Farce Academy for Applied Applications: copyriot Come une Farce
 
 
Dirk Kretschmer
A New Mission For Emancipation
Notizen zur Social Science Fiction von Christoph Spehr

 
"To all in search of the truth within themselves as well as to all the human families on and off the planet." (RZA, Wu-Tang Clan)
 
Christoph Spehr, einigen sicherlich als Alaska-Redakteur bekannt, hat ein Buch mit dem für linke Publikationen ungewöhnlichen Titel Die Aliens sind unter uns! geschrieben. Für Science Fiction Fans liegt die Assoziation mit dem John Carpenter Film Sie leben (1988) auf der Hand, in dem Aliens unerkannt unter den Menschen leben und sie beherrschen. Der Untertitel Herrschaft und Befreiung im demokratischen Zeitalter deutet dagegen auf eine sozialwissenschaftliche Abhandlung hin. Und in der Tat handelt es sich bei dem etwa dreihundertseitigen Taschenbuch, das mittlerweile schon vor über einem Jahr bei Siedler erschienen ist, um beides: Eine politische Analyse, die sich Motive aus dem Popkosmos von TV-Serien wie Star Trek oder Akte X wie auch von Filmen wie The Matrix oder Star Wars aneignet. Ein SciFi-Roman, der eben das Carpenter-Motiv aufnimmt um das vergangene Jahrhundert neu zu erzählen und die Linke zur Weiterführung ihres Kampfes um Emanzipation auffordert.
 
Wer nun vorschnell abwinkt da das Display des Ideologie-Scanners "poplinker Blödsinn" anzeigt, sollte diesen getrost zur Seite legen, sich entspannt im Kinosessel zurücklehnen und sich auf diese Fusion aus (Social) Science und Fiction einlassen. Auch und gerade wenn es Ihre Überzeugung sein sollte, dass Science Fiction eins der cleversten Hollywood-Produkte zur massenhaften Vernebelung des Bewusstseins darstellt, kann ihnen dieses Buch vielleicht eine andere Lesart ermöglichen.
 
Andere wiederum könnten vermuten, dass die Social Science Fiction von Spehr, deren Erzählmodus scheinbar aus der Bourgeoisie Aliens und aus den Subalternen, den Beherrschten, Menschen macht, linksradikale Erzähltraditionen bedient. Und dies im schlechten, d.h. langweilenden Sinne: Klare Grenzen zwischen den Guten und den Bösen, also auch klare Identifikationsangebote an die geneigte Leserinnengemeinde. Und dann auch noch diese 'Menschelei' - Radicalus, Humanus, Amen. Mit dieser Vermutung im Hinterkopf habe auch ich einen Großteil meiner Lektüre zugebracht. Aber so einfach ist und macht es sich Spehr nicht. Also auch Sie brauchen nicht den Weg zur Kinokasse anzutreten, um Ihr Geld zurück zu verlangen.
 
Aliens, Maquis und Zivilisten. Die "Zivilisationen" im demokratischen Zeitalter
Die Hauptrolle in Spehrs sozialwissenschaftlichem Popkosmos spielt neben den Aliens der Maquis, in einer Nebenrolle treten die so genannten Zivilisten auf. Alle drei werden als eigenständige Zivilisationen begriffen. Das hat einen ganz bestimmten, nämlich poststrukturalistischen Charme. Jede dieser Zivilisationen zeichnet sich durch eine ihr eigene soziale Praxis, durch bestimmte Kriterien des Handelns aus. So sind die Aliens stets darauf bedacht, "sich fremde Natur und Arbeit anzueignen". Der Maquis, der für die postsozialistische Linke steht, stellt sich selbst der obersten Direktive einer "immer weitergehenden Befreiung von Herrschaft und Fremdbestimmung; Etablierung von Kooperationsformen, die für alle Beteiligten auf freier Wahl beruhen und eine Form von Selbstbestimmung sind." Den Zivilisten hingegen ist so ziemlich alles egal, Hauptsache es wird für sie nicht unbequem.
 
Die Herkunft der Aliens von Outer Space ist für Spehr weniger von Interesse als ihre Praxis, das Programm nach dem sie vorgehen. Was hier als recht unterhaltsame Alienbeobachtung daherkommt, wird gemeinhin Demokratiekritik genannt. So macht Agent Spehr in der Noske-Sozialdemokratie der Weimarer Republik die Spezies der Prä-Aliens aus. Es gibt eindeutige Beweise: eine subalterne Herkunft; die Idee der Entwicklung, die von allen Opfer abverlangt; der Stolz aufs Funktionieren des Apparats; die Kritik von gestern wird ins Herrschende von heute eingebaut und last but not least, eine angestrengte Bemühtheit darum, besonders menschlich rüberzukommen. Diese Spezies vermag es aber noch nicht, eine stabile Alienregentschaft zu etablieren. Ein Grund dafür ist, dass die meisten Bankiers und Industriellen - noch an der alten Ordnung der "persönlichen Herrschaft" klebend - nicht bereit sind, mit ihnen zu verschmelzen. Der Nazi-Faschismus ist in diesem Kontext als eine rückwärtsgewandte Reaktion auf die Landung der Aliens zu verstehen. Oder etwas genauer ausgedrückt, auf die Notwendigkeit, Herrschaft demokratisch legitimieren zu müssen. Die erste vollständige Alienspezies, der "traditionelle Alienismus", entsteht also erst nach '45. In seiner kapitalistischen wie sozialistischen Spielart zeichnet er sich u.a. durch formale Gleichberechtigung aus. Herrschaft und Ausbeutung entfallen zwar nicht, werden aber schwerer fassbar. Soziale Bewegungen können mit der Gleichheitsforderung reale Verbesserungen erkämpfen. Eine schwarze US-Präsidentin in einer noch nicht allzu klar erkennbaren Zukunft könnte also durchaus den Aliens dazu dienen, ihre Herrschaft ein weiteres Mal zu modifizieren und zu reproduzieren.
 
In den 70 Jahren des letzten Jahrhunderts wird das Fortschrittsversprechen dann zunehmend dysfunktional für den Alienismus: die Ressourcen des Planeten erweisen sich als endlich, die einmal zur Friedensbewahrung eingegangenen Sozialverträge drohen den Aliens nichts mehr übrig zu lassen. Das brockt den Erden-Aliens Ärger seitens der Kontrollkommission ihres Heimatplaneten ein. Das Programm der Herrschaft muss unbedingt modifiziert werden, sonst droht die Verbannung in die unendliche Ödnis des Jupiters! Der "progressive Alienismus" wird entwickelt. Dieser kreist um die geniale PR-Idee "Save the Planet!" Wie immer sind die Reformen nur zu unserem besten: "Werdet sparsamer, arbeitet mehr. Es geht um alles oder nichts. Es ist fünf vor Zwölf..."
 
Den Aliens steht der Maquis gegenüber. Der Maquis (frz. Busch) bezeichnet die Rückzugszonen der französischen Résistance, also jene Gebiete, die sich der Kontrolle der Nazis und ihrer Kollaborateure entzogen. In Star Trek steht der Maquis analog dazu für einen subversiven und widerständigen Haufen, der immer wieder in die Bad Lands, den sensor-undurchlässigen Raum entwischen kann. Spehr diskutiert anhand dieser historisch-fiktiven Figur die postsozialistische Linke, also jene linken Strömungen, die zwar bis in die 80er vom Befreiungsversprechen des orthodoxen Staatsmarxismus fasziniert bleiben, aber mit dem alienifizierten Hauptwiderspruchsdogma brechen. Er macht zunächst die "fünf Hauptsektionen" des Maquis nach 45 aus: den radikalen Feminismus, die schwarze Emanzipationsbewegung, die trikontinentale Emanzipation, die antiautoritäre Revolte und die schwule und lesbische Emanzipation; diskutiert ihre Besonderheiten und ihre hervorstechende Gemeinsamkeit: den Tribalismus. In allen Sektionen herrscht die Meinung vor, man sei der einzig wahre Maquis.
 
Parallel zum progressiven Alienismus gibt es auch Veränderungen innerhalb des Maquis: die "Befreiungstheorien der zweiten Generation". Zu ihnen zählt Spehr die Theorie des Affidamento (Politik der Beziehungen), Poplinke, Dekonstruktion, Postkolonialismus und Antinationalismus. An die Stelle der klaren Abgrenzung von den Aliens, tritt nun eine Leidenschaft für Grenzüberschreitungen, an das tribalistische Misstrauen untereinander die tendenzielle Vermischung, bzw. der Theorie-Mix. Besonders spannend wird es, wenn Spehr uns eröffnet, was Baby-Blues - also den Vibes zwischen einer Mutter und ihrem Neugeborenem - mit einer Theorie von freier Kooperation zu tun oder der Maquis in den "postmodernen Kollektiven" verloren bzw. möglicherweise zu gewinnen hat.
 
"Die Wahrheit ist irgendwo da draußen" (Agent Mulder, Akte X)
Der poststrukturalistische Charme des Zivilisationen-Ansatzes besteht darin, dass Spehr seine Charaktere nicht mit der Bürde der Vollkommenheit überfordert. Wer hat sich nicht schon dabei erwischt, lieber gepflegt Zivilisten-like mit einigen Freunden Pflanzen zu rauchen statt auf die nächste Antifademo zu fahren. Und selbst hartgesottene Anhängerinnen des Marquis kommen alltäglich in die Verlegenheit, mit dem Alienismus Kompromisse eingehen zu müssen. Die Zivilisationen stehen also gewissermaßen quer zu den Subjekten, umgarnen, durchdringen und umkämpfen sie. Dies hat den Vorteil, dass nicht ein authentisches Subjekt zum Referenzpunkt sozialer Praxis erhoben wird. Denn ein solches Subjekt braucht für den Nachweis seiner Authentizität immer solch wenig hilfreichen Ableitungsentitäten wie Klasse, Geschlecht, Nation oder Menschheit. Genauer Nachzufragen kann man sich sparen, denn die Idee von der Entität, die das Denken von Herrschaft und Befreiung in die Enge der Dichotomie von Gut und Böse presst, lässt sich mit Leichtigkeit überall wiederentdecken. "Entscheide dich: Mensch oder Alien!" An solchen Weisheiten, die sich gerade einige Abteilungen des Maquis nach 68 zu eigen machten, muss auch der aufrichtigste Freund des Maquis irgendwann scheitern; oder muss sogar realisieren, dass sich damit auch sehr gut Krieg führen lässt.

 


Aber stopp, setzt Spehr nicht selbst gegen die Aliens die Menschen, die mit einem poplinken Augenzwinkern zur Selbstbefreiung vom Joch der alienistischen Entfremdung aufgefordert werden? Ich würde sagen, Ja und Nein, und soweit gehen, dieses Jein als poststrukturalistischen Humanismus zu bezeichnen. Das klingt nicht nur paradox, sondern ist es tatsächlich. Zumindest für mich macht aber diese Spannung zwischen dekonstruierten Heilsversprechen und (re-)konstruiertem Antagonismus den Reiz, den Kick aus, der Die Aliens sind unter uns! zu deep shit macht.(1) Denn weder die in den Zivilisationen mitgedachten Strukturen noch die irgendwelche Authentizitäten mit sich rumschleppenden Subjekte sind das agens movens der Befreiung. Die Möglichkeit einer Emanzipation vom Alienismus ist abhängig von der Konfrontation dieses Traums mit seinen Widersprüchen in der maquisianischen Praxis. Sie ist die Suche nach der Wahrheit im Handeln. Diese Wahrheit nimmt gewissermaßen die Stellung des Humanen an. Sie ist irgendwo da draußen, außerhalb der Kontroll- und Existenzmöglichkeiten der Aliens.
 
The Power of Social Science Fiction
All das stellt nicht die Neuerfindung linker Theorie und Praxis dar, übersetzt es aber in eine popkulturelle, d.h. breit rezipierbare Erzählweise. Diese Befreiung aus dem Muff der dreißig Jahre in Uni-Seminaren, aber auch aus der repetitiven und elitären Selbstvergewisserung im eigenen Tribe-Haus, stellt mit diesem Wissen selber wieder etwas an. Abstraktionen bekommen die Niederungen des Alltags zu spüren und müssen sich hier als denkbar erweisen. Ob eine Fusion aus Social-Science und Fiction, wie sie Christoph Spehr in seinem Buch an den Start bringt, auf diesem Weg eine Erweiterung des Denk- und Machbaren bedeuten wird, wird die Rezeptionspraxis der Leserinnen und Leser bewahrheiten müssen.
 
Christoph Spehr: Die Aliens sind unter uns! Herrschaft und Befreiung im demokratischen Zeitalter. Siedler. München 1999, 320 S., DM 18,-
 
 
 
Anmerkungen:
 

1 Da bleibt es dann auch Nebensächlich, dass der Marxist Louis Althusser von Spehr en passant, wie vorher schon von so manchem Kritischen Theoretiker, zum Weggefährten Luhmanns in Sachen progressiven Alienismus erklärt wird. Spehr geht aber offensichtlich mehr als nur einmal mit dem Postmarxisten Ernesto Laclau ins Kino. Und ohne Althusser, der eben auch ein früher postmarxistischer Mythensmasher war, wären Laclaus theoretische Überlegungen in ihrer heutigen Form nicht zustande gekommen. <zurück>