15.4.2000 - Rede der Autonomen Antifa [M]

Hochverehrte Linksradikale und Antifaschistinnen und Antifaschisten!


"Polizisten wissen was zu tun ist, denn sie haben Funkverkehr. Polizisten wissen, daß sie schiessen müssen… aus Maschinengegenwehr. (…) Polizisten werden jeden Tag und jeden Monat immer mehr…", so sang sich die Gruppe EXTRABREIT Anfang der 80er in die Herzen einer rebellischen Generation.
Die aufdringliche Präsenz der Polizei, ihr heutiges Auftreten, die grün-weiß gescheckte Stadt Göttingen, all das steht sinnbildlich für eine Entwicklung in diesem Land, was ruhigen Gewissens als innere Aufrüstung bezeichnet werden kann. Im politischen Jargon von Politik, Medien und Sicherheitsinstituten steht der Begriff der "Inneren Sicherheit" ganz oben auf der Liste, wenn es darum geht, Persönlichkeitsrechte abzubauen und die Überwachung der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche in die Breite und Tiefe auszudehnen. Eine Entwicklung die einerseits gewollt ist und andereseits bereits seit Mitte der 60er Jahre Programm derjenigen ist, die um die Kritik oder Erschütterung der kapitalistischen Gesellschaft fürchten. Und die Utopie vom gläsernen Menschen hat in einer wahnwitzigen Geschwindigkeit an Realität gewonnen. Sowohl Grad als auch Geschwindigkeit der Ausbreitung der Überwachung haben an Selbstverständlichkeit sowie Alltäglichkeit so weit dazugewonnen, daß die qualitativen Veränderungen gesellschaftlich kaum noch registriert werden. Dabei ist die Veränderung der Gesetze und der Ausbau polizeilicher sowie geheimdienstlicher Apparate so komplex wie die Logik einfach ist, die dahinter steht.
Nutzen und Funktion dienen der Erhaltung kapitalistischer Ausbeutung. Zur Durchsetzung schwerer Eingriffe in Persönlichkeitsrechte bedarf es in der Regel einer breiten Zustimmung größerer Bevölkerungskreise, die heute erreicht sein dürfte. Die Saat der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts geht jedenfalls auf. Mit zweifelhaften Statistiken von gestiegener Kriminalität, in der Regel im rassistischen Mäntelchen vermeintlich gestiegener sogenannter Ausländerkriminalität verpackt, wird das deutsche Volkshirn dauerhaft weichgekocht. Mit brilliant inszenierten Medienereignissen wird dann der Feinschliff in Punkto Abschaffung demokratischer Rechte vollzogen. Wer erinnert sich nicht an die Reality-Show-Hetzjagd eines Ausbrechers namens Dieter Zurwehme, oder aber an die Durchsetzung von Gen-Dateien und Speichelproben ganzer Dörfer, weil der Mißbrauch von Kindern in der Öffentlichkeit als unwiederlegbares Argument und Druckmittel im Raum steht. Über Ursachen von sexistischer Gewalt, von Kindesmißbrauch aufgrund der Existenz einer patriarchalen Gesellschaft beipielsweise wird nicht geredet. Hetze und Hatz ist angesagt.
Längst ist die Forderung nach einer Überwachungsgesellschaft zum bedeutenden Standbein eines nationalen Konsenses geworden. Er läßt sich wunderbar verschweißen mit dem breit verankerten Rassismus. Das zusammengeschusterte Gebräu ist zu einen ein Staat, der nicht mehr in der Form eines offensichtlich autoritären, prügelnden Polizeistaates im klassischen Sinne daherkommt, sondern seine Charakteristik vor allem in der Überwachung und Kontrolle außerhalb einer kritischen Öffentlichkeit erhält. Zum anderen eine Gesellschaft, die aus bornierter Wohlstandsangst ständig wieder neu vor allem medial inszenierte Bedrohungsszenarien entwirft und jede Überwachungspille schluckt. Ja sogar in der Forderung nach mehr Überwachung, Kontrolle und härteren Strafen zum Teil politische Institutionen rechts überholt. Polizei schikaniert, Polizei kontrolliert, Polizei prügelt, Verfassungsschutz überwacht, Landerkriminalämter bespitzeln, Bundesgrenzschutz schiebt ab, private Sicherheitsdienste machen große Kasse. Kameras in Banken, Postämtern, auf öffentlichen Plätzen, am Arbeitsplatz, in staatlichen Behörden.
Überwachnug trifft längst nicht mehr nur vermeintliche Kriminelle, politisch aktive Menschen oder Flüchtlinge. Überwachnung und Kontrolle ist längst Alltag für alle Menschen. Der Grad der Überwachung mag isch unterscheiden, aber die Möglichkeiten sind längst geschaffen und juristisch abgesegnet. Trotzdem kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Gerade der autonome, antifaschistische Widerstand in Göttingen und der Region beweist seit über 10 Jahren, daß auch in Zeiten der Totalüberwachung, in Zeiten der Abwicklung linker, fortschrittlicher Ideen, offensive Politik möglich ist. Sie hat schon so manches Mal zur Erschütterung ihrer ìInneren Sicherheitî beigetragen. Daß dies nur organisiert, außerparlamentarisch und vor allem kontinuierlich geht, steht für uns außer Frage.

Revolution und Veränderung wird erkämpft und nicht erbettelt!

15. April 2000 | Autonome Antifa [M] organisiert in der AA/BO