Deutschland...-
abknallen!
Endlich kann die rotgrüne Regierung mal wieder zeigen, was
sie in den letzten zwei Jahren an Zivildienst nachgeholt hat. Krieg
führen unter menschenrechtelnder Fahne kann sie ja schon, und
das gilt es jetzt nicht mehr nur vor der eigenen Haustür, sondern
weltweit zu beweisen. Während sich um den Eindruck bemüht
wird, es ginge jetzt nurmehr lediglich darum, den BewohnerInnen
Afghanistans beizubringen, wie förderlich sich der Springerstiefel
im Gesicht auf das Erlernen von Freiheit und Zivilisation auswirkt,
wird die Bundeswehrmacht in alle Welt ausgeschickt. Unter patriotischem
Jubel wurden zuerst die routinierten Jungs von der Luftwaffe an
die türkische Front geschickt, mit weiteren Abschiedsszenen
in der Kriegsberichterstattung der kommenden Monate darf gerechnet
werden. Welche konkreten Aufgaben an den verschiedenen Kriegsschauplätzen
warten, läßt sich bislang lediglich aus vagen Andeutungen
erraten; dass aber jedweder militärische Job vom Transport
von Mordmaschinen bis zum Kampfeinsatz der KSK legitim sei, wird
der ums Wohl der Nation besorgten Öffentlichkeit mit einer
Inflation der Begriffe "Verantwortung" und "Glaubwürdigkeit"
tagtäglich klargemacht.
Anlass genug also für alle, die keinerlei Verantwortung für
die deutsche Außenpolitik übernehmen, sondern ihre Mitgliedschaft
im nationalen Zwangskollektiv durch die Abschaffung der Nation und
deren Existenzzweck Kapitalismus ein für allemal beenden wollen,
mit einem knalligen Auftakt in die bevorstehende Widerstandssaison
zu starten. Es gibt viel zu tun im Kriegsjahr Nr. 02 - feiern wir
rein!
Krieg?
Total normal!
Wie hoch die
Glaubwürdigkeit deutscher Großmachtambitionen inzwischen
wieder ist, zeigt sich nicht zuletzt an der Skepsis, die so manche
Verbündete in EU und NATO der deutschen Kriegswilligkeit gegenüber
an den Tag legen - ganz entgegen der Darstellung Schröders,
Fischers und Konsorten, dass die Vereinigten Staaten für Amerika
tierisch enttäuscht wären, wenn Deutschland nicht auch
militärisch mitmischen würde. Nur allzuschlecht sind im
Rest der Welt die letzten Versuche Deutschlands im geschichtlichen
Gedächtnis verankert, eine verantwortliche Rolle im Weltgeschehen
einzunehmen.
Was für andere wirtschaftlich starke Staaten völlig normal
ist, nämlich die Weltpolitik wenn nötig auch kriegerisch
mitzubestimmen, stößt daher im Falle Deutschlands auf
Misstrauen. Der - aus Sicht eines jeden Staats - selbstverständliche
Wunsch, weltweit mitzumischen, muss von der BRD also taktisch vorsichtig
umgesetzt werden. Ebendies schlägt sich in der Devise des "aus
der Geschichte gelernt"-Habens nieder: Deutschland und seine
Interessen müssen nicht mehr gleich "über alles"
gehen - sie lassen sich allemal viel besser vertreten, wenn sie
im freundschaftlichen Konkurrenzgerangel unter Verbündeten
anstatt gegen den kompletten Rest der Welt ausgetragen werden.
In der aktuellen Situation haben die USA als angegriffene wie auch
ihrem Militärpotential federführende Nation nach wie vor
die unbestrittene Rolle als Weltmacht Nr.1 inne. Das heißt
jedoch nicht, dass der NATO-Bündnisfall nicht auch bedeutet,
dass auf unserer Seite des Nordatlantik versucht wird, die Entwicklung
hin zum weltweiten Krieg auch zu eigenem Gunsten auszunutzen.
Die neuen Tücken der deutsch-amerikanischen Freundschaft manifestierten
sich in den Unstimmigkeiten zwischen USA und BRD, als es um die
Anfrage nach Militärkapazitäten ging. So hat die deutsche
Diplomatie im Vorfeld dieser Anfrage solange an die Türen des
Weißen Hauses gehämmert, bis dessen VerwalterInnen Kopfschmerzen
bekamen. Andererseits fällt den USA auch kein Stern aus dem
Banner, wenn sie unter eigener Regie viertausend deutsche Soldaten
in einer Nebenrolle im Spiel ohne Grenzen mitmachen lassen. Als
Kampfansage gegen die USA lässt sich die deutsche Kriegsbegeisterung
jedenfalls nicht interpretieren, wohl aber als neues Niveau der
Aggressivität deutscher Außenpolitik.
Ähnlich zwiespältig
verhält es sich mit der europäischen Diplomatie in der
islamischen Welt. Zum einen handelt es sich durchaus um Arbeitsteilung,
wenn sich Deutschland und nicht zuletzt auch der ehemaligen Kolonialmacht
Frankreich Türen in Nordafrika und dem Nahen Osten auch dort
öffnen, wo die USA nicht unbedingt willkommen sind. Der aktuelle
Auftrag auf solchen Reisen ist, den dortigen Regierungen klarzumachen,
dass ihnen zwei Optionen offenstehen: Sich freiwillig in die Neue
Weltordnung zu integrieren - oder aber nach dem Vorbild Restjugoslawiens
oder Afghanistans integriert zu werden.
Nun ist das Projekt "Neue Weltordnung" kein statischer
Entwurf, sondern der Versuch, die Rahmenbedingungen festzulegen,
unter denen die Hauptakteure der Weltpolitik ihre Interessen verwirklichen.
In der Logik des Kapitalismus laufen diese parallel, so weit es
darum geht, weltweit kalkulierbare und dem Verwertungsprozess dienliche
Verhältnisse zu schaffen. Zugleich versuchen die einzelnen
Groß- und Supermächte, sich dabei so viele eigene Vorteile
wie möglich zu sichern. So geht es der EU-Diplomatie auch nicht
allein darum, den wackligen Konsens "gegen den Terror"
im Nahen Osten zusammenzuhalten, sondern eben auch darum, sich in
dieser Region Standortvorteile gegenüber den USA zu verschaffen.
Unter diesem Aspekt ist auch der frisch entflammte Streit über
mögliche US-Angriffe gegen den Irak zu verstehen: Dass es denselben
deutschen Außenpolitikern, die vor gerade zweieinhalb Jahren
Belgrad bombardieren ließen, bei ihrer Kritik an den USA um
den Schutz irakischer Menschenleben oder allgemein die Förderung
des Weltfriedens gehen könnte, lässt sich schwerlich vermuten.
Vielmehr waren die europäischen Staaten in den letzten Jahren
gerade dabei, einen Fuß in den durch die Sanktionen brachliegenden
irakischen Markt zu bekommen - ein neuer Krieg gegen den Irak im
Rahmen von "Antiterrorallianz" und NATO-Bündnisfall
dürfte das Ende aller Hoffnungen Europas nicht nur im Irak,
sondern in der gesamten Region bedeuten. Somit wird daran, ob es
der EU gelingt, einen Angriff auf den Irak zu verhindern, eine grundsätzliche
Machtprobe ausgetragen: Die Frage, wieviel weltpolitischen Einfluss
Europa inzwischen tatsächlich erlangt hat.
Die Funktionsweise der NATO-internen Konkurrenz wird an diesem Punkt
zwar besonders deutlich, letztlich gilt sie aber weltweit. Die ökonomische
Eroberung Osteuropas, die jetzt in die EU-Osterweiterung mündet,
war der erste Schritt, sich als eigenständiger europäischer
Machtblock in der Weltpolitik zurückzumelden. Es folgte die
inoffizielle, militärische Südosterweiterung gen Balkan,
und die strategischen Planungen zum Aufbau einer europäischen
"Schnellen Eingreiftruppe" sollen die EU zukünftig
weltweit unabhängig von den USA kriegsfähig machen. Um
es noch einmal zu betonen: Es bahnt sich, zumindest in den kommenden
Jahren, nicht etwa ein offener Konflikt zwischen EU und USA an.
Sie werden ihre "partnerschaftliche" Konkurrenz vielmehr
im und gegen den Rest der Welt austragen. Die verheerenden Folgen
sind dieselben, seien sie nun made in EU oder USA.
"Befriedetes
Gebiet" (BGS-O-Ton am Rand der Reichstagsbannmeile
während des Kriegsbeschlusses)
Während
sich die BRD also noch ein wenig anstrengen muss, um im Ausland
Ruhe und Ordnung nach eigenem Geschmack zu schaffen, hat sie an
der Heimatfront keine Probleme damit. Die Androhung "Nach dem
11. September wird nichts mehr so sein wie es war" ist zwar
insofern real, dass sich nicht zuletzt auch die innenpolitische
Landschaft am 11. September 2002 aufs Unschönste erkennbar
von derjenigen ein Jahr zuvor unterscheiden wird und schon jetzt
auf dem Weg dahin ist. Dies geschieht jedoch nicht in Form eines
radikalen Bruchs. Zwar wird jener Hauch liberaler Tendenzen über
Bord geworfen, der bis vor kurzem noch als rotgrünes Markenzeichen
der Modernisierung des Standorts diente und etwa in den alten Entwürfen
des Einwanderungsgesetzes zum Tragen kam. Hauptsächlich zeigt
sich jedoch die Beschleunigung einer Entwicklung, die nahtlos den
schon vorher eingeschlagenen Kurs in Sachen Staatsrassismus, Überwachung
und Repression weiterverfolgt. Das wirklich Erschreckende ist daher,
wie unspektakulär sich diese Veränderung auf allen gesellschaftlichen
Ebenen vollzieht.
Der Feind im Inneren ist in erster Linie rassistisch definiert und
muss nicht noch extra zum Schreckgespenst hochstilisiert werden,
um den deutschen Durchschnittsrassisten von der Notwendigkeit repressiver
Maßnahmen gegen Nichtdeutsche zu überzeugen. Auch jene
Teile der "Antiterrorpakete", die, wie etwa der (genetische?)
Fingerabdruck im Pass, die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht
stellen, stoßen in der überwachungsverliebten Containergesellschaft
auf wenig Gegenwehr. Schon gar nicht kann die Rede sein von einer
nennenswerten Opposition gegen den Krieg oder gar einer handlungsfähigen
systemkritischen Bewegung, die in der Lage wäre, das euroimperialistische
Projekt aus dem Herzen der Bestie heraus zu gefährden, und
gegen die mit Notstandsgesetzen vorgegangen werden müsste.
Entgegen einer beliebten Demoparole ist es bislang ruhig im Hinterland.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sowohl der Ausbau des Hochsicherheitsstaats
als auch die deutsche Kriegspolitik durchgesetzt wird, macht die
Entwicklung umso gefährlicher. Für die radikale Linke
sind immer neue Gesetzesverschärfungen mittlerweile dermaßen
alltäglich geworden, dass sie kaum fähig scheint, auf
die neue Qualität des "Antiterror"-Diskurses zu reagieren,
während die linksliberale Öffentlichkeit mit ihrer Logik
"Sicherheit ja, aber..." ihre bewährt konstruktive,
akzeptanzfördernde Rolle spielt. Auch an Kriegseinsätze
der BRD wurde die Öffentlichkeit im vergangenen Jahrzehnt schrittweise
gewöhnt, und nun, wo es um den Kampf gegen das Böse schlechthin
und darüber hinaus um die weltweite "Verantwortung"
Deutschlands geht, kann ohnehin niemand mehr etwas dagegen haben
- nur der Begriff "Krieg" wird zumeist noch vermieden.
"Antiterroreinsatz" klingt immer noch besser und lässt
sich praktischerweise sowohl innen- als auch außenpolitisch
verwenden. Die Aufhebung dieses Unterschieds ist ja angekündigtermaßen
in vollem Gang, und auch das geschieht nicht per Holzhammermethode,
sondern graduell: Wozu eine "Nationalgarde" aufbauen,
wenn die Aufrüstung des BGS genügt?
In einer solchen Situation
scheint der Aufbau eines linksradikalen Widerstands schwieriger
und zugleich notwendiger denn je. Überhaupt möglich ist
dies auf jeden Fall nur, wenn dabei an den antikapitalistischen
Diskurs angeknüpft wird, den der systemkritische Teil der "Antiglobalisierungs"-Bewegung
grade erst wieder angestoßen hatte. Ob sich die dabei in Diskussionen
und auf der Straße gemachten Erfahrungen von Göteborg
und Genua in einer linksradikalen Antikriegs-Praxis niederschlagen,
liegt in erster Linie nicht an den gesellschaftlichen Umständen,
sondern an der Linken selbst. Insbesondere müsste sie dafür
über die systemimmanente Suche nach dem vermeintlich kleineren
Übel hinwegkommen und den sogenannten "Krieg gegen den
Terror" als das sehen, was er ist: Als Neuaufteilung von Einflusssphären
und Märkten vor dem Hintergrund des Exports von "Freiheit,
Gleichheit, Privateigentum" - auch bekannt als "Zivilisation",
Armut und Ausbeutung. Das weltweite Funktionsprinzip, auf dessen
Grundlage dieser Aufteilungskrieg tobt, ist also immer noch der
Kapitalismus, und den gilt es somit auch weltweit zu bekämpfen.
Gleichzeitig gilt jedoch für jede linke Bewegung der Grundsatz:
Den Sand gilt es an der Stelle ins Getriebe zu streuen, an der man
selbst drinhängt.
Es gibt also viel Unruhe
zu stiften im befriedeten Gebiet. Dass dies auch in Zeiten möglich
ist, in denen die radikale Linke ohne den Rückenwind einer
Massenbewegung auskommen muss und auf sich selbst gestellt ist,
hat die antifaschistische Bewegung im vergangenen Jahrzehnt immer
wieder bewiesen. Gründe gibt es genug, die trügerische
Normalität der gar nicht so neuen Weltkriegsordnung auf allen
Ebenen und mit allen Mitteln zu durchbrechen. Mit einer lauten Party
auf das kommende Widerstandsjahr anzustoßen und die Verhältnisse
zum Tanzen zu bringen, ist eine der Möglichkeiten - und es
werden sich weitere bieten, wenn sie nur gesucht werden.
autonome
antifa (M) - dezember 2001 - göttingen
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