WOLGANG GRAMS ERMORDET!
Am
Sonntag, 27. Juni 1993, wurde der in der RAF organisierte Wolfgang
Grams im mecklenburgischen Bad Kleinen von den Beamten der Grenzschutzgruppe
9 (GSG9) ermordet. Birgit Hogefeld wurde festgenommen und am Montag
dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe vorgeführt.
Ihr wird neben "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung"
versuchter Mord an dem ehemaligen Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums
und heutigem Vize-Chef der Bundesbank, Hans Tietmeyer, vorgeworfen.
DIE STAATSSCHUTZAKTION
Mittlerweile ist klar, daß Wolfgang Grams von
Beamten der GSG9 hingerichtet wurde. In der eidesstattlichen Erklärung
einer Augenzeugin, die die Vorgänge auf dem Bahnhofsgelände
in Bad Kleinen mitverfolgt hatte, heißt es: "Der Mann
(gemeint ist Wolfgang Grams) lag reglos auf dem Gleis...ich dachte
schon, der Grams sei tot. Dann traten zwei Beamte an den reglos
daliegenden Grams heran. Der eine Beamte bückte sich und schoß
aus nächster Nähe mehrmals auf Grams. Dabei sah der schon
wie tot aus. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoß aus
nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Kopf des Grams entfernt"
(Monitor, 1. Juli 1993). Diese Aussage deckt sich mit dem Obduktionsergebnis,
das ergab, daß Wolfgang Grams durch einen aufgesetzten Kopfschuß
oder durch einen Schuß aus unmittelbarer Nähe in die
rechte Schläfe getötet worden ist. Wolfgang Grams Eltern
haben daraufhin Anzeige wegen Mordes erstattet. Seit Samstag, 3.
Juli 1993, schließt die Staatsanwaltschaft Schwerin einen
Selbstmord von Wolfgang Grams aus und ermittelt gegen die an der
Aktion beteiligten Beamten. Dem "Spiegel" (S.Juli 1993)
hatte ein selbst an der Aktion beteiligter Beamter erklärt,
daß Wolfgang Grams von einem GSG9-Bullen "regelrecht
hingerichtet" worden sei. Er habe sich auf Wolfgang Grams gekniet
und obwohl er keine
Gegenwehr mehr geleistet habe, sei nach "etwa zwanzig Sekunden
aus einer Entfernung von maximal fünf Zentimetern gefeuert"
worden. Die Polizeiaktion, an der neben der GSG9 noch Beamte eines
Mobilen Einsatzkommandos (MEK) des Bundeskriminalamts (BKA) beteiligt
waren, hat Passantinnen schwer gefährdet. Ein anderer Polizist
und eine unbeteiligte Bahnbeamtin erlitten ebenfalls Schußverletzungen
(HNA, 28. Juni 1993). Ein GSG9'ler wurde ebenfalls getötet
- laut Generalbundesanwalt (GBA) Alexander von Stahl durch eine
Kugel, die wie ein "Dum-Dum-Geschoß" gewirkt hat.
Sie war wahrscheinlich ein Querschläger von schießwütigen
Kollegen. Höchstwahrscheinlich sagte der ehemalige Bundesinnenminister
Seiters auf der Beerdigung des GSG9'lers nur einmal die Wahrheit:
Dieser sei "ein Opfer roher Gewalt geworden".
Den Charakter der Festnahme beschreibt Birgit Hogefeld in einem
Brief: "Ich schau' in den Lauf einer Pistole und liege auf
der Erde. Ich werde dann von zwei bis drei Typen mit Waffen in Schach
gehalten, und mir war klar, daß ich keine falsche Bewegung
machen darf, wenn ich am Leben bleiben will [...] einer z. B. lief
dann zu mir, hob meinen Kopf hoch und haute mir ins Gesicht."
(taz, 2. Juli 1993)
Sie haben politischen Mord an ihm begangen, weil er gegen das Unrecht
aufgestanden ist, für das sie verantwortlich sind: An Flüchtlingen,
Frauen, Obdachlosen, Gefangenen, in Kurdistan, in der "Dritten
Welt",...Wolfgang Grams war ein Genosse in den Kämpfen
um Befreiung.
GLAUBT DEN LÜGEN DER MÖRDER NICHT!
Über eine Woche nach dem Mord an Wolfgang
Grams deckt noch immer der oberste Ankläger des Rechtsstaates
BRD, der GBA von Stahl, einen Mord. Durch eine Mischung aus Nachrichtensperre
und Falschinformationen ist versucht worden, den politischen Mord
an Wolfgang Grams zu vertuschen. Zunächst hieß es, Birgit
Hogefeld und Wolfgang Grams seien aus einer Gastwirtschaft in der
Nähe des Bahnhofs gekommen und sie habe beim Anblick der GSG9
sofort das Feuer eröffnet. Diese erste Version der Wirklichkeit
war 42 Stunden aktuell - von Sonntag 19.05 Uhr bis Dienstag 13.43
Uhr. Dann hieß es, Wolfgang Grams hätte versucht, sich
den Weg freizuschießen und dabei einen Beamten tödlich
verletzt, weshalb es verständlich sei, daß die GSG9 auch
Wolfgang Grams erschossen habe. Bis jetzt gibt es noch keinen Beweis
dafür, daß er überhaupt einen Schuß abgegeben
hat. Aus der Lüge, die beiden hätten versucht, sich ihrer
Verhaftung "durch Schußwaffengebrauch zu entziehen"
wurde geschlußfolgert, beide gehören der "RAF-Kommandoebene"
an (FR, 29. Juni 1993) - (die sogenannte Kommandoebene ist eine
Erfindung von Juristen, um Mitglieder derselben für Delikte
aburteilen zu können, ohne daß eine konkrete persönliche
Beteiligung bewiesen werden muß).
Aus zwanzig am Einsatz beteiligten Beamten wurden fünf Tage
später bereits 54.
DIE HAUSDURCHSUCHUNGEN
Am Montag, 28. Juni 1993,
einen Tag nach dem Mord an Wolfgang Grams, wurden in Frankfurt am
Main ab 4.00 Uhr morgens mindestens vier Wohnungen durch SEK-Einheiten
durchsucht. Der Staatsschutz sprach dabei von einer bundesweit stattfindenden,
von Bundesanwaltschaft (BAW) und BKA geleiteten Aktion. Begründet
wurde der Einsatz damit, daß die Betroffenen "doch sicherlich
Nachrichten gehört hätten" und die Beamten auf der
Suche nach "flüchtigen Straftätern" wären.
Betroffen von den Durchsuchungen waren unter anderem ehemalige Gefangene
aus der RAF und Mitglieder der Gruppe "Kein Friede mit den
Banken". Fast überall wurden die Türen aufgebrochen,
zum Teil sogar mit Plastiksprengstoff, die Wohnungen mit gezogenen
Knarren gestürmt. Zumindest in einer Wohnung wurden den Angetroffenen
Handschellen angelegt und Kapuzen über den Kopf gezogen bzw.
die Köpfe mit Hemden eingewickelt, damit sie nichts sehen konnten.
In SA-Manier stürmten vermummte SEK'ler die Wohnung einer ausländischen
Frau "aus Versehen", sie hatten sich scheinbar in der
Tür geirrt.
Dem Staatsschutz ging es offensichtlich um "Personenfeststellung",
da die Wohnungen kaum nach sonstigen Sachen durchsucht worden sind.
Nach Einschätzung der Genossinnen aus Frankfurt handelte es
sich bei den Durchsuchungen
um ein gezieltes psychologisches Terrormittel zur Einschüchterung
der Leute, um einer Solidaritätsarbeit zuvorzukommen und um
zu beweisen, wer in diesem Land nach wie vor das Sagen hat. Und
daß die, die es wagen, hier Widerstand zu leisten, jederzeit
damit rechnen müssen, auf die eine oder andere Weise vom Staat
bekämpft zu werden. In Wiesbaden wurden vier Wohnungen durchsucht
und die Personalien der anwesenden Leute festgestellt.
Auch in Dortmund war der Staatsapparat aktiv. Auf der A44 wurde
ein Autofahrer durch eine absichtlich herbeigeführte Kollision
gestoppt und erlitt dabei so schwere Verletzungen, daß er
ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Sieben Menschen
wurden verhaftet und stundenlang ohne Kontakt zu Anwälten in
Einzelhaft gehalten (taz, 2. Juli 1993).
DEUTSCHE
POLIZISTEN - MÖRDER UND FASCHISTEN
Die Ermordung von Wolfgang Grams durch die Polizei
war beileibe kein "ungeheuerlicher Einzelfall in der Geschichte
der BRD", wie vielerorts zu lesen war. Seit Bestehen der BRD
sind in diesem Land Genossinen und Genossen durch den Staatsschutz
getötet worden. Wir möchten an dieser Stelle an die Genossinnen
und Genossen erinnern, die einer gezielten Exekution zum Opfer fielen:
Petra Schelm, Hamburg, 15. Juli 1971; Georg von Rauch, Berlin, 4.
Dezember 1971; Thomas Weißbecker, Augsburg, 2. März 1972;
Ulrich Wessel, Stockholm, 25. April 1975; Philipp Werner Sauber,
Köln, 9. Mai 1975; Ulrike Meinhof, Stuttgart-Stammheim, 8.
Mai 1976; Wilfried Böse, 30. Juni 1976;
Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin, Stuttgart-Stammheim,
18. Oktober 1977; Willy-Peter Stoll, Düsseldorf, 6. November
1978;
Michael Knoll, Dortmund, 25. November 1978; Elisabeth van Dyck,
Nürnberg, 4. Mai 1979.
Die BRD ist direkt unter anderem an der Ausbildung türkischer
Sicherheitskräfte beteiligt. Das offizielle Programm der Bundesregierung
für diese Zwecke nennt sich "Ausstattungshilfe",
hinter der sich neben der direkten Ausbildung von Militär und
Polizei auch die Lieferung von Rüstungsgütern verbirgt.
Damit wird der Krieg gegen das kurdische Volk und die Bekämpfung
linker Kräfte erst ermöglicht. , Von einem Staat, der
faschistische Terror- und Folterregimes ideologisch und materiell
unterstützt, der sich in seiner Geschichte des mehr als dreißigfachen
Mordes an linker Opposition schuldig gemacht hat und der selbst
den Tod seiner eigenen Büttel in Kauf nimmt, ist nichts anderes
zu erwarten wie die Geschehnisse in Bad Kleinen.
LIZENZ
ZUM TÖTEN
Es ist mehr als zweifelhaft, daß die Hinrichtung von Wolfgang
Grams entgegen den Einsatzbefehlen erfolgte. Schon die Zeugenaussagen
machen deutlich, daß es sich bei der Bluttat nicht um einen
Affektakt gehandelt hat. Die GSG9 ist nach Informationen ihres langjährigen
Kommandeurs Ulrich Wegener "ein Spezialverband", der "hervorragend
ausgebildet, hoch mobil, überlegen und unkonventionell ausgestattet
für jede taktische Herausforderung eine Lösung parat hat".
Die Beamten unterliegen neben ihrer Kampfausbildung einem ausgefeilten
psychologischen Programm. Wegener beschreibt den Idealtyp eines
GSG9 Söldners als "überdurchschnittlich intelligent
und streßstabil". Schon beim Eignungstest steht dem praktischem
Teil ein "Psychologie/Theorie-Teil" gegenüber. Der
Truppe steht außerdem eine "geschulte Verhandlungsgruppe
Psychologen" Gewehr bei Fuß (U. Wegener in "Barett
o Internationales Militärmagazin", Januar 1993). Der Einsatz
selber stellte die GSG9 wohl kaum vor ernsthafte Probleme. Eine
Festnahme wie auf dem Bahnhof von Bad Kleinen ist eine reine Routineangelegenheit.
Trotzdem war im nachhinein allerorten von Einsatzpannen die Rede.
Das Bild, das über eine derartige Argumentation transportiert
wird, suggeriert, die GSG9 oder andere Spezialeinheiten würden
Unbeteiligten gegenüber verantwortungsbewußt handeln
und keine Risiken in Kauf nehmen. In den inzwischen knapp über
zwanzig Jahren ihres Bestehens hat die GSG9 eine Blutspur hinterlassen,
die auch vor Unbeteiligten nicht halt gemacht hat. Die Kommandeure
und Strategen der Spezialeinheit haben immer auf die militärische
Lösung gesetzt und die schließt Opfer unter der Zivilbevölkerung
mit ein.
Die Hinrichtung von Wolfgang Grams war nicht das Ergebnis mangelnder
psychologischer Belastbarkeit einzelner Beamter, sondern die an
diesem Fall offenkundig gewordene Kaltblütigkeit ist strategischer
Bestandteil der sogenannten Anti-Terror-Einheiten. Nicht umsonst
bezeichnet Wegener allein das Vorhandensein und den Ruf der GSG9
als "abschreckend gegenüber terroristischen Aktivitäten."
Wenn jetzt aus Kreisen bürgerlicher Opposition und Teilen der
Regierungsparteien politische Konsequenzen eingefordert werden,
so richtet sich die Kritik ausschließlich gegen die politischen
Repräsentanten des Apparates. Ihr einziger Fehler war, daß
sie sich und den blutigen Polizeieinsatz lediglich schlecht verkaufen
konnten. Doch mit dem Austausch der Spitze wird der Rest des polizeistaatlichen
Eisberges nicht abtauen.
Eine vorläufige, spürbare Veränderung wäre ein
Abbau des Polizeiapparates selbst, also die Auflösung aller
Spezial- und Sonderkommandos der Polizei.
DIE "UNABHÄNGIGKEIT" DER
BRD
Wir müssen feststellen, daß dieser Staat
unabhängig von politischen Rahmenbedingungen an der Vernichtung
revolutionärer Opposition festhält. "Unabhängig"
vom Einschnitt der RAF in ihrer Geschichte mit ihrer Erklärung
vom April letzten Jahres, die Eskalation im Verhältnis zum
Staat zurückzunehmen, werden die vernichtenden Haftbedingungen
weiter angewendet, werden die Haftstrafen mit immer neuen Prozessen
noch weiter hochgetrieben, um die Gefangenen bis zu ihrem Tod im
Knast zu begraben. Die RAF hatte eine Antwort des Staates erwartet.
Die Hinrichtung von Wolfgang Grams gab eine unmißverständliche
Antwort.
Am 24. Mai dieses Jahres begann in Stammheim der "Kronzeugenprozeß"
gegen Ingrid Jakobsmeier, einer Gefangenen aus der RAF. Gegen Christian
Klar, ebenfalls Gefangener aus der RAF, wurde bereits nach gleichem
Muster im Herbst 1992 prozessiert. Er ist mittlerweile zu sechs
Mal lebenslänglich plus fünfzehn Jahre verurteilt. Weitere
Prozesse gegen Gefangene aus der RAF sollen nach dem Willen der
BAW folgen: gegen Heidi Schulz, Eva Haule, Rolf-Clemens Wagner.
Welchen Sinn diese neuen Verfahren machen, an deren Ende jedes Mal
ein "Lebenslänglich" stehen könnte, formulierte
GBA von Stahl in Bezug auf Christian Klar wie folgt: "Mit dem
Urteil ist sichergestellt, daß Christian Klar nicht nach fünfzehn
Jahren aus der Haft entlassen werden kann". Isolationshaft,
international als weiße Folter geächtet, erwartet nun
auch Birgit Hogefeld. Sie schreibt: "Nach dem Telefonat (mit
ihrer Mutter) hat der Bundesanwalt damit angefangen, daß mir
wohl klar sei, daß es für mich keine Hoffnung gäbe,
jemals wieder ein Leben in Freiheit zu führen, wenn ich nicht
mit ihnen zusammenarbeite".
"Unabhängig" von einem sich organisierenden (Neo-)Faschismus,
von dutzendfachen faschistischen Morden, kriminalisiert der Staat
Antifaschistinnen und Antifaschisten. Seit Jahren laufen auch in
Göttingen Ermittlungen nach § 129a gegen den Autonomen
Antifaschismus. "Unabhängig" von einer demokratischen
Fassade, exekutiert die GSG9 auf einem belebten Bahnhof vor vielen
Zeugen Wolfgang Grams. Dies ist kein Aufruf, die Flinte ob der scheinbar
vergeblichen Bemühungen, hier etwas zu verändern, ins
Korn zu werfen. Im Gegenteil. Die, die weiterhin Widerstand leisten,
sind aufgerufen, sich untereinander solidarisch zu verhalten, auch
wenn unterschiedliche Wege beschritten werden. Revolutionärer
Widerstand wird an dem Punkt stark, wo sich die unterschiedlichen
Kämpfe in ein und denselben Zusammenhang stellen, wo sich dem
imperialistischen System offensiv und organisiert entgegengestellt
wird.
BUNDESWEITE DEMO IN WIESBADEN
Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams kommen beide aus
Wiesbaden und haben dort viele Jahre politisch gearbeitet. Wolfgang
Grams war in den 70er Jahren in der "Roten Hilfe" tätig,
hat während verschiedener Hungerstreiks für die Forderungen
der politischen Gefangenen gekämpft, hat Demos gegen die NATO-Politik
mitorganisiert. Er war für uns ein Genosse im "Karr"
gegen die Verbrechen des Imperialismus. Wir rufen daher dazu auf,
am. Samstag in Wiesbaden zu demonstrieren.
o GEMEINSAM DEN KAMPF UM BEFREIUNG ORGANISIEREN
o SOFORTIGE AUFLÖSUNG DER GSG9
o ABSCHAFFUNG ALLER SONDEREINHEITEN DER POLIZEI
o FREIHEIT FÜR ALLE GEFANGENEN AUS RAF, WIDERSTAND UND ANTIFA
AUTONOME ANTIFA (M) 5. Juli 1993
Samstag,
10. Juli 1993, um 11 Uhr, Luisenplatz, Wiesbaden
Bundesweite Demonstration
Kundgebung in Bad Kleinen, Bahnhof, 11, Juli 1993,15.00 Uhr
INFORMATIONEN
ZUR BUNDESWEITEN DEMONSTRATION:
DONNERSTAG, 8. JULI 1993, 30 UHR, GRÜNES ZENTRUM, GEISTSTR.
1, 37073 GÖTTINGEN
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