Verbündete
und Mitstreitende,
wir,
die Autonome Antifa [M] aus Göttingen heißen Euch willkommen
im Raster des Widerstands. Unser Blick streift in den nächsten
Minuten kurz über die bundesweite antifaschistische Bewegung.
Die Demonstration am letzten Wochenende in Berlin gegen den
Abschiebeknast und die NPD-Zentrale war die erste bedeutendere,
wahrnehmbare, gesellschaftliche Äußerung des radikal antifaschistischen
Spektrums seit dem etablierte Machtbesitzende den Kampf gegen
Rechtsextremismus als Politikfeld für sich entdeckt haben.
Dabei tobt mittlerweile seit 3 Monaten der Kampf um den Standort
Deutschland mit Argumenten und Verboten gegen Stiefelfaschisten.
Der Antifa-Offensive '99 der außerparlamentarischen autonomen
Antifa folgte die - auf den Parlamentarismus einschwörende
- Antifa-Offensive 2000 des Staates.
Mit dem rot-grünen Regierungswechsel 1998 wurde das zur Wirklichkeit,
was sich bereits durch die 90er Jahre angedeutet hatte: ein
veränderter Umgang offizieller, staatstragender Politik mit
der nationalsozialistischen Vergangenheit und der rechtsextremistischen
Gegenwart faschistischer Terror- und Brandpolitik. Nicht mehr
die Hofierung der Stiefelfaschisten und ein Verschweigen der
Folgen des Nationalsozialismus sind an der Tagesordnung. Vielmehr
soll der historische deutsche Faschismus als zwar grausames,
jedoch abgeschlossenes Kapitel in die Akten der Geschichte
eingehen. Die Stiefelnazis haben weniger nationale Freiräume.
Mit einer antifaschistischen Rhetorik derjenigen Alt-68er,
die jetzt in der Bundesregierung sitzen, wurde der NATO-Angriffskrieg
gegen Jugoslawien ideologisch in der Heimatfront durchgesetzt.
Eine ähnliche Argumentationslinie erleben wir jetzt in der
Innenpolitik. Übrig bleibt in der Regel eine mit dem Image
des Humanismus und Fortschritts etikettierte Bundesregierung,
die an Glaubwürdigkeit dazugewonnen hat und gleichzeitig ehemals
oppositionelle Kräfte auf das deutsche kapitalistische System
eingeschworen hat.
Geschieht das gleiche mit der Antifa? Ist der Ansatz schon
jetzt, nachdem er sich fast 10 Jahre als systemoppositionelle
grundsätzliche Kritik entfalten konnte, gegen die Wand gefahren?
Für diejenigen, die Antifaschismus als Recherchearbeit und
vordringlichen Kampf gegen Stiefelfaschisten betrachtet haben
mit Sicherheit. Der Staat besetzt das Feld des "Antinazibekämpfers
vom Dienst" wesentlich überzeugender. Es gibt nichtsdestotrotz
zahlreiche Regionen in der BRD, wo eine Abwehr des faschistischen
Terrors notwendig und berechtigt ist.
Für den Teil der Antifa, zu dem auch wir uns zählen, nämlich
jenen, der Antifaschismus unter revolutionären Vorzeichen
versteht, ist der Kampf gegen Kapitalismus weiterhin auf der
Tagesordnung. Ob seine jeweilige historische Erscheinungsform
nun offen faschistisch, schwarz-braun reaktionär verkohlt
ist oder sich selbst in kunstvoll schillernden Komplementärfarben
Rot/Grün auf dem Laufsteg der Konsumbesessenheit präsentiert,
der Kapitalismus mit seinem Kontroll- und Überwachungswahn,
gehört abgeschafft!
Also: Die Antifa ist tot. Es lebe die Antifa!
Voraussetzung jeglicher Perspektive von Widerstand ist - neben
der Bestimmung der Stoßrichtung der Politik - Kontinuität.
Ohne Kontinuität keine Weitergabe von Erfahrungen. Ohne Weitergabe
von Erfahrungen, kein Aufbauen auf Erfolgen und Niederlagen.
Ohne Bezugnahme auf Vergangenes, keine Perspektive der Zukunft.
Ohne den Aufbau der radikalen Linken als Teil der eignen Politik
zu begreifen, verkommt jeder regionale Ansatz zu Reformismus.
Oder konkret für die jetzige Zeit: Jeder regionalpolitische
Ansatz, der sich darauf beschränkt, beispielsweise Bündnispolitik
vor Ort in den Mittelpunkt der eigenen Politik zu stellen,
läuft grundsätzlich Gefahr, ehrenamtlicher Handlanger staatstragender
Bekämpfung von Stiefelnazis zu werden.
Unsere Vorstellung von systemsprengender Politik jedenfalls
ist eine andere, zumal jede Handlangertätigkeit die Glaubwürdigkeit
staatstragender Politik stärkt und radikale Kritik am kapitalistischen
Gesellschaftssystem ausblendet und damit isoliert.
Der Kampf gegen die Isolierung fortschrittlicher Ideen und
linksradikaler Praxis sollte nach wie vor im Zentrum jeglicher
Initiativen von antifaschistischer Seite stehen. Egal, ob
wir gegen Stiefelnazis, staatlichen Rassismus oder wie heute
gegen die Überwachungsgesellschaft vorgehen.
Dass nachvollziehbare, kontinuierliche Politik nur organisiert
durchführbar ist, hat sich in den 90er Jahren innerhalb der
bundesweiten Antifabewegung ja rumgesprochen. Ansonsten wird
eher weniger gesprochen.
Es gibt weder ein für alle existierendes Diskussionsforum,
noch eine für alle verbindliche Organisierung. Ohne ein gemeinsames
Dach und eine permanente Diskussion über die Gesellschaft
bzw. die eigene Politik, ist jedoch keine Weiterentwicklung
möglich. Und das steckt der Antifa zu Zeit wie Rheuma in den
Knochen.
Zwar existiert die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation
seit fast über 8 Jahren, eine Attraktivität besitzt sie im
Bewusstsein der meisten Antifagruppen nicht. Auch einen Unterschied
zwischen Organisierung und Organisation vermag der überwiegende
Teil der derzeitigen Bewegung nicht zu sehen. Vielmehr ist
eine abwartende Haltung zur Zeit prägend.
Nun ist ja gegen ein gelegentliches Innehalten, um sich dies
oder das durch den Kopf gehen zu lassen, nichts zu sagen.
Wenn aber Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit die Szenerie
zu dominieren beginnt, spätestens dann ist Bewegung durch
Beteiligung in die Sache zu bringen.
Aus diesen Gründen wird es im April 2001 einen Antifa-Kongress
unter dem Motto: "2001. Das Jahr. In dem wir Kontakt aufnehmen."
in Göttingen stattfinden. Eingeladen sind alle, die den Kampf
gegen kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse noch nicht
ad acta gelegt haben.
Eine Perspektive von antifaschistischem Widerstand wird es
nur geben, wenn es Gruppen gibt, die eine Perspektive eröffnen.
Und das geht nur unter Beteiligung. Beteiligung am Aufbau
einer radikalen, antifaschistischen Linken, die nicht Halt
macht vor dem Stiefel einiger - zur Zeit unbedeutender Nazis
-, sondern losgeht und dem Kapitalismus so gründlich Beine
wegzieht, dass er zu Boden geht.
In diesem Sinne:
Die radikale, antifaschistische Linke aufbauen!
Kapitalismus abschaffen!
14. Oktober 2000 | Autonome Antifa [M]
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