10. Todestag der Antifaschistin Conny

derkampfgehtweiter

Demonstration am 19.11.1999 18h in Göttingen

Extra: politischer Mord
Extra: der Abend des 17.11.1989

Cornelia Wessmann wurde nach einer antifaschistischen Aktion am 17. November 1989 von Polizisten in den fließenden Verkehr gejagt. Sie war sofort tot. Conny war Opfer polizeilicher Einsatzstrategien, die Tote billigend in Kauf nehmen.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1989 waren in Göttingen Konfrontationen zwischen autonomen AntifaschistInnen und Nazi-Skinheads an der Tagesordnung. Autonome AntifaschistInnen organisierten gegen den faschistischen Terror antifaschistische Selbsthilfe, d.h. aufgrund der unmittelbaren Bedrohung wurde militant und gezielt gegen Faschisten und ihre Treffpunkte vorgegangen. Die antifaschistische Selbsthilfe trug dazu bei, dass den Nazis sich auf der Straße nicht festsetzen und ausbreiten konnten.

In der Presse wurde, ähnlich wie heute die politische Dimension solcher Konflikte beharlich geleugnet. Dargestellt wurden Jugendbanden, die immer wieder aneinander geraten würden. Durch den Tod von Conny war es nicht mehr möglich, diese Form der Entpolitisierung aufrechtzuerhalten. Conny’s Tod führte zu einem hohen Maß an Betroffenheit bis weit in bürgerliche Kreise hinein. Daraus entwickelte sich in Göttingen eine in Bezug auf Nazi-Terror und Polizeiverhalten stark sensibilisierte Öffentlichkeit, die das politische Klima über Jahre prägte.

1989dasendedergeschichte?
Das Jahr 1989 markiert einen Einschnitt in der Geschichte. Der 9. November 1989, der Tag des sogenannten "Mauerfalls", steht symbolhaft für das Scheitern des realexistierenden Sozialismus und das Ende der Blockkonfrontation. Dieses Ende fiel in eine Phase, in der das auf Wohlstand und Arbeit für alle beruhende Modell Deutschland längst gescheitert war.

Die Globalisierung, der Siegeszug des kapitalistischen Modells im Weltmaßstab, begann in diesem Jahr den Osten einzuverleiben, seine Märkte nach Wachstum ringend zu erschließen und zu plündern. Neue Rohstoffquellen, aber auch neue Absatzmärkte für kapitalintensive und technisch anspruchsvolle Waren wurden ausgenutzt und somit das Verhältnis zwischen Ost und West neu definiert. Der Osten dient als Rohstofflieferant und ist auf dem Weltmarkt an den Rand gedrängt. Der Westen hingegen ist im Besitz von technischem Fortschritt sowie entsprechender Produktionsmittel und tritt als als Diktator auf dem Weltmarkt auf.

Dieses Verhältnis wird in der heutigen Herrschaftslogik zum Ende der Geschichte erklärt, als Beweis, dass einzig kapitalistische Wertschöpfung die Bedürfnisse der Menschen befriedigen könne. Die Ökonomie des Kapitals steht wie ein Fels in der Brandung, jede Systemalternative wird aus "Erfahrung", mit Hinweis auf den Realsozialismus, als zum Scheitern verurteilt dargestellt.

Für den BRD-Staat heißt dies, nicht mehr in der Konkurrenz zu sozialistischen Staaten zu stehen. Die Notwendigkeit, der bessere deutsche Staat mit mehr sozialer Gerechtigkeit zu sein, entfällt gerade rechtzeitig, das spezifisch Deutsche darf wieder nach Macht, Anerkennung und seinem Platz an der Sonne schreien.

peitschestattzuckerbrot
Über vierzig Jahre lang wurde der Bevölkerung im eigenen Land mit dem Modell des Sozial- und Wohlfahrtsstaates begegnet, somit die meisten Menschen in das kapitalistische System weitestgehend integriert und damit gleichzeitig befriedet. Heute gilt dieses Modell mit Blick auf den Weltmarkt als zu teuer und daher nicht konkurrenzfähig. Zudem ist es nicht mehr notwendig sich als der bessere von zwei deutschen Staaten zu präsentieren.

Die Aufrechterhaltung der "innerenOrdnung" erfolgt heute über Ausgrenzung und Repression. Bestimmte gesellschaftliche Minderheiten sind von dieser Methode von vorneherein betroffen. Der Rest wird einem Konkurrenzkampf um Arbeit, Wohnung und Gesundheit ausgesetzt. Wer den eigenen Gürtel nicht brav immer enger schnallt, verwirkt damit sein Recht auf Integration.

Die Folgen dieser neuen Bedingungen für staatliche Integrationsversuche sind unter anderem qualitative und quantitative Neuerungen in der Zusammensetzung des Sicherheits- und Polizeistaates. Die Überwachung wird zum festen Bestandteil des Alltags eines jeden Menschen. Während in den achtziger Jahren gezielte Observationen als Mittel der Überwachung gegen das Feindbild "Terrorismus" eingesetzt wurden, weicht dies einer strukturellen Kontrolle und totaler Überwachung. Öffentliche Plätze werden permanent von Videokameras überwacht, unabhängige private Sicherheitsdienste unterstützen die Polizeipräsenz in den Städten und sind gleichzeitig ein lukratives Geschäft.

Betroffen sind vor allem jene Menschen, die nicht den deutschen Normen entsprechen. Die wenigen Flüchtlinge und MigrantInnen, die sich nach der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl 1993 noch hier aufhalten dürfen, trifft eine ungeheures Gerüst gesetzlicher Schikanen und Zwangsmaßnahmen, von gekürzter Sozialhilfe über Meldeauflagen bis zu Essenspaketen statt Bargeld. Zusätzlich sind Verwaltungsorgane, Polizei und Justizbehörden immer auf der Jagd nach dem "kriminellen Fremden", scheuen keine Kosten, kennen keine Menschenwürde. Zur Grenzsicherung und inneren Kontrolle wurden die Befugnisse des Bundesgrenzschutzes stark erweitert, die Personalstärke hat einen neuen Rekordstand erreicht, wie Innenminister Otto Schily (SPD) zufrieden festellen konnte.

Forciert wird diese Entwicklung durch die medienwirksam inszenierte Debatte über die "organisierte Kriminalität". Den Rahmen für die eigentliche Funktion dieses Szenarios bietet eine rassistische und diffuse Definition des Begriffs. Dadurch wird eine realtive Beliebigkeit staatlichen Vorgehens ermöglicht, die sich fernab von der Lösung gesellschaftlicher Probleme bewegt. Durch Schlagworte wie "Russenmafia" und "Rumänenbanden" wird der Eindruck allgegenwärtiger Bedrohung vermittelt.

Spätestens mit der Auflösung der RAF Mitte der 90er wurde ein neues Feindbild gesellschaftlich verankert. Kein innerer Feind bedroht denn Staat mehr, sondern ein äußerer Feind sorgt mittels völkischer Identifikationsmuster für Unsicherheit. Das Böse wird nicht mehr konkret in der Figur von "Terroristen" verortet, sondern erscheint abstrakt als ein alles durchsetzender Prozess der Kriminalität. Verantwortlich dafür werden dann diejenigen, die "fremd" und "anders" sind: Nicht-Deutsche, Obdachlose, Junkies, unangepaßte Jugendliche. Mittels Repression werden diese Menschen nicht mehr an den Rand der Gesellschaft, sondern völlig aus ihr heraus gedrängt.

Die Realisierung des Großen Lauschangriffs, neue Gefahrenabwehrgesetze oder bundesweite Gendateien sind Ausdruck der qualitativen Veränderung. Solche Überwachungspraxen kommen dann auch sofort zu umfassender Anwendung, so wurden z.B. 1998 doppelt so viele Telefonate abgehört wie noch 1995. Der Verdacht reicht aus und verdächtig ist erst einmal jedeR, vor allem jedeR Nicht-Deutsche bis die Unschuld als bewiesen akzeptiert worden ist. Rassistische Debatten wie die Unterschriftenkampagne der CDU zur doppelten Staatsbürgerschaft und die Verortung des Kriminellen im Fremden weisen eine Doppelfunktion auf. Zum einen rechtfertigen sie Aufrüstung des Polizeiapparates und des Überwachungsstaates, zum anderen bedienen sie gleichzeitig Unzufriedenheit größerer Teile der Bevölkerung mit rassistischen Erklärungsmustern, die sich darin bestätigt fühlen, nichts zu haben außer dem Gefühl "richtige Deutsche" zu sein. Potentieller Widerstand gegen den Staat wird von vorneherein auf das Fremde kanalisiert, zeitgleich konstruiert sich aus der Abgrenzung das "deutsche Volk" mit "deutschen Bedürfnissen".

revolutionärerantifaschismus
Überhaupt die Möglichkeit einer Alternative zum Bestehenden ist aus dem gesellschaftlichen Bewußtsein verschwunden. Daher begreifen wir es als Aufgabe revolutionärer Politik, alternative Systemvorstellungen verstärkt in die Gesellschaft hineinzutragen und die Lüge vom Kapitalismus als einzig historisch gewachsene Wahrheit, zu entlarven.

Einer der handlungsfähigsten Teile der revolutionären Linken ist die antifaschistische Bewegung. Antifaschismus ist dabei nicht mehr wie in den achtziger Jahren auf den Teilbereich Anti-Nazi-Kampf beschränkt. Im Unterschied zu heute bestand damals eine autonome Bewegung, die zu vielen Themenbereichen praktische Politik betrieb. Anfang der neunziger Jahre waren die klassichen Autonomen von der Bildfläche nahezu verschwunden. Aus der unmittelbaren Notwendigkeit wachsenden faschistischen Terrors sammelten sich im Bereich Antifaschismus große Teile der Linken. Außerdem boten Aktionen gegen Faschisten wie heute auch die Möglichkeit, im Bündnis mit anderen fortschrittlichen Kräften aktiv zu werden und linke Inhalte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Teil dieser Politik blieb bis heute, das Grundübel im kapitalistischen System zu erkennen, faschistische Ideologien und Täter als überspitzten Ausdruck des rechten Mainstreams und systemimmanent zu begreifen.

Dennoch gelingt es Politik, Medien und Polizei sich als "Mitte", als "Hüter der Demokratie" zu präsentieren, indem organisierter Neofaschismus als Extremismusproblem abgetan wird. Hinzu kommt das ständige Bemühen der Totalitarismusthese. Diese dient als propagandistische Abgrenzung zur DDR und auch historisch als Abgrenzung vom Nazi-Faschismus, der als vom kapitalistischen System losgelöstes historisches Phänomen erscheinen soll. Im Zusammenhang mit der heutigen Situation wird zementiert, daß Nazis und Linke als Extreme auf einer Stufe erscheinen.

Ziel ist es unter anderem, antifaschistischer Politik die Legitimität abzusprechen. Aus diesem Verhältnis erklärt sich, dass der beschriebene Repressionsapparat auch ausgiebig gegen die antifaschistische Linke zur Anwendung kommt. Bildlich stellt dies der Polizeiknüppel auf der Straße dar, zwischen Nazis und AntifaschistInnen als vermeindlicher Schützer der Grundrechte, als notwendiges Mittel gegen "linke Chaoten" und "Krawallmacher", wenn wie am 1. Mai, zum Luxemburg/Liebknecht-Gedenken oder zuletzt auf regionaler Ebene am 2. Oktober 1999 in Göttingen versucht wird, die eigenen linken Inhalte zu selbstgesetzten Anlässen auf die Straße zu tragen. Es geht nicht nur darum, antifaschistischen Widerstand mundtot zu machen, zu zerschlagen, sondern auch um die öffentliche Diskreditierung antifaschistischer Inhalte und Praxis als kriminell. Aktuelles Beispiel ist das großangelegte §129-Verfahren (Bildung einer kriminellen Vereinigung) gegen die Antifaschistische Aktion Passau.

derkampfgehtweiter!
Bestreben der Autonomen Antifa [M] ist seit ihrer Gründung vor fast zehn Jahren durch Organisierung kontinuierlich und öffentlich wahrnehmbar die Notwendigkeit revolutionärer Politik zu verteidigen und ihr einen größeren Raum zu erkämpfen. Ziel ist die Gründung einer revolutionären Organisation. Um die relative Isolation linker Politik zu überwinden, soll linker Widerstand in die Gesellschaft hineingetragen werden.

Totalitaristischer Ausgrenzung und Verunglimpfung linker Inhalte soll damit entgegengetreten werden.

Die Demonstration am 19. November 1999 soll daher über das Erinnern an den politischen Mord an Conny hinausgehen. Das heißt für uns, zu zeigen, dass es Menschen gab, die gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gekämpft haben, und dass es solche Menschen immer noch gibt. Klar und unmissverständlich sollen alle sehen:

der kampf geht weiter!
kein friede mit kapitalismus und polizeistaat!

Göttingen · Oktober 1999

 

organisiert in

politischermord

Der Tod von Conny ist kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in eine lange Geschichte politischer Morde an Menschen aus dem revolutionären Widerstand. Philipp Müller, Holger Meins, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Olaf Ritzmann, Klaus-Jürgen Rattay, Günter Sare, Wolfgang Grams, Halim Dener und zuletzt Horst-Ludwig Meyer, um nur nur einige von vielen zu nennen. Politischer Mord ist fester Bestandteil in der Bekämpfung emanzipatorischen Widerstands durch kapitalistische Gesellschaften - also auch durch den BRD-Staat. Er ist Ausdruck der letzten Konsequenz, beim Versuch Widerstand zu eliminieren. Das kann die gezielte Vernichtung einzelner bedeuten, es bedeutet aber auch die Existenz polizeilicher Einsatzstrategien gegen linken, antifaschistischen Widerstand, die Tote billigend in Kauf nehmen. Politischer Mord ist kein juristischer Begriff. Politischer Mord bedeutet, daß ein Mensch im politischen Zusammenhang (Kampf) ums Leben gebracht wurde. Dabei ist es egal, ob dies gezielt geschieht, z.B. durch Erschiessen oder ob er/sie im Zuge einer Aktion oder durch die Umstände ums Leben kam, die auf den Tod von Menschen zielen oder als Faktor einkalkuliert werden. Entscheidend ist, ob sich der Mensch in einen politischen Zusammenhang stellt oder die objektiven Umstände diesen Zusammenhang herstellen.

derabenddes17.november1989

Wie viele andere Wochenenden des Jahres 1989 in Göttingen begann auch der Freitagabend des 17. Novembers: Vor dem damaligen Nazi-Treff "Burgschänke" in der Burgstraßekam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Nazi-Skinheads und autonomen AntifaschistInnen, in deren Verlauf zwei der Nazis verletzt wurden. Beim Eintreffen der Polizei waren die AntifaschistInnen bereits verschwunden, und so eskortierte diese in damals üblicher Manier die Faschisten aus der Stadt. Im Anschluss begann sie eine Verfolgung von AntifaschistInnen in der Innenstadt. Ins Visier geriet dabei eine weitere Gruppe AntifaschistInnen, die aufgrund der Auseinandersetzungen in der Burgstraße alarmiert worden war. In dieser Gruppe war auch Conny.

»sollenwirsiejetztplattmachen
Die Gruppe entschloss sich aufgrund der Verfolgung durch Zivil- und Streifenwagen, zum Campus zu gehen, um sich dort aufzulösen. Die Einsatzleitung der Polizei hattte aber längst einen Angriff beschlossen. So fragte der Chef des Zivilen Streifenkommandos (ZSK) über Funk seine Kollegen: "Sollen wir sie jetzt plattmachen?" Die Antworten lauteten: "Ich bin dabei." "Ist doch die Gelegenheit, wo wir alle mal auf einem Haufen sind." In der kleinen Stichstraße griffen daraufhin ZSK-Beamte und Uniformierte die Gruppe mit Knüppeln und Reizgas an, dabei jagten sie Conny in den fließenden Verkehr der vielbefahrenden Weender Landstraße. Conny wurde von einem Auto erfaßt und war sofort tot. Die Polizisten reagierten mit Sprüchen wie "ihr könnt Euch gleich dazulegen".

diewochendanach
Noch in der gleichen Nacht wurde Conny's Todesstelle besetzt und eine Mahnwache errichtet, bereits am nächsten Morgen demonstrierten 2000 Menschen durch die Göttinger Innenstadt, im ganzen Bundesgebiet gab es zahlreiche Solidaritätsaktionen. Der politische Mord an Conny lösten in einem breiten Spektrum Diskussionen und Initiativen aus. Im Mittelpunkt der Kritik stand dabei die Polizei, deren Angriffe auf AntifaschistInnen und der gewährte Schutz für Faschisten daraufhin Thema in einer breiteren Öffentlichkeit wurden. Die Stadt war voll von Transparenten, Sprühereien und Plakaten. Höhepunkt der Aktionen war eine bundesweite Demonstration mit 18000 Menschen am darauffolgenden Samstag, den 25. November 1989, an der sich auch zahlreiche Göttinger BürgerInnen beteiligen. Im Verlauf der Demonstration kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, als diese sich verlaufen hatte…

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