Vor bald 10 Jahren,
am 27. Juni 1993 kam es im Bahnhof des kleinen Örtchens Bad Kleinen
in der Nähe von Schwerin zu einer Staatsschutzaktion gegen Strukturen
der Roten Armee Fraktion (RAF), in deren Verlauf Birgit Hogefeld festgenommen
und Wolfgang Grams erschossen wurde. Nach den Schüssen und der Festnahme
wurde publik, dass der V-Mann Klaus Steinmetz die beiden in die Falle
von Bad Kleinen gelockt hatte - ein pikanter Umstand sowohl für die
RAF wie auch für linksradikale Strukturen. Doch auch für den
Staatsapparat führte Bad Kleinen in eine politische Krise: Die Nachrichtensperre
und Desinformation der Öffentlichkeit wurde zu offensichtlich betrieben
und die ständig neuen, stark widersprüchlichen Versionen über
den Tod und den Ablauf der Erschießung des RAF-Militanten und des
GSG 9 Beamten Newrzella trugen ihr weiteres dazu bei, dass sich in Teilen
der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigte, dass Wolfgang Grams
von der GSG 9 geradezu hingerichtet worden war.
Die Vorbereitung der Staatsschutzaktion
Dem Einsatz in Bad Kleinen gingen bereits ein Treffen von Birgit Hogefeld
mit dem V-Mann Klaus Steinmetz voraus, die sich dann für Ende Juni
in Bad Kleinen zu einem erneuten Treffen verabredeten. Spätestens
seit diesem Zeitpunkt begannen die Vorbereitungen für die Festnahme
von Birgit, durchgeführt von der Koordinierungsgruppe Terrorismus
(KGT).
Als sich der Spitzel Steinmetz mit Birgit Hogefeld am 24. Juni 93 in Bad
Kleinen traf war der V-Mann mit einem "Personenschutzsender"
bestückt, über den einerseits sein Aufenthaltsort geortet werden
konnte und zudem die Polizei Gespräche zwischen ihm und Birgit Hogefeld
belauschen konnte. Die beiden fuhren zunächst mit dem Zug nach Wismar
in eine Ferienwohnung weiter, danach fuhren sie am 27. Juni wieder zurück
nach Bad Kleinen um sich dort mit Wolfgang Grams zu treffen. Die drei
trafen sich in einem Billardcafe im Bahnhof, und standen bereits dort
unter kompletter akustischer und optischer Observation durch das BKA und
eingesetzte GSG9 Beamte.
Aufgesetzter Kopfschuss als staatliche Antwort?!
Nach dem die beteiligten Einsatzstellen nun mehrere Monate lang Zeit hatten
einen Plan für die Festnahme auszuarbeiten, sollte der "Zugriff"
der GSG 9 offenbar in der Bahnunterführung zu den Gleisen stattfinden,
bzw. auf dem Gleis 3-4. In der Unterführung erfolgt dann auch der
Zugriff: Birgit Hogefeld wurde überwältigt und festgenommen,
während Wolfgang Grams den einzigen freien Fluchtweg nahm - auf das
Gleis 3-4. Die GSG9 verfolgte dem flüchtenden Wolfgang Grams und
die ersten Schüsse fielen. Der RAF-Militante schoss nach Erreichen
des Gleises 3-4 zurück, bevor er getroffen und bewegungslos auf den
Gleisen liegen blieb. Innerhalb weniger Sekunden setzte die GSG9 nach.
Eine Augenzeugin beschrieb die nun folgenden Sekunden so:
"Der Mann [gemeint ist Wolfgang Grams] lag reglos auf dem Gleis
ich
dachte schon der Grams sei tot. Dann traten 2 Beamte an den regungslos
daliegenden Grams heran. Der eine Beamte bückte sich und schoß
aus nächster Nähe mehrmals auf Grams. Dabei sah der schon wie
tot aus. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoss aus nächster Nähe,
wenige Zentimeter von Grams Kopf entfernt."
Auch ein offenbar am Einsatz beteiligter Beamter, der anonym im Spiegel
beschrieb was sich zugetragen hatte, stützte deutlich diese Aussage:
"Nach ewig langen 20 Sekunden ist dann der tödliche Schuss gefallen.
Ein Kollege der GSG9 hat aus einer Entfernung von maximal 5 cm gefeuert."
Desinformation
und Verdunkelung
In der folgenden Zeit nach den Todesschüssen kam es zu einer bemerkenswerten
Kette von Falschinformationen, Widersprüchen und geradezu unglaubwürdigen
"Pannen". Die Bundesanwaltschaft verhängte sofort eine
Nachrichtensperre und gab in ihren ersten Presseerklärungen absurd
falsche Meldungen heraus. Auch das BKA beteiligte sich mssiv an der Vertuschung
der Geschehnisse in Bad Kleinen: Bei der Sicherung des Tatortes und der
Spuren wurden viele Beweise vernichtet: Wolfgang Grams Hände wurden
beispielsweise sofort gründlich gewaschen, seine Waffe direkt beschossen
ohne zuvor andere Untersuchungen durchzuführen, Spuren "wanderten"
im Verlauf der Untersuchungen oder wurden gar nicht erst gesichert - soviel
Dilettantismus will man der obersten deutschen Strafverfolgerbehörde
nun wahrlich nicht zugestehen - zumindest nicht ohne guten Grund: Sollten
Spuren vernichtet werden, um eine Hinrichtung von Wolfgang Grams nicht
eindeutig eingestehen zu müssen?
So dauerte es dann auch gute 8 Monate bis ein mit Widersprüchlichkeiten
gespickter Abschlußbericht zu Bad Kleinen vorlag. Dieser liest sich
an den entscheidenden Stellen dann auch wie gewohnt bei "Terroristen"
und "Terroristinnen": Todesursache Selbstmord.Eine
Redaktionsgruppe Jitarra kommentierte dies 1994 wie folgt: "
"Bad
Kleinen" ist gerade nicht die Summe der Lügen und Betrüge,
sondern ihre bewusste und gezielte Addition."
10 Jahre später
steht die Linke an anderer Stelle. Der bewaffnete Kampf ist inzwischen
Geschichte, die Gefangenen aus der RAF sitzen jedoch immer noch im Knast
- auch Birgit Hogefeld geht ihrem 10-jährigen "Jubiläum"
entgegen.
Wenngleich zum 10. Todestag von Wolfgang Grams keine Medienkampagne wie
1997 zu den Toten in Stammheim zu erwarten ist, wird das Thema Grams/
bewaffneter Kampf aufgegriffen werden - die Linke sollte sich im Vorfeld
mit diesem Thema beschäftigen und diese Deutung nicht allein den
staatlichen Stellen überlassen, sondern offensiv die eigene Sicht
auf die Ereignisse in Bad Kleinen einbringen um das Thema auf die politische
Agenda zu setzen. Die Abwicklung des bewaffneten Kampfes in der BRD als
der "Kampf von 6 gegen 60 Millionen" und die Betrachtung der
Militanten als durchgeknallte idealistische Spinner entsprach nie der
Realität. In diesem Kontext ist ebenso die Frage nach der Freilassung
der Gefangenen aus der RAF aus den Knästen virulent. Viele Gefangene
sind längst Haftunfähig und sitzen nach wie vor unter Sonderhaftbedingungen
ein, ihre Freilassung ist mehr als überfällig.
März 2003, Autonome Antifa [M]
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