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Thu Dec  3 18:55:12 1998
 

Der Datendandy
von der Agentur Bilwet

 

 

 

Der Datendandy sammelt Information nur, um damit zu prahlen, und nicht, um sie zu übertragen. Er ist sehr gut, vielleicht ein bißchen zu gut oder sogar übertrieben gut informiert. Auf zweckgerichtete Fragen treffen ungewünschte Antworten ein. Er kommt ständig mit etwas anderem an. Dem Phänotypus des Datendandys begegnet man mit dem gleichen Schrecken wie seinem historischen Vorgänger, dem Straße und Salon als Spielraum dienten. Die elegante Extravaganz, mit der das detaillierteste Konversationswissen zur Schau gestellt wird, schockiert die zielbewußten Medienbenutzer. Der Datendandy spottet über die maßvolle Konsumption und die dosierte Einnahme geläufiger Nachrichten und Unterhaltung, und läßt sich nicht von Übermaß oder Overload spezialisierten Wissens aus der Ruhe bringen. Seinem sorgfältig zusammengestellten Informations-Portefeuille ist keine konstruktive Motivation zu entnehmen. Er setzt so hoch wie möglich, um so arbitrair wie möglich rüberzukommen. Die Frage ist: "Warum will der Datenfatzke das alles wissen?" Er zappt nicht aus Langeweile, sondern aus einem Widerwillen, auf der Höhe der laufenden Ereignisse und der neuesten Beschäftigungen Dritter zu bleiben.

Im Zeitalter der multimedialen Masseninformation kann man keinen Unterschied mehr zwischen Ein- und Vielförmigkeit machen. Weder der große Überblick noch das erklärende Detail können die Geistesverwirrung mindern. Vor diesem Hintergrund beweist der Datendandy, was jeder schon weiß, nämlich, daß Information zwar allgegenwärtig, aber nicht ohne weiteres verfügbar ist. Bestimmte Fakten sind besonders schmückend und dafür muß man eine feine Nase entwickeln. Anders als dem Datensammler geht es besagtem Dandy nicht um die Obsession für einen kompletten Bestand, sondern um die Anhäufung von soviel immateriellem Kleinkram wie möglich. Während der Otaku nach innen gekehrt ist und nie die Grenze seiner einsilbingen Kultivierungen überschreitet, sucht der Datendandy genau die am meisten extravertierten newsgroups auf, um seine unproduktiven Beiträge zu lancieren. Was der Datendandy abstaubt, um es anderswo zu präsentieren, ist latent wichtig, wäre nicht die Präsentation so indiskret. Seine launenhafte Spitzfindigkeit lenkt die Aufmerksamkeit von den täglichen Items ab. Die bon mots haben eine Genialitätsdauer von 30 Sekunden, danach verschwinden sie genauso plötzlich wieder vom Bildschirm. Unser Datendandy ist ein Makler in Gigaware, in dem Sinne, daß Ihr Abfall sein make-up ist, und seine Substanz Ihr Fluidum.

Der Bildschirm ist der Spiegel, vor dem er seine Toilette macht. Das button/unbutton des textilen Dandyismus hat sein Equivalent im Kanalsurfen der on/off-Dekadenz gefunden. Umhüllt von feinsten Fakten und unsinnigsten gadgets bringt er die Zeitökonomie der Information=Geld-Manager durcheinander. Den größten Teil seiner Computerzeit verbringt er mit der schwungvollen Einrichtung seiner Festplatte und dem Anbringen raffinierter Schaltungen zwischen tausendfältigem heterogenen Software-Nippes. Das Powerbook als Schmuckstück ist der Stolz manches Salondigitalisten. Dieser verhöhnt mit Aktualität, Hype und Mode: kurz erscheint ein Ich, welches sich als sein eigener Anchorman anbietet. Der Datendandy betrachtet sein Atavar im Cyberspace als das Zentrum des digitalen Weltalls. Er weiß, daß er diese Position nur der Gunst der offenen Einrichtung des Computernetzes verdankt. Seine lästigen Interventionen haben als Daseinberechtigung den public access, den sie nicht als Mittel auffassen, die non-virtuelle Welt zu veränderen. Er durchschaut das Netz als einen Raum, in dem man sich zur Schau stellen kann, und nicht als Raum zur Kommunikation. Die Simulation ist das Fundament seiner 'General Principles of Digital Elegance', die von den Essentialisten, die noch an den Unterschied echt - unecht glauben, als 'Lust am Untergang' oder 'reiner Hedonismus' abgelehnt werden. Der Datendandy ist ein Geheimdemokrat, der einen relaxten Kampf für die grenzenlose Ausdehnung der digitalen Menschenrechte führt. Denn wenn der Stecker aus dem Netz gezogen wird, verflüchtigt sich seine Persönlichkeit.

Der Datendandy zeigt eine beunruhigende Verwandtschaft mit dem Politiker, der sich uns ebenfalls mit nichtssagenden Aussagen aufdrängt und einfach nicht weichen will. Nun, da die politischen Klassen in ihrem Todeskampf die Medien entdeckt haben, sind sie nicht mehr daraus wegzubekommen und entwickeln dandyistische Züge. Der Datendandy taucht in der Leere der Politik auf, die zurückgeblieben ist, seit die Gegenkultur sich in einer dialektischen Synthese mit dem System aufgelöst hat. Dort entpuppt er sich als ein ebenso liebenswerter wie falscher Gegner, zur großen Wut von Politikern, die ihren jung-pragmatischen Dandyismus als ein publizistisches Mittel betrachten und nicht per se als persönliches Ziel. Sie kühlen ihre Wut an Journalisten, Sachverständigen und Persönlichkeiten, welche die zufällige Diskussionsrunde auf der Studiofläche bilden, wo die Weisungsbefugnis über die Regie der einzige Gesprächsgegenstand ist. Doch sie haben die größte Mühe mit dem Datendandy, der kein fairer Gegenspieler sein will und es versäumt, hübsch kritische Fragen zu stellen. Unser bon viveur erfreut sich an aller zur Schau getragenen Banalität und nimmt absolut keinen Anstoß am undefinierbaren Bestreben.
Es wäre so nützlich gewesen, grimmig zu sein, aber der gescheiterte Subversive zeigt sich ausgerechnet von seiner einnehmenden Seite. Sein Charme ist tödlich. Während der Underground untalentiert auf Suche nach Instrumenten ist, um das Establishment zu ärgern, läßt der Datendandy die Sache anmutig den Bach runtergehen. Es gibt keine soziale Bewegung, Opposition oder Unterströmung mehr, und die können auch nicht aus dem Nichts auftauchen, höchstens weiter ins Private wegsacken. Einmal leer bleiben die Medien immer leer, dagegen kommt kein statement an. Hacker und Cyberpunks manifestieren sich nicht, einfach weil sie nicht existieren (genau wie der Datendandy). Diese potentiellen Gestalten werden nur als Geister beschworen. Das Anrufen fiktiver gesellschaftlicher Kräfte ist eine Verzweiflungstat, um überhaupt noch eine Referenz des Feindes zu haben. Der Datendandy wird für proto/neo/retro-faschistisch gehalten, wenn er während der Verarbeitungsdebatte über den "aufkommenden Rechtsextremismus" kurz in der Gestalt des Theorie-Dazlak als illusionärer Teilnehmer auftaucht.

Die absolute Untätigkeit des Datendandys ähnelt der erhabenen Faulheit von Couplands Generation X. Slackers, MacJobbers, Bilwet und Butheadfans oder Vaguers erweisen sich als schicksalhaft verwachsen mit den Medien und verwehren sich gegen die historische Aufgabe, Subjekte der technologischen Umwälzungen zu sein. Sie amüsieren sich über die Vorstellung, die Maus, der Joy Stick und die Fernbedienung seien revolutionäre Werkzeuge für eine neue, schöpferische Produktivität. Das kreative Potential der neuen Medien liegt vor allem in ihrer Möglichkeit zum vielversprechenden Betrug, mit dem nur wenige Geld machen. Die coolen Produkte werden von den Xers ironisch und frei von Illusionen konsumiert. Ihre Lust am selbstreferentiellen Charakter der Medien trägt keine Früchte. Hier wird nicht an der Mannigfaltigkeit der techné gebastelt. Die Garagenromantik der achtziger Jahren ist längst ausgeträumt. Die Digitalisierung verläuft in den Neunzigern unter subproletarischen Arbeitsbedingungen, jenseits des abgebauten Öko-Sozialstaates. Geräteherstellung und Datenverarbeitung geschehen heutzutage global und werden, telematisch gesteuert, in die Karibik, China, Indien oder Osteuropa ausgelagert. Das Netz als das Nirwana der verschwundenen Arbeitsplätze, dient vor allem dazu, sich über die armselige und holprige Kommunikationsextase Anderer lustig zu machen.
Anders als die Generation X bemüht sich der Datendandy, seinen Zynismus über den Schwindel des Netzes zu verbergen. Die Pflege der Negativität soll, reich an paradoxem Witz, in stilvoller Vornehmheit ausgetragen werden. Das große Nichts, das im digitalen Abgrund klafft, soll verdeckt bleiben. Das ist der eigentliche Grund seines Willens zur Verschleierung und Täuschung. Die "tiefe Melancholie der Computer" und die unendliche Leere der Cyberräume ruft bei den Benutzern existenzüberschreitende Phantasmen hervor, die der Datendandy in seiner humanoiden Künstlichkeit zu beschwören versucht. Er verachtet den konsumierbaren Armutskult des Grunge, die fluor- grellen Frisch-und-Fröhlichfarben von Swatch und Bennetton und die gutgemeinten und gesunden Halluzinationen der Cyberkultur. Gegen das computergesteuerte Spektakel des Gehirns mit seinem endlosen Navigieren durch die Datenmassen setzt der Datendandy den graziösen Kunstgriff des Geistesblitzes. Er verhöhnt Suchsysteme, Knowbots und Hypercard-Strukturen. Sein verführerisches Potential basiert auf dem rätselhaften Hervorzaubern von einmaligem Wissen. Die heroische Datenerzeugung verblüfft die Lebenshilfe- und Karriereklasse, die sich genervt fragt, wo sie denn bloß die Anleitung für den Datendandyismus herbekommen können. Sie werden frustriert verschwinden, wenn sie erst einmal erfahren, daß die Medien und ihren Theoretiker tatsächlich nur Leere vermittlen und der chamäleonartige Datendandy ohne Scham über seinen eigenen angeblichen Tod lachen kann.

Was die metropolitane Straße für den historischen, ist das Netz für den elektronischen Dandy. Das Flanieren längs der Datenboulevards kann nicht verboten werden und verstopft schließlich die gesamte Bandbreite. Das allzu kultivierte Gespräch während eines Rendezvous rührt einige unangebrachte und irritante Daten auf, aber mündet nie in Dissidenz. Das mutwillig verkehrte Navigieren und elegante joy riding innerhalb anderer Leute Elektro-Umgebung will Bewunderung, Neid und Verwirrung hervorrufen und steuert selbstbewußt auf einen gestylten Unbegriff zu. Der Dandy mißt die Schönheit seiner virtuellen Erscheinung an der moralischen Empörung und Lachlust der plugged-in civilians. Es ist eine natürliche Eigenschaft des Stutzers, den Schock des Künstli-chen zu genießen. Darum fühlt er sich so Zuhause im Cyberspace mit all seinen Attributen. Das Riechwasser und die rosa Strümpfe sind hier lediglich ersetzt durch kostbare Intels, zarte datagloves und mit Rubinen besetzte Datenbrillen und an seinen Augenbrauen und Nasenflügeln sitzen Sensoren. Weg mit der bäurischen NASA-Ästhetik der Cybernauten! Wir haben das Stadium der Pioniere weit hinter uns gelassen, nun geht es um die Grazie der medialen Geste.
Die anonyme Masse in den Straßen bildete das Spielfeld und das Publikum des Passagendandys, die eingeloggten Benutzer des Netzes bilden die des Great Digital Aesthete. Dieser sieht sich gezwungen, die anderen User als die anonyme Masse zu benutzen, als die amorphe Normalität, von der er die scharf umrissene Abweichung bildet. Der Infodandy weiß, daß er nie mehr ist, als einer unter vielen Irren im Karneval der Veränderlichkeiten des Informationszirkus. Er wird sich daher nie als die soundsovielte Retro-Identität präsentieren, Überbleibsel einer der Moden des 20.Jahrhunderts, wie Hippie, Faschist, Punk, Modernist, Feminist, weil er nur als Non-Identität selbst die Regeln des Netzes beeinflussen kann. Was ist Exklusivität im Zeitalter der Differenzen? Der Dandy ist nicht an stets geheimeren Passwords interessiert, um in noch geschlossenere Datensalons einzudringen, er braucht virtuelle Plätze für seine tragische Erscheinung. Datendandyismus entsteht aus Abneigung gegen die Verbannung in eine eigene Subkultur. Die großen Feinde des Dandys sind der Camp und der Kult, welche als Kämpfer gegen Lifestyle und des Design die populäre Kultur als Quelle der Geschmacklosigkeit brauchen. Der Datendandy als falscher Souffleur der Sentimentalität von heute trauert Mattheit, Konformismus, dem Fehlen von Engagement, undeutlich werdenden Normen, Materialismus, Individualismus, Entpolitisierung und dem Wiederaufkommen der alten Linken nicht nach. Der Dandy lanciert im Gegenteil immer wieder einen inhaltslosen Vorläufigen Allgemeinen Nenner (VAN), in dem alle Subkulturen sich zu erkennen glauben, und weiß so eine bemerkenswert große graue Masse anzuziehen, um damit eigene Spektakel zu veranstalten. Er kreiert eine lose Öffentlichkeit und testet die Konventionen. Willkürliche Vorbilder starker VANs mit hohem Vagheitskoeffizienten sind die Love Parade, Kerzen- und Fackeldemos gegen den Golfkrieg und Rostock, die Kerze im Fenster für Polen, Europride, eine Menschenkette für die Umwelt über den Bosporus und andere Mobilisierungen öffentlicher Kümmernisse. Der Datendandy surft auf den Wellen seiner Vorläufigen Allgemeinen Nenner mit und genießt, daß so Viele einen Inhalt in den Zeichen des Nichtssagenden zu entdecken meinen. Deshalb ist er auch so engagiert und sitzt nicht Zuhause und schimpft, daß nichts passiert. Er lebt bei jeder Vorführung der Massen auf und schwelgt in all der zurschaugestellten Rührung. Die Sehnsucht nach einer verbindenden Leidenschaft ist Grund genug, auf die Straße zu gehen. Der Nullprotest ist eine Manifestation kollektiver Anwesenheit, die in medialer Präsenz kulminiert. Der politische Widerstand als Reklame für den soundsovielten Lifestyle rührt Tausende zu Tränen.

Das einzige im Netz, was die Eigenschaften einer Masse zeigt, sind jedoch nicht die Benutzer, sondern die Information selbst. Sobald ein neues Wissensgebietchen gefunden ist, spaltet und verzweigt es sich, sodaß endlos viel Information ein- und ausströmt. Was heute ein neues Thema ist, sind morgen 23 newsgroups. Will der Datendandy als reelle Gestalt ankommen, dann geht das nur in der Form von Dandydaten. Diese sind queer: wo die heteroinformativen Daten der Normalos auf Qualifikation, Assoziation und Reproduktion aus sind, sodaß sie verwehen und die Desintegration weiter anfachen, sind die homoinformativen Daten der Dandys zwar exzentrisch, aber nicht speziell. Homodaten verbinden sich nicht mit anderen und sind in sich selbst versunken. Sie ziehen, ebenso wie die VANs, etwa gleichgetönte Infos an und erreichen eine unbekümmerte Konzentration innerhalb des Informationsfeldes, wo die Show beginnen kann. Zwar ist die Rede von einem Schein von Begegnung oder einer Konfrontation mit dem System, aber der Kontakt hat keinen produktiven Moment, keine Ursache oder Folge. Dandydaten sind rein situationell, parasitär par excellence. Was sie hinterlassen ist die starke Geschichte, Brennstoff aller Medien und die Hoffnung der Theorie.

   

Bei der gegenwaertigen Diskussion um linke Gegenoeffentlichkeit und Gegenmacht werden unseres Erachtens zwei historisch unterschiedliche linke Medienkonzepte staendig durcheinandergeworfen. In Anlehnung an Geert Lovink (Agentur Bilwet, Amsterdam) gehen wir davon aus, dass es Sinn macht, die Medien der linken Gegenoeffentlichkeit hinsichtlich ihrer Funktion idealtypisch in 'alternative' und 'eigene' Medien zu unterscheiden. 'Alternative' Medien spiegeln sich vornehmlich an den buergerlichen Medien, indem sie bestaendig eine inhaltlich korrigierende und das bestehende Informationsspektrum ergaenzende Aufgabe wahrnehmen. Dabei kam den 'alternativen' Medien vor allem bei der Bereitstellung abweichender Lesarten sozialer und politischer Widersprueche in den 70er/80er Jahren eine wichtige Funktion fuer die Konstitution einer 'liberalen' Oeffentlichkeit zu. Davon zu unterscheiden ist die Herausbildung 'eigener' Medien, die nicht mehr so sehr auf die Bewusstwerdung der anderen, sprich auf eine direkte Beeinflussung bis Bereicherung der allgemeinen 'Oeffentlichen Meinung' setzen. Der eigentliche Unterschied zu den 'alternativen' Medien besteht dabei in der Art und Weise der Selbstpositionierung auf politischem Terrain, die sich nicht nur inhaltlich in explizit linken Stellungnahmen und Diskussionen aeussert, sondern auch ueber das Aufgreifen subkultureller Themen und Codes. Auf Szenen und subkulturelle Orte bezogen stellen 'eigene' Medien gewissermassen Orientierungspunkte der dortigen sozialen Praxis bereit. Dabei kommt ihnen primaer eine Identitaeten und Binnendiskurse stabilisierende Funktion zu. Zwar bewegen sich die 'eigenen' Medien in einem durch Slang und Gangart ihrer subkulturellen Basis eng begrenzten Raum, doch funktioniert hier der Austausch zwischen Publikum und Macherinnen noch am besten.
Bei dieser Einschaetzung der Funktionsweise linker Medien wird deutlich, dass die sozialen Beziehungsrahmen und die aussermedialen politischen und kulturellen Praxen, in die sich linke Medien einordnen, fuer uns einen zentralen Stellenwert haben. Die Bedeutung dieses Bezugs wurde aber in den Diskussionen um linke Gegenoeffentlichkeit weitgehend ausser acht gelassen, solange ueberzogene Vorstellungen von den Moeglichkeiten einer medialen linken Intervention in die buergerliche Oeffentlichkeit dominierten. Es wurde, zugespitzt formuliert, davon ausgegangen, dass nur genug Aktivistinnen an moeglichst vielen Stellen Gegenoeffentlichkeit herstellen muessten, wodurch dann irgendwann eine gesellschaftsveraendernde Kettenreaktion ausgeloest wuerde. Eine Vielzahl linker Medienprojekte stellte sich aus dieser Logik heraus die Aufgabe, die in den buergerlichen Medien unterbliebenen Nachrichten zu verbreiten. Diese Konzeption von 'Gegenoeffentlichkeit' bezeichnet G. Lovink als 'Megaphonmodell', denn sie unterstellt unausgesprochen einen kausalen Zusammenhang zwischen Information, Bewusstsein und Handeln. Dahinter steht die Vorstellung einer manipulativen Medienwirkung, derzufolge es ausreicht, im Kommunikationskanal die 'falschen' Ideen durch die 'richtigen' zu ersetzen: Wenn die Menschen nur lange genug 'die Wahrheit' hoeren, werden sie irgendwann ihre Meinung aendern und sich gegen die (sie be)herrschenden Verhaeltnisse wenden. Diese klassische Konzeption zur Schaffung von Gegenoeffentlichkeit kann sich auf Theoretiker wie Brecht oder Enzensberger berufen. Sie naehrten im Glauben an die Wirkung von richtigen Informationen die Ueberzeugung, dass es genuege, wenn die Linke die Sendezentralen der Massenmedien uebernaehme bzw. ueber ausreichend starke eigene Medien verfuege, um ihren Ideen Plausibilitaet und Durchschlagskraft zu verleihen. Ein derartiges medientheoretisches Konzept, das darauf abzielt, Handeln durch Information zu bewirken, versteht die Medien letzten Endes als Manipulationsinstrument. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass ein solches, auf die Uebermittlung der 'richtigen' Informationen fixiertes Verstaendnis von Medien und Medienrezeption zu kurz greift. Denn heute sind, nicht zuletzt durch die Existenz von Gegenoeffentlichkeit, auch gesellschaftskritische Informationen jederzeit verfuegbar. Sie bleiben aber folgenlos. Das deutet darauf hin, dass die Medienkonsumenten gezielt Informationen auswaehlen und andere ignorieren. Diese Auswahl ist strukturiert durch das Interesse, gesellschaftliche Wirklichkeit in einer Weise wahrzunehmen, die die eigenen Selbst- und Gesellschaftskonzepte legitimiert. Es geht darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass es ein gesellschaftliches Verhaeltnis gibt, das Erkenntnis vorstrukturiert. So wird umgekehrt ein Schuh daraus: Heute mangelt es in der buergerlichen Gesellschaft nicht an Informationen, sprich an Gegenoeffentlichkeit, sondern das Hauptproblem ist deren absolute Folgenlosigkeit.
In "Oeffentlichkeit und Erfahrung" haben Negt/Kluge bereits 1972 darauf verwiesen, dass die Subjekte sich "die blosse Abbildung der Realitaet" nur dann aneignen, wenn sie zugleich wissen, wie sie aktiv die sie bedrueckenden Verhaeltnisse veraendern koennen: "Erst aus dieser Handlungsmoeglichkeit koennte sich ihr Interesse am Realismus rekrutieren." Das macht deutlich, dass ein umfassender Gegenoeffentlichkeitsbegriff nicht auf den medialen Aspekt reduziert werden darf. Mediale Interventionen muessen in einem umfassenderen Kontext von sozialem, politischem und kulturellem Handeln gedacht werden. (Gegen-) Oeffentlichkeit ist dann mehr als Bildschirm, Radio oder Zeitung. Mediale Strategien, die allein auf den Informationsaspekt setzen und den umfassenderen Lebenszusammenhang bei der Konzipierung politischer Strategien aussen vor lassen, laufen Gefahr, den medialen Bereich zu ueberschaetzen. (Mit dieser Ueberschaetzung von Medienwirkungen befinden sie sich uebrigens in gutbuergerlicher Gesellschaft, vgl. die Diskussionen um Mediengewalt.)
In diesem Zusammenhang erscheint uns ein weiterer Aspekt wichtig, der zwar genau wie Negt/Kluges Erkenntnis hinreichend bekannt ist, aber genausowenig Folgen fuer die Diskussion der Strategien linker Gegenoeffentlichkeit hatte: Die linken medientheoretischen Vorstellungen in der Nachfolge Brecht/Enzensbergers setzen voraus, dass die herkoemmlichen Massenmedien sich - einmal im Besitz der richtigen Leute - als ein Instrument zur demokratischen Willensbildung einsetzen lassen. Aber das ist eine Mystifkation, denn Massenmedien sind nicht demokratisch. Ihre Kommunikationsform macht einen wirklich gleichberechtigten Austausch unmoeglich, denn Massenmedien beruhen auf dem Prinzip der Vervielfaeltigung von Informationen in nur eine Richtung, von den Produzierenden hin zu den Konsumentinnen. Ausserdem reproduzieren sie durch die Einbahnstrasse ihres Kommunikationskanals Machtpositionen. Eine Strategie von Gegenoeffentlichkeit, die sich auf Massenmedien stuetzt, vergisst, dass Massenmedien keine Reziprozitaet im Sinne von Gegenseitigkeit ermoeglichen, sondern einen eng gesteckten Rahmen setzen, was von wem in welcher Weise mitgeteilt werden kann und wer zum Schweigen verurteilt ist. Reversibilitaet (also Umkehrbarkeit des Informationsflusses, z.B. Hoererinnenanrufe oder Leserinnenbriefe) ist nicht mit Reziprozitaet gleichzusetzen. Aufgrund dieser Nicht-Reziprozitaet koennen Massenmedien fuer die Empfaengerinnen allenfalls in sehr reduzierter Weise Ausgangspunkt oder Element von ueber den reinen Medienkonsum hinausgehenden sozialen Praxen werden (fuer die Macher mag das anders aussehen).

   
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