Hochverehrte Linksradikale und Antifaschistinnen
und Antifaschisten!
"Polizisten
wissen was zu tun ist, denn sie haben Funkverkehr. Polizisten wissen,
daß sie schiessen müssen… aus Maschinengegenwehr. (…) Polizisten werden
jeden Tag und jeden Monat immer mehr…", so sang sich die Gruppe EXTRABREIT
Anfang der 80er in die Herzen einer rebellischen Generation.
Die aufdringliche Präsenz der Polizei, ihr heutiges Auftreten, die grün-weiß
gescheckte Stadt Göttingen, all das steht sinnbildlich für eine Entwicklung
in diesem Land, was ruhigen Gewissens als innere Aufrüstung bezeichnet
werden kann. Im politischen Jargon von Politik, Medien und Sicherheitsinstituten
steht der Begriff der "Inneren Sicherheit" ganz oben auf der
Liste, wenn es darum geht, Persönlichkeitsrechte abzubauen und die Überwachung
der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche in die Breite und Tiefe
auszudehnen. Eine Entwicklung die einerseits gewollt ist und andereseits
bereits seit Mitte der 60er Jahre Programm derjenigen ist, die um die
Kritik oder Erschütterung der kapitalistischen Gesellschaft fürchten.
Und die Utopie vom gläsernen Menschen hat in einer wahnwitzigen Geschwindigkeit
an Realität gewonnen. Sowohl Grad als auch Geschwindigkeit der Ausbreitung
der Überwachung haben an Selbstverständlichkeit sowie Alltäglichkeit so
weit dazugewonnen, daß die qualitativen Veränderungen gesellschaftlich
kaum noch registriert werden. Dabei ist die Veränderung der Gesetze und
der Ausbau polizeilicher sowie geheimdienstlicher Apparate so komplex
wie die Logik einfach ist, die dahinter steht.
Nutzen und Funktion dienen der Erhaltung kapitalistischer Ausbeutung.
Zur Durchsetzung schwerer Eingriffe in Persönlichkeitsrechte bedarf es
in der Regel einer breiten Zustimmung größerer Bevölkerungskreise, die
heute erreicht sein dürfte. Die Saat der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts
geht jedenfalls auf. Mit zweifelhaften Statistiken von gestiegener Kriminalität,
in der Regel im rassistischen Mäntelchen vermeintlich gestiegener sogenannter
Ausländerkriminalität verpackt, wird das deutsche Volkshirn dauerhaft
weichgekocht. Mit brilliant inszenierten Medienereignissen wird dann der
Feinschliff in Punkto Abschaffung demokratischer Rechte vollzogen. Wer
erinnert sich nicht an die Reality-Show-Hetzjagd eines Ausbrechers namens
Dieter Zurwehme, oder aber an die Durchsetzung von Gen-Dateien und Speichelproben
ganzer Dörfer, weil der Mißbrauch von Kindern in der Öffentlichkeit als
unwiederlegbares Argument und Druckmittel im Raum steht. Über Ursachen
von sexistischer Gewalt, von Kindesmißbrauch aufgrund der Existenz einer
patriarchalen Gesellschaft beipielsweise wird nicht geredet. Hetze und
Hatz ist angesagt.
Längst ist die Forderung nach einer Überwachungsgesellschaft zum bedeutenden
Standbein eines nationalen Konsenses geworden. Er läßt sich wunderbar
verschweißen mit dem breit verankerten Rassismus. Das zusammengeschusterte
Gebräu ist zu einen ein Staat, der nicht mehr in der Form eines offensichtlich
autoritären, prügelnden Polizeistaates im klassischen Sinne daherkommt,
sondern seine Charakteristik vor allem in der Überwachung und Kontrolle
außerhalb einer kritischen Öffentlichkeit erhält. Zum anderen eine Gesellschaft,
die aus bornierter Wohlstandsangst ständig wieder neu vor allem medial
inszenierte Bedrohungsszenarien entwirft und jede Überwachungspille schluckt.
Ja sogar in der Forderung nach mehr Überwachung, Kontrolle und härteren
Strafen zum Teil politische Institutionen rechts überholt. Polizei schikaniert,
Polizei kontrolliert, Polizei prügelt, Verfassungsschutz überwacht, Landerkriminalämter
bespitzeln, Bundesgrenzschutz schiebt ab, private Sicherheitsdienste machen
große Kasse. Kameras in Banken, Postämtern, auf öffentlichen Plätzen,
am Arbeitsplatz, in staatlichen Behörden.
Überwachnug trifft längst nicht mehr nur vermeintliche Kriminelle, politisch
aktive Menschen oder Flüchtlinge. Überwachnung und Kontrolle ist längst
Alltag für alle Menschen. Der Grad der Überwachung mag isch unterscheiden,
aber die Möglichkeiten sind längst geschaffen und juristisch abgesegnet.
Trotzdem kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Gerade der autonome,
antifaschistische Widerstand in Göttingen und der Region beweist seit
über 10 Jahren, daß auch in Zeiten der Totalüberwachung, in Zeiten der
Abwicklung linker, fortschrittlicher Ideen, offensive Politik möglich
ist. Sie hat schon so manches Mal zur Erschütterung ihrer ìInneren Sicherheitî
beigetragen. Daß dies nur organisiert, außerparlamentarisch und vor allem
kontinuierlich geht, steht für uns außer Frage.
Revolution und Veränderung wird erkämpft und
nicht erbettelt!
15. April 2000 | Autonome Antifa [M] organisiert in der AA/BO
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