15.03.2001 - Veranstaltung

wieviel GEWALT produziert die gesellschaft!?
sind alle 68er jetzt 89er oder nur falsche 50er?


Veranstaltung mit:
Monika Berberich | FF/M | ehem. RAF-Aktivistin
Klaus Lodewick | GÖ | ehem. KBler | Angeklagter im Mescalero-Prozeß
Autonome Antifa
[M] | GÖ | ausserp. Widerstand

angefragt:
Klaus Hülbrock/mescalero | WITBG | ehem. göttinger Sponti | Verfasser des
"Buback-Nachruf"

Moderation:
Verein zur Förderung Antifaschistischer Kultur e.V. Göttingen

Zeit:
Donnerstag | 15.03.2001 | 19.30 Uhr

Ort:
Gemeindehaus der reformierten Gemeinde
Untere Karspüle 11
Göttingen

[ Flugblatt als pdf-Datei ]



Flugblatt

Was ist los mit der bundesrepublikanischen Gesellschaft? Da schlägt der Aussenminister Fischer den Marx auf den Kopf. Der Polizist Marx zeigt aber Verständnis für Fischer. Verkehrte Welt?
Angela Merkel von der CDU fordert eine Stellungnahme von Fischer und versucht sich in der Interpretation der 68er Generation. Kanzler Schröder spricht daraufhin eines seiner beliebt gewordenen Machtworte.

Ruhe im Karton.
Friedrich Merz - ebenfalls von der CDU - outet sich selbst als "junger Wilder", in der irrigen Annahme, eine bewegte Vergangenheit stünde heute automatisch für Innovation und moderne Politik. Aber der Schwindel fliegt auf und
am Ende steht Herr Merz als angepasster Eckensteher vorm heimischen Publikum.
Während Aussenminister Fischer, und Umweltminister Trittin in der allgemeinen Beliebtheitsskala weiter hoch im Kurs stehen und ihnen politisch Stabilität vergönnt ist, weil ihr offensichtlich souveräner Umgang mit der jeweils linksradikalen Vergangenheit und militanten Geschichte Glaubwürdigkeit ausstrahlt, driftet die CDU mit dem Versuch im Raster des "Kalten Krieges" die Revolte der 68er Generation zu bewältigen, abwärts. Fischer hingegen umarmt mit der machtüblichen
Geste des Staatsmannes seine eigene Vergangenheit und reiht 68 damit als Aufbruch gegen verkrustete gesellschaftliche Strukturen in den demokratischen Konsens von heute ein. Er erdrückt damit ebenso den Gedanken an Widerstand heute.
Die populären VertreterInnen der 68er-Generation in TAZ und Parlament erklären kurzerhand ein Ende der Gewalt. Gemeint ist nicht etwa die strukturelle Gewalt des kapitalistischen Systems oder das Gewaltmonopol des Staates. Gemeint ist vielmehr die Notwendigkeit, auch heute noch gegen gesellschaftliche Verhältnisse anzugehen, die eigentlich eine Antwort auf die Gewalttätigkeit des Systems fordert.
Nein, sie, die Generation der 68er, der Erneuerer, sie hätten ja zur entschiedenen Demokratisierung beigetragen. Und ihre Legitimität, Militanz im Kampf um bessere Verhältnisse einzusetzen, sei heute obsolet. Denn, die Verhältnisse hätten sich ja geändert.
Offensichtlich eine andere Republik, in der die VerfechterInnen solcherlei Thesen leben, oder aber eine andere Vorstellung von dem, was eine demokratische Gesellschaft ist, als noch in den 70er oder 80er Jahren.

Göttingen
Auch an Göttingen zieht die Debatte um die Interpretation aufständischer Vergangenheiten populärer PolitikerInnen nicht vorbei. Michael Buback, der Sohn des ehemaligen Generalbundesanwalts Siegfried Bucback macht nicht nur als Proffessor der Chemie von sich reden, vielmehr hat dieser die Angewohnheit auf Reisen im ICE Minister anzusprechen und diese nach ihrer Meinung zum sogenannten "Buback-Nachruf" zu befragen. Dieses Pamphlet eines Göttinger Mescalero von 1977 befasste sich seinerzeit mit der "klammheimlichen Freude" über den Tod des vom RAF-Kommando- "Ulrike Meinhof" im April 1977 erschossenen Generalbundesanwalts einerseits, andererseits war der Nachruf eine mit spontaneistischer Feder geschriebene Kritik an der damaligen, bewaffneten Politik bundesdeutscher Guerrillagruppen, speziell an der der RAF. Nicht nur damals stand weniger der Inhalt des Nachrufs im Mittelpunkt des Interesses, sondern der Streit über die Veröffentlichung einer Auseinandersetzung mit militanter gegen das kapitalistische System gerichteter Politik erhitzte die Gemüter. Und zumindest das ist bis heute geblieben: der Streit über die Legitimität grundsätzlicher Kritik an den gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, die eben Militanz nicht ausschließt.

"wer die
Vergangenheit
beherrscht,
beherrscht die Zukunft;
wer die
Gegenwart beherrscht,
beherrscht die
Vergangenheit."
[George Orwell | 1984]

In der Veranstaltung wollen wir nicht nur die derzeitige Debatte um die Militanz populärer 68er und deren persönlichem Umgang mit ihrer "wilden Zeit" beleuchten. Wir wollen vielmehr die Zeit der 68er kurz beleuchten, um dann zur politischen Funktion der Interpretation der 68er-Revolte zu gelangen.
Warum hat die neue rot-grüne etablierte Politik grundsätzlich und die ehemaligen AufbrecherInnen im besonderen ein Interesse daran, Proteste und Kämpfe von damals als Grundlage der neuen Berliner Republik geltend zu machen. Zweifelsohne hat der Marsch durch die Institutionen nicht nur dazu geführt, dass sich ehemalige StraßenkämpferInnen verändert haben, sondern auch gesellschaftliche Verhältnisse. Ob sich deshalb gleichzeitig die Notwendigkeit von grundsätzlichem (militanten) Widerstand im Hier und Jetzt erübrigt hat, wird nicht nur eine Frage auf der Veranstaltung sein, sondern steht vermutlich auch auf einem anderen Blatt der Geschichte.

März 2001, Autonome Antifa
[M]

 

 

Plakat