Artikel in der RH-Sonderbeilage in der Jungen Welt zum 18. März

Vor bald 10 Jahren, am 27. Juni 1993 kam es im Bahnhof des kleinen Örtchens Bad Kleinen in der Nähe von Schwerin zu einer Staatsschutzaktion gegen Strukturen der Roten Armee Fraktion (RAF), in deren Verlauf Birgit Hogefeld festgenommen und Wolfgang Grams erschossen wurde. Nach den Schüssen und der Festnahme wurde publik, dass der V-Mann Klaus Steinmetz die beiden in die Falle von Bad Kleinen gelockt hatte - ein pikanter Umstand sowohl für die RAF wie auch für linksradikale Strukturen. Doch auch für den Staatsapparat führte Bad Kleinen in eine politische Krise: Die Nachrichtensperre und Desinformation der Öffentlichkeit wurde zu offensichtlich betrieben und die ständig neuen, stark widersprüchlichen Versionen über den Tod und den Ablauf der Erschießung des RAF-Militanten und des GSG 9 Beamten Newrzella trugen ihr weiteres dazu bei, dass sich in Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigte, dass Wolfgang Grams von der GSG 9 geradezu hingerichtet worden war.

Die Vorbereitung der Staatsschutzaktion

Dem Einsatz in Bad Kleinen gingen bereits ein Treffen von Birgit Hogefeld mit dem V-Mann Klaus Steinmetz voraus, die sich dann für Ende Juni in Bad Kleinen zu einem erneuten Treffen verabredeten. Spätestens seit diesem Zeitpunkt begannen die Vorbereitungen für die Festnahme von Birgit, durchgeführt von der Koordinierungsgruppe Terrorismus (KGT).
Als sich der Spitzel Steinmetz mit Birgit Hogefeld am 24. Juni 93 in Bad Kleinen traf war der V-Mann mit einem "Personenschutzsender" bestückt, über den einerseits sein Aufenthaltsort geortet werden konnte und zudem die Polizei Gespräche zwischen ihm und Birgit Hogefeld belauschen konnte. Die beiden fuhren zunächst mit dem Zug nach Wismar in eine Ferienwohnung weiter, danach fuhren sie am 27. Juni wieder zurück nach Bad Kleinen um sich dort mit Wolfgang Grams zu treffen. Die drei trafen sich in einem Billardcafe im Bahnhof, und standen bereits dort unter kompletter akustischer und optischer Observation durch das BKA und eingesetzte GSG9 Beamte.

Aufgesetzter Kopfschuss als staatliche Antwort?!

Nach dem die beteiligten Einsatzstellen nun mehrere Monate lang Zeit hatten einen Plan für die Festnahme auszuarbeiten, sollte der "Zugriff" der GSG 9 offenbar in der Bahnunterführung zu den Gleisen stattfinden, bzw. auf dem Gleis 3-4. In der Unterführung erfolgt dann auch der Zugriff: Birgit Hogefeld wurde überwältigt und festgenommen, während Wolfgang Grams den einzigen freien Fluchtweg nahm - auf das Gleis 3-4. Die GSG9 verfolgte dem flüchtenden Wolfgang Grams und die ersten Schüsse fielen. Der RAF-Militante schoss nach Erreichen des Gleises 3-4 zurück, bevor er getroffen und bewegungslos auf den Gleisen liegen blieb. Innerhalb weniger Sekunden setzte die GSG9 nach. Eine Augenzeugin beschrieb die nun folgenden Sekunden so:
"Der Mann [gemeint ist Wolfgang Grams] lag reglos auf dem Gleis…ich dachte schon der Grams sei tot. Dann traten 2 Beamte an den regungslos daliegenden Grams heran. Der eine Beamte bückte sich und schoß aus nächster Nähe mehrmals auf Grams. Dabei sah der schon wie tot aus. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoss aus nächster Nähe, wenige Zentimeter von Grams Kopf entfernt."
Auch ein offenbar am Einsatz beteiligter Beamter, der anonym im Spiegel beschrieb was sich zugetragen hatte, stützte deutlich diese Aussage:
"Nach ewig langen 20 Sekunden ist dann der tödliche Schuss gefallen. Ein Kollege der GSG9 hat aus einer Entfernung von maximal 5 cm gefeuert."

Desinformation und Verdunkelung
In der folgenden Zeit nach den Todesschüssen kam es zu einer bemerkenswerten Kette von Falschinformationen, Widersprüchen und geradezu unglaubwürdigen "Pannen". Die Bundesanwaltschaft verhängte sofort eine Nachrichtensperre und gab in ihren ersten Presseerklärungen absurd falsche Meldungen heraus. Auch das BKA beteiligte sich mssiv an der Vertuschung der Geschehnisse in Bad Kleinen: Bei der Sicherung des Tatortes und der Spuren wurden viele Beweise vernichtet: Wolfgang Grams Hände wurden beispielsweise sofort gründlich gewaschen, seine Waffe direkt beschossen ohne zuvor andere Untersuchungen durchzuführen, Spuren "wanderten" im Verlauf der Untersuchungen oder wurden gar nicht erst gesichert - soviel Dilettantismus will man der obersten deutschen Strafverfolgerbehörde nun wahrlich nicht zugestehen - zumindest nicht ohne guten Grund: Sollten Spuren vernichtet werden, um eine Hinrichtung von Wolfgang Grams nicht eindeutig eingestehen zu müssen?
So dauerte es dann auch gute 8 Monate bis ein mit Widersprüchlichkeiten gespickter Abschlußbericht zu Bad Kleinen vorlag. Dieser liest sich an den entscheidenden Stellen dann auch wie gewohnt bei "Terroristen" und "Terroristinnen": Todesursache Selbstmord.
Eine Redaktionsgruppe Jitarra kommentierte dies 1994 wie folgt: "…"Bad Kleinen" ist gerade nicht die Summe der Lügen und Betrüge, sondern ihre bewusste und gezielte Addition."

10 Jahre später…
…steht die Linke an anderer Stelle. Der bewaffnete Kampf ist inzwischen Geschichte, die Gefangenen aus der RAF sitzen jedoch immer noch im Knast - auch Birgit Hogefeld geht ihrem 10-jährigen "Jubiläum" entgegen.
Wenngleich zum 10. Todestag von Wolfgang Grams keine Medienkampagne wie 1997 zu den Toten in Stammheim zu erwarten ist, wird das Thema Grams/ bewaffneter Kampf aufgegriffen werden - die Linke sollte sich im Vorfeld mit diesem Thema beschäftigen und diese Deutung nicht allein den staatlichen Stellen überlassen, sondern offensiv die eigene Sicht auf die Ereignisse in Bad Kleinen einbringen um das Thema auf die politische Agenda zu setzen. Die Abwicklung des bewaffneten Kampfes in der BRD als der "Kampf von 6 gegen 60 Millionen" und die Betrachtung der Militanten als durchgeknallte idealistische Spinner entsprach nie der Realität. In diesem Kontext ist ebenso die Frage nach der Freilassung der Gefangenen aus der RAF aus den Knästen virulent. Viele Gefangene sind längst Haftunfähig und sitzen nach wie vor unter Sonderhaftbedingungen ein, ihre Freilassung ist mehr als überfällig.

März 2003, Autonome Antifa
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