11.11.2000 - Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte!

Leg Dein Ohr auf die Schiene der Geschichte!
Antifaschistischer Stadtrundgang

Stadtrundgang beleuchtet Situation in Göttingen im Faschismus, aber auch den antifaschistischen Widerstand der jüngeren Vergangenheit wie auch die aktuelle rassistische Politik des Staates.

Antifaschistischer Stadtrundgang:
Montag -11. November 2000 - 13Uhr
Platz der Synagoge

 



Aufruf

+++Untergang des deutschen Kaiserreichs+++ Hitler-Putsch+++antisemitische Pogrome und schließlich Maueröffnung der DDR+++

All das geschah an 9. Novembern des 20. Jahrhunderts, ein geschichtsträchtiges Datum also. An der herrschenden Lesart dieser Ereignisse sowie aktuellen Entwicklungen in Staat und Gesellschaft gibt es einiges zu verändern. Im Rahmen eines antifaschistischen Stadtrundgangs wollen wir (nicht nur) historische Orte aufsuchen und dort über Tatsachen wie "Arisierungen", Gedenken an reaktionäre Traditionen und den Aufbau der Überwachungsgesellschaft sprechen.

Wer sich heute zum 9.November äußert, muß etwas zur gesellschaftlichen Diskussion um den rechten Terror sagen. Jahrelang wurde in der BRD die Existenz eines Neonazi-Problems, das im Gefolge des nationalen Wiedervereinigungstaumels starken Aufschwung erfahren hatte, ignoriert. Im Jahr 2000 soll der Welt ein Standort Deutschland ohne Nazis, faschistische Aufmärsche und offen zu Tage tretenden Antisemitismus präsentiert werden. Ganz plötzlich betreiben Politik und Medien einen unglaublichen Wirbel. Ganz so, als gäbe es nicht besonders im Osten seit Jahren jene braune Zonen, in denen die Nazis ungehindert ihren Terror gegen Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, ausüben könnten.
Dieselben Politiker, die 1993 maßgeblich an der Abschaffung des Asylrechts beteiligt waren und seitdem eine rassistische Kampagne seit 1945 nicht dagewesenen Ausmaßes in die Welt gesetzt haben ("Das Boot ist voll!"), sehen sich heute als "antifaschistische" VorkämpferInnen. Im Jahr 2000 stehen die Nazis der Durchsetzung eines modernen Rassismus (siehe "Greencard"), der sich nicht länger nur an der Hautfarbe, sondern stärker an der Verwertbarkeit orientiert, sogar eher im Wege. Die Binsenweisheit, daß Verwertbarkeit keine Frage der Hautfarbe ist, hat sich mittlerweile auch bis in die Chefetagen der Unternehmen herumgesprochen. Die dort sitzen haben erkannt, daß es für sie ein "Standortnachteil" ist, wenn qualifizierte Kräfte nicht hier her kommen, weil sie rassistische Übergriffe befürchten müssen.
Weil die Politik schon immer die Funktion gehabt hat, der Wirtschaft optimale Profite zu organisieren - und genau deshalb - plustern sich heute all die Scharpings, Schröders und Fischers als "Antifaschisten" auf.
Anders als in weiten Teilen der BRD konnte in Göttingen während der letzten zehn Jahre keine Neonaziszene Fuß fassen: Anfang der Neunziger, als Faschisten dem entsprechende Versuche unternahmen, gelang es mit entschlossenen Aktionen antifaschistischer Selbsthilfe, die Stadt zur No-Go-Area für Nazis zu machen. Auch der gesamtgesellschaftliche Marsch nach rechts konnte in Göttingen durch eine starke antifaschistische Bewegung zumindest verlangsamt werden. Im antifaschistischen Stadtrundgang werden wir Orte aufsuchen, an denen sich der linke Widerstand der letzten Jahre manifestiert hat. Aber auch Orte, die für gesellschaftliche Rechtsentwicklung stehen, etwa im Bereich Innere Sicherheit oder staatlicher Rassismus.

-Wie konnte es kommen, daß faschistische Kräfte in Göttingen bereits in den 20er Jahren die Oberhand gewinnen konnten?

-Weshalb wird der kommunistische Widerstand gegen den NS- Faschismus bis heute konsequent verschwiegen?

-Welche Parallelen und Kontinuitäten bestehen zwischen der gleichgeschalteten Gesellschaft des 3.Reichs und der weiter sich im Aufbau befindenden Überwachungsgesellschaft heute?

-Warum wird noch heute Soldaten gedacht, die für deutsche Großmachtinteressen gemordet haben? Um diese und andere Fragen wird es im Rundgang gehen.

Anhand einiger konkreter Beispiele wie Zwangsarbeit und "Arisierungen" wollen wir auf den geschichtlichen Zusammenhang von Faschismus und bürgerlicher Gesellschaft zu sprechen kommen. Klar, daß es dabei nicht nur um eine scheinbar neutrale Bestandsaufnahme gehen wird, sondern ganz klar eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen mitgemeint ist.
"Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll auch vom Faschismus schweigen!" Dieser Satz von Horkheimer ist nicht nur den Heuchlern der angeblich "antifaschistischen" Bundesregierung entgegenzuhalten. Letztlich sind Kapitalismus und Faschismus nur verschiedene Formen bürgerlicher Herrschaft. Keine kapitalistische Gesellschaft ist vor Krisen sicher, die das parlamentarische System nicht mehr verwalten kann. Damit sich an der gesellschaftlichen Rolle der Reichen und Mächtigen nichts ändert, waren diese schon immer bereit, jede Schweinerei in Kauf zu nehmen, einschließlich der Übergabe der Macht an die Faschisten wie 1933.

Sich erinnern heißt Partei ergreifen!
Gegen Rassismus und Faschismus vorgehen!
Die revolutionäre antifaschistische Linke aufbauen!

Autonome Antifa [M] - Oktober 2000-

 

...Der 9.November Am 9. November 1918 sorgten Aufstände, Streiks und Meutereien nicht nur dafür, daß der reaktionäre Kaiser Wilhelm im längst verlorenen 1.Weltkrieg endgültig die Kapitulation Deutschlands aussprechen muß, sondern zwingen die Monarchie insgesamt in die Knie. Am 9.November wird die Republik gleich zweimal ausgrufen, Während die KPD unter Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht das klare Ziel des Aufbaus einer kommunistischen Räterepublik verfolgt, ebnete die Republikausrufung Nr.2 durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann den Weg für eine Politik, die die deutschen Konzerne und das deutsche Weltmachtstreben unangetastet ließ. Die KommunistInnen dagegen, wurden von rechten Freicorps mit denen sich die SPD verbündet hatte, blutig bekämpft.

Den 9.November 1923 wählen sich Generalfeldmarschall a.D. Ludendorff, Adolf Hitler und andere, die nach den Schrecken des 1.Weltkriegs immer noch nicht genug von deutschen Großmachtideen hatten und den 9.November als "Schanddatum" empfanden, zum Tag eines Putschversuchs nach dem Schema des italienischen Faschistenführers Mussolini. Im Gegensatz zu letzterem scheiterten sie dabei jedoch schon auf der ersten Etappe, dem sogenannten "Marsch auf die Feldherrenhalle" in München.

Am 9.November 1938 führen die Nazis antisemitische Pogrome durch. Die Nazi-Truppen erhielten am Vorabend des 9.November die Anweisung, anti-jüdische Demonstrationen zu inszenieren, in deren Verlauf tausende jüdische Synagogen und Geschäfte geplündert und zerstört, ca 100 Juden ermordet und etwa 30.000 in KZs verschleppt wurden. Der 9.November 1938 kann als das Datum angesehen werden, an dem die gezielte Vernichtung jüdischer Menschen begann.

Am 9.November 1989 fand die Maueröffnung der DDR statt, Kristallisationspunkt für den Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus insgesamt. Hier liegt der Ausgangspunkt für den Anschluß der DDR an den Westen und die Propagierung eines wiedererwachenden deutschen Nationalismus. 10 Jahre nach der "Einheit" gibt es statt der versprochenen "blühenden Landschaften" für die meisten Menschen aus der ehemaligen DDR nur weniger Lebensstandard und mehr Armut.

 

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