Das § 129-Verfahren ("Bildung einer kriminellen Vereinigung") gegen die jetzt betroffenen 28 Passauer AntifaschistInnen und Antifaschisten demonstriert erneut den ungebremsten staatlichen Verfolgungswillen gegenüber revolutionärem Antifaschismus. Wieder wird gegen eine Form von Politik vorgegangen, die den Staatsschutzbehörden offensichtlich zu erfolgreich war oder vielleicht auch nur zu erfolgreich werden könnte. Organisierungsansätze, Ausbruchsversuche aus der gesellschaftlichen Isolation, kontinuierliche Politik - das sind Stachel, die den Staat pieken und die er nun zu beseitigen sucht. Die Kriminalisierung von jetzt 28 AntifaschistInnen geht nicht von dem Ziel aus, irgendwelche "Sachbeschädigungen" etc. zu unterbinden, sondern ist eine bewußt vorgetragener Angriff auf antifaschistische Politik, der keineswegs auf Passau beschränkt ist. Mittels des §129-Sonderrechts können alle Register der Repression gezogen werden. Durchleuchtung, findet bereits statt - und zwar bundesweit. Einschüchterung soll über den Tatvorwurf - "Bildung einer kriminellen Vereinigung" - wegen antifaschistischer Politik erzielt werden. Ob Spaltung, praktische und/oder juristische Zerschlagung am Ende steht liegt nicht allein in der Hand des Staates. Die Linke selbst hat ein wichtiges Mittel in der Hand, nämlich eine ernstzunehmende Solidaritätsarbeit aufzubauen, die einen so starken öffentlichen Druck auf die Staatsschutzbehörden erzeugen kann, daß diese sich gezwungen sehen, ihren Angriff für gescheitert zu erklären. Keine Kriminalisierung der Passauer AntifaschistInnen! |
Am 12. Mai 1998, um 6 Uhr morgens, schlugen die Staatsschutzbehörden bundesweit zu. Insgesamt 36 "Objekte" in Berlin, Bielefeld, Göttingen, Hamburg, Mühldorf/Inn, München, Nürnberg und Passau wurden unter Federführung des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) zusammen mit dem Bundeskriminalamt (BKA), den entsprechenden LKA´s und örtlichen Polizeibehörden durchsucht. In Berlin wurden Türen eingetreten, AntifaschistInnen beschimpft und gefesselt. In Hamburg hatten sich die Beschuldigten jeweils mit 20 Beamten auseinanderzusetzen, die filmten und fotografierten. In Passau wurden die Zimmer praktisch leergeräumt, eine Frau mußte sich nackt ausziehen. In konkretem Vorgehen und in Sachen Härte gab es zwar diese örtlichen Unterschiede, das Ziel war jedoch überall gleich: Gesucht wurden Gegenstände, die den "Bezug zum, die Mitgliedschaft in Gruppierungen, den Grad der Einbindung in die Organisierung des `antifaschistischen´ Spektrums" bestätigen sollten. Beweise für eine "kriminelle Vereinigung" und "Straftaten" in der Region Passau standen erst an letzter Stelle. Begründet wurde dies mit dem Konstrukt, daß "seit spätestens 1993 eine Gruppe von insgesamt 39 Personen des `antifaschistischen´ Spektrums Passau innerhalb eines organisatorischen Rahmens (möglicherweise identisch mit der `antifaschistischen Aktion´) Straftaten" verüben sollen. Worum es im konkret juristischen Sinn geht bleibt unklar. Auch die Presseerklärung der Staatsanwaltschaft München I klärt kaum genauer auf, so ist lediglich von "über 100 Straftaten wie Raub, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Bedrohung u.a." die Rede. Die "Straftaten" sollen sich hauptsächlich gegen "Veranstaltungen der politischen Gegner, staatliche Einrichtungen und die Stadt Passau" gerichtet und "Sachschäden in Höhen von einer halben Million DM" verursacht haben. Was denn diese "Straftaten" nun sein könnten, bleibt unklar, der bayerische Verfassungsschutzbericht 1997 gibt Anlaß für Vermutungen: Durch Sprühereien und Aufkleber sei im ersten Halbjahr 1997 ein Sachschaden von ca. 40.000 DM entstanden. Die klarste Sprache sprechen die Durchsuchungsbeschlüssen gegen den Buchladen Rote Straße und eine linke Druckerei in Göttingen. Im Buchladen wurden "Aussagen über den strukturellen Aufbau, Organisatorisches/Arbeitsteilung, Protokolle, Kriterien für Mitgliedschaft von Gruppen/Personen, Kampagnenplanungen, Abhandlungen zur Militanzfrage der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO)" gesucht. Außerdem wurde "Mitgliedslisten der AA/BO und der Antifaschistischen Aktion Passau (AA Passau)", sowie der Rote Hilfe e.V., Ortsgruppe Passau und "Schriftverkehr zwischen AA/BO und AA Passau" gefahndet. Begründet wurde dies damit, daß die Rote Hilfe, Ortsgruppe Passau eine "Teilorganisation der Antifaschistischen Aktion Passau" sei und der Bundesvorstand der Roten Hilfe die Mitgliedslisten zentral in Göttingen führe. Weiterhin diene der Buchladen als Kontaktadresse der Autonome Antifa (M), die "innerhalb der AA/BO eine federführende Rolle inne " habe. Es sei "davon auszugehen, daß die Unterlagen der AA/BO von den Mitgliedern der Autonomen Antifa (M) verwaltet bzw. archiviert" würden. Diese Unterlagen seien "erforderlich zur Aufdeckung der Struktur und des politischen Programms der AA/BO und somit der AA Passau." In der Druckerei wurden "Druckwerke/Schriften der AA Passau und der AA/BO mit Bezug nach Passau" gesucht und alles, was mit diesen "Druckwerken/Schriften" in Zusammenhang stehen könnte. Diese Richtung bestätigt erneut der bayerische Verfassungsschutzbericht. Dort wird behauptet, daß die "zentrale Rolle" innerhalb der AA/BO die Autonome Antifa (M) einnehmen würde, daneben hätten die AA Passau und Antifaschistische Aktion Berlin, die aus ehemaligen Angehörigen der AA Passau bestehen soll, "erhebliche Bedeutung". Passauer Autonome hätten über "personelle Verflechtungen auch bedeutenden Einfluß auf autonome Gruppierungen in Nürnberg, Berlin und Göttingen."
Beschlagnahmt wurde im Buchladen und in der Druckerei letztendlich nichts. Bei den Betroffenen wurden Computeranlage, Handys, Broschüren, Flugblätter, vor allem aber persönliche Dinge wie Briefe, Tagebücher, Kontoauszüge mitgenommen. Insgesamt haben die beschlagnahmten Sachen einen materiellen Wert von ca. 60.000 DM.
Seit jeher steht emanzipatorischer und revolutionärer Widerstand einem Staat gegenüber, dessen eindeutiges Ziel ist, diesen Widerstand zu zerschlagen und zu vernichten. Nur die "Aufstandsbekämpfungsstrategien" haben sich im Laufe der Geschichte gewandelt. Ob Gewehre und Kanonen oder Gummiknüppel, Wasserwerfer und CS-Gas, ob Todesstrafe, Schüsse in die Menge oder "Notwehr", "auf der Flucht erschießen" und Isolationshaft, ob "Sozialistengesetz", "Gesetz zum Schutz der Republik", "Reichssicherheitsgesetz" oder die §§ 129/129a - physische, psychische oder existentielle Bekämpfung des Widerstands hat immer stattgefunden und findet immer noch statt. Es gab qualitative und quantitative Unterschiede, wobei besonders der NS-Faschismus hervorgehoben werden muß. Der Vernichtungswillen des faschistischen Deutschlands ist mit dem Vorgehen seiner Vor- und Nachfolgestaaten nicht vergleichbar. Doch die Methoden sind letztlich abhängig vom äußeren Gesicht des jeweiligen Staates, wie ernst er den jeweiligen Widerstand nimmt und natürlich nicht zuletzt von der Stärke des Widerstands.
Durch schwammige Formulierungen bleibt es den Strafverfolgungsbehörden weitgehend selbst überlassen, ob sie Ermittlungen in diese Richtungen eröffnen oder nicht. Gleiches gilt für die Richter und eine potentielle Verurteilung. Im Gegensatz zum § 129a existieren hier keine "Kataloogstraftaten", es geht nur um "Straftaten" an sich. Das erleichtert die Ausnutzung der Ermittlungsmöglichkeiten des §§ 129/129a-Sonderrechts ungemein, da, wie das Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) gezeigt hat, bereits Bagatelldelikte wie Verstöße gegen das Versammlungsgesetz zum Anlaß genommen werden können, über Jahre Gruppen und Zusammenhänge zu überwachen und zu durchleuchten. Telefon- und Postüberwachungen, 24-Std.-Observationen, Hausdurchsuchungen, neuerdings auch dem "große Lauschangriff" (nun ist auch das Abhören und Filmen von Privaträumen juristische legitimiert) sind dann in Bezug auf ihren Umfang keine Grenzen mehr gesetzt. Trotz der vergleichsweise geringen Verurteilungsquote wird immer mindestens ein Ziel solcher Verfahren erreicht, da die betroffene Gruppe/Struktur und ihr Umfeld nahezu komplett erfaßt werden kann.
Nicht nur deshalb gilt es solche Verfahren ernstzunehmen, denn sobald ein Richter einmal der Existenz einer "kriminellen Vereinigung", oder wahlweise "terroristischen", zugestimmt hat, muß den einzelnen Beschuldigten nicht mehr die konkrete Beteiligung an einer "Straftat" , sondern nur noch die Mitgliedschaft in der Vereinigung nachgewiesen werden. Im Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) ist bereits deutlich geworden, daß die Kosten für eine Verteidigung in solchen Mammutverfahren enorm sein können, d.h. die ökonomische Basis der Betroffenen für Jahre zu Grunde gerichtet werden kann. Mittels solcher Verfahren sollen die Betroffenen häufig bewußt in Beruf und Ausbildung eingeschränkt werden. Letztlich kann auch ohne Verurteilung der finanzielle Ruin der Betroffenen am Ende stehen. Mindestens genauso wichtig ist aber auch die Lähmung der politischen Arbeit, da sich zwangsläufig auf politischer, juristischer und finanzieller Ebene mit einem solchen Verfahren auseinandergesetzt werden muß.
Antifaschistische Politik in Passau heißt nicht nur mit den Problemen von Antifa in der Provinz fertig zu werden und dem besonderen Druck der bayerischen Repressionsorgane standzuhalten, sondern antifaschistische Politik in einer erzkonservativen Kleinstadt mit Monopolzeitung, der CSU-nahen Passauer Neuen Presse (PNP), zu erkämpfen. Daß genau dies gelungen ist, daß sich eine kontinuierlich arbeitende organisierte Antifa-Gruppe herausgebildet hat, ist seit Jahren ein ganz besonderer Dorn im Auge des bayerischen Staatschutzes.
Seit 1983 hält die faschistische DVU in der Passauer Nibelungehalle jährlich Großveranstaltungen ab. Im Laufe der Jahre organisierte sich antifaschistischer Widerstand gegen die Auftritte der bis zu 5000 Faschisten. Die größten Aktionen fanden 1992 zusammen mit einem bürgerlichen Bündnis vor dem Hintergrund der sich häufenden faschistischen Übergriffe statt. Trotz der Erkenntnis der Bedeutung des Bündnisses, setzte sich der konservative Passauer Mainstream letztendlich wieder durch und autonome AntifaschistInnen und Punks standen den Faschisten bis einschließlich 1997 wieder weitgehend isoliert gegenüber. Erst zum Bundeswahlkongreß der NPD am 7. Februar 1998 gingen wieder wahrnehmbare bürgerliche Kräfte und autonome AntifaschistInnen koordiniert gegen die Faschisten vor.
Diese und alle weiteren antifaschistischen Aktivitäten sind in Passau schon immer einem regelrechten Polizeiterror ausgesetzt. Arbeitsstunden wegen Aufklebern, offene Obeservationen, Verfolgung wegen Flugblattverteilen, Übergriffe auf Demonstrationen sind im Passau der 90er nichts besonderes. Trauriger Höhepunkt waren mehrere § 129a-Verfahren, die Anfang 1995 bekannt wurden. Anlaß waren eine kaputte Scheibe bei McDonald´s unter die mit Edding etwas von RZ (Revolutionäre Zellen oder Rote Zora, beides ehemals bewaffnet kämpfende Gruppen) geschrieben war und zerbrochene Scheiben in der Passauer Innenstadt zu Silvester 1994/95. Es folgten Hausdurchsuchungen und offener Überwachungsterror. Das Frühjahr 1995 wurde überschattet von den Selbstmorden eines 16jährigen Punks, Beschuldigter der Silvesteraktion, und eines ebenfalls 16jährigen Antifaschisten, Beschuldigter in einem der § 129a-Verfahren. Nach kurzzeitigen Lippenbekenntnissen, "Problemlösungen für die Jugendlichen" suchen zu wollen, ging der Polizeiterror in verschärfter Form weiter.
Dennoch gelang es der Antifaschistischen Aktion Passau eine erfolgreiche antifaschistische Politik zu etablieren. Durch intensive Jugend- und Öffentlichkeitsarbeit konnte die Gruppe antifaschistische Positionen auch in der Provinz vermitteln. Durch die Einbindung in die AA/BO geschah dies nicht isoliert, sondern auf dem Stand der bundesweiten Diskussionen und Entwicklungen.
Um diese Form der antifaschistischen Politik geht es. Ort und Zeitpunkt des Großangriffs auf den organisierten Antifaschismus sind wohl nicht zufällig gewählt. Die Beschuldigten leben über die ganze BRD verstreut, die Organisation und die Kosten eines gemeinsamen Vorgehens sind damit ungemein erschwert. Die kaum existente linksliberale Öffentlichkeit, die für die Niederschlagung eines solchen Verfahrens von essentieller Bedeutung sein kann, ist durch die vor Ort existierenden Gruppen nur unter größten Anstrengungen zu erreichen. Die breitere Bevölkerung ist durch die jahrelange Hetze der PNP gegen die "rote Terror-Antifa" bestens auf eine "kriminelle Vereinigung" vorbereitet. Und doch war es AntifaschistInnen bei den Aktionen gegen den NPD-Kongreß gelungen, eine breitere Öffentlichkeit in den Widerstand miteinzubeziehen, die eigene Isolation endlich einmal wieder zu durchbrechen. Die Antwort des Staates ließ nicht lange auf sich warten. Ziel scheint, wie sich aus Durchsuchungsbeschlüssen und Verfassungsschutzbericht unschwer erkennen läßt, die Kriminalisierung der Antifaschistischen Aktion Passau zu sein.
Bundesweit fällt dieser Kriminalisierungsversuch in eine Zeit, in der nur wenige starke antifaschistische Strukturen existieren. Die AA/BO ist zur Zeit der wahrnehmbarste und kontinuierlichste Organisierungsansatz. Kontinuität, Verbindlichkeit, und Mobilisierungspotential sind die von staatlichen Organen oft als die gefährlichsten Merkmale der AA/BO zitiert worden. Sicherlich bewußt wird sich zum derzeit bekannten Stand des Verfahrens eine Kriminalisierung der AA/BO offengehalten, ob über den Hebel oder die Verurteilung der Antifaschistischen Aktion Passau als Musterurteil bleibt letztlich gleich.
Insgesamt ist jedoch klar, daß viel mehr mit der Kriminalisierung gemeint ist als die genannten Organisationen. Schon aus der Suche nach "Bezügen zum antifaschistischen Spektrum" ergibt sich, daß jegliche Form antifaschistischer Politik potentiell "kriminell" ist. Kriminalisierung von AntifaschistInnen setzt immer dann ein, wenn diese besonders auffällig sind oder dem Staat besonders schwach erscheinen.
Ende der 90er Jahre versucht sich der Staat durch massives Vorgehen gegen die Linke und vorgebliche Eindämmungsversuche des Neofaschismus nach links und rechts abzugrenzen und sich selbst ganz im Sinne des Totalitarismus als Mitte zu präsentieren. Bei jeder Gelegenheit wird versucht, die Stärke der "wehrhaften Demokratie" zu beweisen. Musterbeispiel dieser Tendenz ist nach wie vor die thüringische Kleinstadt Saalfeld. Selten wurde in den letzten Jahren die Gleichsetzung von links und rechts so offen betrieben, wie im Zusammenhang mit den geplanten Demonstrationen vom Oktober 1997 und März 1998, als die Aktivitäten der Faschisten als Grund hochgehalten wurden, die antifaschistischen Aktionen mit allen Mitteln zu behindern. Ausgangspunkt war die Ankündigung einer Demonstration gegen ein von der Stadt finanziertes rechtes Jugendzentrum und "akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen" gewesen.
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Gerade nach der Sachsen-Anhalt-Wahl und dem 1. Mai in Leipzig ist es dem Staat immens wichtig, sich als "antifaschistisch" zu präsentieren zu können. Und in dieser Situation geht er verschärft gegen jene vor, die seine Rolle, sei es über Bündnisse oder radikale Impulse, entlarven könnten. Weil genau aber diese Punkte politisch umgesetzt wurden, wird regional die Antifaschistische Aktion Passau angegriffen und bundesweit die AA/BO verstärkt ins Visier des Staatsschutzes genommen.
Es besteht die Möglichkeit, auch diesen Kriminalisierungsversuch abzuwenden und zwar genau mit der Politik, die offensichtlich beendet werden soll. Die Solidaritätsarbeit muß eine gesellschaftliche Breite entwickeln, die es möglich macht, die staatliche Intention größeren Kreisen der Gesellschaft zu vermitteln. Es müssen weiterhin genau jene Bündnisse gegen die faschistische Jugendsubkultur und deren staatliche Toleranz gesucht und auf die Abwehr der Kriminalisierung erweitert werden, die die Isolation antifaschistischer Politik durchbrechen können. Und nicht zuletzt muß die antifaschistische Organisierung vorangetrieben werden, die koordiniertes Vorgehen ermöglicht und Kontinuität im Widerstand gegen Staat und Nazis schafft.
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