Was ist los
mit der bundesrepublikanischen Gesellschaft? Da schlägt der
Aussenminister Fischer den Marx auf den Kopf. Der Polizist Marx
zeigt aber Verständnis für Fischer. Verkehrte Welt?
Angela Merkel von der CDU fordert eine Stellungnahme von Fischer
und versucht sich in der Interpretation der 68er Generation. Kanzler
Schröder spricht daraufhin eines seiner beliebt gewordenen
Machtworte.
Ruhe im Karton.
Friedrich Merz - ebenfalls von der CDU - outet sich selbst als "junger
Wilder", in der irrigen Annahme, eine bewegte Vergangenheit
stünde heute automatisch für Innovation und moderne Politik.
Aber der Schwindel fliegt auf und
am Ende steht Herr Merz als angepasster Eckensteher vorm heimischen
Publikum.
Während Aussenminister Fischer, und Umweltminister Trittin
in der allgemeinen Beliebtheitsskala weiter hoch im Kurs stehen
und ihnen politisch Stabilität vergönnt ist, weil ihr
offensichtlich souveräner Umgang mit der jeweils linksradikalen
Vergangenheit und militanten Geschichte Glaubwürdigkeit ausstrahlt,
driftet die CDU mit dem Versuch im Raster des "Kalten Krieges"
die Revolte der 68er Generation zu bewältigen, abwärts.
Fischer hingegen umarmt mit der machtüblichen
Geste des Staatsmannes seine eigene Vergangenheit und reiht 68 damit
als Aufbruch gegen verkrustete gesellschaftliche Strukturen in den
demokratischen Konsens von heute ein. Er erdrückt damit ebenso
den Gedanken an Widerstand heute.
Die populären VertreterInnen der 68er-Generation in TAZ und
Parlament erklären kurzerhand ein Ende der Gewalt. Gemeint
ist nicht etwa die strukturelle Gewalt des kapitalistischen Systems
oder das Gewaltmonopol des Staates. Gemeint ist vielmehr die Notwendigkeit,
auch heute noch gegen gesellschaftliche Verhältnisse anzugehen,
die eigentlich eine Antwort auf die Gewalttätigkeit des Systems
fordert.
Nein, sie, die Generation der 68er, der Erneuerer, sie hätten
ja zur entschiedenen Demokratisierung beigetragen. Und ihre Legitimität,
Militanz im Kampf um bessere Verhältnisse einzusetzen, sei
heute obsolet. Denn, die Verhältnisse hätten sich ja geändert.
Offensichtlich eine andere Republik, in der die VerfechterInnen
solcherlei Thesen leben, oder aber eine andere Vorstellung von dem,
was eine demokratische Gesellschaft ist, als noch in den 70er oder
80er Jahren.
Göttingen
Auch an Göttingen zieht die Debatte um die Interpretation aufständischer
Vergangenheiten populärer PolitikerInnen nicht vorbei. Michael
Buback, der Sohn des ehemaligen Generalbundesanwalts Siegfried Bucback
macht nicht nur als Proffessor der Chemie von sich reden, vielmehr
hat dieser die Angewohnheit auf Reisen im ICE Minister anzusprechen
und diese nach ihrer Meinung zum sogenannten "Buback-Nachruf"
zu befragen. Dieses Pamphlet eines Göttinger Mescalero von
1977 befasste sich seinerzeit mit der "klammheimlichen Freude"
über den Tod des vom RAF-Kommando- "Ulrike Meinhof"
im April 1977 erschossenen Generalbundesanwalts einerseits, andererseits
war der Nachruf eine mit spontaneistischer Feder geschriebene Kritik
an der damaligen, bewaffneten Politik bundesdeutscher Guerrillagruppen,
speziell an der der RAF. Nicht nur damals stand weniger der Inhalt
des Nachrufs im Mittelpunkt des Interesses, sondern der Streit über
die Veröffentlichung einer Auseinandersetzung mit militanter
gegen das kapitalistische System gerichteter Politik erhitzte die
Gemüter. Und zumindest das ist bis heute geblieben: der Streit
über die Legitimität grundsätzlicher Kritik an den
gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, die eben Militanz nicht
ausschließt.
"wer die
Vergangenheit
beherrscht,
beherrscht die Zukunft;
wer die
Gegenwart beherrscht,
beherrscht die
Vergangenheit."
[George Orwell | 1984]
In der Veranstaltung
wollen wir nicht nur die derzeitige Debatte um die Militanz populärer
68er und deren persönlichem Umgang mit ihrer "wilden Zeit"
beleuchten. Wir wollen vielmehr die Zeit der 68er kurz beleuchten,
um dann zur politischen Funktion der Interpretation der 68er-Revolte
zu gelangen.
Warum hat die neue rot-grüne etablierte Politik grundsätzlich
und die ehemaligen AufbrecherInnen im besonderen ein Interesse daran,
Proteste und Kämpfe von damals als Grundlage der neuen Berliner
Republik geltend zu machen. Zweifelsohne hat der Marsch durch die
Institutionen nicht nur dazu geführt, dass sich ehemalige StraßenkämpferInnen
verändert haben, sondern auch gesellschaftliche Verhältnisse.
Ob sich deshalb gleichzeitig die Notwendigkeit von grundsätzlichem
(militanten) Widerstand im Hier und Jetzt erübrigt hat, wird
nicht nur eine Frage auf der Veranstaltung sein, sondern steht vermutlich
auch auf einem anderen Blatt der Geschichte.
März 2001, Autonome Antifa [M]
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