Für
den 1. Mai 2002
haben NPD und "Freie
Kameradschaften" zu Aufmärschen in Berlin, Frankfurt/M,
Nürnberg, Dresden und -das ist Anlaß dieses Papieres-
auch nach Göttingen aufgerufen. Grund genug für uns die
Diskussionen um die Erfahrungen mit (versuchten) Naziaufmärschen
in Göttingen und mögliche Aktionsformen, zunächst
regionalpolitisch, wieder aufzunehmen. Wir haben unsere gruppeninternen
Diskussionen nach dem 16. Juni 2001 bisher nicht veröffentlicht:
Es war einiges los im Sommer/Herbst 2001 und zugegeben: Uns fehlte
auch die Motivation. Zum Thema hier nun ein Zusammenschnitt von
Rückblicken und Einschätzungen der Autonomen Antifa [M].
Faschistische
Aufmärsche
sind auf Grund
ihrer Durchsetzung durch den Polizeistaat in der Regel nicht zu
verhindern. Realistisch ist, den Preis für Naziaufmärsche
bei Staat und Faschisten in die Höhe zu treiben und entlang
der sich daran ergebenden Konflikte die Ausgangsbedingungen für
linksradikale Politik zu verbessern. In Göttingen hatten für
uns diese Grundüberlegungen die verschiedensten öffentlichen
Aktionsstrategien und Bündniskonstellationen zum Ergebnis:
Am 6.11.1999 eine gemeinsame Demo mit dem bürgerlichen Bündnis.
Am 29.1.2000 eine eigene Auftaktkundgebung und eine Demo im linksradikalen
Unibündnis zur gemeinsamen Abschlußkundgebung des Bürgerbündnisses,
hier drang eine vermummte Rednerin der Autonomen Antifa [M] in die
mediale Öffentlichkeit. Am 15.4.2000 eine linksradikale Bündnisdemo.
Am 15.7.2000 die kulturpolitische Initiative "fett gegen Nazis".
Am 20.4.2001 während des Antifakongresses 2001 "in der
Mittagspause Kontakt aufnehmen".
Eine Beteiligung an den
bürgerlichen Antifabündnissen unter Leitung des DGB war
und bleibt für uns zweifelhaft. Richtig, um die eigene Politik
zu vermitteln und den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Falsch,
weil die radikale Linke hier schlechtesten Falls zum Schmiermittel
für einen reibungslos laufenden Standort Deutschland verkommt.
Jeder radikal kritische und emanzipatorische Gehalt kann im Bündnis
für ein besseres Deutschland mit DGB, Grünen und Sozialdemokratie
untergehen. Diesem Vorwurf muß sich die Antifabewegung der
90er Jahre latent stellen, spätestens seit dem Antifasommer
2000 hilft da kein Achselzucken. Inhaltlich sind wir im vergangenen
Jahr dieser Problemstellung begegnet, indem wir unter der Parole
"fight racism. smash capitalism" verschiedene Spielarten
von völkischem- und Verwertungsrassismus als verbindende Ideologie
zwischen Neonazis und gesellschaftlicher Mitte ins Zentrum unserer
Kritik gerückt haben. Um diese Stoßrichtung mit praktischer
Politik zu untermauern, hat sich eine gekoppelte Mobilisierung gegen
den Besuch des bayrischen CSU-Innenministers Günther Beckstein
am 30. Mai und gegen den Naziaufmarsch am 16. Juni angeboten.
Hoch
gepokert
haben wir vor
dem Hintergrund unserer oben skizzierten politischen Analyse, am
16. Juni 2001 der radikalen Linken einen eigenständigen Ausdruck
zu verschaffen: Eine unabhängig vom bürgerlichen Bündnis
frühzeitig auf dem Unicampus beginnende Demo, mit dem erklärten
Ziel, sich in Richtung der Nazis zu bewegen. Hier ist niemand unwissentlich
"verheizt", kein anderes Konzept behindert worden. Die
Alternative war und bleibt auch in Zukunft einen Großteil
des hier mobilisierten Spektrums politisch aufzugeben und dem liberalen
Bürgertum zu überlassen. Dass es gelungen ist, an dieser
Frage das politische Kräfteverhältnis in Göttingen
zu dokumentieren, bewerten wir als einen Erfolg des Tages.
Die Mehrzahl der 2.000 Menschen auf dem Unicampus hätten sich
nicht in Kleingruppen organisiert und an einer Autobahnraststätte
den Nazis aufgelauert. Wer das will und dazu in der Lage ist, der
konnte und kann das tun. Mit der/dem stehen wir nicht im Widerspruch,
sondern für die/den haben wir wie ein Magnet die Bullen angezogen
und für diese Art militanten Antifaschismus bieten wir uns
medial als politischer Ausdruck an. Wenn, wie bei jedem alltäglichen
Kleinstadtnaziaufmarsch üblich, in Göttingen die Nazis
weder nennenswerten Personen- noch Sachschaden zu beklagen hatten,
fragen wir uns -auch für die Zukunft- was hier das zum Teil
großspurige Gerede von dezentralen Konzepten und Strukturen
sollte. Außer Selbstdarstellung nichts gewesen. Wir haben
politisch nachvollziehbar Verantwortung übernommen.
Tief gefallen sind wir auf Grund unserer offensichtlichen Fehleinschätzung
bezüglich der Eskalationsbereitschaft der Polizeiführung.
Die Demonstration wurde noch auf der angemeldeten und genehmigten
Route auf der Berliner Straße angegriffen und eingekesselt;
buchstäblich zerschlagen. Dem hatten wir nichts entgegenzusetzen.
Das Problem besteht dabei nicht darin, dass es nicht tatsächlich
gelungen ist zwei, drei, viele Polizeisperren zu durchbrechen, um
dann vor den gesellschaftlichen Randakteuren der NPD zu stehen.
Ähnlich wie der innige Wunsch von GlobalisierungskritikerInnen
etwa "die Absperrungen einer roten Zonen zu überwinden,
um dann..." hinterlässt diese Perspektive Fragezeichen
bei der militärischen Unmöglichkeit in Deutschland/2001
und der personalisierten Analyse von Gesellschaft, die bestenfalls
reformistisch intervenierende Folgen haben kann. Uns geht es darum
in der Konfrontation mit dem Staat gesellschaftliche Konflikte zuzuspitzen
und offen erkennbar zu machen, Bewußtsein zu schaffen anstatt
es zu verschütten; zu polarisieren und bei den Einzelnen die
Notwendigkeit und Möglichkeit zur Positionierung, den radikalen
Bruch mit den Verhältnissen zu provozieren. Das ist uns am
16. Juni 2001 nicht gelungen. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern
der Demo wurde die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens schmerzhaft
vor Augen geführt. Die Konsequenz des Vormittags hieß
Rückzug und nicht "es lohnt sich zu kämpfen".
Darin liegt unser politisches Scheitern am 16. Juni 2001. Darum
werden wir ein solches Konzept so nicht wiederholen.
Winner
No.1
waren damit
Polizei und Ordnungsbehörden. Hüter der Ordnung, einer
jeden Führung zu Diensten, hier: Der repressive Flügel
des rot/grünen Projektes. Ausdrückliches Anliegen von
Polizeichef Friedrich Niehörster, Oberstaatsanwalt Hans-Hugo
Heimgärtner und Oberbürgermeister Jürgen Danielowski,
Seite an Seite in der Einsatzleitstelle anwesend, war es eine Konfrontation
zwischen "linken und rechten Extremisten zu verhindern"
und "einen geordneten Ablauf der verschiedenen Veranstaltungen
zu gewährleisten". Das ist ihnen gelungen. Jeder Gedanke
an Widerstand, der sich außerhalb der ausdrücklich erwünschten
Zivilcourage bewegte, wurde im Ansatz unterbunden. Die dafür
notwendig erachtete Staatsgewalt, musste sich im nach hinein keiner
bedeutenden Kritik unterwerfen.
Das
solidarische Verhalten
einer Mehrheit
der 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bürgerlichen Kundgebung
am Bahnhofsvorplatz hat dazu geführt, körperlich und juristisch
Schlimmeres zu verhindern. Bereitgestellte Wasserwerfer wurden wieder
vom Polizeikessel auf der Berliner Straße abgezogen, der Lautsprecherwagen
des linksradikalen Antifabündnisses nicht beschlagnahmt, die
Festnahmen durch Greiftrupps eingestellt und der Polizeikessel schließlich
geöffnet. Politisch wurde hier allerdings gewaltsam das durchgesetzt,
was im Vorfeld vom linksradikalen Antifabündnis und den 2.000
Antifaschistinnen und Antifaschisten der "Campusdemo"
verweigert wurde: Das Einreihen in die Zivilgesellschaft. Weder
die Uhrzeit, noch die tatsächlichen Polizeiabsperrungen hielten
die Mehrzahl der Portestierenden jetzt davon ab, auf die Westseite
der Stadt "zu den Nazis durchzusickern". Offenbar waren
jedoch viele dermaßen erleichtert noch einmal mit einem blauen
Auge davongekommen zu sein, dass sie das Angebot sich doch noch
in den Umzug der Zivilgesellschaft, weg von den Nazis (und der Konfrontationen
mit der Staatsgewalt) zur Stadthalle zu ziehen, angenommen haben.
In dieser symbolhaften Geste konstituierten sich die Gewinner No.
2 des Tages: Das bürgerliche Antifabündnis in der Rolle
des besseren Deutschlands, der Zivilgesellschaft, des liberalen
Flügels des rot/grünen Projektes.
Looser
of the day
blieben die
Nazis. Kaum 500 wackere Kameraden wagten sich nach Göttingen,
um schon nach wenigen hundert Metern den Kniefall vor einer antifaschistischen
Sitzblockade am Hagenweg zu üben. Die Polizei griff diesen
Fingerzeig couragierter Antifaschistinnen und Antifaschisten auf,
um die ungeliebten Nazis vorzeitig nach Hause zu geleiten. Als ein
NPD-Kreisverband einmal eine "rote Hochburg" einnehmen
wollte, mußte dieser feststellen, dass das im eigenen Lager
nur wenige vom Hocker riss und nur unter enormen Polizeischutz möglich
war. Das reale Kräfteverhältnis "auf der Straße"
bleibt in Göttingen nach dem 16. Juni 2001 ebenso eindeutig
zu Ungunsten der Nazis fest geschrieben, wie ihre gesellschaftliche
Bedeutungslosigkeit.
In einer Presseerklärung
zu den Ereignissen des Tages schrieben wir am 16.6.2001: "Die
Faschisten haben heute höchstens einen Fuß in die Tür
bekommen. Wir werden auch zukünftig dafür sorgen, dass
ihnen diese Tür gehörig vor den Kopf knallt." Dem
bleibt nichts hinzuzufügen.
Autonome
Antifa [M]
im Februar 2002
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