Flugblatt zum 8. Mai 1999
Agit-Prop-Aktion und Demonstration, 13 Uhr, Gänseliesel
Seit dem 23. März 1999 führt die Nato einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Nach Jahren westlicher Destabilisierungspolitik auf dem Balkan wird diese jetzt mit Bombenterror bis zum "totalen Sieg" (Oberbefehlshaber der Nato, W. Clark) fortgesetzt. Ohne UN-Mandat; dafür mit deutschen Kampftruppen. Daß die Spielregeln internationaler Nachkriegspolitik damit außer Kraft gesetzt sind, darf allerdings nicht verwundern. Die Ausschaltung der UNO war angesichts der weltpolitischen Entwicklung der letzten Jahre vorhersehbar. Ebenso die Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Die Kriegspolitik der selbsternannten westlichen Wertegemeinschaft hat in Jugoslawien oder was davon übrig ist, nur einen vorläufigen Höhepunkt erreicht und sich selbst einen Präzedenzfall geschaffen, der einen Vorgeschmack auf zukünftige "Konfliktlösungen" gibt. Dies ist das eigentliche Kriegsziel der Nato in Jugoslawien. Zu ihrem 50jährigen Bestehen feiert sich die Nato als alleinige Hüterin von Demokratie und Menschenrechten. Die selbst zugeteilte Rolle als weltweite Interventionsmacht bedarf nach dem Ende der Blöckekonfrontation keiner Legitima-tion mehr. Präsentierte sich die Nato zu Zeiten des Kalten Krieges noch als Abschreckungs-und Verteidigungspakt gegen den Ostblock, gibt sie sich nun als alleinige Kontrollmacht. Fortan will sie als Weltpolizei überall politischer und militärischer Herr der Lage sein. Das Ziel ist klar: die Neuordnung Südosteuropas unter eigener Regie. Die totale Verwüstung einer ganzen Region bekommt durch die absolute Kontrolle über den "Wiederaufbau" ihren Sinn. Für Abweichler wie Jugoslawien bedeutet dies die totale Unterwerfung unter das Nato- IWF-Kontrollregime oder das Zurückbomben in die Steinzeit. "Den sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht werden", so nennt das die Nato in ihrer "Washingtoner Erklärung" vom 25. April 1999.
"war is peace" ( G. Orwell:1984)
"Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik" (Koalitionsvertag
20.10.98)
Dieser Amoklauf stellt eine neue Qualität imperialistischer Aggression dar. Die militärische Vernichtungslogik der Nato gegen das zusammengebastelte Böse gibt vor, sich neuerdings der Menschenrechte zu bedienen, um die Tradition des globalen Machtanspruchs aufrecht zu erhalten. Die nationalchauvinistische Politik Milosevics wird zum Prüfstand der "freien, zivilisierten, westlichen" Welt erklärt. Das Konstrukt der "humanitären Intervention" zugunsten der Kosovo-Albaner rechtfertigt dabei die Entfesselung der militärischen Mordmaschinerie der Nato. Die humanitäre Katastrophe, die zu verhindern das Bündnis angetreten war, hat mit dem Beginn des Angriffskrieges jedoch erst richtig begonnen. Deshalb nimmt gleichzeitig eine mediale Propagandaschlacht ihren Lauf, die den "gerechten Krieg" als "letztes Mittel" (Bundesaußenminister J.Fischer) notwendiger "Krisenintervention" serviert. Folgt man dem roboterhaften Gestammel der rot-grünen Kriegsminister und dem Nato-Haupt-quartier, werden jeden Tag Begriffe umgedeutet oder neu erfunden. Den Gegner als "Schurkenstaat" oder "Schlächter vom Balkan" (BILD) deklassiert, erledigt die "Völkermord"- und "Nie wieder Auschwitz"-Rethorik (Bundesverteidigungsminister Scharping) den letzten Zweifel an der moralischen Richtigkeit des eigenen Handelns. Diese wahnhafte Projektion von "KZ"- und "Auschwitz"-Phantasien auf den serbischen Widersacher stellt einen Vergleich des Unvergleichbaren, die Gleichsetzung eine willkommene Verharmlosung des Nazi-Faschismus dar. Die Willkürlichkeit der moralisierenden Feinddefinition und der gebetsmühlenartige Schwall schnell erlernter Begriffe wie "Völkermord¨, "Massengräber" und "Konzentrationslager¨ kommt in der Öffentlichkeit irgendwie menschlich an und schlägt in die gleiche Kerbe wie die "Walser-Debatte¨: vorwärts und vergessen!
"Serbien muß sterbien"
Nach der anfänglichen Inszenierung eines "Blitzkrieges" gegen "strategische Ziele" in ganz Jugoslawien hat sich die Zweck-mäßigkeit der "1. und 2. Phase" des Nato-Angriffsplans gründlich blamiert: durch über 1000 Kampfflugzeuge die Übertragung der Herrschaft in Jugoslawien an die Nato herbeizubomben, wie im militärischen Teil des "Rambouillet-Vertrages" vorgesehen. Mitt-lerweile sind Tote in der serbischen Zivilbevölkerung an der Tagesordnung, da "alles zerstört wird, was Milosevic lieb ist" (W. Clark). Diese werden der Heimatfront "verantwortungsvoll" als "Kollateralschäden" präsentiert. Treffen die westlichen "Wunderwaffen" dann gar Flüchtlingskonvois oder internationale Reise-züge, werden diese entweder nachträglich zu Kriegszielen erklärt oder serbischer Propaganda zugeschrieben. Die Nato wird dabei nicht müde, alle Opfer des Krieges der jugoslawischen Regierung anzulasten. Selbst wenn ein Nato-Pilot den Befehl ausführt die Eisenbahnbrücke zu zerstören, nachdem er den Reisezug gesehen hat.
Blick zurück - die "Befriedung" des Balkans
Die Geschichte Jugoslawiens bietet ein schauriges Lehrstück westlicher Allmachtsphanta-sien und kapitalistischer Durch-setzungsgeschichte. Bis 1989 wurde der titoistische Bundes-staat in seinem moskaukritischen "Sonderweg" mit westlichen Krediten unterstützt. Mit einer autarken Rüstungsindus-trie und einer gut ausgerüsteten Armee galt Jugoslawien als entscheidender Machtfaktor am Balkan. Der Zusammenbruch des Ostblocks und die damit verbundene totale Marktöffnung führte zum Zusammenbruch der nicht konkurrenzfähigen jugoslawischen Ökonomie. Die Regierung widersetze sich jedoch dem Schockprogramm IWF- und Weltbank-diktierter Strukturanpas-sungsprogramme. Der Westen sah darin einen "kommunistischen Akt" und betrachtete Jugoslawien sodann als "Feind der freien Welt". Fortan setzte die europäische Union und allen voran die BRD auf eine Zerschlagung Jugoslawiens, die 1991 mit der frühzeitigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens begann und mit dem jetztigen Vernichtungsfeldzug gegen "Rest-Jugoslawien" ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Damit enstanden im Vorhof Wohlstandseuropas genehme Nationalstaaten, die fortan auf einen Beitritt in die EU und Nato hoffen dürfen. Das restliche Armenhaus, vor allem Serbien, wurde als Abweichler denunziert und mit allen Mitteln bekämpft. Die Entwicklungsunterschiede innerhalb Jugoslawiens waren also der Auslöser dafür, daß sich die allgemeine ökonomische Krise zu einer politischen und letztlich zu einer territorialen entwickelte.
Ideologisches Kernstück der Zerlegung Jugoslawiens bildete die These vom Selbstbestimmungrecht der Völker. Ganz nach wirtschaftlichen Interessen wurden gute (slowenisch, kroatisch) und schlechte Nationalismen (serbisch) auseinanderdividiert. Die Ethnisierung sozialer Konflikte wurde zum politischen Schlager auf dem Balkan. Auch das Nato-Protektorat Bosnien spiegelt ein weiteres Kapitel antiserbischer Politik wieder. Gleichwohl paßte eine Muslimherrschaft im "Herzen" Europas den abendländischen Machthabern nicht ins Konzept. Da auch Rußland daran kein Interesse hatte, verhalf die UNO der Nato - getarnt als SFOR-Truppe - 1995 auf den Balkan. Damit hatte die Nato bereits in Bosnien der UNO den Rang abgelaufen. Mit militärischen Kampfeinsätzen, Flugverbotszonen und Durchsetzung eines Wirtschaftsembargos gegen "Rest-Jugoslawien" nahm die Nato seitdem selbst vor Ort das Heft in die Hand. Nach der Nato-Osterweiterung und der "Partnerschaft für den Frieden" u.a. mit Rußland , Bulgarien und Rumänien war Jugoslawien auch politisch sturmreif.
Der Kreuzzug gegen "das Böse"
Die militärischen Vorraussetzungen zur endgültigen Unterwerf-ung Jugoslawiens waren längst geschaffen: zunächst wurde die separatistische UCK zur Nato-Söldnerarmee aufgerüstet und fortan gegen die im Kosovo stationierten serbischen Polizei- und Armeeeinheiten ins Feld geschickt. Die nicht von der Hand zu weisende politische und kulturelle Unterdrückungsstrategie der jugoslawischen Regierung gegen die Kosovo-Albaner bekam allerdings erst durch die Aktionen der UCK eine kriegerische Qualität. Es fehlte nur noch eine "humanitäre Katastrophe", um der nach diversen Ultimaten mittlerweile ungeduldigen Öffentlichkeit den Glaubwürdigkeitsbeweis anzutreten. Dabei greift die westliche "Wertegemeinschaft" mit Vorliebe auf dubiose "Massaker" an ihren Schutzbefohlenen zurück. Die Bilder von zerfetzten und zerstümmelten Leichen, wie nach einem Granaten-angriff auf einen belebten Markt in Sarajewo 1992 oder die "Hinrichtungen" von Kosovo-Albanern 1998 in Racak dienten der Nato als moralische Legitimation militärischen Eingreifens. Verantwortlich wurde folgerichtig der "barbarische serbische Aggressor" gemacht. Das in der öffentlichen Meinung haften bleibende Primat der ersten Meldung stellte sich im nachhinein oft genug als Propaganda heraus. Konsequenzen blieben freilich aus. Somit kamen den Rittern von Demokratie und Menschen-rechten die rebellischen Kosovo-Albaner mit ihren verzweifelten Hilferufen an die Nato gerade recht, um ihren Kreuzzug im Namen der Markwirtschaft gegen Serbien zu vollenden.
Aggressiv nach außen...
Daß die BRD nun endlich dabei sein kann und deutschen Soldaten zum ersten Mal seit dem 8. Mai 1945 einen Angriffsbefehl geben durfte, fügt sich bestens in die "Normalisierungslogik" der letzten Jahre ein. Die erstmalige Beteiligung an einem Kriegseinsatz mit Kampftruppen dient der "Schlußstrichdebatte" unter die deutsche Vergangenheit und stellt die BRD in den Rang eines "normalen, demokratischen" Staates mit selbstformuliertem Recht auf Militäreinsätze. Die BRD tritt als selbstbewußte außenpolitische Macht auf und vertritt bei der Zerschlagung Jugoslawiens nicht nur die Interessen der Nato, sondern begleicht mit dem dritten Militäreinmarsch auf den Balkan in diesem Jahrhundert alte Rechnungen. Gerade die deutsche Regierung erwies sich von Anfang an mit der einfachen Formel der Anerkennung neuer Nationalstaaten auf dem Balkan als Kriegstreiber.
Repressiv nach innen
Gleichzeitig gehen die Wunschträume der Abschottungsstrategen in Erfüllung. Das durch den Bombenterror der Nato ausgelöste Flüchtlingselend wird zu fast 100 % von der Wohlstandsgrenze ferngehalten. Darüber soll die medial inszinierte Aufnahmeaktion einiger Tausend Menschen hinwegtäuschen. Nach drei Monaten ist dann jedoch Schluß mit der "Mitmenschlichkeit": durch die rassistische Hetze gegen südosteuropäische MigrantInnen, auch Kosovo-Albaner, der letzten Jahre, dürfte die Öffentlichkeit gewarnt sein. Gegen die Inkarnation des "kriminellen Ausländers" stellt die "Innere Sicherheit" der BRD ein zu hohes Gut dar, so daß es noch in den ersten Kriegstagen zu Abschiebungen von kosovo-albanischen Flüchtlingen kam. Auf freundliche Empfehlung des Außenministeriums, das entgegen neuerdings anders lautender Behauptung "keine Vertreibungen und andere mögliche Gefahren im Kosovo feststellen" konnte.
Und die Linke...
darf ihren Widerstand gegen den imperialistischen Krieg gegen Jugoslawien nicht mit einer Relativierung der Rolle Milosevics verknüpfen. Dessen nationalistische und rassistische "Amselfeld-Politik" hat nicht unwesentlich zur Verschärfung der Lage beigetragen. Dennoch geht es im Kern um die Zerschlagung des einzigen Balkanstaa-tes, dessen Regierung sich den IWF- und Nato-Diktaten bislang nicht unterwirft.
Die Linke muß sich darauf konzentrieren, die Dominanz der herrschenden Kriegsberichterstattung zu durchbrechen und den imperialistischen Charakter der Nato-Kriegspolitik zu entlarven. Das Primat über die handlungsanweisenden Schreckensnach-richten lassen die Hintergründe des Angriffkrieges unter den Tisch fallen. Deshalb ist die Herstellung von Gegenöffentlichkeit mit allen Mitteln ein notwendiges Ziel. Gerade der 8. Mai mahnt der Erinnerung an die Zerschlagung des Nazi-Faschismus und an die verbrecherischen Angriffskriege der faschistischen Wehr-macht, der Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind. Wir rufen alle dazu auf, sich an der Demonstration am 8. Mai in Göttingen und allen anderen Aktionen gegen den Krieg in Jugoslawien zu beteiligen.
Kampf der Nato-Kriegspolitik!
Nieder mit dem deutschen Mititarismus!
April 1999