Wir
verzichten an dieser Stelle auf eine Erklärung von Betroffenheit
oder Mit-Leiden angesichts der Vorkommnisse in New York und Washington.
Deutlich zu machen, warum wir das nicht tun, ist das Anliegen dieses
Flugblattes.
Wohl
noch nie hat ein Ereignis solche Reaktionen ausgelöst wie die
Attentatserie am 11.September 2001. Die daraufhin einsetzenden zahllosen
Bekundungen von Betroffenheit oder Solidarität können
dann auch schwerlich etwa durch die Zahl der Toten erklärt
werden.
Entscheidend war wohl eher die Tatsache, daß es die Metropole
getroffen hat, in einem der wirtschaftlichen Zentren, die im Nachhinein
symbolhaft zum Herzen Amerikas erklärt wurden. Dieses erscheint
nun plötzlich schmerzhaft verletzlich, bis hin zum zeitweiligen
Totalausfall. Trotz eines milliardenschweren Überwachungs-
und Militärapparates wurden die Szenarien etwa aus "Independence
Day" noch übertroffen, und der folgende Ablauf eines "Krieges
Gut gegen Böse" steht der filmischen Vorlage in Nichts
nach: Generalmobilmachung, als ginge es gegen eine außerirdische
Invasion.
Diejenigen, die dabei den Part der Außerirdischen zugewiesen
bekommen, sind zwar nicht als militärischer Gegner fassbar,
aber nach dem jetzt nachgespielten Schema kann das nur intensivere
Bemühungen um den militärischen Sieg bedeuten.
Daß die jetzt als pauschal Schuldigen ausgemachten Islamisten
dabei nur eine andere Erscheinung des "One-World Kapitalismus"ausagieren,
darf dabei nicht ins Bewusstsein dringen. Eine Verstrickung derer,
die sich jetzt zur Zivilisation erklären, in das jetzt Geschehene
zuzugeben könnte nur bedeuten, Kapitalismus in Frage zu stellen.
Dabei ist nicht nur die Geschichte des Weltmarktes im mittleren
Osten als Projekt dieser "Zivilisierten" eigentlich bekannt.
Auch die Militarisierung genau der jetzt zu "Barbaren"
erklärten war bloßes Unterstützungsprojekt in diesem
Rahmen. Sowohl die Aufrüstung der Taliban, des Irak oder des
Iran waren noch über den Kalten Krieg hinaus übliches
Mittel der Politik, und auch jetzt findet etwa im Kosovo das gleiche
statt.
Nun sind die einstigen Hilfstruppen zu gefährlicher Selbständigkeit
gereift, und in der zwanghaften Verdrängung des Wissens, sich
den eigenen Waffen gegenüberzusehen, müssen sie zum Bösen
schlechthin stilisiert werden.
Daß den durchaus modern denkenden, selbst ausgebildeten Gegnern
dabei nicht leicht beizukommen sein wird ist allerdings jedem klar,
und es steht die Suche nach einer Art "Wunderwaffe" an,
mit der diese neue Art des Konfliktes ausgetragen werden kann.
Barbarei
und Zivilisation
Sowohl in George
Bushs Ankündigung eines "langen Krieges" als auch
in Schilys Äußerungen über Inneres und Äußeres
deutet sich an, wo diese Wunderwaffe gesucht wird.
Ein Krieg gegen sowohl real existierende als auch erdachte "Terrorzellen"
ist mit konventioneller Kriegsführung höchstens auszuschmücken,
gewonnen werden kann er vorerst nicht.
Aber
gerade dadurch, dass kein "Feind" im klassischen Sinne
zu finden ist, lässt er sich theoretisch überall verorten,
auch und gerade im eigenen Staatsgebiet.
Das Gerede und die Spekulationen darüber, wer die Täter
eigentlich waren, verdeckt noch, dass ein Feindbild schon ausgemacht
ist. Aber so lässt sich über die Bekämpfung des noch
unsichtbar scheinenden Gegners ganz offen als Vernichtung reden.
Je mehr dabei die Bedingtheit von Zivilisation und Barbarei durch
das Weltsystem Kapitalismus verdrängt wird, umso heftiger muß
die vermeintliche Barbarei bekämpft werden. Der blinde und
daher aussichtslose Kampf um Befreiung von dem, was als "das
Böse" falsch verstanden wird weitet sich so von den Islamisten
auf die vermeintlich Zivilisierten aus.
Nur in dieser Verblendung bleibt Kapitalismus als das ordnende Prinzip
der Welt erhalten, allerdings unter verschärften Bedingungen.
Krieg ist auch ein gesellschaftlicher Zustand, und er ist ideal
für Machterhalt und Verwertung. Diese Zwecke müssen gar
nicht genannt werden, noch nicht mal bewusst verfolgt. Es liegt
ganz einfach in der Logik des Krieges, daß alle hinter ihren
Führern zu stehen haben, daß Abweichung zur Abtrünnigkeit
wird und daß die sonst bestimmende Frage nach Wirtschaftlichkeit
nur noch bei den Produzenten kriegswichtiger Güter eine Rolle
spielen. Die Welt läuft nicht nur weiter im Krieg, sie funktioniert
auf perverse Weise sogar besser. Jedes Rädchen der Zivilisation
wird laufen wie geschmiert, weil es laufen muß, und weil alles
dafür Notwendige getan wird. Barbarei wird dabei das sein,
was die Gegner eint und verbindet, nicht etwa das was sie trennt.
Politik
als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln
Der jetzt begonnene
gesellschaftliche Ablauf gleicht einem Automatismus, er läuft
ab wie von selbst. Wo ein Krieg nach Außen offensichtlich
unmöglich ist, wie etwa hier in der BRD, werden die Feinde
im Inneren gesucht, und dafür eignet sich das Konstrukt der
außerzivilisatorischen
"Terrorzellen" hervorragend, unabhängig von ihrer
Zielsetzung oder Existenz. Die gleiche Kriegslogik findet hier einen
Gegner, der nicht zu besiegen ist, solange bleibt was ihn hervorbringt,
aber es lässt sich hervorragend und endlos gegen ihn kämpfen.
Jede Maßnahme muß recht sein, wenn sie nur dem Kampfe
dient. Nicht nur Otto Schily spielt diese Karte nun schamlos aus,
und vom Gesinnungscheck für Ausländer über Rücknahme
des Datenschutzes zum Einsatz des Militärs im Inneren ist plötzlich
nichts mehr undenkbar. Bedingung dafür ist eine freiwillige
Gleichschaltung der Medien und eine in Trauer bis zur Hysterie vereinte
Gesellschaft, die nur noch ihre Verteidigung kennt, und nichts,
was dem nicht zu opfern wäre.
Im Angesicht einer Bedrohung, ob nun real oder nicht, wird die Gesellschaft
wieder zu einem Volk, und dieses erkennt sich selbst nur durch den
Kampf gegen einen Gegner. Wie beliebig die tatsächliche Gefahr
wie auch der Gegner dabei sind, zeigen schon die jüngsten Ausschreitungen
gegen echte oder vermeintliche Muslime.
Noch ist nicht klar, ob dieser Ausnahmezustand zeitlich befristet
bleibt oder zur vorläufigen Normalität wird. Aber die
Besonnenheit, die jetzt aus der Politik oftmals angemahnt wird,
zielt auf letzteres ab. Es geht darum, die "neue Phase der
Geschichte" (Otto Schilly) nachhaltig zu planen und so wird
ihr, ob gewollt oder nicht, auch Substanz verschafft.
Frieden?
Die Abwesenheit von Krieg gibt es nicht
Die derzeitige
Entwicklung ist nur möglich , solange die emotionale Mobilisierung
großer Teile der Bevölkerung fortdauert. Es mag zynisch
klingen, aber die großen Darstellungen von Trauer und Betroffenheit
in den Medien, den Kirchen und auf der Straße sind dafür
die derzeitigen Mittel der Wahl. Denn es muss getrauert werden,
damit nach Rache gerufen werden kann, und es muss so laut gerufen
werden, daß jeder andere Laut darin untergeht.
Umso wichtiger ist es jetzt, laut zu werden gegen den sich anbahnenden
Krieg.
Opposition unhörbar zu machen ist eine Notwendigkeit für
die kriegführende Gesellschaft. Nur ein kalkulierbarer chauvinistischer
Mob, der von seiner eigenen Verteidigung redet und dabei Vernichtung
meint, garantiert hierfür die Tauglichkeit.
Wer also das Wort "Nein" noch denken kann, ist aufgerufen
es jetzt zu äußern. Jetzt wider zu einer Sprache zu finden,
wo von überall Schweigen geboten sein soll, ist vielleicht
das beste was getan werden kann. Und wer den Gedanken an Widerstand
durchhält, wird mit uns übereinstimmen:
Kapitalismus abschaffen!
Für das
Ende der Gewalt!
Autonome
Antifa [M], im September 2001
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