ENTSICHERT - der Polizeistaat lädt nach...

Here we go...

AA/BO speaks to you: Längst schon hat die sogenannte "Innere Sicherheit" als innenpolitischer Propagandabegriff Einzug in die politische Auseinandersetzung und das politische Bewußtsein gehalten; Hochkonjunktur erfährt sie in diesem Jahr im Zusammenhang mit mehreren Landtagswahlen und der Bundestagswahl am 27. September.

Bundesinnenminister Manfred Kanther hat das Jahr 1998 zum "Sicherheitsjahr" erklärt.

Tagtäglich behauptet die herrschende Politik, die "Innere Sicherheit" sei in Gefahr Ohne Umschweife werden zugleich die Schuldigen präsentiert, "kriminelle Ausländerbanden", Flüchtlinge, "kriminelle Jugendliche", "aggressive Obdachlose" und überhaupt alle, die als nicht der Gesellschaft zugehörig erachtet werden. So wundert es nicht, daß der Ruf nach mehr Polizei und schärferen Gesetzen und die vermeintlich gestiegene Angst der Bevölkerung zu den Zahlen der Kriminalitätsstatistik in keinem Verhältnis stehen.

Das Konzept der "Inneren Sicherheit" mit all seinen Auswüchsen baut auf einer Unsicherheit auf die der Abriß des Sozialstaates mit sich bringt. Unsicherheit vor Arbeits- und Wohnungslosigkeit- Angst vor sozialem Abstieg und gesellschaftlicher Achtung, kurz: Angst vor dem Entzug jeglicher ökonomischer und sozialer Existenzgrundlagen Diese Unsicherheit können Politik und Wirtschaft niemandem nehmen, sehen sie sich doch aufgrund internationalen Konkurrenzdrucks gezwungen, zugunsten der Profitsteigerung zu deregulieren und sozialstaatliche Schutzmaßnahmen abzuschaffen Ein anderer Ausweg liegt außerhalb kapitalistischer Verwertungslogik und ist so für die herrschende Politik und Wirtschaft nicht denkbar Daher nutzen Politikerlnnen die Unsicherheit und kanalisieren sie, indem sie, den Blick von sich selbst abwendend, mit Hilfe der bürgerlichen Medien verschiedenste Bedrohungsszenarien entwickeln.

Einmal Angst geschaffen vor einer ominösen Kriminalität, lenkt der Staat den Blick wieder auf sich und setzt sich selbst als Sicherheitsgarant in Szene. Um als starker Staat agieren zu können, schafft er sich die nötigen polizeistaatlichen Instrumentarien, die ihm das Gros der Bevölkerung auch nicht verwehren will Schließlich geht es ja angeblich um die eigene Sicherheit Daß dabei auch der Eingriff in das sonst so heilige Grundgesetz hingenommen wird, verdeutlicht die Breite des gesellschaftlichen Konsens über eine Entwicklung hin zum autoritären Staat. Der Bundesrat hat den Großen Lauschangriff durch die Abschaffung des Grundrechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung legalisiert. Die Grund rechte, die ursprünglich besonders durch die Erfahrungen mit staatlicher Willkür im Nazi-Faschismus als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe eingeführt wurden, werden dabei in ihr Gegenteil pervertiert. Der Staat greift ein und gibt vor, BürgerInnen vor den Grundrechtseingriffen anderer (krimineller) BürgerInnen schützen zu wollen, verkauft also Grundrechtseingriff als Grundrechtsschutz.

Wie die "Innere Sicherheit" aussehen soll und gegen wen sie sich richtet. stellt Kanther mit Zustimmung aller Landesregierungen anhand seiner Pläne zur "Aktion Sicherheitsnetz" vor Nach New Yorker Vorbild soll die Polizei in Zusammenarbeit mit Bundesgrenzschutz und privaten Sicherheitsdiensten rigoros gegen Bettelnde, Junkies, Obdachlose, Ladendiebe und andere nicht in das Bild des Kantherschen Ordnungsmenschen Passende vorgehen. Keine Szenen seien zu dulden, " aus denen kriminelles Handeln erwächst", zum Beispiel ..Penner Randalierer brutales Skating, aggressives Betteln bis hin zu Graffiti". Die SPD steht dem in nichts nach und fordert ebenso "mehr Härte gegen Straftäter", allen voran Niedersachsens Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Gerhard Schröder der sich damit brüstet, AusländerInnen, die "das Gastrecht mißbrauchen" rauszuschmeißen, "und zwar schnell". Wird im Zusammenhang mit faschistischen Über griffen nach wie vor von "Einzeltätern" gesprochen, gibt es in der Debatte über kriminelle Strukturen hingegen nur noch "gefährliche Menschengruppen". "Die Polen sind Autoschieber die Schwarzafrikaner sind Drogendealer". Die Einteilung der an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschengruppen in eine Art "kriminelle Kaste" nutzt dabei der Konstruktion einer "Volksgemeinschaft" auf der anderen Seite, die all diejenigen ideologisch zusammen schweißen soll, die bisher noch nicht aus dem bürgerlichen Wohlstand herausgefallen sind.

Die Aufrüstung zum Polizeistaat ist bei all dem weder Selbstzweck, noch losgelöst Von aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen hin zu einem neoliberalen Staat, der lediglich dem Diktat des Marktes unterliegt. Hatte der Staat im Auftrag der "sozialen Marktwirtschaft" noch die Aufgabe, lenkend in die Wirtschaft einzugreifen und soziale Sicherungssysteme zu stellen, so sieht er sich heute gezwungen, im Sinne der maximalen Profitsteigerung zu deregulieren. Das bedeutet auf der einen Seite, der Wirtschaft freie Rand zu lassen und auf der anderen Seite Sicherungssysteme wieder abzuschaffen.

Die Folgen der Liberalisierung des Marktes und des Abrisses des Sozialstaates sind logische Konsequenz: Die Zahl der Erwerbs losen bricht Rekorde; Kürzungen der Arbeitslosen und Sozialhilfe, faktische Lohnkürzungen, Erhöhung der Mehrwertsteuer, höhere Eigenbeteiligung im Krankheitsfall etc. stellen die Menschen vor existentielle Probleme. Die sich kontinuierlich verschärfende soziale Misere erfordert einen Repressionsapparat, der gesellschaftliche Konflikte ruhigstellt und möglichen Widerstand gegen die herrschende Politik möglichst im Keim erstickt.

Obwohl der Ausbau und die gleichzeitig einschüchternde Zurschaustellung des Polizeistaates schon jetzt ein scheinbar ungekanntes Ausmaß erreicht hat, ist der Repressionsapparat ebensowenig neu wieder im Widerspruch zum demokratischen Sozialstaat steht. Von Beginn an standen Sozialstaat und Repression in einem dialektischem Verhältnis, beides diente der Absicherung der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Permanent konfrontiert mit den Staatsschutzorganen und ihrem Ausbau ist auch der linksradikale Widerstand. Schon längst ist der am 6. Februar 1998 verabschiedete Große Lauschangriff Praxis. Ohne richterliche Genehmigung eingesetzte verdeckte ErmittlerInnen. Wohnraumüberwachung en, Abhören von Telefonaten und Eingriffe in den Postverkehr sind keine Ausnahme, sondern Regel. Ebenfalls im Februar erklärte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Überwachung per Satellit ohne richterliche Genehmigung im Nachhinein als legal.

Durch Einschränkungen des Versammlungsrechts darf praktischer Widerstand, wenn überhaupt, nur in einem immer engeren Rahmen artikuliert werden. Allein die Behauptung, die "öffentliche Sicherheit und Ordnung" sei in Gefahr, reicht aus, um linksradikale Demonstrationen schon im Vorfeld zu verbieten. Exemplarisch für die polizeistaatliche Verfolgung des antifaschistischen Widerstands steht die Verhinderung einer im Oktober 1997 angekündigten Bündnisdemonstration gegen ein staatlich finanziertes Nazizentrum im thüringischen Saalfeld Einige hundert AntifaschistInnen wurden von der Polizei bis zu34 Stunden in Sammelunterkünften festgehalten.

Nicht zuletzt der aktuelle Angriff gegen die Antifaschistische Aktion Passau zeigt, daß dem Staat in der Bekämpfung des organisierten antifaschistischen Widerstands jede Konstruktion recht ist In einer koordinierten Razzia durchsuchten das Landeskriminalamt (LKA) Bayern und das Bundeskriminalamt (BKA) mit Unterstützung der jeweiligen Länderpolizeien am 12 Mai1998 bundesweit 36 Objekte Wie schon in dem ein gestellten Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) aus Göttingen wird erneut versucht, durch die Konstruktion einer "kriminellen Vereinigung" nach §129 organisierte antifaschistische Politik zu zerschlagen Die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) hat für das Jahr 1998 einen Schwerpunkt auf den Kampf gegen die "Innere Sicherheit" gelegt Im Zusammenhang mit der Kampagne .Zusammen kämpfen gegen die Sicherheit der Herrschenden!" fand bereits auf Initiative der Autonomen Antifa (M) in Göttingen am 21.Februar eine Agit-Prop-Aktion mit anschließender Demonstration statt mit dem Motto "Zusammen kämpfen gegen Polizei und Überwachungsstaat! Die ,Innere Sicherheit. erschüttern!" Ebenso Teil der Kampagne ist diese Broschüre. Sie soll einige wesentliche Aspekte des Sicherheitswahns beleuchten und einen Beitrag dazu leisten, die Politik der "Inneren Sicherheit" auch auf theoretischer Ebene anzugehen Zwar ist die linksradikale Bewegung immer staatlichen Angriffen ausgesetzt und somit der Schutz gegen Repression Teil der politischen Arbeit, der Ausbau des Polizeistaates aber reiht sich ein in eine allgemeine reaktionäre Umstrukturierung der Gesellschaft auf allen Ebenen Der Staat braucht für die Bekämpfung der antifaschistischen Bewegung weder ausgebaute Polizeiarmeen noch neue Gesetze.

Es geht also um die Frage: ,,Innere Sicherheit" - Für wen, gegen wen?

Die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Polizeistaat reicht somit über die eigene Betroffenheit als antifaschistische Organisation hinaus.


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