Das Ende der Gewalt!
Halt, keine Gewalt!
An der Gewalt hängt, zur Gewalt drängt doch alles... der Gedanke
drängt sich auf in diesen Tagen. Wichtig scheint ihre jeweilige moralische
Bewertung zu sein, mit der sie zwanghaft für notwendig erklärt
oder verurteilt wird. Nicht erst seit sich die Republik darüber stritt,
ob ihr Außenminister ein Sponti und Backsteinwerfer gewesen sein
durfte, haben tiefsinnige Gedanken zur Gewalt wieder Konjunktur, die ihre
Sinnlosigkeit, Rechtfertigung, Notwendigkeit oder ihr staatliches Monopol
beleuchten. Immer ist es, man fühlt sich in die Rolle des Erziehers
versetzt, die Gewalt des Gegenübers, die zuerst kam und immer war
man nur Eingedenk des Friedens danach zur Gewalt bereit... Der angelegte
Maßstab aus Recht und Moral jedoch, der zwischen roher Gewalt und
notwendigem Übel trennt, blieb von der Anschlagserklärung bis
zum folgenden Strafurteil stets der gleiche. Jetzt, nachdem auch der letzte
ex-radikaler Staatssekretär für seine Missetaten Buße
tat und der 1. Mai sich ankündigt, gilt es endlich, diesem Maßstab
Gewalt an zu tun.
Auch die radikale Linke hat sich dem Kampf gegen Gewalt verschrieben,
allerdings gegen die Gewalt der Herrschenden bzw. der herrschenden Verhältnisse
(strukturelle Gewalt). Sie hat zu recht darauf bestanden, dass die Gesellschaft
auch da, wo sie zivilisiert erscheint, auf Gewalt beruht. Allerdings wurde
Gewalt zum großen Problem des Kapitalismus aufgebläht; groß
genug jedenfalls, um gegen die Gewalt selbst gewalttätig zu werden
oder zumindest das Mittel der Militanz nicht auszuschließen.
Weil Gewalt den bürgerlichen Verkehrsformen als das große Andere
gegenübersteht, also die Grenzen dessen kennzeichnet, was als normal,
erlaubt und richtig sein soll, erscheint Gewalt dem Bürger als ein
außerordentliches Geschehen. Die langen Debatten militanter
Aktivistinnen und Aktivisten über Formen und Ziele (Personen oder
Sachen) von Gewalt wurden stets doppelt legitimiert: Mit der Schuldigkeit
des Angegriffenen und mit dem Versprechen, letzten Endes für ein
Ende der Gewalt einzustehen. Dabei haben sie oft guten Geschmack bewiesen
und sind zweifellos nicht selten die moralischen SiegerInnen gewesen.
Es wird Aufgabe einer linken Auseinandersetzung mit militanter Politik
sein, zu klären, inwieweit sie in ihrer Praxis notwendig
auf die Formen der bürgerlichen Gesellschaft zurückgeworfen
war / ist.
Zivilgesellschaftlicher
Totalitarismus
Im Kampf gegen Gewalt offenbart die Zivilgesellschaft - Hoffnungsträgerin
und Spielwiese sozial- und bürgerrechtsbewegter Demokratiefanatiker
zugleich - ihre totalitären Züge.
Gewaltverzicht fungiert hier als Glaubensbekenntnis, als Eintrittskarte
zu den höchstoffiziellen Stellen der Gesellschaft. Gewalt wird dabei
stets als körperliche Gewalt, selten als strukturelle Gewalt begriffen
- als ob gesellschaftliche Zwangsstrukturen, wie Lohnarbeit oder Wehrdienst,
nicht Formen der Gewalt wären. Das zivilgesellschaftliche Kollektiv
konstituiert sich im Verzicht auf diejenigen Formen von Gewalt, die ihm
als unnütz oder gefährlich erscheinen, also gerade nicht durch
einen reflektierten Umgang mit Gewalt- und Zwangsverhältnissen. Dies
zeigt sich an der monatelangen Debatten über Fischers Haltung zur
Gewalt; darüber, ob und wie Joschka sich mit einem Polizisten prügelt,
während seine Verantwortung für die Kriegsverbrechen an der
jugoslawischen Bevölkerung im Frankfurter Molli-Nebel verschwinden.
Dabei wiederholt sich eine tausendfach geführte Debatte an einem
nicht mal neuen Gegenstand, indem nach totalitarismustheoretischer Manier
Gewalt als das schlechthin mit Demokratie und Rechtsstaat unvereinbare
verstanden und verurteilt wird.
Wenn sie nicht gerade in den Fotoalben ihrer rebellischen Tage blättern,
brüskieren die Akteure der bundesdeutschen Zivilgesellschaft sich
derzeit mit Vorliebe über Rechtsradikale. Dabei sind sie, wie gewohnt,
gründlich, fest entschlossen und nicht zimperlich - geht es doch
gegen (rechte, eigentlich aber jegliche) Gewalt und für
die Toleranz. Hinter dieser Aktivität verbirgt sich ein Denken, das
sich kaum vom Menschenbild des bekämpften Rassisten unterscheidet.
Toleranz kann nur demjenigen gewährt werden, der nicht gleichgestellt
ist, sie ist eine großzügige Geste des Herrenmenschen, dessen
Artgenossen seit 12 Jahren in Ostdeutschland für Furore sorgen. Im
Antifa-Sommer steht offensichtlich weniger die Sorge um die Opfer der
Nazis als Ärger über die offen und stolz zur Schau getragene
Asozialität ihrer Mörder im Zentrum der neuen Mitbürgerlichkeit.
Ausbleibende moralische Empörung über Ausländergesetze,
Abschiebung und die brutale Sicherung der deutsch-polnischen Grenze, sind
nicht als Heuchelei oder Doppelmoral zu verstehen, sie sind der konsequente
Rahmen der Staatsantifa und zeigen deutlich an, dass sich die Gewaltfreiheit
der Zivilgesellschaft selber nur gewaltsam aufrechterhalten lässt.
Doch das demokratisches Selbstverständnis schließt die eigene
Gewalttätigkeit aus, um sie dafür am anderen wahrnehmen zu können.
Als das andere des bürgerlichen Selbstverständnisses aber erscheint
Gewalt hier als das irrationale und unmoralische schlechthin, alle spezifischen
Formen von Gewalt werden unterschiedslos eingeebnet: Sadam Hussein und
Milosovic werden zu Hitlers, serbische Gefangenenlager zu KZs.
Dabei ist es mit der Gewaltlosigkeit der Demokratie nicht weit her, da
gerade ihre Gewaltlosigkeit auf Gewalt rückverwiesen ist. Gewaltfreiheit
ist daher weniger als Verzicht auf Gewalt ernst zu nehmen denn als die
Drohung, Gewaltfreiheit mit aller Gewalt herzustellen.
Kapital und Gewalt
Entgegen aller Verlautbarungen der Apologeten unserer Demokratie
sind es gerade die Demokratie und die kapitalistische Gesellschaft im
allgemeinen, die durch Gewalt bedingt sind und sie ständig hervorbringen.
Nicht nur lagen die historischen Wurzeln des Kapitals u.a. darin, große
Teile der Bevölkerung in die Fabrikdisziplin zu prügeln. Auch
in Inneren seiner demokratischen Variante finden sich Zwang und Gewalt
keineswegs nur als Versehen oder Ausnahme. So konstituiert sich alle öffentliche
Ordnung durch gewaltgesetzte Grenzen, wobei nicht einmal diese innere
öffentliche Ordnung dauerhaften und allgemeinen Schutz vor offenem
Terror und Krieg bietet, sondern Faschismus und Krieg als Krisenoptionen
ebenso offenhalten wie die alltägliche Gewalt faschistischer Banden.
Beides steht nur formal im Gegensatz zur Demokratie, die moralisch und
juristisch ausschließen muss, was sie in ihrem Innern erzeugt.
Die Gewaltfreiheit des demokratischen Bürgers ist daher nicht die
reflektierte Gewaltlosigkeit einer emanzipierten Gesellschaft, sondern
konstitutives Element der Rechtsform des Warenbesitzers. Kapitalistischer
Betrieb bedarf eben nicht des - ständig eingeforderten - Verzichts
auf jede Gewalt. Er verträgt lediglich diejenige Gewalt
nicht, die seine Verkehrsformen beeinträchtigen, während er
sich notwendig auf andere stützt. Gewalt erscheint als das ausgeschlossene
der bürgerlichen Gesellschaft, als zivilisationsfeindlich und ordnungszerstörend.
Gewalt erscheint aber als das Andere der demokratischen Gesellschaft,
weil ihr Ausschluss aus der Gesellschaft Gewalt in einen vermeintlichen
Naturzustand rückprojeziert, auf einen Krieg Aller gegen Alle
ausgelagert wird, der von der bürgerlichen Rechtsformen zu bändigen
sei, obwohl doch erst durch diese der marktliberale Kampf Aller
gegen Aller möglich wird.
In der kapitalistischen Gesellschaft aber erscheint Gewaltverzicht nur
deshalb vernünftig und moralisch zwingend, weil sie die Vernunft
und Moral der Marktwirtschaft und des freien und gleichen Warenverkehrs
sind. Der Gewaltverzicht kann daher dem Individuum abverlangt werden,
ohne das er Wesensmerkmal der Gesellschaft zu sein braucht, im Gegenteil;
die Gewaltlosigkeit richtet sich genau nach den Kategorien kapitalistischer
Vergesellschaftung aus, in der Gewalt an anderer Stelle notwendig und
alltäglich bleibt. So garantiert das Gewaltmonopol des Staates nicht
das Ende von Gewalt, sondern bestimmt lediglich deren Grenzen und sanktioniert
dysfunktionales und destruktives Verhalten im Sinne von Warenverkehr und
-produktion und ihrer notwendigen Rechtsformen. Die Einheit von Repression
und Toleranz, von Demokratie und Gewalt, von Freiheit und Herrschaft in
Gesellschaften westlicher Prägung ist schon `68 treffend als repressive
Toleranz charakterisiert worden. Die Freiheit, alles zu tun und
zu lassen was man will, solange es keinem anderem schadet, ist in Herrschaft
und Ausbeutung eingebettet; Gewaltfreiheit nur die individuelle Pflicht,
Betriebsgeräusch einer gewalttätigen Gesellschaft.
Bürgerliche Demokratien verfügen per definitionem über
ein vergleichsweise großes Spektrum individueller Persönlichkeitsrechte.
An ihnen ist daher auch nicht ein zu wenig an Freiheit, Gleichheit und
Gerechtigkeit zu bemängeln - kritisiert werden muss, dass die Freiheit,
die wir meinen, doch immer nur als eine Variation der immer gleichen,
bereits vorhandenen Freiheit denkbar ist - der des vereinzelten Warenbesitzers.
Spektakel und Kritik
Gewalt ist Spektakel. Nicht nur, weil sie aus der Realität bürgerlicher
Langeweile hervorsticht, sondern gerade weil sie an uneingestandene Voraussetzungen
erinnert. Gewalt in bürgerlichen Gesellschaften ist idealerweise
nur wohldosiert von bestimmten Exekutivkräften im Auftrag des staatlichen
Gewaltmonopols anzutreffen (Polizei, Militär, Justiz). Der Exzess,
die Überschreitung oder die unkontrollierte, scheinbar nicht zielgerichtete
Gewalt wird trotz moralisch-politischer Ablehnung als Spektakel genossen.
Die gängigen Verurteilungen oder Legitimationsversuche tun der spektakulären
Erscheinung von Gewaltausbrüchen keinen Abbruch. Anstatt Papier oder
Sendezeit durch hilflose wie naive Aufrufe gegen Gewalt zu verschwenden,
wäre zu konstatieren, dass ihr nur deshalb derart pathologische Aufmerksamkeit
zu kommt, weil sie trotz ihrer Alltäglichkeit als das Außergewöhnliche,
das Untergründige und als Gegenteil von allem Guten und Schönen
in bürgerlichen Gesellschaften wahrgenommen wird. Gerade weil Gewalt
immer als Tat des Anderen wahrgenommen wird und die Thematisierung der
eigenen Verstricktheit in Gewalt unterbleiben muß, um das zivilgesellschaftliche
Selbst zu stabilisieren, wird Gewalt zum äußeren Reiz und Gegenstand
eines distanzierten Interesses.
Der 1. Mai sollte in seiner Gewalttätigkeit nicht als revolutionär
verklärt werden; er ist ein Spektakel, das durch die diskursive Fokussierung
auf Gewalt erst erzeugt wird. Revolutionär kann bloß
die Einsicht in diese Tatsache und der Umgang mit diesem Spektakel werden.
Dieser Umgang heißt konkret, die Gewaltdiskussion um den 1. Mai
zum Anlass zu nehmen, grundsätzlich zu fragen, was an Gewalt denn
von Interesse ist, und nach ihren uneingestandenen Ursachen zu fragen.
Gerade die von den Medien herausgestellte Sinn- und Ziellosigkeit der
Gewalt und das vermeintliche Fehlen eines konkreten Ziels oder Programms
prädestiniert den 1. Mai zu einem Event radikaler Kritik. Praxis,
die dem Begriff der Kritik gerecht würde, sucht nicht nach (individuellen)
Auswegen, nicht nach besserer Repräsentation klassenspezifischer
oder sonstiger Interessen, sondern kritisiert den Kapitalismus an sich
selbst.
Es mag unbefriedigend sein zu wissen, dass radikale Kritik negativ ist
und bleiben muss. Dies ist jedoch unbedingt auszuhalten, wenn man sich
nicht in blindem Wiederholungszwang an die Reorganisation längst
gescheiterter Projekte begeben will. Im Gegensatz, zu aller ernsthaften
Politik ist der 1. Mai gerade das nicht, was ihm von revolutionären
bis reformistischen Politemphatikern unterstellt wird: Er ist kein unreflektiertes
Ritual zwischen Hooliganismus und Love-Parade, er ist negativ und somit
kritisch im besten Sinne.
Affirmative und
radikale Kritik
Als radikale Kritik richtet sich der 1. Mai nicht (nur) gegen Auswüchse
staatlicher Gewalt, sondern auch gegen den gewaltfreien Sektor, die selbstverständlichen
Grundlagen von Mensch und Gesellschaft. So sehr wir auch der Meinung sind,
dass Gewalt, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse richtet
moralisch gerechtfertigt ist, so sehr wir auch der Überzeugung sind,
dass die Sprengung eines Abschiebeknastes im Gegensatz zur Errichtung
eines solchen kein Verbrechen ist, so ist es doch nicht unsere Aufgabe,
die Gewaltdiskussion in dieser Weise zu füttern. Wenn gezeigt wird,
dass die bürgerliche Gesellschaft ihre Gewalt ausschließt,
um sie als das Andere ihrer selbst wahrzunehmen, dann nicht, um unsererseits
zu versichern, dass Gewalt nur im Kommunismus ihr Ende finden wird, sondern
um den Diskurs um Gewalt überhaupt als Element bürgerlicher
Ideologie zu kritisieren.
Aufgabe der radikalen Linken kann es nur sein, Kapitalismus als Ganzes
zu kritisieren und nicht seine immanente Gewalt zu verurteilen. Solche
Kritik zerstört den Schein der Vernünftigkeit staatlicher Ordnung,
von Recht und Moral. Sie erfindet keinen besseren Staat, sondern zeigt
seine inneren Widersprüche auf, indem sie die untrennbare Verbindung
von Gewalt und Gewaltlosigkeit in Recht und Moral denunziert. Sie fasst
und verwirft die kapitalistische Gesellschaft als historisch gewordenes
System, setzt diesem aber keine Entwürfe eines anderen, besseren
Lebens entgegen, sondern kritisiert gerade, dass alle konkrete Utopie
sich stets nach den Maßgaben kapitalistischer Rationalität
richtet.
Kritik verweigert sich jeglicher konstruktiver Mitarbeit und hält
statt dessen an der Perspektive der revolutionären Überwindung
des Kapitalverhältnisses fest.
Für
den Kommunismus!
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