umfeld zu erfahren, auseinander gesetzt hatte, sind auch bei mir die üblichen Reaktionen entstanden. Ich habe sowohl nach einem Grund für den "Vorwurf", und damit nach einer Entkräftung gesucht, als auch nach der Möglichkeit, mich nicht von Michael zu trennen. Ausschlaggebend, dies aber dennoch zu tun, war neben meiner grundsätzlichen politischen Einstellung, ein privater Grund. Die Vergewaltigung ist ein Höhepunkt eines Verhaltens anderen Menschen gegenüber, das wir schon seit Jahren in gemeinsamen Gesprächen (erfolglos) thematisiert haben. Und ich bin sicher, daß sich das auch bei diesem Fall wahrscheinlich nicht ändern wird. Die Entscheidung mich so zu verhalten, wie ich es dann getan habe, ihn bewußt zu verletzten und all seinen Haß auf mich zu ziehen, ist mir dennoch wahrlich nicht leicht gefallen.
Mit all diesen Reaktionen, die während der Auseinandersetzung mit dem Thema bei mir aufgekommen sind, muß ich mich noch stark auseinandersetzten. Ebenso muß ich mir die Frage stellen, weshalb ich 11 Jahre in einer Gruppe war, in der Schein und Sein in einer für mich eigentlich nicht vertretbaren Art und Weise auseinanderliefen.
Wolli
Ex-HBWler