Flugblatt von Mai 1998
Mit dem größten Kriminalisierungsversuch seit Jahren versucht der Staatsschutz erneut, gegen die antifaschistische Organisierung vorzugehen. Am 12. Mai 1998, um 6.00 Uhr morgens, durchsuchten das bayerische Landeskriminalamt (LKA) zusammen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und diversen Polizeibehörden der Länder zeitgleich insgesamt 36 Wohnungen und Gebäude. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft des Amtsgerichts München I wurden die Wohnungen von mindestens 28 AntifaschistInnen in Passau, München, Mühldorf, Nürnberg, Hamburg, Göttingen, Berlin und Bielefeld durchsucht. In Göttingen waren von der Staatschutzaktion neben zwei Privatwohnungen auch eine Druckerei und der Buchladen Rote Straße betroffen. Bei den bundesweit angelegten Razzien gingen die BeamtInnen zum Teil mit äußerster Härte vor: So stürmten z.B. in Berlin Sondereinsatzkommandos mit gezogener Waffe die Wohnungen, traten die Türen ein und verweigerten den Betroffenen einen Anwalt oder Vertrauenspersonen hinzuzuziehen. Bei den Durchsuchungen wurden neben Computern, Aufzeichnungen, Disketten, Handys usw. vor allem auch persönliche Briefe und Tagebücher beschlagnahmt.
Offizieller Hintergrund der staatlichen Ermittlungen gegen die AntifaschistInnen ist ein Verfahren wegen angeblicher "Bildung einer kriminellen Vereinigung" nach § 129 StGB. Grundlage soll die angebliche Beteiligung der Beschuldigten an über 100 Delikten seit 1993 im Raum Passau sein.
Der eigentliche Hintergrund der Ermittlungen ist jedoch der Versuch der Verfolgung und Zerstörung antifaschistischer Organisierungsansätze. Mittels des Gesinnungsparagraphen 129 soll erneut antifaschistische Politik kriminalisiert und damit entpolitisiert werden
Dies geht auch aus den Durchsuchungsbeschlüssen der Staatsanwaltschaft hervor. Demnach soll eine Gruppe von 39 Personen seit 1993 "innerhalb eines organisatorischen Rahmens", der "möglicherweise" mit der "Antifaschistischen Aktion" identisch sei, Straftaten verübt haben. Insgesamt 28 AntifaschistInnen werden bereits beschuldigt, innerhalb der "Antifa Passau" eine "kriminelle Vereinigung" gebildet zu haben. Die Durchsuchungen sollten zum Auffinden von "Beweisen" dienen, die z.B. den bloßen "Bezug zum antifaschistischen Spektrum" belegen sollen.
Im Visier der Staatsschützer steht dabei immer mehr die legal ausgerichtete Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), die seit 1992 versucht, die antifaschistische Bewegung bundesweit zu organisieren und handlungsfähiger zu machen. Besonders deutlich wird dies in der Begründung zur Durchsuchung des Buchladens Rote Straße. So behauptet die Staatsanwaltschaft München, die Autonome Antifa (M) Göttingen, die ihre Kontaktadresse im Buchladen hat, habe eine "federführende Rolle" in der AA/BO inne. Deshalb sei davon auszugehen, daß sie Unterlagen der antifaschistischen Organisation verwalten oder archivieren würde. Dabei sollten Informationen z.B. über den "strukturellen Aufbau, über Organisatorisches und Arbeitsteilung der AA/BO" beschafft werden. Gleichzeitig wird unterstellt, die "Rote Hilfe e.V., Ortsgruppe Passau" sei eine "Teilorganisation" der Antifaschistischen Aktion Passau, weshalb Mitgliedslisten der Roten Hilfe e. V. beschlagnahmt werden sollten. Neben diesen Begründungen lassen die von der Münchener Staatsanwaltschaft zitierten "Querverbindungen zu weiteren autonomen Spektren in anderen Städten" befürchten, daß im Rahmen des Sonderrechtsverfahrens bundesweit gegen organisierte antifaschistische Strukturen ermittelt wird.
Staatliche Anti-Antifa Politik - Ein Schwerpunkt: Passau
Die Ermittlungen wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" innerhalb der "Passauer Antifa" sind ein politisches Konstrukt, um die erfolgreiche Politik der Antifaschistischen Aktion Passau zu be- oder gar zu verhindern. In Passau gelang es, durch massive Öffentlichkeits-, Bündnis- und Jugendarbeit erfolgreiche antifaschistische Politik zu betreiben. So konnte in der erzkonservativen Provinzstadt organisierter Antifaschismus etabliert werden. Als Antwort darauf machten die bayerischen Staatsschutzbehörden Passauer AntifaschistInnen immer wieder zur Zielscheibe der staatlichen Repression. Die staatlichen Angriffe reichten dabei von Hausdurchsuchungen bis hin zu unzähligen Verfahren wegen Bagatelldelikten, wie z.B. dem Verkleben von Aufklebern.
Ein Angriff mit Fingerspitzengefühl
Die Staatsschutzaktion erscheint um so grotesker, als vor dem Hintergrund des erneuten Aufschwungs faschistischer Parteien und der Zunahme rechter Übergriffe die Notwendigkeit antifaschistischen Widerstandes noch offensichtlicher wird. Angesichts des Wahlerfolges der DVU in Sachsen-Anhalt betreibt der Staat aktive Anti-Antifa-Politik: Speziell in Passau machten die alljährlichen Demonstrationen gegen die Großveranstaltungen der faschistischen DVU den Hauptbestandteil der Politik aus. Zuletzt hatte die Antifaschistische Aktion Passau wie auch die AA/BO eine Demonstration gegen den NPD-Kongreß am 7. Februar in Passau organisiert. Der Widerstand gegen die derzeit aktivste faschistische Partei war eingebunden in den Protest einer breiten bürgerlichen Öffentlichkeit, die auch aktiv Gegenaktionen mitgestaltete. Die Verankerung antifaschistischen Widerstandes in der Gesellschaft ist dem Staat jedoch offensichtlich ein Dorn im Auge. Mit der Kriminalisierung sollen aktive AntifaschistInnen eingeschüchtert und in ihrer Arbeit behindert werden, gleichzeitig soll durch die Diffamierung der Politik als kriminelles Vergehen entpolitisiert und isoliert werden.
Staatsterrorismus stoppen - Antifaschistisch kämpfen!
Der § 129 wird seit seines Bestehens als eines der Hauptmittel zur Durchleuchtung und Kriminalisierung von linken und progressiven Menschen und Strukturen genutzt. Die umfangreichen „Ermittlungs"möglichkeiten wurden in Göttingen bereits im Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) in ihrem vollem Ausmaß deutlich. Mit dem § 129 ist es z.B. möglich Personen, Räume und Telefone legal zu überwachen. Andererseits können mit der Konstruktion eines Organisationsdeliktes begangene oder auch nur "bezweckte" Straftaten allen mutmaßlichen Mitgliedern zugeordnet werden, unabhängig von individueller "Schuld".
In Göttingen kam auch der große Bruder des §129, der § 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) zum Einsatz. Nicht nur in dem Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) war er Ausgangspunkt der Ermittlungen, auch im Mackenrode-Verfahren wurde zunächst nach § 129a ermittelt. Das Mackenrode-Verfahren hat jüngst wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie gerne Staatsschutz und Faschisten zusammenarbeiten, wenn es gegen den politischen Gegner, die Linke, geht. Mit dem Freispruch für die Angeklagten im Mackenrode-Prozeß ist es gelungen, diesen staatlichen Angriff noch einmal abzuwehren.
Die Abwehr des staatlichen Angriffs, die erfolgreiche Gegenwehr gegen den unbedingten Verfolgungswillen des bayerischen LKA´s und der Münchener Staatsanwaltschaft muß jetzt Ziel der Solidaritätsarbeit für die Passauer AntifaschistInnen sein. Nur durch einen breiten öffentlichen Druck und eindeutige Positionierung für die Kriminalisierten kann diesem Schlag gegen den organisierten Antifaschismus wirkungsvoll entgegengetreten werden.
Demonstration, Samstag, 16. Mai 1998, Marktplatz/Gänseliesel Göttingen